Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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mei­ne Aner­ken­nung nicht zu ver­sa­gen, weil er als Preis für mei­ne Rück­kunft eine Fla­sche Korn be­reit­hielt. Frei­lich hat­te ich ganz an­de­re Plä­ne, von de­nen er nichts ahn­te.

      Das Ge­hen wur­de mir viel leich­ter, als ich ge­dacht hat­te, ich emp­fand auch kaum ein Be­dürf­nis, zu trin­ken. Ich war wohl ziem­lich auf­ge­regt. Gut er­in­ne­re ich mich, dass ich mich den gan­zen lan­gen Weg ängst­lich be­müh­te, nicht an das Be­vor­ste­hen­de zu den­ken. Ich sag­te mir alle Ge­dich­te, die ich aus mei­ner Schul­zeit noch aus­wen­dig wuss­te, im­mer wie­der her und er­tapp­te mich doch da­bei, dass ich zwi­schen zwei Ver­sen mit Mag­da sprach oder über­leg­te, wel­chen Hand­kof­fer ich als den zweck­mä­ßigs­ten wäh­len soll­te.

      Schließ­lich, nach fast drei­vier­tel­stün­di­gem Marsch, war ich vor der Gar­ten­pfor­te mei­ner Vil­la an­ge­langt. Vor Kur­zem hat­te es von den drei Kirchtür­men der Stadt ein Uhr ge­schla­gen. Ich zog die Pfor­te lei­se hin­ter mir zu und ging, un­ter Ver­mei­dung der ge­kies­ten Wege, über das Gras um mein Haus her­um. Es lag al­les still und dun­kel. Lan­ge stand ich un­ter Mag­das Schlaf­zim­mer­fens­ter und mein­te, ih­ren ru­hi­gen Atem zu hö­ren; es war aber nur mein ei­ge­nes Herz, das un­ru­hig und laut in der ei­ge­nen Brust poch­te.

      Als ich dar­über nach­dach­te, dass ich hier bei mei­nem ei­ge­nen Haus, fünf Me­ter von mei­ner ei­ge­nen Frau als ein mit­tel­lo­ser Fremd­ling in der Nacht stand, seit ei­ner Wo­che nicht mehr ge­wa­schen und ra­siert, da über­kam mich ein sol­ches Mit­leid mit mir selbst, dass ich in bit­te­re Trä­nen aus­brach. Ich wein­te lan­ge und schmerz­lich, am liebs­ten wäre ich zu Mag­da ins Zim­mer ge­drun­gen und hät­te mich von ihr trös­ten las­sen. Schließ­lich er­wies sich aber auch hier der Schnaps als der bes­te Trös­ter; ich trank lan­ge und sehr viel. Mein Schmerz be­ru­hig­te sich. Ich kämpf­te eine Nei­gung, erst eine Wei­le zu schla­fen, nie­der und ging zu­rück an die Vor­der­sei­te des Hau­ses.

      16

      Ich ste­he in St­rümp­fen auf der Die­le mei­nes Hau­ses, die Schu­he habe ich schon im Vor­platz ge­las­sen. Es ist noch dun­kel, aber nun tas­tet mei­ne Hand nach dem Schal­ter, ein lei­ses Knacken, und es wird hell. Ja, hier bin ich wie­der bei mir zu Hau­se, hier ge­hö­re ich her, in die­se Ord­nung und Sau­ber­keit! Mit ei­ner fast an­däch­ti­gen Scheu be­trach­te ich die­se klei­ne schmu­cke Die­le mit dem re­se­da­far­be­nen Tep­pich, von dem längst die häss­li­chen Spu­ren je­ner No­vem­ber­nacht ge­tilgt sind; ich sehe den Klei­der­stän­der an, an dem or­dent­lich auf Bü­geln ne­ben­ein­an­der Mag­das grü­ne Ko­stümja­cke und ein bläu­li­cher Som­mer­man­tel hän­gen …

      Und nun schlei­che ich mich zum Spie­gel, zu dem großen, lan­gen Spie­gel, in dem man sich von oben bis un­ten se­hen kann, und ich be­trach­te mich von oben bis un­ten. Und ein fürch­ter­li­cher Schre­cken packt mich, wie ich mich da ste­hen sehe in mei­nen aus­ge­beul­ten, be­schmutz­ten Klei­dern, mit dem grauschwar­zen Hals­kra­gen, dem stopp­li­gen fah­len Ge­sicht, den rot­ge­rän­der­ten Au­gen.

      ›Das ist aus mir ge­wor­den!‹, schreit es in mir, und mein ers­ter Im­puls ist es, hin­über­zu­stür­zen zu Mag­da, vor ihr auf die Knie zu fal­len und sie an­zu­fle­hen: ›Ret­te mich! Ret­te mich vor mir selbst! Birg mich an dei­nem Her­zen!‹ Aber die­se Re­gung ver­fliegt; ich lächle mein Spie­gel­bild lis­tig-ver­schla­gen an. ›Das möch­te sie‹, den­ke ich. ›Und dann ab mit dem Mann in eine Trin­ker­heil­an­stalt und rein in Ge­schäft und Ver­mö­gen!‹

      Lis­tig sein. Im­mer lis­tig sein. Und ich rücke mir ei­lig einen Stuhl an den großen Klei­der­schrank in der Die­le, ich lan­ge hin­auf und hole mir einen Hand­kof­fer her­un­ter, den bes­ten Hand­kof­fer, den wir be­sit­zen, einen voll­rind­le­der­nen; ei­gent­lich ge­hört er so­gar Mag­da, ich habe ihn ihr ein­mal zum Ge­burts­tag ge­schenkt. Aber dar­auf kommt es jetzt nicht an, au­ßer­dem – ge­hört nicht Ehe­leu­ten al­les ge­mein­sam?

