Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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Nacht hole ich das Mäd­chen aus dem Bett. Nun müs­sen Sie aber auch nett sein und nicht mehr mit dem Schieß­ei­sen dro­hen. Am bes­ten le­gen Sie es erst mal weg, so ein Ding kann so leicht los­ge­hen, und das wol­len Sie doch nicht; Sie sind doch ein gu­ter, an­stän­di­ger Herr …«

      Ehe ich noch ge­gen die­se neue Be­lei­di­gung hat­te pro­tes­tie­ren kön­nen, denn ich war ent­schlos­sen, nicht gut, son­dern furcht­ein­flö­ßend und böse zu sein und mei­ne Macht über die Men­schen zu zei­gen, ehe ich also wie­der zor­nig ge­wor­den war, tön­te Eli­nors fes­ter Schritt auf der Trep­pe; und da trat sie in den Licht­schein, völ­lig an­ge­zo­gen, nur das dunkle Haar hat­te sie nicht fri­siert, son­dern trug es lo­cker nach hin­ten ge­kämmt. So sah sie noch schö­ner aus.

      »Eli­nor!«, rief ich. »Mei­ne Kö­ni­gin!«

      Nur einen Au­gen­blick stutz­te sie, als sie mich da so in dem un­or­dent­li­chen Lo­kal mit der Wir­tin sit­zen sah, und dann tat die­ses er­staun­li­che Mäd­chen ge­nau das Rich­ti­ge, als hät­te sie al­les, was vor­her ge­sche­hen, ge­wusst: Sie lief auf mich zu, um­arm­te mich, gab mir einen Kuss rechts und einen Kuss links auf die Ba­cke und rief ver­gnügt: »Ach, das Pa­pa­chen! Das gute, im­mer be­trun­ke­ne Pa­pa­chen! Jetzt wol­len wir aber fi­del sein, was, Mut­ter Schul­zen? Nun gib­t’s Sekt!«

      »Sekt?«, rief ich be­geis­tert. »Na­tür­lich gib­t’s Sekt, so­viel ihr wollt. Ich habe Geld wie Heu. – Eli­nor, du bist die Bes­te, du weißt, dass ich dich lie­be. Du bist mei­ne Kö­ni­gin, und jetzt wer­den wir auf Rei­sen ge­hen. Eli­nor, gib mir noch einen Kuss, aber mit­ten auf den Mund!«

      Sie tat es, ich fühl­te ihre Brust an der mei­nen, ich war se­lig, end­lich hat­te mir doch der Al­ko­hol die vol­le Se­lig­keit ge­schenkt! Ich sah nur Eli­nor, ich fühl­te nur Eli­nor, ich dach­te und re­de­te nur Eli­nor. Ich merk­te gar nicht, dass die Wir­tin trotz mei­ner stren­gen To­des­dro­hun­gen längst die Gast­stu­be ver­las­sen hat­te.

      23

      Ich weiß nicht, wie lan­ge Zeit ich so in Eli­nors Ar­men ver­brach­te. Ich hat­te ihr großes wei­ßes Ge­sicht mit den ge­schwun­ge­nen Au­gen­brau­en ganz nahe vor mir, es lehn­te sich über mich – und die gan­ze Welt ver­sank mir. Ihre jetzt nicht mehr farb­lo­sen, son­dern grün­strah­len­den Au­gen sa­hen mich an, und ich fühl­te ein Zit­tern in mir bis in das In­ners­te mei­ner Kno­chen; das Herz be­weg­te sich in mir wie ein Pap­pel­blatt im Som­mer­wind.

      »Oh, Eli­nor, ver­zeih, ver­zeih! Nie habe ich so ge­liebt! Nie habe ich ge­wusst, dass es so et­was auf der Welt gibt, du machst mich schwach und stark; be­rührt mich dein Atem, so ist mir, als weh­te ein Sturm durch mich; die dür­ren Blät­ter der Ver­gan­gen­heit weht er alle fort. Ich bin neu ge­wor­den durch dich – komm, lass uns von hier flie­hen, lass uns aus dem Al­ten flie­hen! Wir wol­len in den Sü­den ge­hen, wo im­mer die Son­ne scheint, wo der Him­mel ewig blau ist – wei­ße Sch­lös­ser an Re­ben­hän­gen! Dor­thin wol­len wir! Komm mit! Ich habe eine klei­ne Ta­sche drau­ßen ste­hen, aber ge­nug ist in ihr, komm mit, wie du bist, wir wol­len flie­hen, jetzt, noch in die­ser Mi­nu­te, mir ahnt Schreck­li­ches, wenn wir noch län­ger hier­blei­ben! Sie wür­den dich nicht bei mir dul­den. Komm, lass uns ge­hen, mein wei­ßes, stren­ges Ge­sicht, ma rei­ne d’al­cool! Stoß mit mir an, du sollst le­ben! Dir einen Gruß aus mei­nem tiefs­ten Her­zen!« Ich sah sie strah­lend an. Und tief be­un­ru­higt: »Wa­rum ge­hen wir noch nicht?«

      Sie fuhr mit der Hand durch mei­ne Haa­re, be­ru­hi­gend, lieb­ko­send. Sie saß auf mei­nem Schoß, einen Arm hat­te sie um mei­ne Schul­ter ge­schlun­gen, ihre Zärt­lich­keit deck­te mir die Welt zu. Sie sag­te lei­se: »Gleich fah­ren wir, al­tes Pa­pa­chen, gleich. Um sechs geht ein Zug von der Sta­ti­on, so lan­ge musst du dich noch ge­dul­den, al­tes Pa­pa­chen! Wir sit­zen doch gut hier! Oder sit­zen wir nicht gut hier?«

