rückwärts fluten. Die von Viterbo waren nicht stark genug sie zu verfolgen, dagegen ergänzten sie ihre Mund- und Kriegsvorräte aus dem geplünderten Lager des Feindes und kehrten siegblasend in die Stadt zurück. Allein wie eine Bremse, die man wegscheucht, sofort wieder anschwirrt und aufs neue zu stechen sucht, so stand der Herr von Vico mit den wiedergesammelten Fähnlein schon in der nächsten Gottesfrühe abermals vor ihren Mauern. Wohl rückten die Städter wiederum mit ihrem Heiligtum hinaus, und es gelang ihnen, den Feind zum andern Male zurückzutreiben, jedoch der Priester wurde am Altar durch einen Pfeilschuss getötet, und sie vermochten auch diesmal ihren Sieg nicht durchzuführen, weil sie nur in Anlehnung an ihre Mauern kämpfen konnten, in freier Feldschlacht aber dem Gegner unterlegen waren. Durch viele Monde schwankte so das Glück, und es kam zu keiner Entscheidung, denn einerseits machte wohl der Besitz des wunderwirkenden Gottestisches die Stadt uneinnehmbar, andrerseits konnte sie sich aber auch des halsstarrigen Gegners nicht entledigen. Im Verlauf der Zeit begann endlich der von Vico einzusehen, dass auf diese Weise der Gegenstand des Kampfes alt und grau werden konnte, bevor es ihm gelang, die Stadt zu unterwerfen, und dass ihm somit keine Aussicht auf Erreichung seines Zieles blieb. Unterhändler gingen hin und her, und zum guten Ende wurde festgesetzt, dass der Herr von Vico unter beiderseitiger Tragung des erlittenen Kriegsschadens abziehen und gegen die Stadt Viterbo keinen Groll mehr hegen sollte, diese dagegen sich anheischig machte, ihm in Erfüllung seines heißen Herzenswunsches ein letztes Wiedersehen mit der Galiana zu verstatten, damit er von der schönsten Hoffnung seines Lebens Abschied nehmen könne. Um ihr Versprechen zu halten, legte die Stadt drei Zinnen der Mauer nieder, denn neben die Galiana musste rechts und links ein Gewappneter treten, damit nicht der Feind sie tückischerweise durch eine rasch angelegte Sturmleiter herunterhole. Der von Vico rollte zum letztenmal seinen Turm heran, gerade der Stelle gegenüber, auf der die Schöne in voller Größe sichtbar wurde. Er selbst war waffenlos, wie er versprochen hatte, aber hinter ihm standen zwei Pagen mit Schild und Bogen, denn es schien, dass doch keine der beiden Parteien der anderen trotz des beschworenen Friedens traue.
O Galiana, rief er hinüber, du ewig Geliebte, heute ist es das drittemal, dass der unglückliche Milo – so hieß der Graf mit dem Vornamen – dein Angesicht schauen darf. Soll nun wirklich dieses drittemal auch das letzte in unserem Leben sein?
Edler Herr, so rief die Galiana unter Tränen zurück, wenn das Geschick es gewollt hätte, dass ich die Eure würde, so wäre ich Euch mit Freuden gefolgt, wohin Ihr mich geführt hättet. So aber bitte ich Euch, mich zu vergessen, denn ein armes Weib ist des vielen Blutes nicht wert, das um ihretwillen geflossen ist.
Als der von Vico sie so reden hörte und das himmlische Angesicht so nahe vor sich und doch für immer seiner Sehnsucht verloren sah, da fasste ihn der Verzweiflungsschmerz mit solcher Wut, dass er, hinter sich nach seinem Bogen greifend, sagte:
Galiana, wer dich gekannt hat und gehofft, dich zu besitzen, der kann dich eher tot als in den Armen eines andern wissen.
