Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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Ge­fäng­nis­hof ge­führt, wo Ber­ge von Holz la­gen. Auch wir hat­ten wohl frü­her das An­mach­holz für un­se­re Zen­tral­hei­zung, das wir in Klaf­tern auf der Förs­te­rei ge­kauft hat­ten, zum Ge­fäng­nis fah­ren und dort zer­klei­nern las­sen. Ich hat­te mir nie einen Ge­dan­ken dar­über ge­macht, wer da wohl mein Holz ge­sägt und ge­hau­en hat­te.

      Nun stand ich sel­ber alle Tage acht Stun­den am Sä­ge­bock, mir ge­gen­über ein viel­fach vor­be­straf­ter ge­wohn­heits­mä­ßi­ger Ein­bre­cher, Mord­horst mit Na­men; ge­mein­sam zo­gen wir acht Stun­den lang die Säge durch Kie­fern-, Bu­chen- und Ei­chen­holz. Ein Pos­ten ging bei uns auf dem Hof hin und her und pass­te auf, dass nicht gar zu viel ge­re­det und gar zu we­nig ge­ar­bei­tet wur­de – aber nun war ich es, der das Holz für die Bür­ger mei­ner Va­ter­stadt säg­te, und dies­mal wür­de der Kauf­mann Höl­scher, für den wir ge­ra­de ar­bei­te­ten, auch nicht mit ei­nem Ge­dan­ken dar­an den­ken, dass es sein lang­jäh­ri­ger Kun­de Som­mer war, der ihm die­se Ar­beit ver­rich­te­te.

      Zu An­fang stör­te es mich noch sehr, dass die vier­te Sei­te des Ho­fes vom Land­ge­richts­ge­bäu­de be­grenzt war, vie­le Fens­ter sa­hen auf mich und mei­ne in blau­er Ge­fäng­nis­kluft ste­cken­den sä­gen­den Arme her­ab, aber in we­ni­gen Ta­gen war ich dar­an ge­wöhnt und dreh­te kaum den Kopf, wenn Mord­horst flüs­ter­te: »Der Staats­an­walt steht mal wie­der am Fens­ter und will se­hen, ob wir uns auch un­se­ren Fraß ver­die­nen. Säg lang­sa­mer, Kum­pel. Wenn der kiekt, will ich gar nicht ar­bei­ten.«

      Mord­horst war ein klei­ner, drah­ti­ger Mann mit ei­nem ver­bit­ter­ten, fal­ti­gen Ge­sicht und pfef­fer­grau­em Haar. Weit über die Hälf­te sei­nes Le­bens hat­te er in Zucht­häu­sern und Ge­fäng­nis­sen ver­bracht. Das war ihm so selbst­ver­ständ­lich, dass er gar nicht da­von sprach. Er be­reu­te nichts, sehn­te sich nie nach ei­nem an­de­ren Le­ben. Von sei­nen Straf­ta­ten er­zähl­te er nie et­was, so wie ein Hand­werks­meis­ter auch nicht von sei­ner be­ruf­li­chen Tä­tig­keit spricht. Ein­bre­chen war für ihn wie Ho­sen­nä­hen für einen Schnei­der­meis­ter. Erst von an­de­ren Ge­fan­ge­nen hör­te ich, dass Mord­horst in der so­ge­nann­ten Ver­bre­cher­welt ein weit be­rühm­ter Mann war, er konn­te den mo­d­erns­ten Geld­schrank be­wäl­ti­gen, und er war be­kannt da­für, dass er stets ohne »Kum­pel«, ohne Ge­hil­fen ar­bei­te­te. Er war ein Ein­zel­gän­ger, ein ty­pi­scher Feind der Ge­sell­schaft.

      Ihn wurm­te al­lein, dass er in ei­nem sol­chen »Dreck­nest«, wie er mei­ne Va­ter­stadt nann­te, hän­gen ge­blie­ben war, bloß we­gen »Mist«. Er war auf der Rei­se nach Ham­burg, wo er et­was Gro­ßes durch­füh­ren woll­te, hier für einen Tag hän­gen ge­blie­ben und hat­te bloß nachts, weil er an­ge­trun­ken war und nichts zu rau­chen in der Ta­sche hat­te, den Rauch­wa­ren­ki­osk auf un­se­rem Markt­platz auf­ge­bro­chen. Da­bei hat­ten sie ihn ge­schnappt. »Denk doch bloß an, Mensch«, konn­te sich Mord­horst er­ei­fern. »Ich hat­te drei Blaue in der Ta­sche, ich hät­te mir in mei­ner Ab­stei­ge so viel zu rau­chen kau­fen kön­nen, wie ich nur woll­te. Bloß weil ich dun war! Und nun wer­den sie mir we­gen so ei­nem Mist fünf Jah­re Zet auf­knacken, in die Luft könn­te ich ge­hen, wenn ich dar­an den­ke!«

      Bei mir fand ich es ganz egal, ob Mord­horst we­gen ei­ner großen Geld­schrank­knacke­rei oder we­gen ei­nes klei­nen Rauch­wa­ren­dieb­stahls fünf Jah­re Zucht­haus be­kam, fünf Jah­re wür­den es un­ter al­len Um­stän­den. Aber ich hü­te­te mich wohl, das laut aus­zu­spre­chen, denn Mord­horst war auch ein hit­zi­ger, jäh­zor­ni­ger Mann und hat­te mir im An­fang ge­wal­tig mit Wut­aus­brü­chen zu­ge­setzt, wenn ich un­er­fah­re­ner Neu­ling die Säge wie­der so un­ge­schickt ge­führt hat­te, dass sie klemm­te. Ein­mal woll­te er mir so­gar in sei­ner Wut mit ei­nem Stück Holz über den Schä­del schla­gen, nur das Da­zwi­schen­tre­ten des Wacht­meis­ters ret­te­te mich vor ei­nem Nie­der­schlag.

