durch (es ist mit dem Landgericht zusammengebaut) auf einen ziemlich engen inneren Hof, der auf einer Seite von einer hohen Steinmauer abgeschlossen war, auf den drei anderen aber von hohen Gebäuden; und das Gebäude, auf das wir gerade zugingen, hatte von oben bis unten nur kleine, fast quadratische Fensterlöcher, die alle mit starken Gittern geschützt waren.
›Dort oben werde ich also hausen, vielleicht Wochen und Wochen‹, dachte ich, und Angst überfiel mich. Jetzt hätte ich meinen Begleiter gerne vieles nach den Einrichtungen und Gewohnheiten eines solchen Gefängnisses gefragt, aber dafür war es nun zu spät: Schulze drückte auf einen Klingelknopf, eine große Eisentür tat sich auf, und ein blau Uniformierter begrüßte Schulze mit Handschlag und mich mit einem kühlen prüfenden Blick.
»Eine Einlieferung, Karl«, sagte Schulze. »Die Papiere kommen heute Nachmittag noch von der Staatsanwaltschaft.«
»Stellen Sie sich mal dahinten hin!«, sagte der Uniformierte zu mir, und ich stellte mich gehorsam an den mir befohlenen Fleck. Die beiden Uniformierten flüsterten miteinander und sahen dabei ein paarmal auf mich hin, einmal hörte ich auch das Wort »Mordversuch« – es schien aber keinen besonderen Eindruck zu machen.
Dann rief mir Schulze aus der Ferne zu: »Also halten Sie die Ohren steif, Sommer«, und die Tür schlug hinter ihm zu; er war in die Freiheit zurückgegangen, und mir war trotz allem, als hätte ich einen Freund verloren.
»Kommen Sie mal mit«, sagte der Uniformierte nachlässig und führte mich in eine Bürostube, in der aber niemand war. »Legen Sie mal alles hier auf den Tisch, was Sie in den Taschen haben!«
Ich tat es, es war wenig genug: ein Schlüsselbund, ein Taschenmesser, ein ziemlich schmutziges Taschentuch.
»Ist das alles, was Sie haben? Kein Geld? Na, dann halten Sie mal die Arme hoch.«
Ich tat es und wurde nun von oben bis unten abgefühlt, nach verborgenen Tascheninhalten vermutlich.
»Na gut«, sagte der blau Uniformierte dann. »Ich werde Sie erst einmal in die Elf legen, der Inspektor ist jetzt nicht hier, es ist Mittagspause.«
Ich fragte höflich, ob ich nicht auch ein Mittagessen haben könne. Ich habe noch keines bekommen.
»Essen ist vorbei«, antwortete er kühl. »Es ist nichts mehr da.«
»Aber ich habe auch kein Frühstück bekommen!«, rief ich erregt. Bisher war mein Hunger nach Essen nicht gerade sehr groß gewesen, jetzt aber merkte ich ihn gewaltig. Ich fühlte mich in meinen Rechten gekränkt: Auch ein Gefangener muss essen!
»Umso besser wird Ihnen das Abendessen schmecken«, antwortete er ungerührt. »Also kommen Sie!«
Er führte mich einen Gang entlang, durch ein Eisengitter hindurch, eine Treppe hinauf, durch eine eiserne Tür. Ich sah einen langen Gang, düster, mit vielen eisenbeschlagenen Türen, mit Riegeln und Schlössern, und wieder eine Treppe hinauf, wieder eine Eisentür – immer musste der Mann aufschließen und zuschließen und tat es so selbstverständlich … Mir aber legte es sich auf die Brust: Alle diese Türen, die jetzt zwischen mir und der Außenwelt lagen, sie brachten es mir so recht deutlich zu Bewusstsein, wie sehr ich gefangen war, wie schwer es wieder sein würde, in die Freiheit zu kommen. Vom ersten Augenblick an spürte ich die Wahrheit des Satzes, den ich später so oft im Gefängnis hörte: »Du kommst so leicht hinein und so schwer hinaus.«
Mein Führer war vor einer eisernen Tür stehen geblieben, die eine weiße »11« trug. Hier hinter also sollte ich hausen. Er schloss auf, und hinter der Tür zeigte sich eine zweite Tür. Auch sie wurde aufgeschlossen.
