denn sie legte viel Wert auf deren Meinung.
»Nein, dann mag sie ihn nicht«, erwiderte Bambi. »Ist sie denn zu eurem Papi immer noch nett?«
»Jetzt ist er ja nicht da«, meinte Steffi.
»Wo ist er denn?«, fragte Bambi.
»Verreist.«
»Wieder mal«, schloss Tini sich an.
Unterdessen unterhielt Veronica sich mit Inge Auerbach. Rein zufällig erwähnte diese, dass Dr. Allard von der Sternseeklinik ein sehr erfahrener Kinderarzt sei.
Eigentlich durch Lisanne von Jostin war das Gespräch auf ihn gekommen, die mit ihrem Mann zu Besuch am Sternsee weilte. Sie hatte angerufen, weil sie die Auerbachs gern sehen wollte.
»Die kleine Lisanne«, bemerkte Inge Auerbach gedankenvoll. »Wie hübsch ihre Stimme klingt. Man kann es fast nicht glauben, dass sie lange Jahre stumm war.«
»Stumm?«, fragte Veronica bestürzt.
»Ja, durch einen Schock hatte sie die Sprache verloren. Dr. Allard hat sich sehr bemüht, aber erst durch einen neuen Schock wurde sie dann geheilt. Jetzt ist sie die glückliche Frau von Michael von Jostin, dessen Schwester mit Dr. Allard verheiratet ist.«
So ergab eins das andere, und Veronica erfuhr so viel über Nicolas Allard, dass sie sich vornahm, einmal mit ihm über Steffi zu sprechen. Das brauchte Arndt nicht zu wissen. Aber sie wollte nichts versäumen, um dieses Kind vor seelischem Schaden zu bewahren.
*
Arndt wollte nicht früher heimfahren, als er angekündigt hatte. Er wollte aber auch Gillian nicht noch einmal besuchen.
Professor Bernreuter hatte ihm gesagt, dass sie ein Beruhigungsmittel bekommen hätte und nun wieder in ihren Dämmerzustand verfallen wäre. Er wollte ihn auf dem laufenden halten.
Arndt fuhr ziellos durch die Gegend. Er konnte keine Ordnung in seine Gedanken bringen. Dann aber fiel ihm doch ein, dass er versprochen hatte, daheim anzurufen.
Daheim! Ja, es könnte ein wirkliches Zuhause sein, diese weiße Villa am Sternsee. Aber sie und Veronica gehörten zusammen, und Veronica erschien ihm jetzt unerreichbarer denn je.
Wie sollte es für sie ein Zusammenleben geben unter diesen Voraussetzungen? Es war undenkbar!
Der Anruf kostete ihn große Überwindung, aber als er dann Veronicas Stimme vernahm, war nur noch heiße Sehnsucht in ihm.
»Ich vermisse dich«, bekannte er. »Ich möchte so gern mit dir sprechen, und wenn wir uns dann morgen wiedersehen, weiß ich wieder nicht, was ich sagen soll.«
Dann kamen die Kinder nacheinander ans Telefon, und auch Jill krähte ihr »Papi, Papi!«, hinein.
Gillian war ihre Mutter. Er sah sie vor sich, und wieder überfiel ihn Angst.
Am nächsten Morgen goss es in Strömen. Die Kinder konnten nicht aus dem Haus.
»Ob ich mal für eine Stunde weg kann?«, fragte Veronica Otti.
»Warum denn nicht? Ich passe schon auf.«
Sie wunderte sich ein wenig, dass Veronica vorher noch ein Telefongespräch führte.
Den Kindern sagte sie, dass sie zum Zahnarzt müsse. Da wollten sie von sich aus schon nicht mit.
Veronica fuhr zur Sternseeklinik. Sie wurde von Dr. Allard erwartet. Der Name Auerbach war Empfehlung genug.
Der Anfang fiel ihr schwer, aber Dr. Allard hatte so viel Einfühlungsvermögen, dass sie ihm dann alles sagen konnte, was sie bedrückte.
»Der Vater der Kinder darf nicht wissen, dass ich mit Ihnen darüber spreche«, erklärte Veronica.
