Rudolf Alexander Mayr

Lächeln gegen die Kälte


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und zum Sitz geleitet. Das Flugzeug war, mit Ausnahme unserer freien Sitze, voll besetzt mit Amerikanerinnen reiferen Alters. Sie hatten tapfer und ohne Protest stundenlang wegen uns ausharren müssen. Das Flugzeug hob endlich ab, nach Erreichen der Reiseflughöhe servierten die Stewardessen gerade das Essen, als uns der Captain über den Bordlautsprecher als Himalayabergsteiger vorstellte. Da rührte keine der Amerikanerinnen, die neben uns saßen, ihr Essen an. Sie warteten, bis wir unsere Portionen aufgegessen hatten, und schoben uns dann die ihren unter mitleidigen Blicken herüber. Nie mehr in meinem Leben sind mir ältere Damen mit blauen Haaren, strassbeklebten Brillen und grünen Lippen so sympathisch gewesen.

      In Bangkok wurden wir von einem Bus abgeholt und ins reservierte Hotel gebracht. Es war das Hotel Oriental, das in diesen Jahren gerade zum wiederholten Male zum besten Hotel der Welt gekürt worden war.

      Wir betraten die Halle, in deren Mitte ein etwa dreißig Meter hoher Wasserfall herunterfiel und goldbetresste Bedienstete die Messinggeländer der Treppenaufgänge polierten, und näherten uns im Gänsemarsch der riesigen Rezeption. Die meisten von uns trugen noch ihre grauen, lodenen Knickerbocker, karierte Hemden und unförmige Expeditionsschuhe aus Plastik. In den Händen hielten wir durchsichtige Plastiksäckchen, darin gut sichtbar die Zahnbürsten und Waschutensilien, das einzige Gepäck, das mitzunehmen uns erlaubt gewesen war. So standen wir also, im besten Hotel der Welt, eine müde, stoppelbärtige Karawane, und zeigten unsere Pässe. Der Chefrezeptionist hüstelte.

      „Entschuldigen Sie, Sir, woher kommen Sie?“

      Wenn ich behauptet hätte, dass ich Amundsen sei und der neben mir stehende Herr X mein Begleiter Hansen und der Rest meiner Gruppe meine Schlittenhunde wären und wir gerade vom Nordpol oder Südpol kämen, hätten die Rezeptionisten auch nicht verwunderter geblickt. So aber sagte ich ganz einfach: „Aus dem Himalaya.“

      „Aus dem Himalaya“, wiederholte der Empfangschef.

      „So ist es!“

      „Sehr wohl, Sir!“

      Und während die Rezeptionisten uns alle für einige Sekunden ungläubig anstarrten, hörte ich aus der Warteschlange hinter mir halblaut die Worte: „Meine Mission ist erfüllt!“

      Ja, dachte ich mir. Die meine auch.

       MANGALE

      Die schönsten Zeiten mit Mangale waren, wenn wir um das Herdfeuer einer Hütte saßen, sich nach und nach die einheimischen Träger und Sherpas dazugesellten und er, der Sirdar, zu erzählen begann. Dann wurde es im Kreis sehr ruhig, und nur gelegentlich, wenn er sein für ihn typisches Räuspern einlegte, zündete sich der eine oder andere eine Zigarette an oder schenkte sich aus dem Krug nach.

      Mangale zu beschreiben, gelingt mir am besten, indem ich eine Comicfigur aus meiner Kindheit verwende. Ich habe eine solche Figur als Miniaturpuppe besessen und musste im Fasching, beim Kindermaskenumzug, selbst solcherart maskiert gehen, wahrscheinlich, weil es für Mutter am einfachsten war, mich so zu verkleiden: als Mecki mit seiner Igelfrisur und den großen Geheimratsecken. Eine solche Maske war in jedem Geschäft billig zu erstehen, dazu ein rupfener Sack mit ausgeschnittenen Ärmeln, und der Auftritt war perfekt. Später, schon etwas größer, hab ich dann als „Neger gehen“ müssen, mit einem Bastrock und einer schwarzen Pudelmütze, das war ebenso einfach, denn schwarze Schminke ist schnell aufgetragen. Entsprechend missgelaunt sehe ich auf diesen Bildern aus, wenn ich heute im Familienalbum blättere, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

      Mangale Sherpa jedenfalls hatte etwas vom Gesicht dieses Mecki, die stachelige Frisur, die Geheimratsecken, die dreieckigen Augen, die immerzu treuherzig blickten, die leicht nach oben gebogenen Mundwinkel, die ihm etwas Heiteres, Niedliches verliehen. Allerdings waren seine Lippen immer geschwollen und von Fieberblasen übersät, große, gelbe Fisteln und Flecken, und seine Unterlippe in der Mitte durch einen Hauteinriss geteilt, der mich allein durch das Hinsehen schon schmerzte. Ich brauchte Jahre, um daraufzukommen, dass die Fieberblasen immer dann besonders groß waren, wenn Mangale mit einer Gruppe unterwegs war, sie mussten durch Stress und seelischen Druck entstanden sein. Erst als ich ihm eine ganze Kurpackung Zovirax (als Salbe und in Tablettenform) mitgebracht hatte, ausreichend für drei oder vier Monate, gelang es mir, ihm zu helfen.

