ist in Aufruhr.
Plötzlich fällt mir ein, dass ich bei meinem Aufbruch aus dem Landgasthof wohl eine ganze Flasche Kirsch bezahlt habe, dass sie aber, nur zur Hälfte leer getrunken, auf dem Tisch stehen blieb. Ich hätte den Wachtmeister bitten sollen, sie noch leer trinken zu dürfen. Er hätte es mir erlaubt, dann hätte ich mehr Alkohol im Leibe gehabt, dann hätte ich jetzt nicht diese schrecklichen Beschwerden!
Also, ich will von jetzt an ehrlich sein: Ich kann dem Alkohol nicht sofort ganz abschwören, aber ich werde von nun an sehr mäßig trinken, vielleicht nur eine halbe Flasche pro Tag oder gar nur ein Drittel. Mit einem Drittel würde ich schon auskommen. Jetzt würde mich schon ein einziger kleiner Schnaps glücklich machen, ein winziges Stängchen, kaum ein Mundvoll Schnaps, in diesem Zustand, in dem ich jetzt bin.
Wenn ich jetzt gleich entlassen werde, werde ich mir hier im Ort so ein Stängchen leisten, ein einziges nur, und dann werde ich zu Fuß nach Hause gehen und nichts mehr trinken. Ich habe kein Geld mehr bei mir, aber ich habe meinen bläulichen Frühjahrsmantel an, den werde ich dem Wirt zum Pfand dalassen. Er wird mir darauf eine Flasche Korn geben, vielleicht sogar zwei, dann bin ich wieder für drei, vier Tage ausgerüstet. Für drei Tage jedenfalls bestimmt! Und in drei Tagen habe ich Magda rum, ich werde sehr liebevoll und freundlich mit ihr sein, dann bekomme ich wieder Geld von ihr …
Einen Augenblick schließe ich die Augen: Ich habe eben an die fünftausend Mark gedacht, die ich gestern um diese Zeit von der Bank abhob. Es muss ein schwerer Schlag für das Geschäft gewesen sein, es wird vielleicht doch nicht ganz einfach sein, Magda zu versöhnen … Aber, beruhige ich mich rasch, ich werde eine Hypothek auf unsere Villa eintragen lassen, sie ist bisher schuldenfrei; fünftausend Mark bekomme ich auf die Villa bestimmt. Dann ist Magda versöhnt. Und natürlich werde ich Polakowski nicht ungestraft seinen Raub genießen lassen. Ich werde heute noch zu ihm hingehen, meine Sachen und das Silber und meine Goldsachen muss er mindestens wieder herausrücken, dann will ich ihm zweitausend Mark von dem Geld lassen. Und geht er darauf nicht ein, werde ich ihn anzeigen, dann wandert der gute, sanfte, heuchlerische Polakowski statt meiner ins Gefängnis.
So gehen meine Gedanken, im Ganzen sind sie – trotz gelegentlicher beklommener Erwägungen – optimistisch. Ich werde schon durchkommen, schließlich bin ich ein angesehener Bürger; man wird sich hüten, mich hart anzufassen!
Dazwischen starre ich halb gedankenlos die Inschriften in der Zelle an. Manche sind mit Bleistift an die Wände geschrieben, andere mit einem Nagel in den Kalk gekratzt. Meist steht obenan ein Name, und darunter dann zwei Daten, das der Einlieferung und das der Entlassung. Es beruhigt mich sehr, dass all diese Daten so dicht beieinanderliegen, der Mann, der nach den Inschriften am längsten hier in der Zelle gesessen hat, war zehn Tage hier. Auch ein Beweis wieder, dass man nichts Schlimmes mit mir vorhat. Zehn Tage – nun, für mich kommen auch zehn Tage nicht infrage, ich hielte sie nie aus bei meinem wilden Alkoholhunger! Aber ich, ich werde ja auch in ein paar Minuten entlassen!
Und dann, wie ist es mit dem Frühstück? Auch Gefangene müssen ein Frühstück bekommen, vermutlich Wasser und trocken Brot, aber immerhin ein Frühstück. Es ist jetzt mindestens halb zehn Uhr, nach dem Sonnenstand zu urteilen, und mir hat man noch kein Frühstück gebracht! Das ist natürlich wieder ein Zeichen, dass man es nicht schlimm mit mir meint. Man will mich so schnell entlassen, dass man nicht einmal ein Frühstück an mich wendet. Der Wachtmeister spart es, ich kann mir ja draußen eins kaufen! Das ist so klar wie der Tag.