»Gehen Sie rein«, sagte mein Begleiter ungeduldig, und ich trat ein. Von einem schmalen Bett erhob sich eine gewaltige Gestalt, ein großer Mann erheblichen Umfangs, mit einer blonden Glatze und einer Brille.
»Ein bisschen Gesellschaft?«, fragte er. »Na, das ist schön. Woher kommst du denn?«
Ich war so verblüfft, dass ich in der Zelle einen Gefährten haben sollte, dass ich es erst viel später merkte: Der Schließer war gegangen und ich endgültig und unwiderruflich eingeschlossen.
»Setz dich man, da auf den Schemel«, sagte der Dicke. »Ich hau mich noch ein bisschen aufs Bett. Es ist zwar verboten, aber der Fermi sagt nichts. Fermi ist der, der dich eben raufgebracht hat.«
Ich setzte mich auf den Schemel und starrte den auf dem Bett liegenden Mann an. Er trug Zivil wie ich, einen einstmals wohl sehr eleganten Anzug von einem guten Schneider, der jetzt aber recht zerdrückt und auch fleckig war.
»Sind Sie auch ein Gefangener?«, fragte ich schließlich.
»Das will ich meinen!« lachte der Dicke. »Denkst du, ich sitze hier zur Erholung in diesem Bunker? Übrigens kannst du ruhig ›du‹ zu mir sagen, wir nennen uns hier alle ›du‹. – Ja«, fuhr er fort und reckte sich stöhnend, »ich sitze hier schon elf Wochen im Bau, aber denkst du, ich habe schon eine Anklage? Nicht die Bohne! Die Brüder lassen sich Zeit, ihretwegen kannst du hier verfaulen und verschimmeln, deswegen gehen die nicht einen Schritt schneller. Was hast du denn ausgefressen?«
»Der Staatsanwalt hat mich wegen Mordversuch an meiner Frau verhaftet«, antwortete ich mit bescheidenem Stolz. Und setzte schnell hinzu: »Aber das stimmt nicht. Davon ist kein Wort wahr.«
Wieder lachte der Dicke. »Natürlich ist es nicht wahr«, lachte er. »Hier drin sitzen überhaupt nur Unschuldige – wenn du die Leute fragst.«
»Bei mir ist es aber wirklich wahr«, versicherte ich. »Ich habe meine Frau nie ermorden wollen, wir haben uns nur ein bisschen gestritten.«
»Na ja«, sagte der Dicke. »Mit der Zeit wirst du dir schon die Brust freiquasseln; jeder, der das Sitzen nicht gewohnt ist, fängt mit der Zeit an zu quasseln. Pass dann nur auf, mit wem du redest, die meisten wollen sich lieb Kind beim Inspektor machen, hinterbringen ihm alles – und schon bist du drin.« Er sah mich aus seinen kleinen Augen zwischen Fettwülsten hindurch treuherzig an und meinte: »Bei mir aber kannst du offen reden, ich bin eine Seele von einem Menschen, ich bin stiekum.«
»Was sind Sie?«
»Stiekum, das sagt man hier für Dichthalten. Ich quatsche nicht, verstehst du?«
»Ich habe aber wirklich nichts zu gestehen«, versicherte ich wieder.
»Na, das werden wir ja noch erleben«, sagte der Dicke gemütlich. »Vielleicht hast du Schwein, und der Untersuchungsrichter ist deiner Meinung und erlässt keinen Haftbefehl gegen dich.«
»Ich bin doch schon vom Staatsanwalt selbst verhaftet.«
»Das hat gar nichts zu sagen«, belehrte mich