gut. Toll! Sollte ich Mönch werden? Theologie studieren?
Schon früh lernte ich, dass auch Lehrer und Lehrerinnen nur Menschen waren, die mal ausbrechen konnten. Im vierten Schuljahr geschah solches auf eine derart drastische Art und Weise, dass sich dieses Erleben, dieses Mitdabeisein in mein Gehirn eingegraben hat. Mein Mitschüler Klaus hatte seine Schulaufgaben nicht gemacht. Wir Schüler wussten davon, hatte er uns doch vor der Schulstunde davon berichtet. Klaus log, dass er seine Hausaufgaben zuhause vergessen hätte. Die wären gemacht, aber lägen nun unnützer Weise zuhause. Was sollte er jetzt tun?
Frau Gronna, unsere Klassenlehrerin, ließ sich darauf ein. „Na gut“, sagte sie. „Dann hol sie eben.“ Und als Klaus sich nicht rührte fügte sie an: „Jetzt!“
Wir Mitschüler waren baff. Den langen Weg nach Hause und zurück. Runter vom Berg und wieder rauf auf einen Berg. Dann wieder runter vom Berg und wieder rauf auf den anderen Berg und die Hausaufgaben zeigen. Um dann am Schulschluss am Nachmittag wieder den Berg runter und rauf... Egal. Klaus stand auf und latschte nach Hause. Er sollte sich beeilen, gab die Lehrerin ihm noch mit auf den Weg. Sie würde auf die Uhr schauen. Für alle anderen Kinder ging der Unterricht weiter.
Es war so gegen 10.00 Uhr. In etwa einer Stunde müsste der Weg zu schaffen gewesen sein, wenn man sich beeilte. Klaus war wieder da. Aber er hatte über 2 Stunden gebraucht. Die große Pause war schon vorbei und wir saßen wieder im Klassenraum. Frau Gronna wollte die Hausaufgaben sehen. Klaus gab ihr sein Aufgabenheft. Ein Geschmiere und Gekleckse mit dem Tintenfüller und Tintenkiller. Eine wahre Freude der Anarchie. Gar nicht zur Freude von Frau Gronna.
„Warum hat das so lange gedauert? Das Geschreibsel kann man nicht lesen. Hast Du die Hausaufgaben zuhause schnell noch geschrieben?“
Klaus stammelte ein klares nein. Er hätte die Hausaufgaben nur von zuhause geholt. Frau Gronna ließ nicht locker und glaubte Klaus Ausführungen nicht. Sie schrie immer wieder: „Lüge, alles Lügen!“ Plötzlich, wie von der Tarantel gestochen, sprang die gute Frau Gronna auf, schnappte sich den Holzzeigestock und den armen kleinen Klaus und die ganze Klasse wurde Zeuge eines brutalen Überfalls. Ruckzuck legte Frau Gronna unseren Klaus über ihr Knie und es zischte der Stock und knallte laut auf Klaus Hintern. Einmal, zweimal, dreimal, es hörte nicht auf. Immer fester schlug Frau Gronna zu und war wie im Rausch. Dabei schrie sie immer weiter. „Alles Lüge. Du Lügner. Du lügst mich an.“ Und so weiter und so weiter. Jeder Schlag knallte durch das Klassenzimmer. Wir Mitschüler waren erstarrt. Keiner rührte sich. Jedem gingen die Schläge unter die Haut und brannten sich ins Hirn. Wir waren geschockt. Uns stockte der Atem. Die Frau hörte und hörte nicht auf. Wieder und wieder schlug sie zu. Eine solche Furie war uns bis dahin nicht untergekommen. Wieder schlug sie zu und nochmals, bis der Stock auf dem zarten Kinderhintern zerbrach. Dann endlich hörte sie auf. Klaus heulte. Dicke Tränen liefen ihm die Wangen runter.
Wie hörte das dann auf? Ging Klaus einfach auf seinen Platz? Rannte er raus? Konnten wir einfach so mit dem Unterricht fortfahren? Ganz ehrlich – ich weiß es nicht mehr. Nur die Schläge begleitet von dem unheimlichen Stocksausen der durch die Luft fuhr, sind mir seitdem ins Gedächtnis eingebrannt.
Es war eine beklemmende Situation, eine unbekannte Atmosphäre. So etwas hatten wir noch nie erlebt und erleben müssen.
Ungestraft blieb der Ausbruch der Frau Gronna nicht. Die Eltern hatten sich beim Direktor über den Gewaltausbruch dieser Frau beschwert. Frau Gronna musste sich vor uns Schülern erklären und entschuldigen. Das war alles? Ich hätte mir gewünscht, wir Schüler hätten alle einmal auf Frau Gronna einschlagen dürfen. Aber das geschah dann doch nicht.
