Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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die Spra­che ver­lo­ren hat­te und auf kei­ne sei­ner Fra­gen Ant­wort gab, aber de­sto eif­ri­ger war ihm zu die­nen, aus den ver­schie­de­nen Rum­pel­kam­mern mehr Ge­gen­stän­de her­bei, als der ge­nüg­sa­me Wan­de­rer be­durf­te, ließ es sich auch nicht neh­men, die Lie­ge­statt aus sei­nem ei­ge­nen zwar gro­ben aber blü­ten­wei­ßen Wä­sche­be­stand zu über­zie­hen. Nur eins be­rei­te­te ihm Sor­ge, der Man­gel an Be­leuch­tung.

      Wir ha­ben kein elek­tri­sches Licht hier oben, in der Herr­schafts­woh­nung sind wohl Pe­tro­le­um­lam­pen, aber kein Pe­tro­le­um, ich sel­ber be­hel­fe mich mit ei­nem alt­mo­di­schen Öl­lämp­chen und kann dem Herrn nichts an­bie­ten als ein eben­sol­ches.

      Dies sa­gend stell­te er eine der ho­hen tos­ka­ni­schen Mes­singlam­pen, ein blitz­blank glei­ßen­des Ding mit zier­li­chen Kett­chen, wor­an Putz­sche­re und Ver­schluss­de­ckel hin­gen, auf den Tisch. Aber die Bim­ba, wie die Klei­ne ge­nannt wird, springt leicht­fü­ßig weg und bringt auf der ab­ge­bro­che­nen Spit­ze ei­nes al­ten Kan­de­la­bers den Stum­pen ei­ner arm­di­cken Wachs­ker­ze. Auch ein Glas und zwei Kar­af­fen, die eine mit Was­ser, die an­de­re mit Wein, holt das eif­ri­ge Kind von selbst her­bei, wo­für sie vom Groß­va­ter be­lobt wird, der kein Ende fin­det mit Ent­schul­di­gun­gen, dass er ei­nem sol­chen Herrn nichts Bes­se­res zu bie­ten habe, und nicht ruht, bis die­ser we­nigs­tens sei­nem Wein die Ehre an­ge­tan hat.

      End­lich al­lein ge­las­sen, be­ginnt der Gast sei­ne Mus­te­rung. Der Him­mel bleibt nach Son­nen­un­ter­gang hoch und hell, kaum dass ein Stern mit noch blas­sem Schein hin­durch­dringt; so sind die Tep­pich­schil­de­rei­en noch wie am Tage kennt­lich. In der lin­ken Ecke be­ginnt er sei­ne For­schung, ver­mei­nend sie der Rei­he nach wie eine Schrift ent­zif­fern zu kön­nen. Was wer­den die stum­men Mün­der ihm sa­gen?