      Damals schon fiel mir auf, dass die Sirdars häufig unter Fieberblasen litten und dass Sherpas, die von einer Expedition auf einen hohen Berg zurückkamen, wie die Schlote rauchten und wie die Bürstenbinder soffen, während andere, normale Trekking-Sherpas, kaum oder gar nicht rauchten. Es wird wohl auf die Belastungen zurückzuführen sein, die die Climbing Sherpas mit den ihnen Anvertrauten haben.

      Eine der Stärken Mangales war, neben seinem Organisationstalent, zweifelsfrei sein Hang zur Komik und sein Talent, andere zu imitieren. Dazu gab es genügend Gelegenheiten, denn Mangale war ein vielbeschäftigter Mann. In der Frühjahrs- und Herbstsaison war er meistens mit mir und meiner Gruppe unterwegs, aber auch mit deutschen Gruppen. Im Sommer, während der Regenzeit, verdingte er sich für indische Agenturen und führte in Ladakh, wo der Monsun nicht hinkommt, weil er sich an der Südabdachung des Himalaya bricht. Im Winter führte er Japaner oder Inder und in manchen Sommern amerikanische Geologen im Annapurnagebiet oder im Dolpo oder Mustang. Daher konnte er auf einen reichen Fundus zurückgreifen, wenn er verschiedenste Nationen auf ihrem Weg durch die Berge imitierte. Sherpas sind ja im Allgemeinen sehr zurückhaltend, was Äußerungen über Touristen anderen Touristen gegenüber betrifft. Aber weil mich mit Mangale ein jahrelanges freundschaftliches Verhältnis verband, ließ er mich eines Abends an seinem Talent teilhaben.

      „Seepp“, sagte er mit tiefer Stimme.

      Jooo“, entgegnete er sich selbst.

      „Pipipause.“

      „Jooo.“

      Mangale ging hinter einen Baum, mimte das Öffnen der Hosentür, und sein Gesicht nahm einen sinnenden Ausdruck an, während er „psch …, psch…, psch“ flüsterte.

      Das war die bayrische Gruppe. Oder:

      „Oh look, honey“, sagte er mit heller Stimme, und sein Blick nahm einen weltfernen, begeisterten Ausdruck an. Er blickte dorthin, wo hinter einem Rücken der Dhaulagiri und die ihn umgebenden Siebentausender stehen mussten.

      Nun mimte er das Gegenüber der Amerikanerin, indem er einen Schritt zur Seite trat, und mit tiefer Stimme „yes, my dear?“ erwiderte.

      „Isn’t that gorgeous?“

      „Oh, it’s marvellous, honey.“

      So bekamen die Amerikaner ihr Fett ab. Die eher kollektive Erscheinungsform einer japanischen Gruppe imitierte er, indem er von einem zum anderen sprang und dazu in schneller Folge japanische Entzückensbemerkungen von sich gab. Sherpas erlernen die japanische Sprache ja relativ leicht. Wir lachten uns bei dieser Darstellung schief.

      Damals gab es im Solo Khumbu, der Heimat der Sherpas, noch keinen Fernseher, und natürlich auch keine Tageszeitung. Das mochte mit ein Grund dafür sein, warum die Sherpas ein dermaßen gutes Gedächtnis haben: weil sie durch nichts abgelenkt sind. Ich war oft bass erstaunt, wenn mich jemand nach zehn Jahren Abwesenheit sofort wieder erkannte und sich minutiös an jedes Wort unseres damaligen Gesprächs erinnerte.

      Unsere letzte gemeinsame Tour führte im Frühjahr 2001 zum Tilicho Peak. Der Tilicho Peak ist ein Teil der Annapurnagruppe und ragt unmittelbar hinter dem Tilicho Lake etwa siebentausendzweihundert Meter in den tintenblauen Himalayahimmel hinein. Dabei ist Tilicho Lake eigentlich ein Pleonasmus, denn etymologisch stammt der Name aus dem Thakali: dili heißt entfernt, entlegen, und Tsho heißt See. Also bedeutet Tilicho entlegener See. Man sagt, es sei der höchste See der Welt.

      Wir schlugen das Basislager an seinem östlichen Ufer auf. Es hatte in den Tagen vorher über einen Meter Neuschnee gegeben. Die konkav angeordneten Siebentausender wirkten in ihrem gnadenlosen Weiß wie ein Brennglas. Niemals wieder habe ich erlebt, dass man unter der Strahlung der Sonne dermaßen leiden kann, wie wir es damals taten. Manche von uns versuchten, sich gleich zwei Gletscherbrillen übereinander aufzusetzen und zusätzlich noch jede