Dies sagend schnellte er, bevor die Gewappneten dazwischentreten konnten, einen seiner nie versagenden Pfeile auf die Brust der Geliebten ab. Die Galiana sank zu Tod getroffen in die Arme ihrer Wächter. Sie richtete einen brechenden Blick auf ihren Mörder, und dieser sah noch jenes unsagbare Lächeln, mit dem der Gott der Liebe selbst beim ersten Aug-in-Auge-schauen seine Sinne für immer umstrickt hatte, sich über das ganze Angesicht der Sterbenden verbreiten. Auch als ihr Herz nicht mehr schlug, blieb noch das zauberhafte Lächeln stehen, das einen immer tieferen und geheimnisvolleren Sinn gewann, als ob erst im Verscheiden ihre Seele sich aus der frühen künstlichen Formung gelöst und ihr wahres Fühlen zu bekennen gewagt habe. Es schien, als wollte sie sagen, dass der Todesschuss des Frevlers ihr süßer gewesen sei als die Umarmungen ihres zärtlichen Gatten. Auch bei denen, die nicht in ihrem Lächeln lesen konnten, blieb doch der Eindruck haften, dass die tote Galiana die lebende noch weit an Schönheit überstrahlt habe. Die Stadt Viterbo, die so jählings ihre schönste Blume hinwelken sah, beschloss der Galiana ein feierliches Ehrengrab zu stiften. Man legte sie in den kostbaren, aus dem Altertum stammenden Sarkophag und stellte diesen in Manneshöhe, so wie du ihn gesehen hast, an der Außenseite der Kirche Sant’ Angelo auf, damit die Sonne noch immer das Behältnis, das sie umschließt, bescheinen könne, denn eine so edle Gestalt sollte nicht in der dunklen Erde modern.
Wie sich der von Vico nach seiner Tat mit dem Leben abgefunden hat, möchtest du wissen. Ich kann es dir nicht sagen, meine Kenntnis der Dinge ist an den Bannkreis meiner Stadt gebunden. Im übrigen habe ich deine Wißbegier gestillt. Was du von dem Erzählten glauben willst, was nicht, ist deine Sache. An der Bereitschaft, eine schöne Mär für wahrer zu halten als eine bezeugte trockene Tatsache, unterscheidet man die Seelenfähigkeiten der Menschen.
So schloss der Genius von Viterbo seine Rede.
Dieses Erlebnis, von dem Wanderer seinerzeit unmittelbar dem Reisetagebuch in Stichworten anvertraut, trat beim Anblick des Teppichs mit allen Einzelheiten aus den Winkeln seiner Erinnerung hervor. Gewiss war er unter Lebenden der einzige, der die Geschichte der Galiana aus der sichersten Quelle kannte, vielleicht hatte nicht einmal der Sammler der Teppiche gewusst, wen das Mädchen auf der Mauer unter den kriegerischen Anstalten vorstellte. Diese Erfahrung stärkte ihm den Glauben, dass er auch das Geheimnis des nächsten Teppichs ergründen würde. Hier bedurfte es keines Stadtwappens. Niemand konnte beim Anblick des schiefen Turms, der zweifarbigen Domfassade, des runden, ebenso zebrahaft gestreiften Baptisteriums und des langgestreckten Rechtecks des Camposanto zweifeln, dass er in Pisa war. Auch hier ist außenseits der Stadtmauer ein Lager mit vielen Zelten aufgeschlagen, doch handelt sich’s offenbar um keine Belagerung, denn die junge Mannschaft übt sich mehr zum Glimpf als zum Ernst im Waffenspiel. Inseits der Stadt herrscht Friede, die Wachtposten schlummern auf den Wehrgängen, die Straßen, in deren Achsen man blicken kann, liegen leer. Augenscheinlich hat der treuherzige Zeichner vergessen, dass außen Tageswerk vorgenommen wird, während Pisa im schwachen Licht eines abnehmenen Mondes schläft. Niemand wacht in der Stadt als das junge Paar, das unter den weitgebreiteten Ästen eines Riesenbaumes sich ernst und innig bei den Händen hält. Auch ein Rebus, nicht auf den ersten Blick zu deuten. Aber die Lösung kommt dem forschenden Auge aus den Gassen des Lagers. Da steht an erhöhter Stelle vor einem offenen großen Zelt ein aufgeschmückter Fahnenwagen, dem zwei weiße, mit Scharlachtüchern behangene Ochsen vorgespannt sind: der berühmte Carroccio, der Kriegswagen der florentinischen Republik,