bin ein ehrlicher Mann. Ich habe zu meiner Frau gesagt: ›Der Herr hat den Korn bezahlt, er soll ihn auch bekommen.‹ So bin ich.« Er hielt mir die Flasche hin. »Trinken Sie doch, Herr. Ich habe schon aufgekorkt, der Pfropfen sitzt ganz lose.«
Ich machte eine wütende Gebärde.
Er ließ sich nicht entmutigen, er hielt mir die Flasche wieder hin. »Trinken Sie doch«, schmeichelte er wieder, »Sie sind ein so netter Herr, wenn Sie ein bisschen getrunken haben; es bekommt Ihnen gar nicht, wenn Sie nüchtern sind, dann sind Sie immer so gereizt …« Er zog den Pfropfen selbst aus der Flasche und rieb mit seinem feuchten Ende am Flaschenhals hin und her. »Hören Sie, Herr«, sagte er lachend, »der Schnaps ruft nach Ihnen …«
Und wahrhaftig, es ist mir heute unbegreiflich, aber mit seinem albernen Getue hatte mich doch der Kerl wirklich wieder herumgekriegt. Selber jetzt lachend, griff ich zur Flasche, rief: »Sie elender Schurke, Sie!«, und trank, trank viel und lange. Dann setzte ich die Flasche ab, korkte sie zu, verwahrte sie nun in der eigenen Hosentasche und fragte: »Also, was willst du eigentlich von mir, Polakowski? Hast du nicht alles bekommen, was du zu kriegen hast?«
»Davon reden wir nicht, Herr«, rief Polakowski eifrig. »Von solchen Kleinigkeiten reden wir nicht. Ich weiß, Sie sind ein Ehrenmann, Sie sind ein wirklich nobler Mann. Sie können’s nicht übers Herz bringen, einen armen Arbeiter im Elend verkommen zu lassen …«
»Was heißt das, Polakowski?«, fragte ich sehr aufmerksam. »Ich glaube doch, du hast schon genug und übergenug an mir verdient. Wenn ich an meine Goldsachen denke …«
Er achtete nicht darauf. »Sehen Sie, Herr«, fing er mit seiner einschmeichelndsten Stimme an und ließ die Finger knacken, dass es ein Ekel war, »so ein Mensch wie ich ist bloß wie ein Stück Vieh, im Mist geboren und kommt nie aus dem Mist heraus; so ein feiner Mann wie Sie kann sich das gar nicht recht vorstellen.«
»Ich kann mir eine ganze Menge von dir vorstellen, Polakowski«, sagte ich grimmig. »Und mit Mist hat das tatsächlich zu tun.«
Wieder achtete er nicht auf mich. Wirklich eindringlich und überzeugt sagte er: »Und wenn so ein Stück Vieh, Herr, ein Geschäft sieht, das ihn aus dem Mist herausholt für sein ganzes Leben, ja, Herr, da kann’s kein Besinnen geben, da wird das Geschäft gemacht, Herr!« Er sah mich an und wiederholte – diesmal aber war nichts Sanftes und Einschmeichelndes in seiner Stimme: »Das Geschäft wird gemacht, Herr, und gehe es auf Leben und Tod!«
Innerlich erzitterte ich vor der wilden Drohung in seiner Stimme, äußerlich aber fragte ich ganz ruhig: »Und wie soll denn dieses Geschäft aussehen, Polakowski?«
Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, als wische er dort ein böses Bild fort. Er fing an zu lächeln, schmeichelnd und sanft, er hatte sich wieder in der Gewalt. »Wie das Geschäft aussehen soll, Herr?« Er lächelte noch stärker, seine Finger knackten. »Der Herr weiß am besten, wie viel Geld er von der Bank abgeholt hat und was er mir davon geben will.«
Ich war starr über diese Frechheit, ich hatte erwartet, dass er das Silber für sich beanspruchen würde, und war schon halb und halb bereit gewesen, es ihm zuzugestehen, aber dass er einen Anteil von meinem kostbaren Geld verlangen würde, das hatte ich nicht erwartet. »Sie sind ein Narr, Polakowski«, lachte ich. »Außerdem haben Sie schlecht aufgepasst, ich habe auf der Bank nicht einen Pfennig Geld bekommen, meine Frau hat das Konto für mich sperren lassen, ich darf dort kein Geld mehr abheben, verstehen Sie?«
Er hörte mir mit düsterem Schweigen zu.
