»Sie soll einmal fühlen lernen, wie nützlich ich ihr bin, wie unentbehrlich!«
Wieder nickte Herr Polakowski, dann sagte er mit seiner sanften, fast flüsternden Stimme: »Trotzdem, mein Herr, ohne Anzahlung kann ich Sie nicht aufnehmen. Wir sind sehr arme Leute hier in Klein-Russland, mein Herr, und ein Abendessen aus einem guten Gasthof und eine Flasche Korn vom besten kosten viel Geld.«
»Sie werden Geld, soviel Sie brauchen, morgen früh bekommen, Herr Polakowski«, sagte ich überredend. »Morgen früh um neun Uhr stehe ich auf meiner Bank und hole Geld ab.«
»Nein«, sagte mein Wirt. »Es tut mir leid, mein Herr, ich hätte Sie gerne als Gast gehabt, einen gebildeten Mann, der seine Frau ein bisschen ängstigen will – nach Herrenart. Wir, wir schlagen unsere Frauen, das ist einfacher und billiger.«
»Nun ja, nun ja«, lachte ich ein bisschen verlegen. »Ich weiß nur nicht, ob ich bei einer Schlägerei mit meiner Frau nicht den Kürzeren ziehen würde, ich fürchte, sie ist die Stärkere.« Ich lachte und trank. »Aber da es Ihnen so um eine Anzahlung zu tun ist, will ich Ihnen einen Ring zum Pfand geben.« Ich zog erst den Siegel-, dann den Ehering vom Ringfinger der rechten Hand. Einen Augenblick schwankte ich, dann gab ich Polakowski den Ehering. »Es wäre mir lieb, wenn Sie ihn in Pfand behielten, als Sicherheit bis morgen früh, und ihn nicht weitergäben.«
Herr Polakowski nahm den Ring aus meiner Hand. »Wir sind sehr arme Leute, mein Herr«, sagte er wieder mit seiner flüsternden Stimme. »Wir haben keine drei Mark im Hause. Aber ich werde den Ring bei einem ganz sicheren Mann in Pfand geben, und morgen Mittag lösen wir ihn dann wieder aus.«
»Schön, schön«, antwortete ich plötzlich gelangweilt und doch auch wieder durch all diese Umständlichkeiten gereizt. »Aber sehen Sie jetzt auch zu, dass Essen und Korn möglichst bald kommen, vor allem der Korn. Sie sehen, in der Flasche ist fast nichts mehr, und wie Sie wissen, muss man Kummer ersäufen.«
»Es wird alles ganz schnell gehen, mein Herr«, flüsterte mein Wirt sanft und schloss die Tür.
Ich aber warf mich auf das Bett und trank.
So wurde ich mit Polakowski bekannt, einem der gemeinsten Schurken und Heuchler, die ich in meinem Leben kennengelernt habe.
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14
Für diese Nacht hatte ich mir den festen Plan gemacht, nach Mitternacht in mein Heim zu gehen, dort einen Koffer mit Wäsche, Kleidern und Toilettenzeug zu packen und an Geld zu holen, was dort in meinem Schreibtisch lag. Denn ich hatte wirklich vor, einige Wochen bei Polakowski in aller Verborgenheit zu leben. Mir schwebte vor, mich dort selbst in aller Stille des Alkohols zu entwöhnen; den ersten Tag wollte ich noch das gewohnte Quantum trinken, den folgenden Tag um ein drittel weniger und so immer weiter, bis ich nach etwa zwei oder drei Wochen als nüchterner Mann vor Magda und die Ärzte treten und fragen konnte: »Was wollt ihr nun eigentlich von mir?!«
Ich hielt es für sehr möglich, dass mich Magda bei dieser nächtlichen Packerei überraschte, aber ein Zusammentreffen mit ihr scheute ich nicht, nein, ich wünschte es eher. In der Stille der Nacht würde ich ihr ungestört einige bittere Wahrheiten über die Gemeinheit sagen können, einem Mann, mit dem sie immerhin eine fünfzehnjährige Ehe verband, hinterlistig Ärzte auf den Hals zu hetzen. Sie hatte die Kameradschaft zwischen uns gebrochen, und ich zweifelte je länger, je weniger daran, dass sie letzten Endes nur nach einer Vormundschaft über mich und nach meinem Besitz trachtete. Das alles wollte ich ihr ganz unverblümt sagen.