      Ich schmieg­te mich fes­ter an sie, ich leg­te den Kopf ge­gen ihre Brust, ich fühl­te mich ge­bor­gen an ihr, in ihr, wie ein Kind bei sei­ner Mut­ter. »Sehr gut sit­zen wir hier. Aber um sechs fah­ren wir – weit, weit von hier fort. Dies al­les wol­len wir nie wie­der­se­hen – im Sü­den wer­den wir lie­ben … wir wer­den uns im­mer lie­ben …«

      Sie sah mir in die Au­gen, so nahe, ein ein­zi­ges Auge schi­en es zu sein, das mir ver­schwamm, als hät­te ich in die hel­le Son­ne ge­st­arrt. Sie flüs­ter­te nahe an mei­nem Ohr: »Ja, ich wer­de mit dir rei­sen, al­tes Pa­pa­chen. Aber du wirst dann nicht im­mer trin­ken, wie? Män­ner, die im­mer be­trun­ken sind, has­se ich. Sie ekeln mich.«

      »Nie mehr wer­de ich trin­ken, wenn ich dich erst habe, kei­nen Trop­fen mehr! Du bist bes­ser als Wein und Schnaps; ein Feu­er bist du in mir, du machst die Welt tan­zen! Dein Wohl, mei­ne Kö­ni­gin!«

      »Dein Wohl, mein al­tes Pa­pa­chen! Ja, wir wer­den nun rei­sen, aber wer­den wir auch Geld ge­nug ha­ben für solch eine wei­te Rei­se? Wir wol­len doch nicht ar­bei­ten müs­sen?«

      »Geld?«, frag­te ich ver­ächt­lich. »Geld? Geld ge­nug für uns bei­de! Geld für alle Rei­sen und das längs­te Le­ben! Geld wie Heu!« Und ich riss die Schei­ne aus der Ta­sche, es war wirk­lich ein gan­zes Bün­del.

      Eli­nor nahm es aus mei­nen Hän­den, glät­te­te die Schei­ne und ord­ne­te sie. »Acht­hun­dert­drei­und­sech­zig Mark«, sag­te sie schließ­lich und sah mich mit ge­run­zel­ter Stir­ne nach­denk­lich an. »Das ist nicht sehr viel Geld, al­tes Pa­pa­chen. Nicht ge­nug für eine lan­ge Rei­se, für ein Le­ben zu zwei­en ohne Ar­beit. Ist das al­les Geld, das du hast?«

      Ei­nen Au­gen­blick war ich et­was er­nüch­tert. Ich fuhr mit der Hand über die Stirn und sah voll Ab­nei­gung auf den Hau­fen schmut­zi­ger Lap­pen, den Eli­nor in der Hand hielt. »Ei­ner hat mir Geld ge­stoh­len, Eli­nor«, sag­te ich dann mür­risch. »Fünf­mal, zehn­mal mehr Geld, als du in der Hand hast, hat der Lump mir ge­stoh­len. Und alle mei­ne Sa­chen in ei­nem rinds­le­der­nen Kof­fer und un­ser Sil­ber, al­les ist weg! Was wird Mag­da sa­gen!« Ich be­sann mich lang­sam un­ter ih­rem Blick. »Aber das ist gleich, Eli­nor, ste­cke das Geld fort, ich mag es nicht mehr se­hen. Ich kann mehr ho­len von der Bank, ich kann ho­len, so­viel du willst: Zehn­tau­sen­de! Ich kom­me mit ei­nem Scheck, sie sa­gen zu mir: ›Herr Som­mer …‹«

      »Also Som­mer heißt du?«

      »Ja, Som­mer hei­ße ich, Er­win Som­mer, wenn du mit mir reist, hast du im­mer Som­mer!«

      Ich lach­te, aber sie blieb ernst, sie sag­te: »Siehst du, al­tes Pa­pa­chen, sie ha­ben dir schon dein Geld und dei­ne Sa­chen ge­stoh­len, du kannst nicht um­ge­hen da­mit in die­sem Zu­stand. Ich wer­de es dir ver­wah­ren, ganz si­cher ist es bei mir auf­ge­ho­ben. Hier ste­cke ich dir Geld in dei­ne Ta­sche, das alte Pa­pa­chen soll nicht ganz ohne Geld sein. Es sind drei­und­zwan­zig Mark, wenn die dir weg­kom­men, ist es nicht wei­ter schlimm …« Sie re­de­te im­mer ein­dring­li­cher, es war lä­cher­lich, wie wich­tig sie die­ses al­ber­ne Geld nahm. »Und, Pa­pa­chen, nicht wahr, du schwörst es mir, du wirst nie je­man­dem sa­gen, dass ich dir dein Geld ver­wahrt habe? Zu kei­nem Men­schen? Was auch pas­siert?«

      »Nie wer­de ich es ei­nem sa­gen, Eli­nor«, ant­wor­te­te ich. »Ich schwö­re es dir. Aber das al­les ist un­nö­tig, um sechs Uhr wer­den wir rei­sen …«

      »Also du hast es mir ge­schwo­ren, al­tes Pa­pa­chen, du ver­gisst es nicht? Zu nie­man­dem nie ein Wort, was auch pas­siert!«

      »Nie ein Wort, Eli­nor!«

      »Du