Patricia Vandenberg

Im Sonnenwinkel Staffel 5 – Familienroman


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Miene war verschlossen. Niemand konnte ergründen, was hinter dieser glatten Kinderstirn vor sich ging.

      »Ich habe einen Beruf«, erklärte Arndt als Ausrede.

      »Arbeiten kannst du doch hier«, meinte Tini. »Bambis Papi arbeitet auch zu Hause.«

      »Papi nicht fortfahren!«, jammerte Jill.

      Es war so, als spürten sie, dass sich etwas verändern könnte, aber Roni verstand sie zu trösten, und Steffi sagte: »Papi ist doch immer mal weggefahren. Da habt ihr euch nie angestellt.«

      Eine Aggressivität war in ihrer Haltung, wie sie vorher nie spürbar gewesen war.

      Roni glaubte auch eine seltsame Distanz des Kindes gegen Arndt zu erkennen.

      Der Abschied war irgendwie beklemmend.

      »Ich rufe jeden Abend an«, versprach Arndt.

      *

      »Du bist vielleicht komisch, Steffi«, hörte Veronica Tini sagen. »Papi muss doch Geld verdienen. Und jetzt ist es gar nicht so schlimm, wenn er weg ist. Wir haben doch Roni.« Zu der inneren Unruhe, die Roni ängstigte, kam nun auch noch das Gefühl, dass ausgerechnet sie diejenige sein könnte, die ungewollt die Kinder Arndt entfremdete. Das durfte auf keinen Fall geschehen.

      Wenn sie doch nur gewusst hätte, was einmal kommen würde, wenn sie mit den Kindern doch über ihre Mutter hätte sprechen können, um ihnen das nötige Verständnis für sie zu vermitteln.

      Sie war mit ihren Gedanken immer bei Arndt, und die Kinder merkten, dass sie geistesabwesend war.

      »Du machst dir auch Sorgen, dass Papi wieder krank werden könnte«, sagte Steffi.

      »Nein, nein«, erwiderte Veronica rasch, »er ist jetzt wieder ganz gesund.«

      »Was denkst du denn?«, fragte Tini.

      »Daran, dass wir jetzt fleißig Klavier üben sollten«, lenkte sie ab. »Es ist sowieso regnerisch.«

      »Willst du auch üben?«, fragte Steffi. »Geht es deiner Hand besser, Roni? Otti hat gesagt, dass du sehr schön Klavier spielen konntest.«

      Das hätte Otti lieber für sich behalten sollen, aber man konnte ihr keinen Vorwurf machen.

      Sie spielte den Kindern etwas vor, aber die noch immer schmerzende Hand ließ kein ausdrucksvolles Spiel zu. Doch die Kinder lauschten andächtig.

      »Wenn ich doch auch erst richtig spielen könnte!«, seufzte Tini.

      »Ich lerne es«, sagte Steffi. »Ich lerne es ganz bestimmt.«

      An diesem Abend kam sie wieder zu Veronica ins Zimmer. Diesmal nicht voller Angst, sondern nachdenklich.

      »Weißt du, wohin Papi gefahren ist?«

      Veronica schüttelte den Kopf. Es fiel ihr schwer, eine Lüge auszusprechen. Steffi betrachtete sie forschend.

      »Hat Papi gar nichts gesagt?«, fragte sie weiter.

      »Nein.«

      »Er ist wieder zu ihr gefahren!«, stieß das Kind hervor. »Er fährt immer zu ihr, das weiß ich.«

      »Was willst du damit sagen, Steffi?«, fragte Veronica heiser.

      »Sie ist nicht tot. Du denkst das vielleicht. Sie haben sie mit dem Krankenwagen weggebracht, und ich weiß genau, dass sie noch im Krankenhaus ist. In einem, das weit weg ist.«

      Steffi sah Veronica mit todtraurigen Augen an.

      »Wenn sie wiederkommt und wenn wir von dir wegmüssen, will ich lieber tot sein. Ich habe so viel Angst, Roni.«

      Wenn ich doch wenigstens mit einem Arzt darüber sprechen könnte, dachte Veronica. Man kann doch nicht zulassen, dass dieses kleine Geschöpf noch an Verfolgungswahn zu leiden beginnt.

      »Möchtest du mir nicht alles erzählen, Steffi?«, fragte sie sanft.

