Gefängnishof geführt, wo Berge von Holz lagen. Auch wir hatten wohl früher das Anmachholz für unsere Zentralheizung, das wir in Klaftern auf der Försterei gekauft hatten, zum Gefängnis fahren und dort zerkleinern lassen. Ich hatte mir nie einen Gedanken darüber gemacht, wer da wohl mein Holz gesägt und gehauen hatte.
Nun stand ich selber alle Tage acht Stunden am Sägebock, mir gegenüber ein vielfach vorbestrafter gewohnheitsmäßiger Einbrecher, Mordhorst mit Namen; gemeinsam zogen wir acht Stunden lang die Säge durch Kiefern-, Buchen- und Eichenholz. Ein Posten ging bei uns auf dem Hof hin und her und passte auf, dass nicht gar zu viel geredet und gar zu wenig gearbeitet wurde – aber nun war ich es, der das Holz für die Bürger meiner Vaterstadt sägte, und diesmal würde der Kaufmann Hölscher, für den wir gerade arbeiteten, auch nicht mit einem Gedanken daran denken, dass es sein langjähriger Kunde Sommer war, der ihm diese Arbeit verrichtete.
Zu Anfang störte es mich noch sehr, dass die vierte Seite des Hofes vom Landgerichtsgebäude begrenzt war, viele Fenster sahen auf mich und meine in blauer Gefängniskluft steckenden sägenden Arme herab, aber in wenigen Tagen war ich daran gewöhnt und drehte kaum den Kopf, wenn Mordhorst flüsterte: »Der Staatsanwalt steht mal wieder am Fenster und will sehen, ob wir uns auch unseren Fraß verdienen. Säg langsamer, Kumpel. Wenn der kiekt, will ich gar nicht arbeiten.«
Mordhorst war ein kleiner, drahtiger Mann mit einem verbitterten, faltigen Gesicht und pfeffergrauem Haar. Weit über die Hälfte seines Lebens hatte er in Zuchthäusern und Gefängnissen verbracht. Das war ihm so selbstverständlich, dass er gar nicht davon sprach. Er bereute nichts, sehnte sich nie nach einem anderen Leben. Von seinen Straftaten erzählte er nie etwas, so wie ein Handwerksmeister auch nicht von seiner beruflichen Tätigkeit spricht. Einbrechen war für ihn wie Hosennähen für einen Schneidermeister. Erst von anderen Gefangenen hörte ich, dass Mordhorst in der sogenannten Verbrecherwelt ein weit berühmter Mann war, er konnte den modernsten Geldschrank bewältigen, und er war bekannt dafür, dass er stets ohne »Kumpel«, ohne Gehilfen arbeitete. Er war ein Einzelgänger, ein typischer Feind der Gesellschaft.
Ihn wurmte allein, dass er in einem solchen »Drecknest«, wie er meine Vaterstadt nannte, hängen geblieben war, bloß wegen »Mist«. Er war auf der Reise nach Hamburg, wo er etwas Großes durchführen wollte, hier für einen Tag hängen geblieben und hatte bloß nachts, weil er angetrunken war und nichts zu rauchen in der Tasche hatte, den Rauchwarenkiosk auf unserem Marktplatz aufgebrochen. Dabei hatten sie ihn geschnappt. »Denk doch bloß an, Mensch«, konnte sich Mordhorst ereifern. »Ich hatte drei Blaue in der Tasche, ich hätte mir in meiner Absteige so viel zu rauchen kaufen können, wie ich nur wollte. Bloß weil ich dun war! Und nun werden sie mir wegen so einem Mist fünf Jahre Zet aufknacken, in die Luft könnte ich gehen, wenn ich daran denke!«
Bei mir fand ich es ganz egal, ob Mordhorst wegen einer großen Geldschrankknackerei oder wegen eines kleinen Rauchwarendiebstahls fünf Jahre Zuchthaus bekam, fünf Jahre würden es unter allen Umständen. Aber ich hütete mich wohl, das laut auszusprechen, denn Mordhorst war auch ein hitziger, jähzorniger Mann und hatte mir im Anfang gewaltig mit Wutausbrüchen zugesetzt, wenn ich unerfahrener Neuling die Säge wieder so ungeschickt geführt hatte, dass sie klemmte. Einmal wollte er mir sogar in seiner Wut mit einem Stück Holz über den Schädel schlagen, nur das Dazwischentreten des Wachtmeisters rettete mich vor einem Niederschlag.
