Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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dass Mag­da ihr Sil­ber zu­rück­be­kom­men soll­te, und ich hass­te Mag­da doch wirk­lich von gan­zem Her­zen. »Ja«, sag­te ich dann. »Aber was fang ich nun mit mei­nem Wis­sen an? Ich darf doch nicht ver­ra­ten, dass ich’s von dir habe.«

      »Du wirst heu­te, wenn du dein Brot be­kommst«, sag­te Mord­horst, »einen Kas­si­ber drin fin­den, auf dem das steht, was ich dir eben ge­sagt habe. Den zeigst du dem Wacht­meis­ter, und dann läuft die Sa­che von selbst.«

      »Und wer soll mir den Kas­si­ber ge­schrie­ben ha­ben?«

      »Das weißt du nicht. Es ist eben ei­ner ge­we­sen, den du nicht kennst, der den Po­la­kow­ski hasst und ihn in die Pfan­ne hau­en will. Da zer­brich dir nur nicht den Kopf drü­ber.«

      1 Hilfs­die­ner, Hilfs­ar­bei­ter <<<

      2 Raub­gut (Ga­no­ven­spra­che) <<<

      3 Fluss­ba­de­an­stalt am gleich­na­mi­gen Fluss <<<

      34

      Es war das al­les mit wirk­li­chem Scharf­sinn aus­ge­dacht, mit un­end­li­cher Ge­duld durch­ge­führt; es ist nur scha­de, dass auch die­se Sa­che, wie die meis­ten im Ge­fäng­nis er­dach­ten Sa­chen – große Ein­brü­che und Raub­über­fäl­le, Er­pres­sun­gen und Schie­bun­gen – an­ders aus­ging, als wir alle er­war­te­ten, und dass Mag­da doch nicht wie­der zu ih­rem Sil­ber kam.

      Al­les kam ganz ge­nau so, wie es Mord­horst vor­aus­ge­sagt hat­te: Ich fand den Kas­si­ber, ich gab ihn dem Wacht­meis­ter beim Ein­schluss, ich wur­de zum In­spek­tor run­ter­ge­holt und ver­nom­men. Dann führ­ten sie mich wie­der auf mei­ne Zel­le, und dann hör­te ich, wie sie hin­ten in mei­nem Gang eine Zel­le auf­schlos­sen: Nun hol­ten sie sich den Po­la­kow­ski. Und dann war Stil­le. Ich hör­te nichts mehr von der Sa­che, die Nacht nicht, die nächs­ten bei­den Tage nicht, und auch Mord­horst hör­te dies­mal nichts da­von.

      Dann rie­fen sie mich wie­der zu dem In­spek­tor und teil­ten mir mit, dass die Po­li­zei jene Feld­scheu­ne re­vi­diert habe; die Bret­ter hin­ten sei­en lose ge­we­sen, aber un­ter dem Stroh habe nichts ge­le­gen, über­haupt sei in der gan­zen Scheu­ne nichts ver­steckt ge­we­sen. Ich ging sehr ent­täuscht auf mei­ne Zel­le zu­rück. Also war der Po­la­kow­ski doch lis­ti­ger als alle an­de­ren ge­we­sen, und es gab die Sa­chen über­haupt nicht mehr, oder er hat­te sie ganz wo­an­ders ver­steckt.

      Aber Mord­horst schüt­tel­te dazu den Kopf. »War­te nur«, sag­te er, »das hängt an­ders zu­sam­men, und ich kann es mir auch schon den­ken, wie. War­te nur, ich be­kom­me es noch her­aus, und wenn es so ist, wie ich den­ke, wird ei­ner nichts zu la­chen ha­ben.«

      Er be­kam es wirk­lich raus, we­nigs­tens glau­be ich, dass das die Wahr­heit war, was er mir sag­te. »Der Ent­las­se­ne hat’s ge­klaut und ver­scheu­ert, der, der’s von dem Po­la­cken er­fah­ren hat. Di­rekt vor der Po­li­zei hat er sich’s ge­holt; der Trot­tel, wenn er nur ein biss­chen schnel­ler ge­we­sen wäre! Aber ich sage dir, ein­mal er­wi­sche ich den Hund, er kommt ja doch wie­der ins Kitt­chen, und dann soll er sein ei­ge­nes Ge­schrei hö­ren!«

      Und im gan­zen Bau wur­de ein Name ver­brei­tet, sech­zig Ge­fan­ge­ne merk­ten sich den Na­men von ei­nem, der ein Ver­rä­ter ge­we­sen war, und die­se Ge­fan­ge­nen wür­den mit der Zeit schon da­für sor­gen, dass der Name des Ver­rä­ters sich aus­brei­te­te durch vie­le Ge­fäng­nis­se. Über­all wür­den sie ihn an­se­hen als einen ge­mei­nen Ver­rä­ter, denn selbst un­ter Ver­bre­chern gibt es eine Art Ehre, und ge­gen die hat­te der Mann ver­sto­ßen.

