Leben schwerzumachen.«
Mervin äußerte sich nicht dazu, doch Lilian blickte den Geisterdetektiv verblüfft an.
»Sie wollen doch nicht behaupten, daß es bei uns richtig spukt?« rief sie. »Was haben wir mit den Leuten zu tun, die vor hundert Jahren umgekommen sind?«
Rick hob abwehrend die Hände. »Hören Sie auf, Miss Harper«, sagte er hastig. »Ich habe genug Probleme am Hals. Ich will mich mit niemandem streiten. Lassen Sie mir meine Meinung, ich lasse Ihnen die Ihre.«
Mervin Sanders riß sich zusammen. »Ich muß meine Dienststelle verständigen«, entschied er. »Und zwar sofort. Ich kann nicht mehr allein die Verantwortung für die Ereignisse tragen.«
Er ging in den angrenzenden Raum. Dort stand das Funkgerät, über das ›Charly‹ mit der Außenwelt Kontakt hielt.
Rick folgte ihm nicht. Es ging ihn nichts an, was Mervin durchgab. Berichtete er die Wahrheit, wurde er nicht für voll genommen. Erfand er eine Ausrede, war sie für Ricks Arbeit unwichtig.
Sehr wichtig war jedoch, was Mervin Sanders wenige Minuten später meldete.
»Wir sind abgeschnitten. Ich bekomme keinen Funkkontakt mehr.«
Lilian Harper überprüfte das Funkgerät und holte einen Spezialisten zu Hilfe. Auch Red ließ es sich nicht nehmen, die Anlage zu kontrollieren.
Er konnte nichts anderes feststellen, als die übrigen Mitglieder der Besatzung.
Ab sofort waren sie ganz auf sich selbst angewiesen.
*
Rick Masters war keineswegs davon überrascht, daß die Funkverbindung gestört war. Er hatte es schon erwartet, als der Sturm an Stärke zunahm.
Wenn Geister und Dämonen zuschlugen, sorgten sie dafür, daß die Betroffenen von außen keine Hilfe holen konnten. Diesmal war die Hilfe jedoch schon da. Rick Masters, der Geisterdetektiv aus London.
Allerdings hatte auch Rick keine Garantie darauf, daß er jeden seiner Fälle lebend und heil überstand. Bisher hatte er alle Probleme gelöst, aber manchmal war er nur haarscharf an einer Katastrophe vorbeigekommen. Und in einigen Fällen hatte er einiges abbekommen.
Dazu zeichnete sich noch ein weiteres Problem ab. Die Geister hatten ihm offen gezeigt, wer sie waren und weshalb sie diese Station angriffen. Normalerweise versuchten Wesen aus einer anderen Dimension, ihre Herkunft zu verschleiern. Solange Rick nämlich nicht genau wußte, gegen wen er kämpfte, war es für ihn schwieriger.
Daß sich die Geister so offen identifizierten, konnte zwei Gründe haben. Entweder waren sie aufgrund ihrer Herkunft nicht angreifbar. Oder sie waren so stark, daß sie Rick ruhig ihr Entstehen offenbaren konnten.
In beiden Fällen mußte Rick Masters mit dem Schlimmsten rechnen. Daher verlor er keine Zeit und wandte sich an den Leiter der Station.
»Du solltest dafür sorgen, Mervin, daß ständig jemand am Funkgerät sitzt. Außerdem solltest du Wachen an die beiden Eingänge stellen, also an die Schleuse und an den Notausgang.«
»Wird gemacht«, versprach der Meteorologe.
»Außerdem solltest du diesen Leuten eine Alarmanlage mitgeben«, schlug Rick vor. »Ich meine, damit sie im Falle einer Gefahr sofort allgemeinen Alarm auslösen können und nicht erst zum nächsten Telefon laufen müssen. Dafür haben sie vielleicht keine Zeit mehr.«
Mervin Sanders runzelte die Stirn. »Du glaubst wirklich, daß wir so massiv angegriffen werden?«
»Sehr leicht möglich«, gab der Geisterdetektiv zu. »Übrigens gib dich keinen falschen Hoffnungen hin. Die Geister und Dämonen müssen nicht von außen in die Station eindringen. Sie können mitten in der Zentrale oder in jedem anderen Raum erscheinen.«
Mervin machte ein betroffenes Gesicht. »Weshalb läßt du dann die Eingänge bewachen?« fragte er verständnislos.
