Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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zwei­mal nach ihr, rann­te auf den Vor­platz, fass­te mei­ne Schu­he und lief in St­rümp­fen auf die Stra­ße. Ei­nen Au­gen­blick stutz­te ich …

      »Ge­ben Sie mir den Kof­fer, Herr!«, sag­te die ein­schmei­cheln­de sanf­te Stim­me Po­la­kow­skis. »Ich lau­fe im­mer schon vor. Los, da kom­men die Frau­en!« Ganz me­cha­nisch gab ich Po­la­kow­ski den Kof­fer, er lief los, und ich rann­te hin­ter ihm drein, in die Nacht hin­aus, auf St­rümp­fen …

      18

      Po­la­kow­ski rann­te mit dem Kof­fer, er wich vom nächs­ten Wege ab, stürz­te sich in die Alt­stadt, lief durch Gas­sen und Gäss­chen, wo­bei er über­ra­schend um Ecken bog; ich lief ihm nach. Es war sehr dun­kel, nur weil er Schu­he trug und da­durch beim Lau­fen Lärm mach­te, konn­te ich ihm über­haupt fol­gen. Ich bin ganz si­cher, dass Po­la­kow­ski die Ab­sicht ge­habt hat­te, mit dem gan­zen Kof­fer erst ein­mal völ­lig zu ver­schwin­den und mich hilf­los auf der Stra­ße zu las­sen, und er glaub­te ja auch wirk­lich, mich ab­ge­schüt­telt zu ha­ben: Mei­nen lei­sen Schritt auf St­rümp­fen hat­te er nicht ge­hört. Aber als er schließ­lich atem­ho­lend doch still­stand, war ich ne­ben ihm und frag­te ihn, warum er denn so sinn­los ge­lau­fen sei, es wäre uns ja doch nie­mand nach­ge­lau­fen!

      Der Schur­ke war nicht einen Au­gen­blick ver­le­gen, wuss­te auch sei­ne Ent­täu­schung über mein Auftau­chen gut zu ver­ber­gen und frag­te da­ge­gen: »Es hat doch Krach mit den Wei­bern ge­ge­ben? Die Wei­ber ha­ben doch ge­schri­en? Was ha­ben Sie den Wei­bern ge­tan?«

      »Nichts, was Sie mir nicht ge­ra­ten ha­ben, Po­la­kow­ski«, lach­te ich. »Ich habe sie auf eure ›Ar­bei­ter­ar­t‹ zu ängs­ti­gen ver­sucht, näm­lich mit Schlä­gen. Aber es ist nicht viel draus ge­wor­den. Üb­ri­gens ist es wohl selbst­ver­ständ­lich, dass eine Frau sich wi­der­setzt, wenn man ihr das Sil­ber fort­nimmt. Ich habe das Sil­ber, Po­la­kow­ski.«

      »So, ha­ben Sie es?«, ant­wor­te­te der Ab­ge­feim­te. »Nun kommt es drauf an, ob es auch et­was bringt. Das meis­te Sil­ber ist leicht und hohl, oder die Fas­son ist un­mo­dern. Sil­ber, das nur zum Ein­schmel­zen taugt, ist kaum ein paar Mark wert.«

      »Sie brau­chen sich dar­um nicht zu sor­gen, Po­la­kow­ski«, sag­te ich böse. »Ich wer­de mein Sil­ber ohne Sie ver­wer­ten – wenn ich es über­haupt ver­kau­fe, was ich noch nicht weiß. So, und nun möch­te ich mei­nen Kof­fer al­lein wei­ter­tra­gen.«

      Ich hat­te wäh­rend un­se­rer Un­ter­hal­tung mei­ne Schu­he an­ge­zo­gen und nahm jetzt den Kof­fer auf, trotz der fle­hent­li­chen Pro­tes­te Po­la­kow­skis. End­lich hat­te ich ge­ra­de den rech­ten Ton ihm ge­gen­über ge­trof­fen, der Al­ko­hol, der ja im­mer neue, im­mer an­de­re Stim­mun­gen her­auf­spült, hat­te ihn mir ein­ge­ge­ben. Jetzt war Po­la­kow­ski wie­der ganz Ohr­wurm, er be­teu­er­te, er sei nur ein ar­mer Ar­bei­ter, un­fä­hig, mit ei­nem wirk­lich ge­bil­de­ten Men­schen um­zu­ge­hen. Na­tür­lich wür­de mein Sil­ber gut sein, sehr gut, ich möge es sei­ner Dumm­heit zu­gu­te­hal­ten, wenn er ge­glaubt habe, ein Mann wie ich kön­ne min­der­wer­ti­ges Sil­ber ha­ben. Ich ver­harr­te in ei­nem vor­geb­li­chen fins­te­ren Schwei­gen, das ihn im­mer un­ru­hi­ger mach­te, über das ich mich selbst aber in­ner­lich vor La­chen schüt­tel­te. Zu Hau­se an­ge­kom­men, trug Po­la­kow­ski, ohne sich erst bit­ten zu las­sen, die wirk­lich be­reit­ge­hal­te­ne Fla­sche Korn her­bei; ich griff in die Ta­sche und frag­te nur: »Wie viel?«

      »Zwei Mark fünf­zig«, flüs­ter­te er, sehr de­mü­tig.

      »Hier ha­ben Sie Ihr Geld, und dass Sie mir nie wie­der einen so schlech­ten Fu­sel brin­gen! Habe ich sonst noch was zu zah­len?«

      Er ver­si­cher­te, dass al­les be­gli­chen sei.

