gebraucht hätten und die Bauern in dieser Gegend besonders geldgierig seien, und blickte mich dermaßen treuherzig mit seinen Mecki-Augen an, dass ich seufzend bezahlte. Es waren zwei Jahresgehälter eines nepalesischen Lehrers.
Im darauffolgenden Herbst war ich wieder im Himalaya unterwegs. Der Große Tendy, mein Agenturchef in Kathmandu, berichtete, dass Mangale in Amerika untergetaucht sei. Amerikanische Geologen, mit denen er während des Sommers im Dolpo oder in Mustang unterwegs gewesen war, hatten ihn danach zu sich nach Hause eingeladen. Nach Ablauf des Visums sei er untergetaucht.
Nun wusste ich, wofür Mangale die Überlinge bei der Abrechnung gebraucht hatte, und auch meinen Sturmanzug sollte ich in den nächsten Wochen wiedersehen, allerdings von jemand anderem getragen. Der Große Tendy, mit einem solchen Feingefühl ausgestattet, wie es eben den Sherpas zu eigen ist, tröstete mich, indem er erzählte, dass auch er seinem alten Freund aufgesessen sei. Er habe ihm vor der Abreise nach Amerika den Auftrag gegeben, eine Steinmauer um sein Haus zu bauen und sie einen Meter tief im Boden zu vergraben. Die Mauer war schließlich fertig, und Tendy fragte ihn, Mangale, ob er sie auch wirklich einen Meter tief in der Erde verankert habe. „Freilich“, habe Mangale treuherzig versichert, und seinen Lohn dafür bekommen. Beim nächsten Monsunregen im folgenden Sommer war die gesamte Mauer eingestürzt, weil Mangale die Steine nur auf die Wiese gelegt und aufgeschichtet hatte.
Ein Jahr später war ich wieder mit der gleichen Sherpatruppe unterwegs. Ich hatte in den Weihnachtstagen zuvor eine Karte aus New York mit Grüßen von Mangale erhalten, ohne weitere Angaben, und wohlweislich ohne Absender.
Am ersten Abend unseres Unterwegsseins saßen wir wieder mit Einheimischen in einer Hütte um ein Feuer, wie früher mit Mangale. Nur diesmal wollte keine rechte Unterhaltung aufkommen. Schließlich fragte ich in die Runde, ob einer wüsste, was eigentlich Mangale arbeite, dort in New York. Keiner wusste es.
„Weißt du es?“, fragten sie mich. Ich erinnerte mich an Mangale als stolzen Sirdar, der mir, immer wenn wir auf einem Gipfel gesessen waren, aufrechten Hauptes erklärt hatte, dass dies „ihre“ Berge, ihre Heimat sei: „aurr maunttäns“ und „aurr madderländ“. Wie alles immer um ihn ruhig geworden war, wenn er am Lagerfeuer zu erzählen begann. Dann stellte ich mir vor, wie er nun, als einer von Millionen Schwarzarbeitern, zusammen mit Chinesen und Schwarzafrikanern und Mexikanern in einem Kellerloch hausen würde, in ständiger Angst vor der Polizei, und im Hinterzimmer eines schmuddeligen Restaurants Geschirr spülte.
Ich erinnerte mich an Mangales Talent, einen Yak aufzuzäumen, mit dem richtigen Zugknoten mithilfe nur einer Hand und nur einer Bewegung die Last festzuzurren; auf fünf- oder sechstausend Metern Höhe bei Windgeschwindigkeiten von über hundert Stundenkilometern und Minusgraden eine kleine Zeltstadt aus dem Boden wachsen zu lassen, immer die Nerven zu bewahren, alle Lasten gerecht zu verteilen und eine Gruppe von fünfzig, sechzig Trägern, Küchenjungen, Köchen, Climbing Sherpas zu führen. Keine dieser Fähigkeiten würde er in New York wohl brauchen können.
„Geschirrspüler“, sagte ich schließlich. „Geschirrspüler. Was will er sonst in New York machen, allein und ohne Arbeitsgenehmigung?“
Alle um mich herum schwiegen bestürzt. Chicken Lama, einer meiner Küchenjungen und dazu der kleinste von allen, stocherte mit einem Ast im Feuer, zündete sich schließlich daran eine Shikar an.
„Dedschi diver“, sagte er schließlich und lachte. „Dedschi diver“, wiederholten die anderen und lachten.
Das Nepalesische ist ein Sammelsurium von Lehnwörtern. Dedschi ist nepalesisch und bezeichnet den Blechteller, von dem man in der Regel das Dhal Bat isst. Diver ist englisch und heißt Taucher. Dedschi diver ist also der Tellertaucher. Also der Abwäscher.
Nun wiederholte auch ich den Ausdruck. Da brach plötzlich ein Sturm des Gelächters los, wir lachten und lachten und wiederholten dedschi diver, dedschi diver, dedschi diver.
