Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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sie noch zor­nig auf mich war, nie konn­te sie sa­gen, dass ich sie hät­te er­mor­den wol­len. Das hat­te ich nie ge­wollt. Dun­kel kam mir in Erin­ne­rung, dass ich et­was ge­sagt hat­te wie: »Heu­te Nacht kom­me ich und er­mor­de dich«, aber das war doch nur be­trun­ke­nes Ge­re­de ge­we­sen, das galt nicht.

      »Höre mal«, sag­te der Di­cke, »ren­ne mal nicht so in der Zel­le hin und her, da­mit machst du mich ner­vös! Setz dich mal ru­hig dort auf den Sche­mel, nimm aber erst das Kis­sen run­ter, es ist näm­lich mein Pri­vat­kis­sen. Auf dei­ne Fal­le kannst du dich noch nicht le­gen, dei­nen Stroh­sack bringt dir der Olle erst heu­te Abend. Gott, wie mich die­ser Stall an­kotzt!« Da­mit gähn­te der Di­cke herz­haft, ließ einen Fürch­ter­li­chen fah­ren – ich fuhr er­schro­cken zu­sam­men –, stöhn­te: »Das hat aber gut­ge­tan!«, und war auch gleich ein­ge­schla­fen.

      Ich aber will nicht län­ger in sol­cher Brei­te die ers­ten Tage mei­ner Un­ter­su­chungs­haft er­zäh­len. Sie wa­ren so qual­voll, dass ich ei­nes Nachts lei­se auf­stand, an den Schrank des Di­cken ging und aus sei­nem Ra­sier­ap­pa­rat die Klin­ge nahm: Ich woll­te mir den Hals durch­schnei­den. Nur brach­te ich nach­her doch den Mut dazu nicht auf. Ich hat­te pro­be­wei­se erst einen Schnitt am Hand­ge­lenk ge­tan, der nur we­nig blu­te­te, mich aber be­ru­hig­te. Der Wil­le zum Le­ben sieg­te, und ich tat die Klin­ge noch in der glei­chen Nacht in den Ap­pa­rat zu­rück.

      Im Gan­zen aber ging mei­ne Ent­wöh­nung vom Al­ko­hol leich­ter, als ich er­war­tet hat­te. Ich war eben doch noch kein rich­ti­ger Trin­ker ge­we­sen, hat­te erst kur­ze Zeit mich dem Schnaps aus­ge­lie­fert und nie wei­ße Mäu­se lau­fen se­hen. Viel half mir bei die­ser Ent­wöh­nung, dass ich mich schon den drit­ten oder vier­ten Tag frei­wil­lig zur Ar­beit mel­de­te. Ich hielt das ta­ten­lo­se, grü­beln­de Her­um­sit­zen in der Zel­le und vor al­lem die Ge­sell­schaft des Di­cken, der üb­ri­gens Düs­ter­mann hieß, nicht aus. Ich glau­be, ich hät­te ihn um­ge­bracht, wäre ich ge­zwun­gen ge­we­sen, alle Tage vier­und­zwan­zig Stun­den in sei­ner Ge­sell­schaft zu­zu­brin­gen.

      Er war nichts wie ein Vieh; ein un­ver­hüllt egois­ti­sche­rer Mensch ist mir nie vor­ge­kom­men. Er hat­te sich alle Er­leich­te­run­gen, die das Ge­setz dem Un­ter­su­chungs­häft­ling zu­ge­steht, ver­schafft: hat­te auf dem har­ten Stroh­sack De­cken und Kis­sen, be­kam re­gel­mä­ßig zu rau­chen und Fress­pa­ke­te, gab aber nie auch nur das ge­rings­te ab. In den ers­ten Ta­gen, da ich noch kein ei­ge­nes Wasch­zeug auf der Zel­le hat­te, ver­bot er mir so­gar die Be­nut­zung sei­nes Kam­mes. Nicht ein­mal sei­nen Spie­gel durf­te ich in die Hand neh­men, und nur wi­der­wil­lig er­laub­te er mir, von sei­nen al­ten Zei­tun­gen ein Blatt als Klo­sett­pa­pier zu be­nut­zen.

      »Nee, nee, Som­mer«, sag­te er dann wohl, »hier heißt’s: ›Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!‹ Wie kom­me ich dazu, für dich zu sor­gen? In was sorgst du denn für mich? Bloß ner­vös machst du mich.«

      Das war auch so ein Punkt, der mich ra­send ma­chen konn­te: Al­les, was ich tat, mach­te Düs­ter­mann ner­vös. Ich durf­te nicht in der Zel­le auf und ab ge­hen; dreh­te ich mich nachts auf dem Stroh­sack rum, so schimpf­te er über Ru­he­stö­rung; woll­te ich ein­mal das klei­ne Fens­ter­loch öff­nen, so schrie er, er ver­küh­le sich die Glat­ze, und wir muss­ten wei­ter in Hit­ze und Ge­stank hocken. Er aber er­laub­te sich al­les. Er fraß sinn­los die Fress­pa­ke­te auf, die sei­ne Frau zwei­mal wö­chent­lich für ihn ab­lie­fer­te, saß den Tag sechs­mal auf dem Kü­bel, furz­te stän­dig mit ei­ner wah­ren Wol­lust und schnarch­te nachts so laut und an­dau­ernd, dass ich vie­le Stun­den lang wach lie­gen muss­te, den trübs­ten Ge­dan­ken aus­ge­lie­fert. Wenn ich je einen Men­schen aus mei­nes Her­zens tiefs­tem Grun­de ge­hasst habe, so war es Düs­ter­mann.

