Jede Untat der Ihren, die sie nicht hindern konnte, fiel auf ihr ahnungsschweres Herz zurück. So war sie auch die einzige gewesen, die sich dem an der Tochter des Polenta begangenen Verrat widersetzte im Vorgefühl des kommenden Strafgerichts. Aber wie immer war der Wille der Männer über ihr richtigeres Gefühl hingegangen wie der Strom über die Binsen seines Bettes, die er niemals sich aufrichten lässt. Dass auch ihr Liebling, ihr Paolo, aus dessen zarterer Sinnesart sie sonst ihren Trost schöpfte, eine Rolle, und die wichtigste, bei der Meucheltat übernommen hatte, das brach ihr von Leid und Alter schon brüchiges Leben. Sie öffnete fortan den Mund nicht mehr bis zu ihrer letzten Stunde. Nur in ihren schreckerstarrten Mienen hatte Paolo sein Urteil gelesen. Ihr stummer Vorwurf gesellte sich der Angst, die ihn jagte, dass er den kalten Atem der Furien im Nacken zu spüren glaubte. Es war ein jählings entfesselter Sturmwind, der hinter ihm herblies, ihn mit Wolken Staubes umhüllend, die jungen Bäume am Straßenrand entwurzelnd, die alten zerknickend. Plötzlich erhellte ein Blitz die Dunkelheit, andere folgten so schnell aufeinander, dass ihr Schein in eine stehende Lohe überging, und der Donner brüllte in ununterbrochener Folge, als sollten Himmel und Erde zerbersten. Paolos Pferd brach aus; wie toll und blind geworden, gehorchte es dem Zügel nicht mehr und riss den halb betäubten Reiter mit sich, bis es in einen Graben stürzte und im Fallen seinen Herrn bedeckte. –
Das gleiche Donnerkrachen erschütterte auch das Schloss von Rimini, und die gleichen Blitze, die Paolos Pferd zum Losrasen und jähen Sturz brachten, umloderten wie Gottes Zorn auch das Hochzeitsgemach, das den feigen Betrug deckte.
Die Neuvermählte, über die der Schlaftrunk noch Macht hatte, lag unter furchtbarem Alpdruck. Durch einen Spalt ihres Bewusstseins nahm sie die Blitze wahr, die ihr aus dem Maul eines zischenden Drachen zu kommen schienen. Aber sie konnte sich weder regen noch einen Laut von sich geben. Erst als die Tageshelle durch Fenster- und Türritzen drang, ließ der Bann von ihr ab, da sah sie erwachend eine schreckhafte Gestalt, die sich von ihrer Seite erhob, und der Geliebte, neben dem sie geruht zu haben glaubte, war verschwunden. Sie tat einen grässlichen Schrei, der Unhold bog sich über sie, um sie zu beschwichtigen, sie glaubte, weil er so abstoßend aussah, dass er sie ermorden wolle, und schnell besonnen ergriff sie einen Dolch, der auf dem Betpult bei dem Bette lag. Es war Gianciottos eigener, der ihn ohne Scheu vor dem Heiligen da abgelegt hatte, als er das Lager bestieg, denn da er sich von Untertanen und Hofgesinde gehasst wusste, ging er auch im eigenen Schlosse niemals unbewehrt.
Weg von mir, du scheußliches Gewürm! schrie sie, den Dolch nach ihm zückend.
Ihre Worte verwundeten tiefer, als es eine Waffe gekonnt hätte.
Francesca, ich bin dein Gatte, sagte er.
Ein Mörder bist du, schrie sie außer sich, der meinen Gatten erdolcht hat. In der Nacht war er noch hier, wo hast du ihn hingebracht, du Fürchterlicher?
Und sie begann aus Leibeskräften zu rufen: Wo bist du, Paolo? Rette mich, schütze mich, wenn du noch lebst.
Hier war niemand bei dir als ich, dein Gatte, der dazu das Recht hat, sagte Gianciotto so sanft, als es seine Erschütterung zuließ. Aber sie hörte ihn gar nicht an und fuhr fort nach Paolo zu rufen, während sie den Dolch auf Gianciotto gezückt hielt.