Ich griff in die Seitentasche des Jacketts und zog den Rest des Geldes hervor, das ich aus Magdas Kassette genommen hatte. »Da, sehen Sie selbst, das ist alles Geld, das ich noch besitze.« Ich hielt ihm das Geld hin.
Sein dunkler argwöhnischer Blick wanderte von meinem Gesicht zu dem Geld in meiner Hand. »Wie viel Geld ist das?«, fragte er mit stockender Stimme. »Zeigen Sie mal!« Er stand ganz nahe vor mir, die Augen nahe über dem Geld.
Dann, mit einer mich völlig überraschenden, plötzlichen Bewegung, griff er in meine Brusttasche und riss die Geldpakete heraus. Ein oder zwei fielen zur Erde, auf den nassen, schmierigen Steinboden des Pissoirs – wir bückten uns gleichzeitig nach ihnen. Seine Hände waren schneller, aber ich griff, das Vergebliche meiner Nachsuche einsehend, nach seinem Hals, ich krallte mich an ihm fest, ich war entschlossen, nicht eher loszulassen, bis er nachgegeben, bis ich das Geld zurückhatte … Er versuchte, sich zu wehren, aber an der Abwehr hinderte ihn seine Gier, in beiden Händen hielt er Geld, das er nicht wieder loslassen wollte … Er schnellte das Knie hoch, gegen meinen Bauch … Einen Augenblick später wälzten wir uns beide am Boden, ich immer noch an seinem Hals hängend, er wild mit den Gliedern zuckend, wie ein Fisch, den der Angler an Land gezogen … Dann wurden seine Glieder schlaff, aus seiner Kehle kam ein schreckliches Röcheln … Ich ließ ihn los und mühte mich, seine Hand aufzubrechen …
Ich möchte wohl wissen, was der biedere Postvorsteher Winder sich gedacht hat, als er da zwei Männer auf dem Boden des Pissoirs vorfand, in wildem Kampf begriffen, während er doch nur ein friedliches Morgengeschäft verrichten wollte! »Aber meine Herren! Ich bitte Sie!« rief er mit hoher erschrockener Stimme aus. »Hier auf der Toilette! Meine Herren!«
Polakowski, der wieder Luft bekommen hatte, sah seine Chance – mit einem Satz war er hoch, griff sich den Koffer und war, den Postvorsteher zur Seite stoßend, aus der Toilette, keiner hatte bis drei zählen können, so schnell ging das.
Ich stand taumelig und benommen auf, zu irgendeinem raschen Entschluss unfähig. Ich trat an eines der Becken, dem verstörten und empörten Vorsteher den Rücken kehrend. Der sagte: »Herr Sommer, wenn ich nicht irre? Ich wundere mich, Herr Sommer, ich muss mich sehr über Sie wundern!« Einen Augenblick fühlte ich noch seinen stechenden Blick in meinem Rücken, dann klappte eine Lokustür, ein Riegel klirrte, Kleider raschelten – ich war allein, meinen Abgang zu bewerkstelligen.
Und gerade in diesem Moment, da ich, völlig verzweifelt, ohne Geld, die Anstalt verlassen wollte, fiel mein Blick seitlich auf ein blaues Bündel, und – siehe da – hier lag, verdrückt und beschmutzt, ein Paket Hundertmarkscheine, ein runder Tausender in zehn Hundertmarkscheinen!
21
Keiner, der soeben einen schönen rindsledernen Handkoffer mit seinen besten Sachen und allem Silber, keiner, der soeben von fünftausend Mark viertausend verloren hat, kann sich auch nur eine leise Vorstellung davon machen, ein wie glücklicher Mann in einem Abteil zweiter Klasse eine Viertelstunde später von seiner Heimatstadt fortfuhr. Weiß es der Himmel, wie das in mir funktionierte, aber ich bildete mir wahrhaftig ein, ich sei den elenden