      In der nächs­ten Vier­tel­stun­de ent­fal­te ich eine fie­ber­haf­te Tä­tig­keit, ich pa­cke mei­nen Man­tel ein, zwei An­zü­ge, Wä­sche. Aus dem Ba­de­zim­mer hole ich mein Toi­let­ten­zeug. Mag­da wird sich mor­gen früh wun­dern! Aus dem Schuh­schrank hole ich zwei Paar Schu­he, Haus­schu­he – ich rich­te al­les wie zu ei­ner großen Rei­se. Und jetzt ist mir wirk­lich so, als wür­de ich eine große Rei­se an­tre­ten, viel­leicht, viel­leicht ist Eli­nor dies­mal zu­gäng­li­cher.

      Nun bin ich mit all die­sen Din­gen fer­tig, und ehe ich jetzt an das Schwers­te gehe, set­ze ich mich einen Au­gen­blick auf die Die­le, trin­ke und ruhe mich aus. Ich mer­ke doch sehr, wie schwach ich in den letz­ten Wo­chen ge­wor­den bin, dies biss­chen Pa­cken hat mich über Ge­bühr an­ge­strengt, mein Herz flat­tert, ich bin von Schweiß be­deckt.

      Dann ma­che ich mich wie­der ans Werk. Bis jetzt ist al­les aus­ge­zeich­net ge­gan­gen, ich habe kein Geräusch ge­macht, das einen nor­ma­len Schlä­fer er­we­cken könn­te, nichts fiel mir aus den Hän­den. Aber, wie ge­sagt, das Schwers­te steht mir noch be­vor. Ich zie­he die Schub­la­de un­ter dem Spie­gel auf, und sie­he, da liegt wirk­lich die elek­tri­sche Ta­schen­lam­pe! Ich knip­se, und sie­he, sie brennt tat­säch­lich! Es geht doch nichts über einen gut ge­ord­ne­ten Haus­halt – heil dir, Mag­da!

      Ich knip­se al­les Licht aus und schlei­che mit der Ta­schen­lam­pe in un­ser Wohn­zim­mer. Es liegt di­rekt ne­ben dem Schlaf­zim­mer und ist von ihm nur durch eine zweiflüg­li­ge, mit bun­ten Glas­schei­ben ver­zier­te Tür ge­trennt, durch die je­der Licht­schein und je­des Geräusch drin­gen. Im Dun­keln tas­te ich mich zum Schreib­tisch hin, in des­sen Mit­tel­fach in ei­ner klei­nen Geld­kas­set­te un­ser Bar­geld liegt. Im All­ge­mei­nen ist dort nur das für den Haus­halt not­wen­di­ge Geld, also nur we­nig; ha­ben wir abends aber noch Ein­nah­men im Ge­schäft ge­habt, die zur Bank zu brin­gen es zu spät war, so nah­men wir das Geld mit hier­her. Ich war doch sehr ge­spannt, wie viel ich fin­den wür­de.

      Es ge­lang mir, das Fach ohne je­des Geräusch zu öff­nen und die Kas­set­te her­aus­zu­ho­len; ich brauch­te nicht ein­mal die Ta­schen­lam­pe an­zu­knip­sen. Eben­so fand ich im völ­lig Dunklen das ne­ben der Kas­set­te lie­gen­de Scheck­buch. Ich schob es in die Ta­sche und trug die Kas­set­te be­hut­sam Schritt für Schritt in die Die­le, setz­te sie erst ab, schloss die Tür und knips­te das Licht an.

      Es klingt selt­sam, aber ich habe so et­was wie ein Ge­bet ver­rich­tet, ehe ich die Kas­set­te auf­schloss. Ich be­te­te zu dem so lan­ge ver­ges­se­nen lie­ben Gott, er möge es doch be­wir­ken, dass recht viel Geld in der Kas­se sei. Viel Geld, um die­ses Le­ben zwi­schen Trun­ken­heit und Übel­keit noch lan­ge fort­zu­set­zen, noch viel mehr Geld, um Eli­nor, la rei­ne d’al­cool, zu ver­füh­ren, mit mir auf Rei­sen zu ge­hen. Mit kei­nem Ge­dan­ken be­schäf­tig­te mich die Lage, in die ich mein ei­ge­nes Ge­schäft durch solch eine Ent­nah­me brin­gen wür­de. Ja, ich glau­be, wenn ich dar­an ge­dacht hät­te, ich hät­te umso mehr frohlockt, je grö­ßer der Scha­den für mei­nen ei­ge­nen Be­trieb ge­wor­den wäre.

      Ich hat­te also mein Ge­bet ver­rich­tet und öff­ne­te die Kas­set­te. Ich hob das obe­re Fach an, in dem nur Hart­geld lag, und sah gie­rig nach den Schei­nen. Mei­ne Ent­täu­schung war gren­zen­los. Nur ganz we­ni­ge Schei­ne la­gen da; als ich sie durch­zähl­te, wa­ren es nicht viel mehr als fünf­zig Mark.

      Ich sehe mich noch da­ste­hen, die we­ni­gen Schei­ne in der Hand, ein ei­si­ges Ge­fühl