Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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un­ter uns – für ein gan­zes Le­ben!

      Auch die­ser schi­zo­phre­ne Sach­se aus gu­tem Hau­se hat­te wohl ein­mal eine Straf­tat be­gan­gen, die ihn von sei­nen El­tern trenn­te. Vi­el­leicht war er nur un­be­son­nen ge­we­sen, je­den­falls war er weich – er hat­te zu den El­tern ei­len, ih­nen al­les er­klä­ren wol­len. Da war er schon ver­haf­tet. Und die Jah­re ver­gin­gen, ei­nes nach dem an­de­ren, vie­le, und im­mer noch wa­ren die Ei­sen­git­ter zwi­schen ihm und den El­tern, zwi­schen sei­ner Schuld und der herz­be­frei­en­den Auss­pra­che. Er warf sich ge­gen sie, er ach­te­te es für nichts, dass ein ge­mei­ner Hund sein Ge­sicht blu­tig schlug, er kämpf­te Tag für Tag mit dem uns un­sicht­ba­ren Feind, im­mer ver­ge­bens, und Tag für Tag nahm er von Neu­em den Kampf auf.

      Auch mit ihm konn­te man zwi­schen­durch ein ver­nünf­ti­ges Wort über die pri­mi­ti­ven Din­ge des Le­bens re­den, wie die Sup­pe ge­schmeckt hat­te, und wo der Hand­fe­ger lag. Er leis­te­te so­gar ein biss­chen Ar­beit; wie schon ge­sagt, feg­te er das Trep­pen­haus. Üb­ri­gens war die­ser Sach­se Lachs der­je­ni­ge, der die meis­ten Fress­pa­ke­te von Haus emp­fing; nur merk­te er lei­der nicht mehr, was er aß, ganz gleich, was der Ober­pfle­ger ihm in die Hand gab.

      Ein drit­ter, viel re­den­der Mann war ein drah­ti­ger Kran­ker mit scharf ge­schnit­te­nem Ge­sicht und ei­ner schmal­rücki­gen Ad­ler­na­se: Er sah aus wie ein weiß­häu­ti­ger Ara­ber. Er litt un­ter dem Wahn, eine da­mals sehr hoch­ge­stell­te po­li­ti­sche Per­sön­lich­keit ei­nes Nach­bar­vol­kes zu sein, die we­gen ih­rer Un­be­denk­lich­keit, ja ge­ra­de­zu we­gen ih­rer Mord­lust einen schlech­ten Ruf ge­noss. Die­ser Kran­ke ging im­mer al­lein im Kreis rund­um, oder er lehn­te auch ge­gen den Zaun, der un­ser klei­nes Gras­vier­eck von dem großen Ge­fäng­nis­hof ab­schloss. Wenn er da so lehn­te, mach­te er ganz den Ein­druck, als habe er da von eh und je ge­stan­den; sei­ne ge­bleich­ten, ent­färb­ten Klei­der ver­schmol­zen im Son­nen­licht, und sicht­bar blieb nur die­ser einst kühn ge­we­se­ne Ara­b­er­kopf, der im­mer­zu lach­te und re­de­te, lach­te und re­de­te.

      Das meis­te, was er lis­tig, mit ei­nem sar­do­ni­schen Ki­chern, vor sich hin schwätz­te, ist nicht wie­der­zu­ge­ben; er er­ging sich in lan­gen Aus­ma­lun­gen, wie er sei­nen Fein­den, weib­lich oder männ­lich, die Ge­schlechts­tei­le ab­schnitt, auf die ver­schie­dens­ten Ar­ten (die ge­nau aus­ge­malt wur­den) zu­be­rei­te­te und aß. Manch­mal aber er­ging er sich auch in Aus­füh­run­gen wie die­sen: »Es ist lo­gisch, dass man zu­erst in Lands­berg an der War­the die Prü­fung be­stan­den ha­ben muss, wenn man in Eng­land Feld­mar­schall wer­den will. An­ders geht es na­tür­lich nicht. Man trägt rechts einen ro­ten, links einen blau­en Lackstie­fel …«

      Ein Mit­ge­fan­ge­ner er­zähl­te mir, dass die­ser »Ara­ber«, Schnie­mann mit Na­men, frü­her viel ver­nünf­ti­ger und auch noch zu rich­ti­ger Ar­beit fä­hig ge­we­sen sei. Er war mit den an­de­ren Au­ßen­ar­bei­tern in die Stadt auf eine Fa­brik ar­bei­ten ge­gan­gen. Dort hat­te er einen Flucht­ver­such ge­macht, war aber wie­der ein­ge­fan­gen wor­den. Da er sich mit ei­ner fast tie­ri­schen Verzweif­lung ge­gen sei­ne er­neu­te Fest­nah­me wehr­te, war ein hef­ti­ges Ge­tüm­mel um ihn ent­stan­den; da­bei hat­te ei­ner auf sei­nen Arm ge­tre­ten, und der Arm brach. Als er aus dem Kran­ken­haus zu­rück­kehr­te, war er so ver­wirrt wie jetzt; den Arm, der schlecht ge­heilt war, be­nutz­te er nicht mehr, stän­dig hielt er die Hand die­ses Arms in der Ta­sche. Auch dies gab sei­ner trau­ri­gen Ge­stalt eine un­ver­ge­ss­li­che, cha­rak­te­ris­ti­sche Note.

