Rudolf Alexander Mayr

Lächeln gegen die Kälte


Скачать книгу

Ellenbogen durch unsere Reihen nach vorn und baute sich vor dem Captain auf.

      „Kennen Sie Herrn …?“ Er nannte einen asiatischen Namen. Der Captain starrte ihn verständnislos an, und Herr X half seinen grauen Zellen auf die Sprünge: „Der Chef von …“ und nannte eine Weltvereinigung von Fluglinien. Der Captain starrte ihn an. Herr X starrte zurück. „Wenn Sie uns nicht umgehend und sofort von hier wegbringen, dann können Sie Ihre Karriere beim Reinigungspersonal in der Flughafentoilette von Kathmandu beschließen!“

      Der Captain war wie ausgewechselt. Fast demütig gab er seine Zustimmung zum Verkleben der Flugzeugtür. Dann kletterte ich über das Cockpit in den Fahrgastraum und spannte die Tür mittels eines Zugknotens, den ich in das Kletterseil machte, in den Rahmen. So, es konnte losgehen.

      Und während ich noch sinnierte, über welch dunkle Kanäle unser Kölnisch-Wasser-Entwender den allerhöchsten Chef dieser Weltvereinigung kennen mochte, war meine Gruppe mithilfe der Sherpas schon fleißig dabei, unser Gepäck heranzuschaffen. Doch noch einmal widersetzte sich der Pilot unseren Wünschen, ein letztes Mal erfolgreich: „Sie müssen das Gepäck hierlassen“, sagte er, „denn sonst sind wir zu schwer. Nur die allernötigsten Kleidungsstücke, die Sie am Körper tragen, und die Waschutensilien, die können Sie mitnehmen!“

      „Wir werden Ihnen den Rest des Gepäcks nachschicken“, versprach der Oberkapo.

      „Umgehend. Mit einem der nächsten Flugzeuge!“ (Wir sollten unsere Ausrüstung nie wieder sehen.)

      Zweifelsfrei handelte es sich beim folgenden Start des Flugzeugs um den spannendsten in meinem Leben. Und das wird wohl so bleiben. Links und rechts der Rollbahn hatten sich sämtliche Touristen aufgestellt (es mussten inzwischen an die sechshundert sein), während der Captain und sein Co das Flugzeug in Startposition brachten. Die Schnauze wies nach unten. Die Piloten ließen die Motoren zur höchsten Umdrehungszahl aufheulen und lösten dann die Bremsen. Das Flugzeug raste und schleuderte und schaukelte über die butterweiche Rollbahn tiefer, während links und rechts die Touristenmenge klatschte und johlte. Die Mitglieder meiner Gruppe hatten sich angeschnallt, den Kopf auf die Arme gelegt und die Augen geschlossen, wie man es bei den Sicherheitshinweisen immer lernt, aber ich sah für mich selbst keine Veranlassung mehr dazu. Ich stand hinter dem Captain und sah, wie der Schweiß in Strömen von seinem Hinterkopf lief und sein Hemd verfärbte. Das Flugzeug schleuderte, bevor wir abhoben, wollte es noch seitlich ausbrechen, aber die Piloten hatten es im Griff und wir waren in der Luft! Sie richteten die Schnauze des Geräts wieder zur Flugrichtung. Im Fahrgastraum war es totenstill. Nicht einmal „Die Mission ist erfüllt!“ war zu hören. Und es blieb totenstill bis zur Landung. Als das Flugzeug auf dem Inlandsflughafen ausgerollt war, blieben wir alle noch eine oder zwei Minuten sitzen. Dann drehte der Captain langsam den Kopf und blickte mich lange an. Es lag in seinen Augen ein brüderlicher Ausdruck, etwas, das im Empfinden ähnlich sein mochte wie dasjenige von Flugzeugentführern und Geiseln, nachdem sie gerade eine gemeinsame Bruchlandung überlebt haben. Ich werde diesen Blick nie mehr vergessen. Er trug dazu bei, dieses Land in den folgenden Jahrzehnten wieder und wieder zu bereisen.

      Es war elf Uhr. Von der Ankunftshalle konnten wir hinter einer hohen Mauer die Heckflossen unserer Thai-Maschine sehen und die Triebwerke laufen hören. Sie war knapp vor dem Start. Wir eilten im Laufschritt zur Abflughalle des Internationalen Flughafens.

      Herr X steuerte, gemeinsam mit mir, eine Gruppe von Thai-Bediensteten an. Einer davon trug ein Funkgerät. Es musste der Stationsmanager sein. Herr X wechselte einige hastige Worte mit ihm, wieder verstand ich den gleichen Namen und die gleiche Vereinigung wie schon in Lukla.

      Der Stationsmanager sprach aufgeregt in sein Funkgerät. Wenige Minuten später hörte man, wie die Triebwerke der Thai-Maschine gedrosselt wurden.