      Der ers­te Tep­pich dürf­te der äl­tes­te sein, die Far­ben sind am schlech­tes­ten er­hal­ten, und die Stilart weist am wei­tes­ten zu­rück. Da sieht man eine mit­tel­al­ter­li­che Stadt­mau­er, durch vor­tre­ten­de Wehr­tür­me ver­stärkt, ein Tor von ge­zack­ten Zin­nen ge­krönt, und hoch oben zwi­schen den Zin­nen, de­ren eine nie­der­ge­legt ist, steht eine schlan­ke Mäd­chen­ge­stalt in rei­chen Ge­wän­dern mit kleid­sa­mem Kopf­putz. Sie hat bei­de Hän­de auf die Brust ge­legt und spricht zu ei­nem Rit­ter, der sich au­ßen in fast glei­cher Höhe ihr ge­gen­über be­fin­det. Auch er legt eine Hand be­teu­ernd ans Herz; wor­auf er ei­gent­lich steht, lässt sich nicht mehr er­ken­nen, weil die Schil­de­rei ge­ra­de an die­ser Stel­le stark be­schä­digt ist. Zu sei­nen Fü­ßen la­gert Kriegs­volk in Rast, Hel­le­bar­den sind in Py­ra­mi­den auf­ge­stellt, Zel­te ver­lie­ren sich nach der rech­ten Ecke zu. Was ha­ben die bei­den Haupt­ge­stal­ten mit­ein­an­der zu re­den? Es kann kei­ne krie­ge­ri­sche Ver­hand­lung sein, was sie füh­ren, ob­gleich die Stadt mit Krieg über­zo­gen scheint. Nach ih­ren Ge­bär­den zu schlie­ßen, han­delt es sich um die al­ler­per­sön­lichs­ten Din­ge, die Mann und Weib sich zu sa­gen ha­ben. Wa­rum aber in sol­cher Öf­fent­lich­keit und so hoch oben in der Luft? Wa­rum in­mit­ten krie­ge­ri­scher Zu­rüs­tun­gen? Denn auch hin­ter der Schö­nen steht ein Ge­wapp­ne­ter. Wel­che Stadt schickt ihre jun­gen Mäd­chen zur Un­ter­hand­lung mit dem Feind? Ja, wel­che Stadt? Das wäre vor al­lem zu er­grün­den. Aber ist nicht da oben an der Rand­leis­te seit­lich ein Wap­pen­schild zu er­ken­nen? Ein Löwe ne­ben ei­nem Palm­baum. Das Wap­pen von Vi­ter­bo. Vi­ter­bo, der Stadt, die von je auf ihre schö­nen Frau­en wie auf ihre schmu­cken Brun­nen ge­pocht hat. Ja, nun weiß er plötz­lich, wen er vor sich hat: Ge­grüßt, schö­ne Ga­lia­na, Wun­der von Vi­ter­bo, um das vor­einst von die­sen Mau­ern her­ab ge­strit­ten wur­de wie von den Mau­ern Tro­jas um die Toch­ter der Leda. Je­der Be­su­cher Vi­ter­bos kennt dei­nen Na­men, je­dem hat man dei­nen Wohn­sitz und dein Grab ge­zeigt. Aber die­ser kun­di­ge Wan­ders­mann weiß mehr von dir als alle an­de­ren, er hat an Ort und Stel­le dei­nen hol­den Geist be­schwo­ren, als er ein­mal auf der Fahrt nach Rom in Vi­ter­bo ras­te­te und man ihm un­ter den an­de­ren stei­ner­nen Merk­wür­dig­kei­ten der ed­len Stadt je­nen ei­gen­ar­ti­gen Söl­ler zeig­te, der den Na­men bal­co­ne del­la bel­la Ga­lia­na führt. Vi­ter­bo hat die­ser so­ge­nann­ten Bal­ko­ne noch meh­re­re, ihre Be­son­der­heit ist, dass sie nicht aus der Palast­mau­er her­austre­ten, son­dern dem Haus auf selt­sam schie­fen Bo­gen vor­ge­la­gert und durch ein Tor ge­gen die seit­lich ge­le­ge­ne Freitrep­pe ab­ge­schlos­sen sind, also einen schüt­zen­den Vor­bau dar­stel­len. Als sich nun der Frem­de er­kun­dig­te, wer die­se Ga­lia­na ge­we­sen, von de­ren Schön­heit die Stei­ne noch heu­te re­den, da wies man ihn auf den Rat­haus­platz vor die Kir­che Sant’ An­ge­lo, wo ein an­ti­ker Mar­mor­sar­ko­phag an der äu­ße­ren Kir­chen­mau­er an­ge­bracht ist, und be­rich­te­te ihm, dass in die­sem Be­hält­nis die Ge­bei­ne der schö­nen Ga­lia­na ru­hen, um de­ren Be­sitz Vi­ter­bo in grau­er Vor­zeit einen grau­sam har­ten Kampf ge­gen rö­mi­schen Über­griff zu be­ste­hen hat­te. Mehr konn­te der Fra­ger nicht er­fah­ren. Aber sein un­still­ba­rer Durst nach wun­der­sa­men Ge­schich­ten aus frü­he­ren ein­fäl­ti­gen Ta­gen ließ ihm kei­ne Ruhe, dar­um ver­schaff­te er sich die Chro­nik von Vi­ter­bo, all­wo er ne­ben ei­nem lan­gen und lang­wei­li­gen Kla­ge­ge­sang auf den Tod der schö­nen Ga­lia­na so son­der­ba­re An­ga­ben über die­ses Schön­heits­wun­der und sei­ne Ge­schich­te fand, dass kein heu­ti­ger Mensch Un­schuld ge­nug auf­brin­gen kann um sie zu glau­ben. Also schüt­te­te er das Kind mit dem Bade aus und hielt die gan­ze Ga­lia­na für die Hirn­ge­burt ei­nes wahn­wit­zi­gen Schrei­bers.

      Als er je­doch den Stra­ßen­lärm hin­ter sich ließ und der al­ten Stadt­mau­er folg­te, wo sie sich mit Tür­men und Bas­tei­en tief un­ten im Grün des Ta­les halb ver­birgt, ge­sell­te sich ihm der Ge­ni­us loci, von dem sich man­ches er­fra­gen lässt, wor­über Le­ben­de und Tote Aus­kunft schul­dig blei­ben. Ihm er­zähl­te er die Mär von der schö­nen Ga­lia­na.

      Er woll­te nicht gleich mit der Spra­che her­aus, denn es hat­te ihn ver­dros­sen, dass der Lie­ben­de der Na­tur un­ter Ben­zin­ge­düf­te und Hu­pen­zei­chen in sei­ne mit­tel­al­ter­li­chen Stra­ßen ein­ge­fah­ren war, ob­wohl sei­ne ei­ge­nen Lands­leu­te ihn längst an sol­chen Ehr­furchts­man­gel ge­wohnt hat­ten. All­mäh­lich ließ er sich aber doch ge­win­nen und sag­te:

      Nein, die Ga­lia­na war kei­ne Fan­ta­sie­ge­burt, sie hat ge­lebt, sonst hät­ten nicht acht Jahr­hun­der­te nach ih­rem Tode noch ihr An­den­ken be­wahrt; auf eben den We­gen, wo wir jetzt ge­hen, ist sie in Fleisch und Bein ge­gan­gen. Und wenn auch der Chro­nist, der nach ihr leb­te, Irr­tum und Wahr­heit durch­ein­an­der­warf, so bleibt doch be­ste­hen, was er be­rich­tet: näm­lich dass die Stadt Vi­ter­bo sie un­ter ihre fünf Klein­odi­en oder »No­bi­li­tä­ten«, wie man da­mals sag­te, ge­zählt hat. Un­ter die­sen wa­ren die drei vor­nehms­ten: ers­tens ein frei­es Ge­mein­we­sen zu sein, kei­nem Ober­herrn we­der im Krieg noch im Frie­den dienst- oder zins­pflich­tig, al­lein den Kai­ser aus­ge­nom­men. Zwei­tens einen wun­der­tä­ti­gen trag­ba­ren Al­tar zu be­sit­zen – wo man den auf­stell­te, da ver­lieh er den Waf­fen von Vi­ter­bo den Sieg –, und drit­tens das schöns­te Mäd­chen der gan­zen Erde in ih­ren Mau­ern zu ha­ben. Die­ses Mäd­chen war die Ga­lia­na.

      Wenn ich sa­gen wür­de, sie sei schön wie ein En­gel