Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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Zu Bo­den ge­rollt ist das Buch, in dem sie je­nes Tags nicht wei­ter la­sen; eine klei­ne Flam­me zün­gelt her­aus. Im Hin­ter­grund, kaum er­kennt­lich zwi­schen den Vor­hang­fal­ten, lugt das Ge­sicht ei­nes Spä­hers her­vor.

      Aber wie das ers­te Feld er­klä­ren? Die fei­er­li­che Ver­mäh­lungs­sze­ne un­ter Got­tes Him­mel? Das­sel­be Paar, das auf der trä­nen­vol­len Höhe sei­nes Le­bens durch sträf­li­che Lei­den­schaft das zeit­li­che und ewi­ge Ge­richt auf sich her­un­ter­zieht, im Be­ginn von Pries­ter­hand zu­sam­men­ge­ge­ben, be­vor sie sich im Ehe­bruch ver­ei­ni­gen! Fran­ces­ca da Po­len­ta, Pao­lo Mala­tes­ta als Ver­mähl­te im fest­li­chen Kreis zwei­er Hof­staa­ten! Oder nicht? Was be­deu­tet es, dass der Bräu­ti­gam wie in tiefer Scham vor der Braut die Au­gen senkt? Und noch eine Selt­sam­keit ent­deckt das for­schen­de Auge. Die Her­ren von Ri­mi­ni, die dem Bräu­ti­gam ge­folgt sind, ha­ben alle eine zu hohe Schul­ter und sind über­haupt aus­neh­mend häss­lich. Nur der Bräu­ti­gam ist schön wie ein Che­rub, aber ein trau­ern­der. Am Ende ist er gar nicht der Bräu­ti­gam?

      Das gött­li­che Ge­dicht kennt nur die Schuld der Lie­be und die un­er­bitt­lich stra­fen­de Ge­rech­tig­keit. Von dem ver­ruch­ten Be­trug, den zwei edle Fa­mi­li­en an ei­nem ah­nungs­lo­sen jun­gen Wei­be be­gan­gen ha­ben, spricht der Dich­ter nicht, der als hei­mat­lo­ser Gast an dem Hof ei­nes spä­te­ren Po­len­ta weil­te. Das fei­ne Ohr des Wan­de­rers ver­nimmt gleich­wohl un­ter dem über­tö­nen­den Erz­klang sei­ner Ter­zi­nen her­vor das fer­ne Rau­nen ei­ner halb­ver­lo­re­nen Über­lie­fe­rung. Mes­ser Gui­do da Po­len­ta, der Alte ge­nannt, Herr­scher von Ra­ven­na, und Herr Mala­tes­ta, der in Ri­mi­ni und Pe­sa­ro ge­bot, leb­ten in lan­ger blu­ti­ger Feh­de, die bei­de Tei­le in großen Scha­den brach­te und die, so oft sie auch durch wohl­wol­len­de Drit­te ver­tra­gen wur­de, im­mer neu auf­flamm­te, weil der bei­der­sei­ti­ge An­hang kei­ne Ruhe gab. Der von Ri­mi­ni be­fand sich in­so­fern im Vor­teil, als er zwei treff­li­che Söh­ne be­saß, wo­von der Äl­tes­te ein Mensch von großer Tap­fer­keit und zu al­len Staats­ge­schäf­ten wohl be­fä­higt war, wes­halb der Va­ter ihn zur Nach­fol­ge in der Re­gie­rung be­stimmt hat­te. Al­lein die­ser Un­glück­li­che war von der Na­tur durch einen Bu­ckel und eine lah­me Hüf­te ge­zeich­net, und der Un­mut über die­se Miss­ge­stalt mach­te sein von Hau­se aus düs­te­res und ab­sto­ßen­des Ge­sicht noch häss­li­cher. Er hieß Gi­an­ni, aber mit der Mit­leids­lo­sig­keit frü­he­rer Jahr­hun­der­te nann­ten sie ihn im gan­zen Land und nicht min­der in der ei­ge­nen Fa­mi­lie nur den Gian­ciot­to, was in dor­ti­ger Re­de­wei­se so viel wie der »Hin­ke­h­ans« be­deu­te­te. Das Volk zit­ter­te vor dem Au­gen­blick, wo der alte, seit län­ge­rer Zeit krän­keln­de Mala­tes­ta, der auch kein En­gel war, aber doch we­nigs­tens kein Un­recht der Na­tur an den Glück­li­che­ren zu rä­chen hat­te, die Au­gen schlie­ßen wür­de, denn Gian­ciot­to hat­te das Zeug zum Ty­ran­nen. Wer von den Her­ren des Ho­fes sich bei dem künf­ti­gen Herr­scher ein­schmei­cheln und sei­ne Bit­ter­keit in et­was mil­dern woll­te, der ließ sich vom Schnei­der eine Schul­ter hö­her wat­tie­ren als die an­de­re, da­mit der un­glück­li­che Thron­er­be nicht als der ein­zi­ge so Ent­stell­te er­schie­ne. Dies hin­der­te nicht, dass ihm die ad­li­ge Schön­heit sei­nes jün­ge­ren Bru­ders Pao­lo grim­mig am Her­zen fraß, der zu sei­nem völ­li­gen Wi­der­spiel ge­schaf­fen war. Denn die­ser brauch­te sich nur zu zei­gen, so war ihm je­des Herz ge­wo­gen, eine sorg­lo­se Freu­de ging von ihm aus, die alle gern in sei­ner Nähe wei­len ließ und die sei­nem blo­ßen He­r­ein­tre­ten schon et­was Fest­li­ches gab. Da sol­chen Schoß­kin­dern der Na­tur al­les wie von selbst zu ge­lin­gen pflegt, schick­te ihn der Va­ter trotz sei­ner Ju­gend gern auf schwie­ri­ge Ge­sandt­schaf­ten, wo des Jüng­lings ein­schmei­cheln­de Per­sön­lich­keit mehr zu er­rei­chen pfleg­te als die ge­lehr­te und spitz­fin­di­ge Re­de­kunst sei­ner staats­kun­di­gen Be­ra­ter. Da­mit ent­fern­te er ihn zu­gleich aus dem Bann­kreis von Miss­gunst und Arg­wohn, den die un­se­li­ge An­la­ge des Äl­te­ren um die Glücks­na­tur des Jün­ge­ren zog.

