Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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sich eine gan­ze Wei­le Zeit, bis er sich mel­de­te. Ich rief ihm nur hin­un­ter, dass ich mein Früh­stück ha­ben woll­te. Er brach­te es sehr rasch, sei­ne zage, sonst fast schafs­mä­ßig sanf­te Mie­ne konn­te die­ses Mal doch ein Ge­fühl leb­haf­ter Beun­ru­hi­gung über mein völ­li­ges Verän­dert­sein nicht ver­ber­gen. Ich tat, als sähe ich nichts, und mach­te mich zum ers­ten Mal mit ei­ni­gem Ap­pe­tit ans Es­sen. Der Kaf­fee war über­ra­schend gut, die Sem­meln knusp­rig und die But­ter frisch und kühl – die­ser Schur­ke von Po­la­kow­ski ver­stand es ent­schie­den, zu le­ben.

      Wäh­rend ich aß, brach­te Po­la­kow­ski den Wasch­tisch und mein Bett in Ord­nung, wo­bei er es nicht las­sen konn­te, im­mer wie­der heim­li­che Sei­ten­bli­cke auf mich ab­zu­schie­ßen. Dazu hüs­tel­te er im­mer häu­fi­ger. Die Korn­fla­sche, die er im Stu­ben­win­kel ste­hen fand, gab ihm end­lich den er­sehn­ten An­lass, ein Ge­spräch an­zu­knüp­fen. »Sie ha­ben ja fast gar nichts ge­trun­ken, Herr!«, sag­te er und hielt die Fla­sche be­wei­send ge­gen das Licht.

      »Ja, mein lie­ber Herr Po­la­kow­ski«, sag­te ich spöt­tisch, aber in bes­ter Lau­ne und be­strich da­bei eine Sem­mel dick mit But­ter, »wenn du mir wei­ter sol­chen Fu­sel bringst, wer­de ich mir das Trin­ken noch ganz ab­ge­wöh­nen.«

      Er nahm mein »du« ohne zu zu­cken an. »Es war ein Irr­tum, Herr«, knurr­te er, »ein Irr­tum vom Kauf­mann. So wahr ich hier ste­he, ich selbst habe vier Mark fünf­zig für die Fla­sche be­zahlt, der Kauf­mann hat sich ver­grif­fen. Aber ich habe Ih­nen na­tür­lich nur den wirk­li­chen Preis be­rech­net, ich selbst leg­te die zwei Mark drauf, ob­gleich ich nur ein ar­mer Mann bin. Ich bin ehr­lich, Herr …«

      »Rede kei­nen Blöd­sinn, Po­la­kow­ski«, ant­wor­te­te ich grob. »Du bist so we­nig ehr­lich, wie du arm bist. Ein al­ter Gau­ner bist du, oder viel­mehr ein jun­ger, aber ge­ris­sen ge­nug für einen al­ten. Vi­el­leicht mag ich dich dar­um ge­ra­de ger­ne. – Nimm die Fla­sche mit«, schrie ich in plötz­lich ge­spiel­tem Zorn, »und sauf sie sel­ber aus. Und sor­ge da­für, dass in fünf Mi­nu­ten eine an­stän­di­ge Sor­te hier ist. Da hast du Geld!« Und ich warf ihm einen Schein auf den Tisch.

      Er griff ei­lig nach ihm. »So­fort, wenn die Lä­den of­fen sind«, ver­si­cher­te er.

      »Nein, nicht, wenn die Lä­den of­fen sind!«, schrie ich noch lau­ter, »son­dern jetzt, jetzt auf der Stel­le! Denkst du Idi­ot, ich will den gan­zen Tag hier wach sit­zen, nach die­ser Nacht? Ich will end­lich schla­fen kön­nen.«

      Ich war auf­ge­sprun­gen in ge­spiel­ter Er­re­gung, hat­te schon das Jackett aus­ge­zo­gen und knöpf­te an mei­ner Wes­te. Ich muss­te ihn jetzt über­zeu­gen, sonst ging die Sa­che doch noch schief. So griff ich nach dem Was­ser­glas mit Korn, das noch im­mer fast voll auf dem Tisch stand, goss es hin­un­ter und schrie: »Da, gieß noch ein­mal voll! Mit dei­nem ver­damm­ten Fu­sel! Und nun mach, dass in fünf Mi­nu­ten ein an­de­res Ge­tränk hier ist; der Kauf­mann wird dich schon hin­ten­her­um rein­las­sen, einen so gu­ten Kun­den wie dich!« Ich hat­te mir die Wes­te vom Lei­be ge­ris­sen und knöpf­te schon an den Ho­sen­trä­gern.

      »In fünf Mi­nu­ten!«, be­teu­er­te Po­la­kow­ski und eil­te aus der Stu­be. Un­schwer wa­ren aus sei­nen Wor­ten Er­leich­te­rung und Be­frie­di­gung her­aus­zu­hö­ren. Er hat­te Angst um sei­ne Melk­kuh ge­habt, aber jetzt soff ich wie­der. Gott sei’s ge­trom­melt und ge­pfif­fen!

      Kaum hat­te ich die Haus­tür klap­pen hö­ren, war ich schon wie­der in mei­nen Klei­dern, schloss den Kof­fer, nahm ihn und lief die Trep­pe hin­ab. Es moch­te eine Frau Po­la­kow­ski ge­ben, auch Kin­der Po­la­kow­ski, von der glei­chen sanf­ten, ein­schmei­cheln­den, flüs­tern­den, ver­flucht schur­ki­schen Art, wie es ihr Va­ter war: Ich hat­te sie nie zu Ge­sicht be­kom­men. Ich sah sie auch an die­sem Mor­gen nicht. Un­an­ge­foch­ten kam ich auf die Gas­se. Hier, schon fast frei von mei­nem Pei­ni­ger, hät­te mir der Al­ko­hol fast noch einen Streich ge­spielt.