Unsere Klassenlehrerin in der Grundschule blieb Frau Gronna. Ich hätte mir einen Unterricht unter einem Klassenlehrer kaum vorstellen können, denn meine ersten Schuljahre wurden nur von Frauen bestimmt. Vier Jahre Grundschule bei Frau Gronna, dann bei einer Frau Mikko und später zweieinhalb Jahre Frau Resse. Im 8ten, 9ten und 10ten Schuljahr bekamen wir einen Herrn Bille vor das Lehrerpult geklemmt und schon gingen meine guten Noten runter. Irgendwie hatte ich wohl Schwierigkeiten einen Mann als Lehrer ernst zu nehmen. Das spielerische Lernen hörte schlagartig auf und der große Kampf um Wissen und Zensuren begann. Ich konnte mit dem Herrn Bille nix anfangen. Und plötzlich hatten wir überall Lehrermänner. In Geschichte, Politik, Erdkunde, Physik und Chemie, Deutsch und Religion. Nur noch in dem Schulfach Englisch gab es eine Frau, aber diese Dame hat mir echt das Englische völlig vermiest. Bis heute. Doofe Kuh, die! Nee, ich war doof, dass ich das alles so ernst nahm, dass ich nicht mehr englisch sprechen wollte. Aber das ist eine andere Geschichte und diese wird später noch genauer erzählt werden.
Aus meinem eBook SPIELWIESE:
Meine erste Theatererfahrung war im Alter von 10 Jahren im vierten Schuljahr. Unsere Klassenlehrerin Frau Gronna kam auf die grandiose Idee ein Theaterstück mit den „lieben“ Kleinen aufzuführen. DER FEHLERTEUFEL sollte gespielt werden.
Ich weiß überhaupt nichts mehr von diesem Stück, keinen Inhalt, keine Rollen und von wem das Stück stammt. Es gab in den 1970er Jahren einen ULI – DER FEHLERTEUFEL. Ob unser Stück eine Umsetzung der Figur in ein Theaterstück war, ist mir heute nicht mehr bekannt. Wikipedia schreibt (Zitat): Uli der Fehlerteufel ist eine Figur von Ilse Herrndobler. Die Figur trieb in den 1970er und 1980er Jahren ihr Unwesen in Rechtschreibfibeln westdeutscher Grundschüler. In diesen Fibeln und Arbeitsheften verdrehte er die Buchstaben, stahl Großbuchstaben, Satzzeichen oder sogar ganze Wörter. Aufgabe der Kinder war es, diese Fehler zu berichtigen. „Uli“ lebte in Lesebüchern und Sachkundeheften der Grund- und Sonderschulen. In Auslandsschulen von mehr als 50 Staaten wurde er zu einer gezielten Grundlage für die Beherrschung der deutschen Sprache im Unterricht eingesetzt. Aha! Aber, wie schon geschrieben, weiß ich es nicht genau, ob dieser Uli Anlass für unser Stück gleichen Namens war.
Ich bekam leider nur eine kleine Rolle und hatte so gar keine Lust darauf. Ich hätte gerne die Hauptrolle gespielt, aber die war schon vergeben und wurde von einem Mädchen verkörpert. Und gut verkörpert, dass musste ich zugeben. Aber der Fehlerteufel ein Mädchen? Ganz schön cool und locker ging ihr Spiel über die Bühne. In mir nagte mein Ego an sich selbst. Ich wollte mehr als ich wahrscheinlich konnte, wollte gefordert und gefördert werden, aber ich stand nun mal nicht hoch im Kurs unserer Lehrerin.
Vielleicht hätte ich mehr Zutrauen zu mir selbst, mehr Mut und Courage gefunden oder erwecken können, aber ich hatte schon vor meiner kleinen Rolle absoluten Schiss in der Buchse. Ich wollte doch gar nicht im Mittelpunkt stehen und spürte doch, dass ich es wollte. Ja, was denn nun? Ja oder nein? Nein, oder Ja? Nein, lieber nein.
Weil ich unglücklich über meinen wenigen Text war und noch weniger Spielfreude entwickeln durfte in meinen zwei Auftritten, kam die Lehrerin auf die glorreiche Idee, dass ich noch ein Lied anstimmen sollte. Das Lied „So ein Tag, so wunderschön wie heute...“ Mir graute davor die Stimme zu erheben und mir verschlug es eher die Sprache, als dass ich einen ganzen Saal mitreißen wollte. Kurzum, das Lied wurde von mehreren angestimmt. Ich war zwar unter diesen, aber eben nicht mehr der Vorsänger. Später habe ich mir deshalb immer Vorwürfe gemacht. Warum hatte ich nicht den Mut und habe einfach gesungen. Es war das Lampenfieber, vor anderen Mätzchen zu machen. Es steckte einfach nicht in mir. Dachte ich zumindest damals. Bevor ich in eine Rolle schlüpfen konnte, musste ich mir sicher sein, musste ich üben und üben und mit gut zureden, hätte ich es dann auch spielen können. Also doch keine Rampensau.
Der Theaternachmittag kam. Im großen Saal des „Lennestein Altena“, die einzige große Bühne, der einzige Saal mit Platz für 400 Leute, war gut gefüllt von unseren Klassen der Schule. Kinder, Mitschüler und ihre vor Stolz platzenden Eltern saßen gespannt im Saal. Auch meine Eltern freuten sich auf das Bühnenspektakel mit ihrem Sohn. Mein Auftritt rückte näher und näher. Mein Puls ging schneller und schneller. Wie heiße ich nochmals? Wo bin ich? Was für einen Text sage ich? Plötzlich war alles irgendwie weg und nur mit Mühe konnte ich auf die Bühne. Meine zwei Sätze gesagt und das war es dann auch schon. Schnell noch das Lied mitgesungen und hoffentlich das Ganze vergessen. Aber so einfach war das nicht. Mein Auftritt blieb meinen Eltern unvergessen und ich höre heute noch oftmals: „Du hast dich im Lennestein hinter den anderen versteckt und warst