      Aber nach fünf Mi­nu­ten war Mord­horst dann wie­der nor­mal und ver­nünf­tig, ich glau­be, ihn hat­ten die lan­gen Haft­jah­re so hem­mungs­los und wild ge­macht. An sei­nem Hirn nag­te be­stimmt ein Wurm; wer Jah­re und Jah­re in ei­ner Zel­le um­her­geht, im­mer nur auf den Tag der Ent­las­sung, der Frei­heit war­tend, und wer da­bei im tiefs­ten In­nern weiß, dass auch der längs­te Auf­ent­halt in der Frei­heit nur ein Gast­spiel von höchs­tens ei­ni­gen Mo­na­ten sein wird, dem wie­der Jah­re und Jah­re här­tes­ten War­tens fol­gen wer­den – der kann nicht nor­mal blei­ben.

      Ich selbst habe viel von Mord­horst ge­lernt. Er wuss­te al­les über Ge­rich­te, Ge­fäng­nis­se und Zucht­häu­ser. Es war ganz er­staun­lich, wie gut die­ser klei­ne, schweig­sa­me Mann, der mit nie­man­dem Ge­mein­schaft zu ha­ben schi­en, über al­les und je­des un­ter­rich­tet war. Er wuss­te, was für Fleisch wir am Sonn­tag be­kom­men wür­den und was der neu ein­ge­lie­fer­te Mann in Zel­le 21 aus­ge­fres­sen ha­ben soll­te. Er kann­te die Fa­mi­li­en­ver­hält­nis­se, das Ge­halt und die Sor­gen je­des Wacht­meis­ters. Er konn­te mit ei­nem Ho­sen­knopf, ei­nem Zwirns­fa­den und ei­nem Stein Feu­er ma­chen für eine Zi­ga­ret­te. Er hat­te im­mer zu rau­chen und im­mer et­was ex­tra zu es­sen, ob­gleich nie­mand Fress­pa­ke­te für ihn ab­gab. Er hat­te stets Geld in der Ta­sche, was streng ver­bo­ten war, er be­saß ein Mes­ser (eben­falls ver­bo­ten) und hat­te ir­gend­ei­nen Weg, Brie­fe ohne die Zen­sur des Staats­an­wal­tes aus dem Ge­fäng­nis zu schmug­geln. Er kann­te eben all die un­ter­ir­di­schen Wege, die mit der Zeit sich in je­der mensch­li­chen Ge­mein­schaft er­öff­nen, sie mag noch so streng be­auf­sich­tigt sein.

      Ich war für ihn im­mer ein Neu­ling, ein wah­rer Säug­ling, er gab mir ein biss­chen von sei­ner Le­bens­er­fah­rung ab, ließ sich aber nie mir ge­gen­über zu ir­gend­wel­chen Ge­ständ­nis­sen hin­rei­ßen. Ich sah aber wohl, dass er mit an­de­ren Ge­fäng­nis­in­sas­sen an­ders um­ging. Alte Kitt­chen­brü­der ver­stän­di­gen sich mit ei­nem Blick und ei­nem Au­gen­zwin­kern. Sie ge­hen hin­ter­ein­an­der­her, sie ha­ben kaum die Lip­pen be­wegt, und schon ist ir­gend­was von der einen in die an­de­re Hand ge­glit­ten.

      Die Wacht­meis­ter lie­ßen Mord­horst viel mehr Frei­heit als zum Bei­spiel mir. Sie drück­ten bei ihm ein Auge zu, er konn­te sich vie­les er­lau­ben. Vi­el­leicht hat­ten man­che Angst vor ihm, weil er so viel wuss­te, ich glau­be aber eher, sie scheu­ten die Sche­re­rei­en, die das An­bin­den mit ei­nem so ge­fähr­li­chen Mann not­wen­dig mit sich brin­gen muss­te.

      Wenn er fünf Mi­nu­ten lang ta­ten­los am Sä­ge­bock ge­stan­den hat­te und ich flüs­ter­te ihm zu: »Du, Mord­horst, säg wie­der los! Der Wacht­meis­ter guckt stän­dig her«, tat Mord­horst nichts der­glei­chen.

      Und kam dann der Wacht­meis­ter wirk­lich zu uns und sag­te: »Na, Mord­horst! Nun ist’s aber ge­nug gefau­lenzt, nun mal wie­der ran!«, so sag­te er hit­zig: »Schin­de ich mich nicht schon ge­nug für mei­ne drei­ßig Pfen­nig am Tage?« (Wir be­ka­men näm­lich drei­ßig Pfen­nig »Ar­beits­be­loh­nung« am Tag, die für den Tag der Ent­las­sung gut­ge­schrie­ben wur­den.) »Soll ich mir die Haut von den Pfo­ten schuf­ten für die Speck­jä­ger, die?!« Und er sah böse zu den Fens­tern des Land­ge­richts hin­über.

      Der Wacht­meis­ter lach­te dann meist und sag­te: »Du hast wie­der mal dei­nen Kol­ler, Mord­horst! Der Staats­an­walt wird von dei­nem Sä­gen nicht fet­ter und nicht ma­ge­rer …«

      Mord­horst aber murr­te: »Man weiß, was man weiß«, griff