      Plötz­lich er­in­ner­te ich mich dar­an, dass ich seit Wo­chen zum ers­ten Mal ohne »Pro­vi­ant« un­ter­wegs war, und noch dazu auf ei­ner so ge­fahr­vol­len, al­les ent­schei­den­den Rei­se, und dass oben in mei­ner Stu­be noch ein so­eben voll­ge­schenk­tes Glas mit Korn stand. Bei­na­he wäre ich um­ge­kehrt und da­mit wohl ziem­lich si­cher in die lang­fing­ri­gen Er­pres­ser­hän­de Po­la­kow­skis zu­rück­ge­lau­fen, dann aber sieg­te die in die­ser Nacht neu er­wach­te Ener­gie. Ich schüt­tel­te den Kopf und mach­te mich auf mei­nen Weg.

      19

      Ich hat­te na­tür­lich kei­ne Ah­nung da­von, in wel­che Rich­tung Po­la­kow­ski ge­gan­gen war, und zu An­fang sah ich ziem­lich be­sorgt um mich. Als ich aber erst, aus »Klein-Russ­land« her­aus, durch die sau­be­ren Stra­ßen mei­ner Hei­mat­stadt ging, fühl­te ich mich si­che­rer. Ich ging, ohne zu zö­gern, di­rekt zum Bahn­hof und setz­te mich dort in den War­te­saal zwei­ter Klas­se. Ich wuss­te, ich wag­te viel; war schon et­was von mei­ner Ge­schich­te durch­ge­si­ckert, so war ich ver­lo­ren. Aber ich muss­te an die­sem Mor­gen noch viel mehr wa­gen, die­ses Sit­zen im War­te­saal war eine Vor­pro­be für kom­men­de an­de­re wich­ti­ge Un­ter­neh­mun­gen.

      Na­tür­lich hät­te ich mich auch mit we­ni­ger Ri­si­ko ein paar Stun­den in den An­la­gen der Stadt ver­ber­gen kön­nen, aber in mei­ner ver­wan­del­ten Stim­mung lieb­te ich es nun ein­mal, der Ge­fahr zu trot­zen, muss aber auch ge­ste­hen, dass der Al­ko­hol mich ein we­nig dazu ver­führ­te. So ganz ohne ihn woll­te ich nun doch nicht sein, und so be­stell­te ich beim Kell­ner au­ßer ei­nem er­gie­bi­gen Früh­stück mit Set­zei­ern, Wurst und Käse auch eine Kar­af­fe Ko­gnak, den ich, zum zwei­ten Mal be­hag­lich und nicht ohne Ap­pe­tit früh­stückend, mei­nem Kaf­fee zu­setz­te.

      Ich ver­tief­te mich bei die­sem lan­ge dau­ern­den Es­sen in die Zei­tun­gen mei­ner Va­ter­stadt, die ich lan­ge nicht stu­diert, las sämt­li­che Hei­mat­nach­rich­ten ein­schließ­lich der Fa­mi­li­en­an­zei­gen und hat­te nun die Ge­wiss­heit, dass über mich auch noch nicht der ge­rings­te Hin­weis ins Blät­tel ge­langt war. Es wäre doch im­mer­hin mög­lich ge­we­sen, dass Mag­da in ih­rer »Be­sorg­nis um mein Wohl­er­ge­hen« eine No­tiz ins Blatt hät­te set­zen las­sen, etwa des In­halts: Der Ge­schäfts­mann E. S. sei so und so lan­ge nicht ge­se­hen wor­den und irre ver­mut­lich in ei­nem Zu­stand geis­ti­ger Ver­wir­rung in der Ge­gend um­her. Wer Nach­richt von ihm ge­ben kön­ne usw. usw. Aber nichts von al­le­dem.

      Bei mei­nem Früh­stück wur­de ich wirk­lich zehn Mi­nu­ten lang von dem Bäcker­meis­ter Stretz ge­stört, von dem ich eben in der Zei­tung ge­le­sen, dass er sein fünf­und­zwan­zig­jäh­ri­ges Ge­schäfts­ju­bi­lä­um be­gan­gen habe. Er ist un­ser Sem­mel-, ich bin dann und wann sein Wei­zen­mehl­lie­fe­rant, wir ken­nen uns seit vie­len Jah­ren. So setz­te er sich zu mir an den Tisch, und er ver­wun­der­te sich dar­über, dass wir uns so lan­ge nicht ge­se­hen, auch, dass ich hier auf dem Bahn­hof die Sem­meln der Kon­kur­renz und nicht fried­lich da­heim sei­ne ei­ge­nen früh­stück­te. Es war das al­les aber ganz arg­los ge­sagt, wie ich so­fort merk­te. Mit dem Hin­weis auf eine Rei­se er­klär­te ich al­les und war nun si­cher, dass über den engs­ten Kreis der Be­tei­lig­ten noch kein Gerücht von mei­ner ver­än­der­ten Le­bens­wei­se ge­drun­gen war.

      Spä­ter ka­men noch ent­fern­te­re Be­kann­te durch den War­te­saal, ich grüß­te sie, si­cher ge­wor­den,