Dieser war auf einen Sturm gefasst gewesen, aber nicht auf einen so wilden. Es begann ihm selbst vor dem Geschehenen zu grausen, aber er liebte sie nun schon bis zur Raserei und fühlte, dass er niemals würde aufhören können, sie zu lieben und zu begehren.
Komm zu dir, Francesca, flehte er. Lege das grausame Spielzeug weg, es taugt dir nicht. Sieh, ich könnte ja deine Hand zerbrechen durch den bloßen Druck der meinigen. Aber sie ist so zart und fein, niemals wäre ich imstand, ihr weh zu tun.
Wo ist Paolo, du Missgeburt? schrie sie. Zeig ihn mir, wenn er noch lebt.
Paolo lebt. Er ist gestern weggeritten, wir wissen nicht wohin. Aber ich habe Befehl gegeben, ihn zu suchen, und werde ihn vor dich bringen, damit du aus seinem Munde hörst, wer dein Gatte ist.
Er wird niemals wiederkommen, denn du hast ihn getötet.
Er wird. Reize mich nicht weiter. Ich könnte sonst vergessen, dass ich dich mehr liebe als mich selbst und dass ich mir geschworen habe, dich auf meinen Händen durchs Leben zu tragen, um dir zu vergüten, was zum Besten aller an dir geschehen musste.
Was musste geschehen, du Schrecklicher?
Dass du mein Weib wurdest, ohne mich zu kennen.
Dein Weib?
Ja, für mich hat dich Paolo geworben, denn ich bin der künftige Herrscher von Rimini. Mein ist der Ring, den er dir gab, mir hat dein Vater dich zugeschickt –, in meinen Armen hast du geschlafen.
Die Unglückliche blieb eine Weile wie erstarrt. Wenn das mehr ist als eine höllische Lüge, sagte sie bebend, so möge mich die Sonne nicht mehr lebend bescheinen.
Blitzschnell entriss er ihr den Dolch, ehe sie ihn gegen sich selber kehren konnte. Aber Francesca sah ihn höhnisch an:
Wer sterben will, für den gibt es hundert Wege.
Die Knechte kamen von der Suche zurück.
Habt ihr ihn gefunden? fragte der Gebieter.
Wir haben ihn gefunden, Herr. In der Waldschmiede hat er das Gewitter überstanden.
Und er wollte euch nicht folgen?
Nein, Herr. Er erklärte, dass er nie zurückkehren wolle.
Ich wusste es, sagt Francesca. Er lebt nicht mehr.
Nichts weißt du, törichtes Weib. Ich werde selber gehen und ihn holen.
Gianciotto warf sich aufs Pferd und sprengte nach der Waldschmiede. Dort fand er seinen Bruder, der schon gesattelt hatte, um weiter zu reiten, denn der heilkundige Schmied, vor dessen Tür er sich hinkend und regentriefend in der Nacht geschleppt, hatte den Schaden seines Pferdes und seinen eigenen schon behoben.
Was du von mir willst, ist unmöglich, antwortete der Flüchtling seinem Bruder, der ihn zum Mitkommen drängte. Ich kann Francesca nicht in die Augen sehen, ich bin ein Verworfener. Ihr habt mich zu der Untat gedrängt, deren Folgen ich nicht absah, ich will sie fern von ihr und Euch büßen.
Du warst willig zu dem Unternehmen, sagte der Ältere, du hast es angefangen, du musst es zu Ende führen. Niemand als du kann für mich sprechen. Ich müsste dich hassen, denn du hast einen Zauber auf sie gelegt, dass sie nichts denkt als dich, benütze ihn wenigstens zu meinen Gunsten.
Bruder, wenn Ihr das Schwert zieht, um dieses verhaßte Leben von mir zu nehmen, so werde ich mich nicht wehren, denn ich kann mit dem Gefühl meines Verrats nicht mehr leben.
Lass