Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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ist in Aufruhr.

      Plötz­lich fällt mir ein, dass ich bei mei­nem Auf­bruch aus dem Land­g­ast­hof wohl eine gan­ze Fla­sche Kirsch be­zahlt habe, dass sie aber, nur zur Hälf­te leer ge­trun­ken, auf dem Tisch ste­hen blieb. Ich hät­te den Wacht­meis­ter bit­ten sol­len, sie noch leer trin­ken zu dür­fen. Er hät­te es mir er­laubt, dann hät­te ich mehr Al­ko­hol im Lei­be ge­habt, dann hät­te ich jetzt nicht die­se schreck­li­chen Be­schwer­den!

      Also, ich will von jetzt an ehr­lich sein: Ich kann dem Al­ko­hol nicht so­fort ganz ab­schwö­ren, aber ich wer­de von nun an sehr mä­ßig trin­ken, viel­leicht nur eine hal­be Fla­sche pro Tag oder gar nur ein Drit­tel. Mit ei­nem Drit­tel wür­de ich schon aus­kom­men. Jetzt wür­de mich schon ein ein­zi­ger klei­ner Schnaps glück­lich ma­chen, ein win­zi­ges Stäng­chen, kaum ein Mund­voll Schnaps, in die­sem Zu­stand, in dem ich jetzt bin.

      Wenn ich jetzt gleich ent­las­sen wer­de, wer­de ich mir hier im Ort so ein Stäng­chen leis­ten, ein ein­zi­ges nur, und dann wer­de ich zu Fuß nach Hau­se ge­hen und nichts mehr trin­ken. Ich habe kein Geld mehr bei mir, aber ich habe mei­nen bläu­li­chen Früh­jahrs­man­tel an, den wer­de ich dem Wirt zum Pfand dalas­sen. Er wird mir dar­auf eine Fla­sche Korn ge­ben, viel­leicht so­gar zwei, dann bin ich wie­der für drei, vier Tage aus­ge­rüs­tet. Für drei Tage je­den­falls be­stimmt! Und in drei Ta­gen habe ich Mag­da rum, ich wer­de sehr lie­be­voll und freund­lich mit ihr sein, dann be­kom­me ich wie­der Geld von ihr …

      Ei­nen Au­gen­blick schlie­ße ich die Au­gen: Ich habe eben an die fünf­tau­send Mark ge­dacht, die ich ges­tern um die­se Zeit von der Bank ab­hob. Es muss ein schwe­rer Schlag für das Ge­schäft ge­we­sen sein, es wird viel­leicht doch nicht ganz ein­fach sein, Mag­da zu ver­söh­nen … Aber, be­ru­hi­ge ich mich rasch, ich wer­de eine Hy­po­thek auf un­se­re Vil­la ein­tra­gen las­sen, sie ist bis­her schul­den­frei; fünf­tau­send Mark be­kom­me ich auf die Vil­la be­stimmt. Dann ist Mag­da ver­söhnt. Und na­tür­lich wer­de ich Po­la­kow­ski nicht un­ge­straft sei­nen Raub ge­nie­ßen las­sen. Ich wer­de heu­te noch zu ihm hin­ge­hen, mei­ne Sa­chen und das Sil­ber und mei­ne Gold­sa­chen muss er min­des­tens wie­der her­aus­rücken, dann will ich ihm zwei­tau­send Mark von dem Geld las­sen. Und geht er dar­auf nicht ein, wer­de ich ihn an­zei­gen, dann wan­dert der gute, sanf­te, heuch­le­ri­sche Po­la­kow­ski statt mei­ner ins Ge­fäng­nis.

      So ge­hen mei­ne Ge­dan­ken, im Gan­zen sind sie – trotz ge­le­gent­li­cher be­klom­me­ner Er­wä­gun­gen – op­ti­mis­tisch. Ich wer­de schon durch­kom­men, schließ­lich bin ich ein an­ge­se­he­ner Bür­ger; man wird sich hü­ten, mich hart an­zu­fas­sen!

      Da­zwi­schen star­re ich halb ge­dan­ken­los die In­schrif­ten in der Zel­le an. Man­che sind mit Blei­stift an die Wän­de ge­schrie­ben, an­de­re mit ei­nem Na­gel in den Kalk ge­kratzt. Meist steht oben­an ein Name, und dar­un­ter dann zwei Da­ten, das der Ein­lie­fe­rung und das der Ent­las­sung. Es be­ru­higt mich sehr, dass all die­se Da­ten so dicht bei­ein­an­der­lie­gen, der Mann, der nach den In­schrif­ten am längs­ten hier in der Zel­le ge­ses­sen hat, war zehn Tage hier. Auch ein Be­weis wie­der, dass man nichts Schlim­mes mit mir vor­hat. Zehn Tage – nun, für mich kom­men auch zehn Tage nicht in­fra­ge, ich hiel­te sie nie aus bei mei­nem wil­den Al­ko­hol­hun­ger! Aber ich, ich wer­de ja auch in ein paar Mi­nu­ten ent­las­sen!

      Und dann, wie ist es mit dem Früh­stück? Auch Ge­fan­ge­ne müs­sen ein Früh­stück be­kom­men, ver­mut­lich Was­ser und tro­cken Brot, aber im­mer­hin ein Früh­stück. Es ist jetzt min­des­tens halb zehn Uhr, nach dem Son­nen­stand zu ur­tei­len, und mir hat man noch kein Früh­stück ge­bracht! Das ist na­tür­lich wie­der ein Zei­chen, dass man es nicht schlimm mit mir meint. Man will mich so schnell ent­las­sen, dass man nicht ein­mal ein Früh­stück an mich wen­det. Der Wacht­meis­ter spart es, ich kann mir ja drau­ßen eins kau­fen! Das ist so klar wie der Tag.

