Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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durch (es ist mit dem Land­ge­richt zu­sam­men­ge­baut) auf einen ziem­lich en­gen in­ne­ren Hof, der auf ei­ner Sei­te von ei­ner ho­hen Stein­mau­er ab­ge­schlos­sen war, auf den drei an­de­ren aber von ho­hen Ge­bäu­den; und das Ge­bäu­de, auf das wir ge­ra­de zu­gin­gen, hat­te von oben bis un­ten nur klei­ne, fast qua­dra­ti­sche Fens­ter­lö­cher, die alle mit star­ken Git­tern ge­schützt wa­ren.

      ›Dort oben wer­de ich also hau­sen, viel­leicht Wo­chen und Wo­chen‹, dach­te ich, und Angst über­fiel mich. Jetzt hät­te ich mei­nen Beglei­ter ger­ne vie­les nach den Ein­rich­tun­gen und Ge­wohn­hei­ten ei­nes sol­chen Ge­fäng­nis­ses ge­fragt, aber da­für war es nun zu spät: Schul­ze drück­te auf einen Klin­gel­knopf, eine große Ei­sen­tür tat sich auf, und ein blau Uni­for­mier­ter be­grüß­te Schul­ze mit Hand­schlag und mich mit ei­nem küh­len prü­fen­den Blick.

      »Eine Ein­lie­fe­rung, Karl«, sag­te Schul­ze. »Die Pa­pie­re kom­men heu­te Nach­mit­tag noch von der Staats­an­walt­schaft.«

      »Stel­len Sie sich mal da­hin­ten hin!«, sag­te der Uni­for­mier­te zu mir, und ich stell­te mich ge­hor­sam an den mir be­foh­le­nen Fleck. Die bei­den Uni­for­mier­ten flüs­ter­ten mit­ein­an­der und sa­hen da­bei ein paar­mal auf mich hin, ein­mal hör­te ich auch das Wort »Mord­ver­such« – es schi­en aber kei­nen be­son­de­ren Ein­druck zu ma­chen.

      Dann rief mir Schul­ze aus der Fer­ne zu: »Also hal­ten Sie die Ohren steif, Som­mer«, und die Tür schlug hin­ter ihm zu; er war in die Frei­heit zu­rück­ge­gan­gen, und mir war trotz al­lem, als hät­te ich einen Freund ver­lo­ren.

      »Kom­men Sie mal mit«, sag­te der Uni­for­mier­te nach­läs­sig und führ­te mich in eine Bü­ro­stu­be, in der aber nie­mand war. »Le­gen Sie mal al­les hier auf den Tisch, was Sie in den Ta­schen ha­ben!«

      Ich tat es, es war we­nig ge­nug: ein Schlüs­sel­bund, ein Ta­schen­mes­ser, ein ziem­lich schmut­zi­ges Ta­schen­tuch.

      »Ist das al­les, was Sie ha­ben? Kein Geld? Na, dann hal­ten Sie mal die Arme hoch.«

      Ich tat es und wur­de nun von oben bis un­ten ab­ge­fühlt, nach ver­bor­ge­nen Ta­schen­in­hal­ten ver­mut­lich.

      »Na gut«, sag­te der blau Uni­for­mier­te dann. »Ich wer­de Sie erst ein­mal in die Elf le­gen, der In­spek­tor ist jetzt nicht hier, es ist Mit­tags­pau­se.«

      Ich frag­te höf­lich, ob ich nicht auch ein Mit­ta­ges­sen ha­ben kön­ne. Ich habe noch kei­nes be­kom­men.

      »Es­sen ist vor­bei«, ant­wor­te­te er kühl. »Es ist nichts mehr da.«

      »Aber ich habe auch kein Früh­stück be­kom­men!«, rief ich er­regt. Bis­her war mein Hun­ger nach Es­sen nicht ge­ra­de sehr groß ge­we­sen, jetzt aber merk­te ich ihn ge­wal­tig. Ich fühl­te mich in mei­nen Rech­ten ge­kränkt: Auch ein Ge­fan­ge­ner muss es­sen!

      »Umso bes­ser wird Ih­nen das Abendes­sen schme­cken«, ant­wor­te­te er un­ge­rührt. »Also kom­men Sie!«

      Er führ­te mich einen Gang ent­lang, durch ein Ei­sen­git­ter hin­durch, eine Trep­pe hin­auf, durch eine ei­ser­ne Tür. Ich sah einen lan­gen Gang, düs­ter, mit vie­len ei­sen­be­schla­ge­nen Tü­ren, mit Rie­geln und Sch­lös­sern, und wie­der eine Trep­pe hin­auf, wie­der eine Ei­sen­tür – im­mer muss­te der Mann auf­schlie­ßen und zu­schlie­ßen und tat es so selbst­ver­ständ­lich … Mir aber leg­te es sich auf die Brust: Alle die­se Tü­ren, die jetzt zwi­schen mir und der Au­ßen­welt la­gen, sie brach­ten es mir so recht deut­lich zu Be­wusst­sein, wie sehr ich ge­fan­gen war, wie schwer es wie­der sein wür­de, in die Frei­heit zu kom­men. Vom ers­ten Au­gen­blick an spür­te ich die Wahr­heit des Sat­zes, den ich spä­ter so oft im Ge­fäng­nis hör­te: »Du kommst so leicht hin­ein und so schwer hin­aus.«

      Mein Füh­rer war vor ei­ner ei­ser­nen Tür ste­hen ge­blie­ben, die eine wei­ße »11« trug. Hier hin­ter also soll­te ich hau­sen. Er schloss auf, und hin­ter der Tür zeig­te sich eine zwei­te Tür. Auch sie wur­de auf­ge­schlos­sen.