Für den Augenblick völlig beruhigt, werfe ich mich wieder auf den Strohsack und versuche zu schlafen. Ich denke an Elinor, ich versuche an die Süße des Augenblicks zu denken, als sie mir den Schnaps aus ihrem Munde zu trinken gab, aber seltsam, jetzt scheint mir das nicht mehr süß. Nein, ich will nicht mehr an den Landgasthof denken, es war zu widerlich dort, und wie fein sie mich ausgebeutelt hat, diese kleine Hure, wie den allerletzten dummen Jungen! Aber zu ihr werde ich nicht gehen wie zu Polakowski, soll sie mit ihrem Raub glücklich werden oder verrecken, ich will nie wieder etwas von ihr sehen! Ich lebe von nun an nur für Magda. Es ist nur gut, dass ich mit diesen Leuten im Gasthof so völlig durch bin; ich habe alles bezahlt, sie können mir gar nichts mehr wollen, ich werde sie nie wiedersehen. Ich wollte nur, ich wüsste über Magdas Stellung zu mir schon so gut Bescheid …
So gehen meine Gedanken. Dazwischen schlafe ich ein bisschen, drusele so halb ein und bin auch plötzlich ganz fort, wie in einer tiefen Ohnmacht. Und da bin ich wieder wach, fühle von Neuem die Qual in meinem Leib, stöhne: »Mein Gott! Mein Gott! Das halte ich nicht aus – komme ich denn noch nicht fort?« Ich renne hin und her, rüttele auch einmal an den Eisenstangen, lehne mich gegen die Tür, in der wahnsinnigen Hoffnung, dass sie vielleicht offengeblieben ist, und denke an Magda … Ehrlich gesagt: Ich habe Angst vor Magda … Sie kann so verflucht energisch sein … Aber ich bin ihr Mann, wir haben uns geliebt, sie wird mir verzeihen, sie muss es … So dreht sich die ewig gleiche Gedankenmühle …
26
Ich habe wieder einmal geschlafen. Das Klirren des Schlüssels hat mich geweckt. Ich springe von meinem Lager und sehe erwartungsvoll den vier Herren entgegen, die in meine Zelle eintreten. Zweien gönne ich nur einen kurzen Blick: Sie tragen die Uniform der Polizei. Der eine ist der Wachtmeister aus der Nacht, der mich hierher gebracht hat, der andere ist ein Polizeibeamter, den ich aus meiner Vaterstadt gut kenne. Manches Mal habe ich bei einem Glase Bier einen Skat mit ihm gespielt, ein guter, ordentlicher Mensch, natürlich nicht aus meiner Gesellschaftsklasse, aber ich war nie stolz. Von den beiden anderen Herren in Zivil kenne ich den einen nicht, es ist ein junger Herr mit scharf geschnittenem Gesicht und etwas starrenden, strengen Augen. Seine Unterlippe wölbt sich stark vor. Der andere Zivilist ist mir aber umso besser bekannt, es ist unser guter alter Hausarzt, der Dr. Mansfeld.
Im Augenblick, da ich ihn erkenne, schießt es mir blitzschnell durch den Kopf, dass ich also doch nicht entlassen werde. Er wird mich in eine Trinkerheilstätte bringen. Aber auch das ist nicht schlimm, im Gegenteil, das ist vielleicht noch viel besser. In einem solchen Haus werden mir meine jetzigen Qualen abgenommen, sicher haben sie dort Mittel dagegen, und dann ersparen sie mir die sofortige Auseinandersetzung mit Magda. Über einen in solchem Haus untergebrachten Kranken wird Magda viel milder denken …
All das habe ich in Sekundenschnelle überlegt und bin dabei auf den Arzt zugeeilt. Ich schüttele ihm die Hand, ich sage erregt: »Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind, Herr Dr. Mansfeld. Sehen Sie«, ich lache ein wenig verlegen, »wie man mich hier untergebracht hat!« Und ich werfe einen Blick auf die schmutzige Zelle.
Dr. Mansfeld drückt meine Hand kräftig. Ich merke, auch er ist erregt, sein Gesicht zittert. »Ja, mein