      Für mich aber, der schließ­lich am we­nigs­ten sich an die­sem Spiel ge­gen Po­la­kow­ski be­tei­ligt hat­te, soll­ten die Fol­gen vor­erst die übels­ten sein. Denn an ei­nem Mor­gen, da ein Wacht­meis­ter wohl ein we­nig ver­schla­fen war und nicht auf­ge­passt hat­te, trug ich mei­nen Kü­bel ah­nungs­los über den Gang und ach­te­te gar nicht dar­auf, dass ge­gen alle Ge­wohn­heit die Tür von Po­la­kow­skis Zel­le schon auf­ge­macht war; da stürz­te der so Sanf­te wie ein Ti­ger auf mich, warf mich mit­samt mei­nem Kü­bel zur Erde und schlug mit bei­den Fäus­ten auf mein Ge­sicht ein, dass ich fast so­fort mei­ne Be­sin­nung ver­lor.

      Sie hat­ten es ja nun dem Po­la­kow­ski er­zählt, dass auch ich hier im Kitt­chen saß, und hat­ten ihn nach Ge­fan­ge­nen­art un­barm­her­zig gen­eckt und ge­hän­selt mit den ver­lo­ren ge­gan­ge­nen Sa­chen. Und sie hat­ten ihm wohl auch er­zählt, dass das ihm ab­ge­nom­me­ne Geld wie­der zu mei­ner Ver­fü­gung hier lag, und viel­leicht hat­ten sie ihm so­gar vor­ge­lo­gen, dass die Sa­chen wie­der in mei­nen Be­sitz ge­kom­men sei­en.

      Je­den­falls war in dem Po­la­kow­ski eine wil­de Wut auf mich ent­brannt, und er hat­te all die Tage wohl brü­tend in sei­ner Zel­le ge­ses­sen, hat­te be­dacht, wie gänz­lich um­sonst er nun sich um mich Wo­chen ge­quält hat­te, wie ich al­les wie­der­ge­won­nen, und dass mei­net­we­gen ihm eine lan­ge Stra­fe be­vor­stand – für nichts Ge­won­ne­nes! Da hat­te er rot­ge­se­hen und im­mer ge­grü­belt, wie er mir et­was an­tun könn­te für mein gan­zes Le­ben, und sein Hass und sei­ne Wut hat­ten all sei­ne Sanft­heit und sein Heuch­ler­tum und sei­ne an­ge­bo­re­ne Feig­heit und Vor­sicht fort­ge­spült.

      Als er die Zel­len­tür of­fen sah, hat­te er auf mich ge­lau­ert, er hat­te mich un­ter sich ge­bracht und mir ins Ge­sicht ge­schla­gen, dass so­fort Blut aus Nase und Mund stürz­te. Die Ge­fan­ge­nen hat­ten nach ih­rer Ge­wohn­heit still und un­be­tei­ligt und wohl auch et­was scha­den­froh zu­ge­schaut; es ist nicht Sit­te im Ge­fäng­nis, bei ei­ner Prü­ge­lei von Zwei­en da­zwi­schen­zu­ge­hen. Ich bin über­zeugt, dass Mord­horst mir bei­ge­stan­den hät­te, aber Mord­horst war nicht in der Nähe, er lag einen Gang tiefer. Und ehe der Wacht­meis­ter noch hat­te zu­sprin­gen und Po­la­kow­ski hat­te zu­rück­rei­ßen kön­nen, hat­te Po­la­kow­ski sich über mein Ge­sicht ge­beugt und hat­te mich in die Nase ge­bis­sen, um mich fürs gan­ze Le­ben zu zeich­nen – ach, er hat mir fast die hal­be Nase ab­ge­bis­sen!

      In ei­nem Ge­fäng­nis ge­sche­hen schlim­me Din­ge, oft, man macht nicht viel Auf­he­bens da­von. Den Po­la­kow­ski ha­ben sie in die Ar­rest­zel­le ge­steckt und ihm spä­ter zu al­lem an­de­ren eine An­kla­ge we­gen schwe­rer Kör­per­ver­let­zung an­ge­hängt, und mich ha­ben sie in mei­ner Zel­le auf den Stroh­sack ge­legt, ha­ben mir das Blut ein biss­chen ab­ge­wa­schen und ha­ben ge­war­tet, bis der her­bei­te­le­fo­nier­te Ge­fäng­nis­arzt kam.

      Das Ers­te, was ich hör­te, als ich wie­der zu Be­wusst­sein kam, war die schimp­fen­de Stim­me Düs­ter­manns, der über »die Schwei­ne­rei in sei­ner Zel­le« schimpf­te und ver­lang­te, dass ich ver­legt wür­de, und die­se Stim­me hat nicht einen Au­gen­blick auf mich zu schimp­fen auf­ge­hört, so­lan­ge Düs­ter­mann nicht schlief, all die Tage, die ich noch bei ihm in der Zel­le lie­gen muss­te. Denn es reich­te nach An­sicht des Arz­tes nicht da­für, dass man mich in ein Kran­ken­haus leg­te.

      Er näh­te mir die Nase recht und schlecht zu­sam­men und mein­te, in drei, vier Ta­gen wer­de al­les wie­der in Ord­nung sein. Aber es ist nie wie­der ganz in Ord­nung ge­kom­men, ganz ab­ge­se­hen da­von, dass ich mich bis heu­te noch nicht in ei­nem