      Für den Au­gen­blick völ­lig be­ru­higt, wer­fe ich mich wie­der auf den Stroh­sack und ver­su­che zu schla­fen. Ich den­ke an Eli­nor, ich ver­su­che an die Süße des Au­gen­blicks zu den­ken, als sie mir den Schnaps aus ih­rem Mun­de zu trin­ken gab, aber selt­sam, jetzt scheint mir das nicht mehr süß. Nein, ich will nicht mehr an den Land­g­ast­hof den­ken, es war zu wi­der­lich dort, und wie fein sie mich aus­ge­beu­telt hat, die­se klei­ne Hure, wie den al­ler­letz­ten dum­men Jun­gen! Aber zu ihr wer­de ich nicht ge­hen wie zu Po­la­kow­ski, soll sie mit ih­rem Raub glück­lich wer­den oder ver­re­cken, ich will nie wie­der et­was von ihr se­hen! Ich lebe von nun an nur für Mag­da. Es ist nur gut, dass ich mit die­sen Leu­ten im Gast­hof so völ­lig durch bin; ich habe al­les be­zahlt, sie kön­nen mir gar nichts mehr wol­len, ich wer­de sie nie wie­der­se­hen. Ich woll­te nur, ich wüss­te über Mag­das Stel­lung zu mir schon so gut Be­scheid …

      So ge­hen mei­ne Ge­dan­ken. Da­zwi­schen schla­fe ich ein biss­chen, dru­se­le so halb ein und bin auch plötz­lich ganz fort, wie in ei­ner tie­fen Ohn­macht. Und da bin ich wie­der wach, füh­le von Neu­em die Qual in mei­nem Leib, stöh­ne: »Mein Gott! Mein Gott! Das hal­te ich nicht aus – kom­me ich denn noch nicht fort?« Ich ren­ne hin und her, rüt­te­le auch ein­mal an den Ei­sen­stan­gen, leh­ne mich ge­gen die Tür, in der wahn­sin­ni­gen Hoff­nung, dass sie viel­leicht of­fen­ge­blie­ben ist, und den­ke an Mag­da … Ehr­lich ge­sagt: Ich habe Angst vor Mag­da … Sie kann so ver­flucht ener­gisch sein … Aber ich bin ihr Mann, wir ha­ben uns ge­liebt, sie wird mir ver­zei­hen, sie muss es … So dreht sich die ewig glei­che Ge­dan­ken­müh­le …

      26

      Ich habe wie­der ein­mal ge­schla­fen. Das Klir­ren des Schlüs­sels hat mich ge­weckt. Ich sprin­ge von mei­nem La­ger und sehe er­war­tungs­voll den vier Her­ren ent­ge­gen, die in mei­ne Zel­le ein­tre­ten. Zwei­en gön­ne ich nur einen kur­z­en Blick: Sie tra­gen die Uni­form der Po­li­zei. Der eine ist der Wacht­meis­ter aus der Nacht, der mich hier­her ge­bracht hat, der an­de­re ist ein Po­li­zei­be­am­ter, den ich aus mei­ner Va­ter­stadt gut ken­ne. Man­ches Mal habe ich bei ei­nem Gla­se Bier einen Skat mit ihm ge­spielt, ein gu­ter, or­dent­li­cher Mensch, na­tür­lich nicht aus mei­ner Ge­sell­schafts­klas­se, aber ich war nie stolz. Von den bei­den an­de­ren Her­ren in Zi­vil ken­ne ich den einen nicht, es ist ein jun­ger Herr mit scharf ge­schnit­te­nem Ge­sicht und et­was star­ren­den, stren­gen Au­gen. Sei­ne Un­ter­lip­pe wölbt sich stark vor. Der an­de­re Zi­vi­list ist mir aber umso bes­ser be­kannt, es ist un­ser gu­ter al­ter Haus­arzt, der Dr. Mans­feld.

      Im Au­gen­blick, da ich ihn er­ken­ne, schießt es mir blitz­schnell durch den Kopf, dass ich also doch nicht ent­las­sen wer­de. Er wird mich in eine Trin­ker­heil­stät­te brin­gen. Aber auch das ist nicht schlimm, im Ge­gen­teil, das ist viel­leicht noch viel bes­ser. In ei­nem sol­chen Haus wer­den mir mei­ne jet­zi­gen Qua­len ab­ge­nom­men, si­cher ha­ben sie dort Mit­tel da­ge­gen, und dann er­spa­ren sie mir die so­for­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung mit Mag­da. Über einen in sol­chem Haus un­ter­ge­brach­ten Kran­ken wird Mag­da viel mil­der den­ken …

      All das habe ich in Se­kun­den­schnel­le über­legt und bin da­bei auf den Arzt zu­ge­eilt. Ich schüt­te­le ihm die Hand, ich sage er­regt: »Ich dan­ke Ih­nen, dass Sie ge­kom­men sind, Herr Dr. Mans­feld. Se­hen Sie«, ich la­che ein we­nig ver­le­gen, »wie man mich hier un­ter­ge­bracht hat!« Und ich wer­fe einen Blick auf die schmut­zi­ge Zel­le.

      Dr. Mans­feld drückt mei­ne Hand kräf­tig. Ich mer­ke, auch er ist er­regt, sein Ge­sicht zit­tert. »Ja, mein