      »Ich mag doch nicht daran denken, aber ich muss. Als wir hierhergezogen sind, dachte ich, dass sie nun bestimmt nicht mehr wiederkommt. Und wenn sie nun doch kommt und Jill dann wirklich zum Fenster hinauswirft?«

      Veronica wurde von Grauen geschüttelt. »Das darfst du nicht denken«, sagte sie bebend. »Euer Papi hat euch doch lieb.«

      »Aber sie kann uns nicht leiden, weil wir Mädchen sind. Sie hat es doch gesagt. Ich kann es nicht vergessen, Roni.«

      Es muss etwas geschehen, dachte Veronica. Wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken.

      »Jetzt denken wir ganz schnell an etwas anderes, Steffi«, meinte sie. »Soll ich dir wieder eine Geschichte erzählen?«

      »Noch mal die mit den Veilchen und dem Glückskäferchen«, bat sie mit ersticktem Stimmchen.

      »Es waren einmal zwei Veilchen«, begann Veronica, aber die Stimme wollte ihr nicht gehorchen.

      »Die standen weit auseinander«, fuhr Steffi fort. »Sie konnten sich nur anschauen, aber nicht miteinander sprechen, weil der Wind immer im Gras rauschte. Nun erzähl du weiter, Roni.«

      »Da kam ein Glückskäferchen zu dem einen Veilchen und merkte, dass es traurig war. Das Veilchen erzählte ihm, dass es so gern mit dem anderen Veilchen sprechen wolle und dass sie sich nicht verständigen könnten. Da sagte das Glückskäferchen, dass es dem anderen Veilchen alles sagen wolle, und so flog es immer wie ein Briefchen zwischen den Veilchen hin und her und sagte beiden, was das andere sich wünschte. Nämlich, dass es schön wäre, wenn sie dicht beieinander sein würden und nicht gar so verlassen, dass sie sich dann nicht fürchten müssten, wenn der Regen herunterprasselte, und dass es nicht gar so schlimm wäre, wenn die Sonne auf sie herabbrannte. Doch nun war das Glückskäferchen ihr Freund geworden und trug die Grüße zwischen ihnen hin und her.«

      Sie machte eine Pause, weil sie daran dachte, dass auch Arndt und sie, obgleich unter einem Dach, weit entfernt voneinander waren, aber doch durch die Kinder verbunden, die sie beide liebten.

      »Sind die Veilchen nie welk geworden?«, fragte Steffi nachdenklich.

      »Doch, alle Blumen welken.«

      »Aber im nächsten Jahr kommen sie dann wieder, nicht wahr, Roni?«

      Veronicas Gedanken kehrten in die Wirklichkeit zurück.

      »Ja, im nächsten Jahr kamen sie wieder«, sagte sie, »und da waren noch viele Veilchen dazugekommen.«

      »Eine ganze Veilchenfamilie«, bemerkte Steffi sinnend, und ihr Blick schweifte träumerisch in die Ferne. »Wenn wir doch auch eine richtige Familie wären, wenn wir uns doch nie mehr trennen müssten. Kann das im nächsten Jahr nicht auch bei uns so werden?«

      Tief gerührt nahm Veronica das Kind in die Arme.

      »Dann müsste es aber auch so sein, dass alles vergessen ist, was vorher war, Steffi. So war es bei den Veilchen nämlich auch.«

      »Ist das Glückskäferchen dann immer zu ihnen gekommen?«, fragte das Kind.

      »Das brauchte nun nicht mehr zu kommen. Es hat sich wieder andere Blumen gesucht, die nicht so glücklich waren wie die Veilchen und denen es helfen konnte.«

      Mein Gott, was erzähle ich da, ging es ihr durch den Sinn. Was dichte ich da nur zusammen? Aber Steffi glaubte noch an Märchen, und als sie dann eingeschlafen war und Veronica sie betrachtete, sah sie ein verklärtes Lächeln auf dem Kindergesicht.

      Wenn solche Märchen dazu gut waren, wollte sie noch viele erfinden, die immer den gleichen Sinn hatten, nämlich Hoffnung zu erzeugen.

      *

      Arndt hatte die Nacht wie immer in einer kleinen Pension verbracht, die nicht weit entfernt von dem Sanatorium lag.

      Man kannte ihn hier schon, und wenn er auch nichts darüber sagte, so wusste man doch, dass er kam, um einen Patienten zu besuchen. Es stiegen mehrere Gäste aus dem gleichen Grund hier ab, nur waren sie meist mitteilsamer als er.