Rick zuckte die Schultern. »Man kann nie vorsichtig genug sein. Du wirst das noch erleben, wenn dieser Spuk lange dauert. Ich sehe mich jetzt draußen um.«
Der Leiter von ›Charly‹ zog ein ratloses Gesicht. »Na ja, und was ist mit diesem Red? Er hat doch angeordnet, daß ohne seine ausdrückliche Erlaubnis…«
Rick winkte ab. »Die Anordnungen dieses Wichtigtuers interessieren mich nicht. Ich gehe jetzt.«
Der Geisterdetektiv zog in seiner Unterkunft die dicke Fellkombination und die schweren Stiefel an, steckte Schneebrille, Pistole und Silberkugel in die Taschen und stapfte zur Schleuse.
Red zeigte sich nicht, und die Wissenschaftler, die am Eingang Wache hielten, öffneten sofort für ihn die Tür. Sie stellten keine Fragen.
Der Geisterdetektiv trat ins Freie. Er mußte sich gegen den Sturm stemmen, der ihn gegen die Außenwand von ›Charly‹ drückte. Nur nach und nach gewöhnte er sich an die extremen Bedingungen. Das hier war schon etwas anderes als der Winterregen in London. Das war ein sommerlicher Schneesturm auf der südlichen Halbkugel der Erde. Er hatte ja nach Süden fliegen wollen, sich aber wahrscheinlich in seinem Ziel verspekuliert. ›Charly‹ lag zu weit sündlich, dachte der Geisterdetektiv mit Galgenhumor und machte sich auf den Weg.
Er hatte keine genaue Vorstellung, was er hier draußen suchen sollte. Er mußte aber die Station verlassen, so lange er drinnen keinen Anhaltspunkt entdeckte.
Die Expedition, die vor ungefähr hundert Jahren ums Leben gekommen war, hatte in dieser Gegend das Ende gefunden. Deshalb setzte Rick im Freien den Hebel an.
Er umrundete ›Charly‹. Von außen wirkte die Station wie ein riesiger Maulwurfshügel. ›Charly‹ verschwand fast vollständig unter einer Schneekuppel. Ein gewaltiger Iglu, dachte der Geisterdetektiv.
Er fand den Noteingang. Dieser bestand aus einer langen Röhre, in der ein Erwachsener gebückt gehen konnte. Die Röhre war so angelegt, daß sie nicht so leicht zugeweht wurde. Rick überprüfte den Zugang, fand ihn frei und völlig unverdächtig.
Er wandte sich der Umgebung zu. Nun wurde es gefährlich, aber nicht wegen der Geister, sondern wegen des Wetters. Wenn er sich zu weit von ›Charly‹ entfernte, fand er den Weg nicht mehr zurück.
Rick kämpfte sich vorsichtig durch den tiefen Schnee. Und das nannte sich Sommer, dachte er noch, dann erstarrte er.
*
Nur wenige Schritte neben ›Charly‹ erhob sich ein haushoher Eisblock. Er war Rick schon bei seiner Ankunft aufgefallen, aber nur, weil er so schön und imposant wirkte.
Doch nun ging eine grauenhafte Veränderung mit dem Gebirge aus Eis vor sich.
Der Block spaltete sich in der Mitte. Der Riß wurde breiter und breiter. Dahinter war eine dunkle Masse zu erkennen.
Ehe Rick handeln konnte, zeichnete sich durch das Eis hindurch eine Bewegung ab. Es sah aus, als wäre da drinnen ein Mann eingeschlossen, der dem Geisterdetektiv zuwinkte.
Mit ohrenbetäubendem Krachen brach der Eisblock vollständig in zwei Teile.
Der erste Eindruck hatte nicht getäuscht. Es war tatsächlich ein Mann im Eis eingeschlossen gewesen. Aber es handelte sich jedoch nicht um einen lebenden Menschen.
Es war ein Dämon!
Die Fellkleidung hing ihm in Fetzen um den hageren Körper. Aus den Ärmeln ragten lange, knochige Finger, über die sich braune, lederartige Haut spannte. Das Gesicht wirkte wie ein Totenschädel, über den jemand gelblich verfärbtes Pergament gezogen hatte.
Eine lebende Mumie. Ein Untoter.
Rick Masters wich zurück. Er kannte die unheimlichen Kräfte, die in lebenden Leichen steckte. Ein gewöhnlicher Mensch konnte ihnen nichts entgegensetzen.
Seine Pistole war völlig wertlos. Seine Silberkugel hätte ihn vielleicht gegen den Untoten geschützt, doch Rick wollte es auf keinen Kampf ankommen lassen.
Er zog sich weiter zum