Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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bin ein ehr­li­cher Mann. Ich habe zu mei­ner Frau ge­sagt: ›Der Herr hat den Korn be­zahlt, er soll ihn auch be­kom­men.‹ So bin ich.« Er hielt mir die Fla­sche hin. »Trin­ken Sie doch, Herr. Ich habe schon auf­ge­korkt, der Pfrop­fen sitzt ganz lose.«

      Ich mach­te eine wü­ten­de Ge­bär­de.

      Er ließ sich nicht ent­mu­ti­gen, er hielt mir die Fla­sche wie­der hin. »Trin­ken Sie doch«, schmei­chel­te er wie­der, »Sie sind ein so net­ter Herr, wenn Sie ein biss­chen ge­trun­ken ha­ben; es be­kommt Ih­nen gar nicht, wenn Sie nüch­tern sind, dann sind Sie im­mer so ge­reizt …« Er zog den Pfrop­fen selbst aus der Fla­sche und rieb mit sei­nem feuch­ten Ende am Fla­schen­hals hin und her. »Hö­ren Sie, Herr«, sag­te er la­chend, »der Schnaps ruft nach Ih­nen …«

      Und wahr­haf­tig, es ist mir heu­te un­be­greif­lich, aber mit sei­nem al­ber­nen Ge­tue hat­te mich doch der Kerl wirk­lich wie­der her­um­ge­kriegt. Sel­ber jetzt la­chend, griff ich zur Fla­sche, rief: »Sie elen­der Schur­ke, Sie!«, und trank, trank viel und lan­ge. Dann setz­te ich die Fla­sche ab, kork­te sie zu, ver­wahr­te sie nun in der ei­ge­nen Ho­sen­ta­sche und frag­te: »Also, was willst du ei­gent­lich von mir, Po­la­kow­ski? Hast du nicht al­les be­kom­men, was du zu krie­gen hast?«

      »Da­von re­den wir nicht, Herr«, rief Po­la­kow­ski eif­rig. »Von sol­chen Klei­nig­kei­ten re­den wir nicht. Ich weiß, Sie sind ein Ehren­mann, Sie sind ein wirk­lich no­b­ler Mann. Sie kön­nen’s nicht übers Herz brin­gen, einen ar­men Ar­bei­ter im Elend ver­kom­men zu las­sen …«

      »Was heißt das, Po­la­kow­ski?«, frag­te ich sehr auf­merk­sam. »Ich glau­be doch, du hast schon ge­nug und über­ge­nug an mir ver­dient. Wenn ich an mei­ne Gold­sa­chen den­ke …«

      Er ach­te­te nicht dar­auf. »Se­hen Sie, Herr«, fing er mit sei­ner ein­schmei­chelnds­ten Stim­me an und ließ die Fin­ger knacken, dass es ein Ekel war, »so ein Mensch wie ich ist bloß wie ein Stück Vieh, im Mist ge­bo­ren und kommt nie aus dem Mist her­aus; so ein fei­ner Mann wie Sie kann sich das gar nicht recht vor­stel­len.«

      »Ich kann mir eine gan­ze Men­ge von dir vor­stel­len, Po­la­kow­ski«, sag­te ich grim­mig. »Und mit Mist hat das tat­säch­lich zu tun.«

      Wie­der ach­te­te er nicht auf mich. Wirk­lich ein­dring­lich und über­zeugt sag­te er: »Und wenn so ein Stück Vieh, Herr, ein Ge­schäft sieht, das ihn aus dem Mist her­aus­holt für sein gan­zes Le­ben, ja, Herr, da kann’s kein Be­sin­nen ge­ben, da wird das Ge­schäft ge­macht, Herr!« Er sah mich an und wie­der­hol­te – dies­mal aber war nichts Sanf­tes und Ein­schmei­cheln­des in sei­ner Stim­me: »Das Ge­schäft wird ge­macht, Herr, und gehe es auf Le­ben und Tod!«

      In­ner­lich er­zit­ter­te ich vor der wil­den Dro­hung in sei­ner Stim­me, äu­ßer­lich aber frag­te ich ganz ru­hig: »Und wie soll denn die­ses Ge­schäft aus­se­hen, Po­la­kow­ski?«

      Er fuhr sich mit der Hand über die Au­gen, als wi­sche er dort ein bö­ses Bild fort. Er fing an zu lä­cheln, schmei­chelnd und sanft, er hat­te sich wie­der in der Ge­walt. »Wie das Ge­schäft aus­se­hen soll, Herr?« Er lä­chel­te noch stär­ker, sei­ne Fin­ger knack­ten. »Der Herr weiß am bes­ten, wie viel Geld er von der Bank ab­ge­holt hat und was er mir da­von ge­ben will.«

      Ich war starr über die­se Frech­heit, ich hat­te er­war­tet, dass er das Sil­ber für sich be­an­spru­chen wür­de, und war schon halb und halb be­reit ge­we­sen, es ihm zu­zu­ge­ste­hen, aber dass er einen An­teil von mei­nem kost­ba­ren Geld ver­lan­gen wür­de, das hat­te ich nicht er­war­tet. »Sie sind ein Narr, Po­la­kow­ski«, lach­te ich. »Au­ßer­dem ha­ben Sie schlecht auf­ge­passt, ich habe auf der Bank nicht einen Pfen­nig Geld be­kom­men, mei­ne Frau hat das Kon­to für mich sper­ren las­sen, ich darf dort kein Geld mehr ab­he­ben, ver­ste­hen Sie?«

      Er hör­te mir mit düs­te­rem Schwei­gen zu.