      Ich habe mir oft über­legt, wie ein sol­ches Vieh un­be­an­stan­det drau­ßen in der Frei­heit hat le­ben und so­gar eine Ehe hat füh­ren kön­nen, in der die Frau auch jetzt noch zu ihm hielt. Ich sag­te mir dann nach ei­ni­gem Nach­den­ken, dass Düs­ter­mann drau­ßen wohl einen je­ner vi­ta­len, ge­nuss­freu­di­gen, an­schei­nend zu­trau­li­chen di­cken Ge­schäfts­leu­te ge­spielt hat, die von den Leu­ten mit lä­cheln­dem Wohl­wol­len be­trach­tet wer­den. Si­cher hat er sich nicht so ge­hen las­sen wie bei mir in der Zel­le, aber ich war eben auch nur ein Kitt­chen­bru­der, und bei mir kam es nicht mehr dar­auf an. Ich habe in spä­te­rer lan­ger Lei­dens­zeit mit sehr viel ein­fa­che­ren Leu­ten, als es Düs­ter­mann war, zu­sam­men­ge­le­gen, mit Ar­bei­tern, ja mit Stro­mern, aber kei­ner hat sich so ge­mein ge­hen, so un­ver­hüllt al­len sei­nen Trie­ben ih­ren Lauf ge­las­sen wie die­ser Düs­ter­mann.

      Von Be­ruf war er nichts als Häu­ser­be­sit­zer, er war der Sohn ei­nes rei­chen, längst ver­stor­be­nen Va­ters, der ihm eine Rei­he statt­li­cher Zins­häu­ser und an­de­re Lie­gen­schaf­ten hin­ter­las­sen hat­te. Mit der Ver­wal­tung die­ses Grund­be­sit­zes hat­te Düs­ter­mann bis­her sein Le­ben ver­bracht. Und bei der Ver­wal­tung die­ses Be­sit­zes war ihm dann auch je­nes Miss­ge­schick pas­siert, das ihn in das Ge­fäng­nis führ­te und mir zum Zel­len­ge­nos­sen gab. Da er auch drau­ßen sich al­les, an­de­ren aber nichts gönn­te, und jede Frei­heit für sich in An­spruch nahm, hat­te er ei­nes sei­ner Zins­häu­ser, des­sen bau­fäl­li­ger Zu­stand ihn schon lan­ge ge­är­gert hat­te, höchst­per­sön­lich an­ge­steckt, um mit der ho­hen Ver­si­che­rungs­s­um­me die Neu­bau­kos­ten zu de­cken. Bei dem Bran­de war eine Frau mit ih­rem Kin­de ums Le­ben ge­kom­men.

      »Das dum­me Lu­der!«, konn­te Düs­ter­mann wohl schimp­fen. »Konn­te sie nicht recht­zei­tig raus­lau­fen wie alle an­de­ren?! Aber nein, das däm­li­che Aas muss­te ja erst ir­gend­wel­chen Dreck in einen Kof­fer ste­cken, und dann mach­te ihr der Rauch die Flucht un­mög­lich. Was kann ich für die Dumm­heit von der Ol­len?

      Der Staats­an­walt will mir na­tür­lich einen Strick dar­aus dre­hen! Aber da kennt er Düs­ter­mann schlecht. Die bes­ten An­wäl­te habe ich mir ge­nom­men, und geht al­les schief, las­se ich mir den § 51 ge­ben, bin geis­tes­krank und lebe als Ren­tier in ir­gend­ei­ner hüb­schen Klaps­müh­le.« Sei­ne Schuld an die­ser Brand­stif­tung gab Düs­ter­mann ganz of­fen zu. »Ja, Mensch, wozu soll ich denn lü­gen? Sie ha­ben mich doch mit der Pe­tro­le­um­kan­ne in der Hand ge­schnappt! Da hat Leug­nen doch kei­nen Zweck! Ja, wenn ich in der Lage wie du wäre, wür­de ich auch leug­nen bis zum Ver­re­cken – aber so – bin ich eben geis­tes­krank!« Er lach­te dröh­nend.

      »Im Grun­de«, fuhr er wohl fort und be­mit­lei­de­te sich da­bei selbst, »hat mich bloß mei­ne Gut­mü­tig­keit dazu ge­bracht. Ich bin eben ein­fach ein gut­mü­ti­ger Dus­sel. Ich konn­te es nicht se­hen, dass die Leu­te wei­ter in ei­ner so bau­fäl­li­gen, ver­wanz­ten Ba­ra­cke haus­ten. An­stän­di­ge Woh­nun­gen woll­te ich ih­nen schaf­fen – und das habe ich nun von mei­ner Gut­mü­tig­keit!«

      Die­ser Düs­ter­mann also mach­te es, dass ich mich frei­wil­lig zur Ar­beit mel­de­te, und sei­nes bei­ßen­den Hoh­nes war ich da­bei si­cher. Wenn ich abends von der Ar­beit in die Zel­le zu­rück­kam, mit mü­den Kno­chen, aber doch fried­li­cher im Her­zen, so be­grüß­te er mich etwa so: »Da kommt ja der Mus­ter­kna­be! Na, hast du flei­ßig ge­ar­bei­tet? Hast dich bei dem Schwein von In­spek­tor be­liebt ge­macht? Du wirst dich schön ge­schnit­ten ha­ben! Der Staats­an­walt schickt dich des­halb doch ge­nau­so lan­ge ins Kitt­chen, wie wenn du hier ru­hig in der Zel­le sit­zen blie­best! Sol­che Arsch­krie­cher wie