Wie jemand, der am Grab eines Freundes steht und vor lauter Trauer einen Lachanfall erleidet, weil er gar nicht anders kann, gerade in einer solchen Groteske lachten wir und lachten und lachten und konnten nicht mehr aufhören.
SUNDARE
Wir saßen im Küchenzelt des Basislagers am Putha Hiunchuli. Mit uns war mein alter Freund Helge, dieses Mal fest entschlossen, einen siebentausendzweihundert Meter hohen Berg, eben den Putha Hiunchuli, zu besteigen. Bei der Ankunft am Tag vorher hatte ich feststellen müssen, dass meine letzten Zigaretten völlig durchnässt waren, und ich hatte sie sorgfältig in der Nachmittagssonne getrocknet. Nun hatten sie eine braune, unansehnliche Farbe angenommen. Ich war bereit, sie brüderlich mit Salami Dawa zu teilen, und bot ihm die erste an. Er nahm sie, drehte sie für eine Weile nachdenklich in den Fingern und entzündete sie. Wir taten die ersten tiefen Züge. Der Geschmack war grauenhaft. Nicht umsonst hießen sie ja auch Yak.
Auch mit Sundare habe er einmal eine solche Zigarette geraucht, sagte Dawa.
„Du hast ihn gut gekannt?“
„Ja“, sagte Dawa.
„Wie lange ist das her, als er von der Brücke sprang? Zehn Jahre, fünfzehn?“
„Länger“, sagte Dawa. Er tat einen tiefen Zug, denn wir befanden uns hier auf genau fünftausend Metern Höhe, und die Zigaretten drohten wegen des Sauerstoffmangels alle Augenblicke zu verlöschen.
„Zwanzig“, sagte Dawa dann, stieß den Rauch in die Luft und sah ihm versonnen nach.
„Er war ein guter Mensch. Stets bereit, anderen zu helfen.“
„Wie hast du ihn kennengelernt?“
„In einem Metzgerladen in Naxal. Er hatte gerade einen Schlaganfall hinter sich und konnte die linke Seite kaum bewegen. Ich sagte zu ihm: ‚Du musst Sundare Sherpa sein‘, aber er kannte mich nicht. Doch er öffnete seine Windjacke und zeigte mir den Orden des Königs, den er immer bei sich trug. Dieser Orden war sein ganzer Stolz. Dann fragte ich ihn, ob ich ihn zu einem Tee oder Kaffee einladen könnte. Aber er antwortete: ‚Ich habe schon zwei Gläser Rakhsi intus.‘ Da habe ich für ihn noch einen halben Liter Rakhsi gekauft. Nachdem er den Rakhsi ganz allein getrunken hatte, fragte er mich, ob ich ein Trekking über den Thorong La leiten wolle. Ich war auf der Suche nach Arbeit und antwortete deshalb hocherfreut: ‚Aber gern!‘ Sundare sagte: ‚Dann lass uns zum Büro der Nepal Mountaineering Association (NMA) gehen.‘ Wie du dich erinnerst, Rudi Sir, war die NMA damals am Eingang nach Thamel. Wir gingen also hin und ins Büro des Direktors. Der sprang von seinem Stuhl auf, als er Sundare sah, und salutierte vor ihm. Dann sagte Sundare und wies mit dem Kinn zu mir: ‚Das ist Dawa. Er ist mein Freund. Übermorgen soll er mit einer Gruppe von sieben Personen zum Thorong La gehen.‘ Der Direktor stand stramm und sagte: ‚Selbstverständlich, Sundare Sir, warum nicht. Ich werde Dawa die Aufgabe übergeben!‘
Ein Blick aus dem Küchenzelt zeigte uns, dass die Sonne im Untergehen begriffen war. Es wurde merklich kälter, und ich fühlte die Kälte des Erdbodens durch meine nassen Schuhe höhersteigen.
Joglal, der Koch, brachte uns einen Becher Tee, und wir rührten den Zucker um und zogen an unseren Zigaretten. „So hat also deine Sherpa-Laufbahn angefangen.“
„Ja“, sagte Dawa. „So hat sie angefangen. Ich war noch sehr jung. Zwanzig vielleicht.“ Wieder zog er an seiner Zigarette. Er sah, dass sie ausgegangen war, und ließ den Stumpen auf den Boden fallen. „Sundare war sogar noch jünger, als seine Karriere begann.“
„Sundare ist eigentlich ein seltener Name bei den Sherpas, oder?“
„Ja, schon. Eigentlich heißt es Sungdare. Der Name bedeutet magic man. Ein Zauberer. Sundare wurde in Lower Pangboche geboren. Im Alter von zehn Jahren schon ging er als Yakboy zum Kala Pattar, um den Dung einzusammeln und zu Hause einheizen zu können. Im Alter von fünfzehn nahm ihn sein Cousin, der Trekking Sirdar war, mit zum Kala Pattar und zum Everest Basecamp. Sundare war ein sehr freundlicher Bub, und deshalb nahm ihn sein Cousin mit zur Mountain Travel Agentur nach Kathmandu.
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