      Im Hau­se Da Po­len­ta wuchs ne­ben ei­nem noch min­der­jäh­ri­gen Kna­ben nur eine Toch­ter, Fran­ces­ca, ein Mäd­chen von über­strah­len­der Schön­heit her­an. Von je­her hat­ten die Töch­ter der Po­len­ta für schön ge­gol­ten, aber die­se war von dem Stoff, aus dem man Kö­ni­gin­nen macht. Land­auf, land­ab nann­te man sie den Stern von Ra­ven­na, und es war ein all­ge­mei­nes Fra­gen und Rau­nen, wem wohl der alte Po­len­ta die­ses un­schätz­ba­re Klein­od zu­ge­dacht habe. Ei­nes Ta­ges kam ein land­fah­ren­der Gauk­ler und Quack­sal­ber an den Hof, der sich durch Schön­heits­was­ser und wohl­rie­chen­de Sal­ben den Frau­en emp­fahl und die Män­ner durch an frem­den Hö­fen auf­ge­le­se­ne Ge­schich­ten und An­ek­do­ten an­ge­nehm und lehr­reich zu un­ter­hal­ten wuss­te. Denn in ei­nem Jahr­hun­dert, wo es noch kei­ne Zei­tun­gen gab und wo auch noch kei­ne Bü­cher durch den Druck ver­brei­tet wur­den, war ein sol­cher frei­wil­li­ger Nach­rich­ten­dienst für alle, die mit öf­fent­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten zu tun hat­ten, ein nicht hoch ge­nug an­zu­schla­gen­der Vor­teil. Der Her­rin des Hau­ses er­zähl­te er von den jüngs­ten Ver­lo­bun­gen und be­merk­te ein­mal bei sol­cher Ge­le­gen­heit:

      Es wird Euch schwer fal­len, edle Frau, für Eure Toch­ter einen Gat­ten aus­fin­dig zu ma­chen, der ihr an Wert und Schön­heit eben­bür­tig sei. Es wäre denn, Euer ho­her Ge­mahl ent­sch­lös­se sich, un­ter das Ver­gan­ge­ne einen Strich zu ma­chen und Ma­don­na Fran­ces­ca dem Sohn und Nach­fol­ger Eu­res großen Wi­der­sa­chers in Ri­mi­ni zu ge­ben, den man was Schön­heit, ed­len An­stand und jede fürst­li­che Tu­gend an­langt, ein eben­sol­ches Wun­der nen­nen kann wie Ma­don­na Fran­ces­ca. Könn­ten die­se bei­den sich ver­bin­den, so wür­de die Son­ne das Voll­kom­mens­te bei­sam­men se­hen, was ihr auf ih­rem Lauf in Hun­der­ten von Jah­ren be­geg­nen könn­te.

      Der Fah­ren­de hat­te in den we­ni­gen Ta­gen, die er ehe­dem ein­mal in Ri­mi­ni ver­brach­te, nur den Zweit­ge­bo­re­nen des al­ten Mala­tes­ta ge­se­hen und ihn, dem die jün­ge­re hö­fi­sche Ju­gend feu­ri­ge Ge­folg­schaft leis­te­te, für den Er­ben und künf­ti­gen Ge­bie­ter ge­hal­ten, wäh­rend Gian­ciot­to, sei­ner düs­te­ren und trau­ri­gen Ge­müts­art ent­spre­chend, die Zeit beim Weid­werk ver­brach­te. Die Her­rin von Ra­ven­na wuss­te über die Fa­mi­li­en­ver­hält­nis­se der Mala­tes­ta nicht Be­scheid, und die Vor­stel­lung, dass je­ner schö­ne und lie­bens­wer­te Jüng­ling mit Na­men Pao­lo der Erbe die­ser großen Herr­schaft sei, be­gann in ih­rer Ein­bil­dung zu ar­bei­ten und ihr das schöns­te Paar auf dem Herr­scher­sitz von Ri­mi­ni zu zei­gen, nach­dem durch ein glück­li­ches Fa­mi­li­en­band al­ler Not ein Ende ge­macht und ein fes­ter Frie­de zwi­schen den zwei strei­ten­den Herr­scher­häu­sern her­ge­stellt wäre.

      Als ihr zum ers­ten Mal ih­rem Gat­ten ge­gen­über ein Wort in die­ser Hin­sicht ent­fuhr, sah er sie an, ob sie wohl irre rede, denn dass bei ei­ner fürst­li­chen Gat­ten­wahl die Schön­heit des Toch­ter­man­nes in Be­tracht kom­men kön­ne, war ein Ge­dan­ke, wie er au­ßer von dem Hirn ei­nes Gauk­lers nur von dem ei­ner Frau ge­fasst wer­den konn­te. Den­noch war an dem Vor­schlag ein gu­ter Kern, der sich viel­leicht nut­zen ließ, nur brauch­te die Frau das vor­erst nicht zu wis­sen, denn wenn ein Wei­ber­kopf einen gu­ten Ge­dan­ken aus­heckt, ist es im­mer bes­ser, ihn zu­nächst nicht gel­ten zu las­sen, da­mit sie nicht ein­ge­bil­det