Aber nach fünf Minuten war Mordhorst dann wieder normal und vernünftig, ich glaube, ihn hatten die langen Haftjahre so hemmungslos und wild gemacht. An seinem Hirn nagte bestimmt ein Wurm; wer Jahre und Jahre in einer Zelle umhergeht, immer nur auf den Tag der Entlassung, der Freiheit wartend, und wer dabei im tiefsten Innern weiß, dass auch der längste Aufenthalt in der Freiheit nur ein Gastspiel von höchstens einigen Monaten sein wird, dem wieder Jahre und Jahre härtesten Wartens folgen werden – der kann nicht normal bleiben.
Ich selbst habe viel von Mordhorst gelernt. Er wusste alles über Gerichte, Gefängnisse und Zuchthäuser. Es war ganz erstaunlich, wie gut dieser kleine, schweigsame Mann, der mit niemandem Gemeinschaft zu haben schien, über alles und jedes unterrichtet war. Er wusste, was für Fleisch wir am Sonntag bekommen würden und was der neu eingelieferte Mann in Zelle 21 ausgefressen haben sollte. Er kannte die Familienverhältnisse, das Gehalt und die Sorgen jedes Wachtmeisters. Er konnte mit einem Hosenknopf, einem Zwirnsfaden und einem Stein Feuer machen für eine Zigarette. Er hatte immer zu rauchen und immer etwas extra zu essen, obgleich niemand Fresspakete für ihn abgab. Er hatte stets Geld in der Tasche, was streng verboten war, er besaß ein Messer (ebenfalls verboten) und hatte irgendeinen Weg, Briefe ohne die Zensur des Staatsanwaltes aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Er kannte eben all die unterirdischen Wege, die mit der Zeit sich in jeder menschlichen Gemeinschaft eröffnen, sie mag noch so streng beaufsichtigt sein.
Ich war für ihn immer ein Neuling, ein wahrer Säugling, er gab mir ein bisschen von seiner Lebenserfahrung ab, ließ sich aber nie mir gegenüber zu irgendwelchen Geständnissen hinreißen. Ich sah aber wohl, dass er mit anderen Gefängnisinsassen anders umging. Alte Kittchenbrüder verständigen sich mit einem Blick und einem Augenzwinkern. Sie gehen hintereinanderher, sie haben kaum die Lippen bewegt, und schon ist irgendwas von der einen in die andere Hand geglitten.
Die Wachtmeister ließen Mordhorst viel mehr Freiheit als zum Beispiel mir. Sie drückten bei ihm ein Auge zu, er konnte sich vieles erlauben. Vielleicht hatten manche Angst vor ihm, weil er so viel wusste, ich glaube aber eher, sie scheuten die Scherereien, die das Anbinden mit einem so gefährlichen Mann notwendig mit sich bringen musste.
Wenn er fünf Minuten lang tatenlos am Sägebock gestanden hatte und ich flüsterte ihm zu: »Du, Mordhorst, säg wieder los! Der Wachtmeister guckt ständig her«, tat Mordhorst nichts dergleichen.
Und kam dann der Wachtmeister wirklich zu uns und sagte: »Na, Mordhorst! Nun ist’s aber genug gefaulenzt, nun mal wieder ran!«, so sagte er hitzig: »Schinde ich mich nicht schon genug für meine dreißig Pfennig am Tage?« (Wir bekamen nämlich dreißig Pfennig »Arbeitsbelohnung« am Tag, die für den Tag der Entlassung gutgeschrieben wurden.) »Soll ich mir die Haut von den Pfoten schuften für die Speckjäger, die?!« Und er sah böse zu den Fenstern des Landgerichts hinüber.
Der Wachtmeister lachte dann meist und sagte: »Du hast wieder mal deinen Koller, Mordhorst! Der Staatsanwalt wird von deinem Sägen nicht fetter und nicht magerer …«
Mordhorst aber murrte: »Man weiß, was man weiß«, griff