      »Ge­hen Sie rein«, sag­te mein Beglei­ter un­ge­dul­dig, und ich trat ein. Von ei­nem schma­len Bett er­hob sich eine ge­wal­ti­ge Ge­stalt, ein großer Mann er­heb­li­chen Um­fangs, mit ei­ner blon­den Glat­ze und ei­ner Bril­le.

      »Ein biss­chen Ge­sell­schaft?«, frag­te er. »Na, das ist schön. Wo­her kommst du denn?«

      Ich war so ver­blüfft, dass ich in der Zel­le einen Ge­fähr­ten ha­ben soll­te, dass ich es erst viel spä­ter merk­te: Der Schlie­ßer war ge­gan­gen und ich end­gül­tig und un­wi­der­ruf­lich ein­ge­schlos­sen.

      »Setz dich man, da auf den Sche­mel«, sag­te der Di­cke. »Ich hau mich noch ein biss­chen aufs Bett. Es ist zwar ver­bo­ten, aber der Fer­mi sagt nichts. Fer­mi ist der, der dich eben rauf­ge­bracht hat.«

      Ich setz­te mich auf den Sche­mel und starr­te den auf dem Bett lie­gen­den Mann an. Er trug Zi­vil wie ich, einen einst­mals wohl sehr ele­gan­ten An­zug von ei­nem gu­ten Schnei­der, der jetzt aber recht zer­drückt und auch fle­ckig war.

      »Sind Sie auch ein Ge­fan­ge­ner?«, frag­te ich schließ­lich.

      »Das will ich mei­nen!« lach­te der Di­cke. »Denkst du, ich sit­ze hier zur Er­ho­lung in die­sem Bun­ker? Üb­ri­gens kannst du ru­hig ›du‹ zu mir sa­gen, wir nen­nen uns hier alle ›du‹. – Ja«, fuhr er fort und reck­te sich stöh­nend, »ich sit­ze hier schon elf Wo­chen im Bau, aber denkst du, ich habe schon eine An­kla­ge? Nicht die Boh­ne! Die Brü­der las­sen sich Zeit, ih­ret­we­gen kannst du hier ver­fau­len und ver­schim­meln, des­we­gen ge­hen die nicht einen Schritt schnel­ler. Was hast du denn aus­ge­fres­sen?«

      »Der Staats­an­walt hat mich we­gen Mord­ver­such an mei­ner Frau ver­haf­tet«, ant­wor­te­te ich mit be­schei­de­nem Stolz. Und setz­te schnell hin­zu: »Aber das stimmt nicht. Da­von ist kein Wort wahr.«

      Wie­der lach­te der Di­cke. »Na­tür­lich ist es nicht wahr«, lach­te er. »Hier drin sit­zen über­haupt nur Un­schul­di­ge – wenn du die Leu­te fragst.«

      »Bei mir ist es aber wirk­lich wahr«, ver­si­cher­te ich. »Ich habe mei­ne Frau nie er­mor­den wol­len, wir ha­ben uns nur ein biss­chen ge­strit­ten.«

      »Na ja«, sag­te der Di­cke. »Mit der Zeit wirst du dir schon die Brust frei­quas­seln; je­der, der das Sit­zen nicht ge­wohnt ist, fängt mit der Zeit an zu quas­seln. Pass dann nur auf, mit wem du re­dest, die meis­ten wol­len sich lieb Kind beim In­spek­tor ma­chen, hin­ter­brin­gen ihm al­les – und schon bist du drin.« Er sah mich aus sei­nen klei­nen Au­gen zwi­schen Fett­wüls­ten hin­durch treu­her­zig an und mein­te: »Bei mir aber kannst du of­fen re­den, ich bin eine See­le von ei­nem Men­schen, ich bin stie­kum.«

      »Was sind Sie?«

      »Stie­kum, das sagt man hier für Dicht­hal­ten. Ich quat­sche nicht, ver­stehst du?«

      »Ich habe aber wirk­lich nichts zu ge­ste­hen«, ver­si­cher­te ich wie­der.

      »Na, das wer­den wir ja noch er­le­ben«, sag­te der Di­cke ge­müt­lich. »Vi­el­leicht hast du Schwein, und der Un­ter­su­chungs­rich­ter ist dei­ner Mei­nung und er­lässt kei­nen Haft­be­fehl ge­gen dich.«

      »Ich bin doch schon vom Staats­an­walt selbst ver­haf­tet.«

      »Das hat gar nichts zu sa­gen«, be­lehr­te mich