      »Gut, dann ma­chen Sie, dass Sie her­aus­kom­men! Ich will jetzt schla­fen.«

      Er schob sich aus der Tür, ich hat­te es fer­tig­ge­bracht, ihn ver­le­gen und de­mü­tig zu ma­chen.

      Mir aber war we­der nach Schla­fen noch nach Trin­ken zu­mu­te. Der Durst nach Be­täu­bung hat­te aus­ge­setzt, ich be­kam aus rät­sel­haf­ten Grün­den eine kur­ze Schon­zeit, wäh­rend der ein Stück des tä­ti­ge­ren Men­schen, der ich einst ge­we­sen, wie­der auf­tauch­te. Vi­el­leicht kam das von der eben über­stan­de­nen Sze­ne mit Mag­da, die mich doch sehr auf­ge­wühlt hat­te – frei­lich müh­te ich mich, so we­nig wie nur mög­lich an sie zu den­ken.

      Eine Wei­le saß ich grü­belnd auf dem Sofa. Mit un­er­bitt­li­cher Klar­heit stand vor mir, dass ich nach dem Ge­sche­he­nen nie wie­der nach Hau­se kom­men konn­te. Mein al­ter Plan, mich selbst des Al­ko­hols zu ent­wöh­nen und als ein Ge­sun­der vor Mag­da und die Ärz­te zu tre­ten, war end­gül­tig zu­sam­men­ge­bro­chen – üb­ri­gens hat­te ich in mei­nen nüch­ter­nen Stun­den selbst nie recht an ihn ge­glaubt. Es war aber auch un­mög­lich, es wi­der­stand mir bis zum Ekel, hier noch län­ger bei Po­la­kow­ski zu hau­sen; das Ende konn­te nur Irr­sinn hei­ßen. Ich muss­te einen an­de­ren Weg fin­den, und ich glaub­te, auch eine Ah­nung von der Art die­ses We­ges zu ha­ben. Vie­les muss­te ich wa­gen in den nächs­ten vier­und­zwan­zig Stun­den, nicht als be­rausch­ter Mann durf­te ich an mein Werk ge­hen.

      Es mag mor­gens zwi­schen drei und vier Uhr ge­we­sen sein, als ich von mei­nem Sofa auf­stand und an­fing, den Kof­fer aus­zu­pa­cken. Ich wusch mich dann von Kopf bis zu Fü­ßen, zog mich halb an und ra­sier­te mich mit größ­ter Sorg­falt. Al­les ging un­end­lich lang­sam. Das Zit­tern mei­ner Hän­de war so stark, dass ich ein paar­mal dar­an ver­zwei­fel­te, mich ra­sie­ren zu kön­nen, aber schließ­lich ge­lang es doch. Aus un­be­kann­ten Ur­grün­den mei­nes Seins war eine neue Ener­gie in mir auf­ge­stie­gen, sie ließ mich aus­hal­ten, sie gab es nicht zu, dass ich mehr als ganz klei­ne Schlu­cke in lan­gen Zeitab­stän­den zu mir nahm.

      Als ich schließ­lich völ­lig frisch an­ge­zo­gen und ge­wa­schen mich im Spie­gel mus­ter­te, war ich selbst er­staunt, wie gut ich noch aus­sah. Ge­wiss, mei­ne Au­gen wa­ren ge­rötet, mit steck­na­del­klei­nen Pu­pil­len, und die Ba­cken hin­gen et­was, aber nie­mand konn­te mir einen Trin­ker an­se­hen. Ich konn­te es mor­gen früh wa­gen, und ich wür­de es wa­gen.

      Ich ging nicht mehr ins Bett. Ich schlug die De­cke um mich und setz­te mich auf das Sofa, den Mor­gen zu er­war­ten. Da­bei lausch­te ich in das Haus. Es war ganz still, aber ich hat­te die fes­te Über­zeu­gung, dass Po­la­kow­ski nicht schlief, son­dern mich be­lau­er­te. Nun, ich wür­de war­ten, und ich trau­te mir auch zu, ihn zu über­lis­ten.

      Ich hat­te ein Was­ser­glas mit Korn ge­füllt, ehe ich mich auf das Sofa ge­setzt hat­te, und die Fla­sche mit dem gan­zen Rest in die ferns­te Ecke mei­ner Stu­be ge­stellt: Mit die­sem Was­ser­glas Korn muss­te ich bis zum Mor­gen aus­kom­men, hat­te ich be­stimmt. Aber ich nipp­te nur dar­an; nach der un­ge­wohn­ten Be­schäf­ti­gung die­ser Nacht war ich tod­mü­de, ich lehn­te mich zu­rück, und schon war ich ein­ge­schla­fen.

      Ich er­wach­te von ei­nem lei­se klir­ren­den Geräusch. Ich öff­ne­te halb die Au­gen und blin­zel­te in die Stu­be, in der das Licht der Mor­gen­son­ne be­reits die Über­hand über den Schein der Glüh­lam­pe ge­won­nen hat­te. Über mei­nen Kof­fer ge­beugt stand Po­la­kow­ski, er hat­te aus ei­nem Fut­te­ral ein Ta­fel­mes­ser ge­zo­gen, mus­ter­te es kri­tisch und wog es in der Hand. Eine gan­ze Wei­le sah ich zwi­schen zu­sam­men­ge­knif­fe­nen