      Ein allerletztes Riesenproblem war, dass wir keine Pässe dabei hatten. Denn in Nepal ist es üblich, am Beginn der Tour die Pässe im Büro der Expeditionsagentur in Kathmandu zu lassen, weil man sie ja zur Bergbesteigung nicht braucht, und stattdessen eine Besteigungsgenehmigung mit Namen mitführt.

      Wie aber kamen wir nun möglichst schnell zu unseren Pässen? Ich wollte mir ein Taxi nehmen und in die Stadt rasen, aber der Stationsmanager wies mich darauf hin, dass gerade der König samt Gefolge von einem Staatsbesuch zurückgekehrt war.

      „Und was hat das mit uns zu tun?“, fragte ich.

      „Nun ja, die Straßen zwischen dem Flughafen und dem Königspalast im Zentrum sind gesperrt. Wegen der Parade!“

      Auch das noch. Es blieb uns wirklich nichts erspart. Rat suchend blickte ich in die Runde, während ich draußen die Triebwerke der Thai-Maschine laufen hörte.

      „Wie lange werden die Straßen gesperrt sein?“

      „Nicht mehr lange, Sir. Vielleicht zwei oder drei Stunden.“

      Aus. Es war vorbei. Der einzige Weiterflug der ganzen Woche würde ohne uns abheben.

      „Kann man telefonieren?“

      „Wir haben normalerweise ein Telefon, Sir.“ Er wies mit dem Kinn zu einer Säule, an der ein schwarzes Telefon aus Bakelit hing. „Aber leider, Sir, es ist seit einigen Tagen außer Betrieb!“

      Ich ließ meinen Blick Rat suchend durch die Halle schweifen. An der Stirnwand hing ein Ölbild des Königs samt Familie. Ich beschloss, dass ich kein Monarchist war (niemand konnte damals ahnen, dass der arme Birendra samt Großfamilie fünfundzwanzig Jahre später bei einem konzertierten Attentat sein Leben lassen würde).

      „Und das Telefon funktioniert wirklich nicht?“

      „Nein, Sir. Leider, Sir.“

      Bedauernd blickte ich noch einmal zum Telefon. Da kam mir eine Idee. Neben dem Telefon stand schon die ganze Zeit ein etwa fünfzehnjähriger Nepalese und beobachtete uns. Er hatte ein sympathisches, offenes Gesicht und lächelte mir nun zu.

      „Willst du dir hundert Dollar verdienen?“, sagte ich zu ihm.

      „Aber gern, Sir.“

      „Hast du ein Motorrad?“

      „Nein, Sir. Das kann ich mir nicht leisten.“

      „Auch kein Fahrrad?“

      „Nein, Sir. Aber ich könnte mir eines ausleihen.“

      Ich kritzelte die Adresse des Stadtbüros unserer Expeditionsagentur auf einen Zettel. Dann übergab ich ihm fünfzig Dollar: „Nur die Pässe. So schnell wie möglich. Und wenn du zurückkommst, erhältst du die anderen fünfzig!“

      „Aber ja, Sir. Gern, Sir!“

      Ich sah ihn davonlaufen und wieder begann eine quälende Zeit des Wartens, in der wir die immer noch laufenden Triebwerke unserer wartenden Maschine hörten.

      Nach einer Stunde war der Junge wieder da und trug in einem Plastiksäckchen unsere Pässe. Am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen.

      Wir eilten im Laufschritt unter Begleitung der Thai-Bediensteten zum Zoll. Aufgeregt sprach der Stationsmanager in sein Funkgerät. Die Papiere meiner Gruppe waren bald abgestempelt, als ich, als Letzter, aufgehalten wurde.

      „Was ist denn jetzt schon wieder?“

      Der Zollbeamte wies mit dem Finger auf einen handgeschriebenen Eintrag in meinem Pass. One Walkman With Him, stand da. Mein Gott, darauf hatte ich ganz vergessen. Ich hatte den Walkman beim Rückmarsch vom Berg der Frau eines bekannten Bergsteigers geliehen, die gerade zu einem hohen Berg aufbrachen. Und nun hatte ich ihn nicht dabei, um ihn wieder auszuführen. Ich versuchte mit Händen und Füßen dem Zollbeamten zu erklären, dass es sich hier nicht um eine groß angelegte Schmuggelaktion handele, sondern um ein Missverständnis, aber er verstand kein Englisch und verweigerte mir den Ausreisestempel. Durch die verdreckten Scheiben des Flughafens sah ich schon meine Gruppe die Gangway hinaufsteigen und mich alleine zurücklassen, da ergriff einer der Thai-Bediensteten in einem günstigen Augenblick einfach den Stempel des Zollbeamten, drückte ihn in meinen Pass, und sie nahmen mich an beiden Seiten und rannten mit mir auf das Rollfeld, während uns schreiend und protestierend der