Leider wurde aus meinem schönen Plan nichts. Wieder einmal spielte mir der Alkohol einen bösen Streich. Nicht, dass er mich, wie schon einige Male vorher, in einen betäubten, traumlosen Schlaf niederwarf, der mich die richtige Stunde versäumen ließ, nein, diesmal hatte ich ein viel schlimmeres Erlebnis: Mein Körper verweigerte mir den Dienst, mein Magen streikte.
Ich hatte noch, mit einigem Widerwillen wohl, aber aus Pflichtgefühl, einen Teil des geholten ganz ordentlichen Abendessens zu mir genommen und hinterher kräftig getrunken. Ich hatte mich wieder aufs Bett gelegt und war bereit, in einem dämmernden Halbschlummer die Stunde meines Fortgehens heranzuwarten; da fing mein Magen an zu würgen, er empörte sich, ich musste hoch, ich musste endlos und unter qualvollen Schmerzen erbrechen. Mein ganzer Körper war mit Schweiß bedeckt, meine Hände und meine Knie zitterten, mein Herz pochte laut und schmerzhaft, zögernd, als wollte es jeden Augenblick aussetzen. In meinen Augen standen Tränen, es flimmerte vor ihnen, durch mein Hirn zogen Schleier, oft war ich wie bewusstlos.
Endlich lag ich wieder auf meinem Bett, zu Tode erschöpft, von einer wahnsinnigen Angst gepackt: Nahte jetzt schon das Ende? So schnell schon? Ich hatte doch noch gar nicht lange und gar nicht übermäßig viel getrunken? Wurde man so schnell zu einem Trinker? So rasch also baute der Alkohol einen Körper ab? Nein, ich wollte noch nicht sterben! Ich hatte diese Trinkerzeit immer nur als ein Durchgangsstadium angesehen; ich war überzeugt gewesen, dass ich mit ihr jederzeit Schluss machen könnte, ohne Schädigung für mich – und nun schon sollte alles zu Ende sein? Nein, das war unmöglich! Ich wollte nicht, ich würde wieder gesund sein, bald schon, vielleicht morgen schon; dieses gallenbittere Brechen musste eine andere Ursache haben! Sicher war etwas an dem Abendessen gewesen!
Es ist seltsam, dass ich auch in diesem Zustand schwerster Vergiftung mit keinem Gedanken dem Alkohol abschwor. Im Gegenteil, ich vermied es ängstlich, an ihn auch nur zu denken. Er konnte nicht die Ursache sein, ihn konnte ich nicht aufgeben. Er war mein einziger guter Freund in diesen Tagen der Verlassenheit und Erniedrigung! Und kaum hatte ich mich ein wenig erholt, kaum gingen Atem und Herz etwas ruhiger, da griff ich wieder zur Flasche, trank von Neuem, die Träume zu rufen, das Vergessen zu rufen, einzugehen in das süße Nichts, in dem man weder Sorgen noch Freuden kennt, in dem man weder Vergangenheit noch Zukunft hat.
Eine Weile tat der Schnaps auch seine Schuldigkeit; entspannt und ein wenig glücklich lag ich da. Dann jagte mich wieder das Erbrechen hoch, ein noch viel qualvolleres, würgenderes Erbrechen, da der Magen nun nichts mehr enthielt als die paar Schlucke Schnaps.
So verbrachte ich diese Nacht, zwischen Trinken und Brechen; schließlich konzentrierte ich meinen ganzen Willen nur darauf, mit aller Kraft das Brechen möglichst lange zurückzuhalten, damit der Alkohol doch einige Minuten Zeit hätte, durch die Schleimhäute des Magens in den Körper überzugehen, ehe ihn neues Würgen heraustrieb. Es war so schade um den schönen Schnaps!
Endlich