      1 An­ge­hö­ri­ger ei­nes si­bi­ri­schen Volks­stam­mes <<<

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      Die­se drei Ge­stal­ten, de­ren man üb­ri­gens rasch müde wur­de, da sie sich nie ver­än­der­ten, nie et­was Neu­es bei ih­rem Ge­re­de hin­zu­kam, wa­ren aber auch die Ein­zi­gen, die in der Frei­stun­de spra­chen, alle an­de­ren, an die zwan­zig Mann, wa­ren stumm, dös­ten vor sich hin oder gin­gen in ei­nem fins­te­ren Schwei­gen her­um. Sie er­schie­nen mir im­mer wie eine graue, farb­lo­se Mas­se, aus der sich nichts ab­zeich­ne­te. Wohl wa­ren sie nach Her­kunft, Al­ter, Aus­se­hen ver­schie­den ge­nug, ich kann­te alle ihre so ver­schie­de­nen Ge­sich­ter, aber da sie nie eine Mei­nungs­äu­ße­rung von sich ga­ben, da ich nie ir­gen­det­was Per­sön­li­ches von ih­nen er­fuhr, nicht ahn­te, was sie freu­te und be­trüb­te, da ich sie stän­dig in ei­nem mür­ri­schen und gleich­gül­ti­gen Schwei­gen da­hinve­ge­tie­ren sah, da es kei­ner­lei »Son­der­zü­ge« an ih­nen zu be­ob­ach­ten gab, tat ich sie in die Spar­te des Gleich­gül­ti­gen und In­dif­fe­ren­ten, von dem ich auch nichts be­rich­ten kann.

      Eine Aus­nah­me hier­von mach­te al­lein ein Epi­lep­ti­ker, ein äl­te­rer Mann, mit dem ich gleich in den ers­ten Ta­gen einen Zu­sam­men­stoß hat­te, der im­mer mein Feind ge­blie­ben ist, denn er war im höchs­ten Gra­de reiz­bar und dann als hem­mungs­lo­ser Schlä­ger be­rüch­tigt, dem es auch auf einen Mord nicht an­ge­kom­men wäre.

      Da ich nicht zu den Au­ßen­ar­bei­tern ein­ge­teilt wor­den war, brauch­te ich nicht zehn Mi­nu­ten vor sie­ben Uhr mor­gens auf dem Hof an­zu­tre­ten, und ich be­nutz­te die Zwi­schen­zeit bis zum Be­ginn mei­ner Ar­beit, um mich im Wasch­raum ein zwei­tes Mal und et­was gründ­li­cher zu wa­schen. Am frü­hen Mor­gen, wenn an fünf Wasch­be­cken in noch nicht zwan­zig Mi­nu­ten sich sechs­und­fünf­zig Ge­fan­ge­ne rei­ni­gen soll­ten, war an ir­gend­wel­che gründ­li­che Rei­ni­gung kein Ge­dan­ke. Man hielt den Kopf un­ter den lau­fen­den Was­ser­hahn, spül­te die Hän­de ab, und fer­tig war die Wä­sche für den Tag!

      Den meis­ten Mit­ge­fan­ge­nen ge­nüg­te die­se flüch­ti­ge Rei­ni­gung auch voll­kom­men, Sei­fe spiel­te da­bei nur eine ge­rin­ge Rol­le, Zahn­bürs­ten be­sa­ßen nur zwei oder drei. Ein­mal in acht Wo­chen wur­de die gan­ze Sta­ti­on un­ter ein sehr pri­mi­ti­ves Brau­se­bad ge­führt und warm ab­ge­duscht, es gab aber vie­le, die sich mit List auch die­ser sel­te­nen gründ­li­che­ren Rei­ni­gung zu ent­zie­hen wuss­ten. Was mich an­geht, so konn­te ich mich noch nicht so­fort von den Ge­wohn­hei­ten ei­nes vier­zig­jäh­ri­gen Le­bens tren­nen (spä­ter wur­de ich auch gleich­gül­ti­ger).

      Wie schon ge­sagt, hielt ich eine zwei­te, gründ­li­che­re Wa­schung nach dem Früh­stück ab, wenn die Sta­ti­on durch den Aus­zug der Au­ßen­ar­bei­ter ru­hi­ger ge­wor­den war. Um die­se Zeit feg­te der epi­lep­ti­sche äl­te­re Mann un­se­re Zel­le, und wenn ich vom Wa­schen zu­rück­kam, feg­te er sie noch im­mer, denn das ging nur lang­sam bei ihm, wenn auch nicht gründ­lich. Er sah es wohl schon mit schee­len Au­gen an, wenn ich mich