»Keine Sorge«, versicherte Dr. Allard, »aber vielleicht macht er sich ähnliche Gedanken.«
»Muss man sie sich machen, Herr Doktor?«, fragte Veronica.
»Das kann ich nicht sagen. Dazu müsste ich das Kind einmal testen. Wir müssen uns etwas einfallen lassen.«
Sie verabredeten dann, dass sie einmal mit Bambi einen ganz ungezwungenen Besuch in der Sternseeklinik machen sollten, bei dem er Steffi in Augenschein nehmen könnte.
Als Veronica heimfuhr, wusste sie nicht, was sie erwartete.
*
»Können wir ein bisschen Versteck spielen, Otti?«, fragte Tini.
»Meinetwegen, wenn das Haus nicht zusammenfällt«, antwortete sie gutmütig.
»Wann kommt Roni wieder?«, wollte Steffi wissen.
»Wenn sie fertig ist.«
»Zahnarzt gehen ist nicht schön«, meinte Tini schaudernd. »Na, dann spielen wir Versteck, bis Roni kommt.«
Es ging eine ganze Weile gut und ziemlich lautlos vonstatten. Otti bereitete in der Küche das Mittagessen. Jill kam angetrippelt. Sie bewegte sich auch allein schon völlig sicher im Haus.
»Steffi nicht da«, sagte sie. »Jill hat Hunger.«
»Wir essen, wenn Roni kommt«, erklärte Otti.
Da ging auch schon die Tür auf. Doch im gleichen Augenblick ertönte aus dem Obergeschoss lauter Krach. Es war Steffis Stimme, aber sie überschlug sich, dass die Worte kaum verständlich waren. Dabei stampften Füße auf den Boden.
Veronica lief die Treppe empor, während Otti Jill zurückhielt und auf den Arm nahm.
Tini stand an der Treppe, mit schreckensweiten Augen.
»Steffi schreit«, stammelte sie. »Ich kann nicht rein. Die Tür ist zu.«
»Wo?«, fragte Veronica atemlos.
»Wo die ganzen Sachen drin sind.«
Es war das Schrankzimmer. Der Drehknopf war ein bisschen kompliziert, aber Veronica bekam ihn gleich auf.
»Geh zu Otti«, rief sie Tini zu, und sie war erleichtert, dass Tini auch gleich folgte, denn Steffi stand da und trampelte auf Gillians Bild herum.
Das Gesicht war tränenüberströmt und verzerrt und sie stammelte immer wieder: »Nun ist sie tot, nun ist sie tot! Ich brauch’ sie nicht mehr zu sehen!«
Die Leinwand war zerfetzt, und Veronica hielt das zitternde, schluchzende Kind in den Armen. Das jammervolle Weinen wollte kein Ende nehmen.
Veronica trug Steffi in ihr Zimmer, und während Steffi ihren Kopf in den Kissen vergrub, griff sie zum Telefon und wählte Dr. Allards Nummer.
»Hier spricht Veronica Hellwege«, sagte sie. »Ich wäre dankbar, wenn Dr. Allard schnell kommen könnte.«
Steffis Weinen verstummte. Das Kind starrte Veronica an.
»Warum hast du gesagt Hellwege?«, fragte sie.
»Weil ich so heiße.«
»Aber so heißt die Dame, der das Haus gehört«, meinte Steffi, wenn auch bebend, so doch mit normaler Stimme.
»Das Haus gehört mir, Steffi«, erwiderte Veronica, die nicht mehr zu Lügen Zuflucht nehmen wollte.
»Dir? Und du gehst nie fort von uns?«, fragte das Kind das, was ihm so ungeheuer wichtig schien.
»Ich gehe nie fort. Ich bleibe immer bei euch«, versicherte Veronica.
»Und sie kommt nicht her«, sagte Steffi. »Sie kann uns nichts mehr tun.« Der Kinderkörper entspannte sich. »Sie wollte mir wieder weh tun, Roni«, flüsterte sie. »Sie hat mich genauso angeschaut wie damals, aber diesmal habe ich mich gewehrt.«
»Ja, es ist gut, mein Kleines«, bemerkte Veronica tröstend.
»Warum hast du den Doktor angerufen?«, fragte das Kind.
»Damit er nachschaut, dass dir auch nichts passiert ist.«
Sie