      Ich griff in die Sei­ten­ta­sche des Jacketts und zog den Rest des Gel­des her­vor, das ich aus Mag­das Kas­set­te ge­nom­men hat­te. »Da, se­hen Sie selbst, das ist al­les Geld, das ich noch be­sit­ze.« Ich hielt ihm das Geld hin.

      Sein dunk­ler arg­wöh­ni­scher Blick wan­der­te von mei­nem Ge­sicht zu dem Geld in mei­ner Hand. »Wie viel Geld ist das?«, frag­te er mit sto­cken­der Stim­me. »Zei­gen Sie mal!« Er stand ganz nahe vor mir, die Au­gen nahe über dem Geld.

      Dann, mit ei­ner mich völ­lig über­ra­schen­den, plötz­li­chen Be­we­gung, griff er in mei­ne Brust­ta­sche und riss die Geld­pa­ke­te her­aus. Ein oder zwei fie­len zur Erde, auf den nas­sen, schmie­ri­gen Stein­bo­den des Pis­soirs – wir bück­ten uns gleich­zei­tig nach ih­nen. Sei­ne Hän­de wa­ren schnel­ler, aber ich griff, das Ver­geb­li­che mei­ner Nach­su­che ein­se­hend, nach sei­nem Hals, ich krall­te mich an ihm fest, ich war ent­schlos­sen, nicht eher los­zu­las­sen, bis er nach­ge­ge­ben, bis ich das Geld zu­rück­hat­te … Er ver­such­te, sich zu weh­ren, aber an der Ab­wehr hin­der­te ihn sei­ne Gier, in bei­den Hän­den hielt er Geld, das er nicht wie­der los­las­sen woll­te … Er schnell­te das Knie hoch, ge­gen mei­nen Bauch … Ei­nen Au­gen­blick spä­ter wälz­ten wir uns bei­de am Bo­den, ich im­mer noch an sei­nem Hals hän­gend, er wild mit den Glie­dern zu­ckend, wie ein Fisch, den der Ang­ler an Land ge­zo­gen … Dann wur­den sei­ne Glie­der schlaff, aus sei­ner Keh­le kam ein schreck­li­ches Rö­cheln … Ich ließ ihn los und müh­te mich, sei­ne Hand auf­zu­bre­chen …

      Ich möch­te wohl wis­sen, was der bie­de­re Post­vor­ste­her Win­der sich ge­dacht hat, als er da zwei Män­ner auf dem Bo­den des Pis­soirs vor­fand, in wil­dem Kampf be­grif­fen, wäh­rend er doch nur ein fried­li­ches Mor­gen­ge­schäft ver­rich­ten woll­te! »Aber mei­ne Her­ren! Ich bit­te Sie!« rief er mit ho­her er­schro­cke­ner Stim­me aus. »Hier auf der Toi­let­te! Mei­ne Her­ren!«

      Po­la­kow­ski, der wie­der Luft be­kom­men hat­te, sah sei­ne Chan­ce – mit ei­nem Satz war er hoch, griff sich den Kof­fer und war, den Post­vor­ste­her zur Sei­te sto­ßend, aus der Toi­let­te, kei­ner hat­te bis drei zäh­len kön­nen, so schnell ging das.

      Ich stand tau­me­lig und be­nom­men auf, zu ir­gend­ei­nem ra­schen Ent­schluss un­fä­hig. Ich trat an ei­nes der Be­cken, dem ver­stör­ten und em­pör­ten Vor­ste­her den Rücken keh­rend. Der sag­te: »Herr Som­mer, wenn ich nicht irre? Ich wun­de­re mich, Herr Som­mer, ich muss mich sehr über Sie wun­dern!« Ei­nen Au­gen­blick fühl­te ich noch sei­nen ste­chen­den Blick in mei­nem Rücken, dann klapp­te eine Lo­kus­tür, ein Rie­gel klirr­te, Klei­der ra­schel­ten – ich war al­lein, mei­nen Ab­gang zu be­werk­stel­li­gen.

      Und ge­ra­de in die­sem Mo­ment, da ich, völ­lig ver­zwei­felt, ohne Geld, die An­stalt ver­las­sen woll­te, fiel mein Blick seit­lich auf ein blau­es Bün­del, und – sie­he da – hier lag, ver­drückt und be­schmutzt, ein Pa­ket Hun­dert­mark­schei­ne, ein runder Tau­sen­der in zehn Hun­dert­mark­schei­nen!

      21

      Kei­ner, der so­eben einen schö­nen rinds­le­der­nen Hand­kof­fer mit sei­nen bes­ten Sa­chen und al­lem Sil­ber, kei­ner, der so­eben von fünf­tau­send Mark vier­tau­send ver­lo­ren hat, kann sich auch nur eine lei­se Vor­stel­lung da­von ma­chen, ein wie glück­li­cher Mann in ei­nem Ab­teil zwei­ter Klas­se eine Vier­tel­stun­de spä­ter von sei­ner Hei­mat­stadt fort­fuhr. Weiß es der Him­mel, wie das in mir funk­tio­nier­te, aber ich bil­de­te mir wahr­haf­tig ein, ich sei den elen­den