Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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dop­pel­te Schuld­be­wusst­sein ließ ihn ihre Ge­gen­wart flie­hen; höchs­tens dass er sich un­ge­se­hen hin­ter eine Pfor­te drück­te, wo sie vor­über­ge­hen muss­te. Er wuss­te nicht, wie oft auch ihre Au­gen ihm, wenn er zu Pfer­de stieg, hin­ter zu­ge­zo­ge­nem Vor­hang folg­ten wie da­mals bei sei­nem ers­ten Ein­ritt im Schloss­hof von Ra­ven­na.

      Nur ein­mal bei der Lei­chen­fei­er der al­ten Fürs­tin führ­te das Hof­ze­re­mo­ni­ell sie zu­sam­men. Die edle Frau war still, wie sie ge­lebt hat­te, aus dem Le­ben ge­gan­gen. Erst als ihr Platz leer stand, fühl­te man, was al­les mit ihr ge­schie­den war. Auch an die­sem Schick­sal schrieb Pao­lo sich die Verant­wor­tung zu, denn wo vie­le zu­sam­men ge­sün­digt ha­ben, trägt der Zar­ter­ge­sinn­te die Schuld für alle.

      Fran­ces­ca in tiefer Trau­er knie­te mit ih­ren Da­men an der einen Sei­te des Ka­ta­falks, Pao­lo mit sei­nem Hof­staat an der an­de­ren. Er wag­te nicht zu ihr hin­zu­bli­cken, sie nahm aus ge­senk­ten Li­dern sei­ne Züge wahr, in die das Leid sei­ne ver­edeln­de Schrift ge­schrie­ben hat­te und die ne­ben den har­ten höl­zer­nen Ge­sich­tern der Herrn von Ri­mi­ni als das ein­zi­ge Men­schen­ge­sicht er­schie­nen. Der Jüng­ling fühl­te den Streif­blick ohne ihn zu se­hen, und sein Herz gab ihm sol­che Stö­ße, als ob es die Brust von in­nen durch­boh­ren woll­te.

      Da war es Gian­ciot­to selbst, der den Fun­ken in den Brenn­stoff warf. Er be­reu­te längst sein ge­ge­be­nes Wort, weil er sei­ne Hoff­nung, Fran­ces­ca wer­de, durch Groß­mut über­wun­den, sich mit ihm ver­söh­nen und ihm frei­wil­lig an sei­nen neu­en Wohn­sitz fol­gen, ge­schei­tert sah. Durch sei­nen Aus­hor­cher wuss­te er, dass Pao­lo nie­mals den Fuß über ihre Schwel­le setz­te und dass also von sei­ner Ver­mitt­lung nichts zu er­war­ten war. Das er­zürn­te Gian­ciot­to, weil er mein­te, sein le­bens­lus­ti­ger Bru­der gehe wie sonst den Ver­gnü­gun­gen nach und ver­ges­se sei­nen Auf­trag. Er ließ ihn also bei sei­nem brü­der­li­chen Zorn er­mah­nen, nun­mehr mit Ma­don­na Fran­ces­ca ernst­lich zu spre­chen und ihm von ih­rer Ge­sin­nung Kennt­nis zu ge­ben. So ge­zwun­gen be­gab er sich vor das An­ge­sicht, das er eben­so fürch­te­te wie er­sehn­te.

      Er fand Fran­ces­ca im Kreis ih­rer Da­men, die sich bei sei­nem Ein­tritt zu­rück­zo­gen. Sie war noch schö­ner als am Tag, wo er sie in Ra­ven­na frei­te, aber der Schmelz ih­rer Wan­gen hat­te den ro­si­gen An­hauch der Freu­de ver­lo­ren, denn ihre Ju­gend lag er­mor­det drü­ben in je­nem jetzt ab­ge­schlos­se­nen und wie der Schau­platz ei­nes Ver­bre­chens von al­len ge­mie­de­nen Schlaf­ge­mach.

      Die Ent­schlos­sen­heit ih­rer Mie­ne zeig­te ihm gleich, dass Gian­ciot­to nichts zu hof­fen hat­te. Der Be­su­cher wag­te nicht frei vor sie zu tre­ten, son­dern knie­te nahe der Tür nie­der und fal­te­te ab­bit­tend die Hän­de. Die De­mut sei­ner Hal­tung er­in­ner­te an sei­ne Schuld und weck­te den ent­schla­fe­nen Zorn aufs neue.

      Sie wand­te einen Blick auf ihn, wor­aus Dol­che zück­ten.

      Was willst du hier, neu­er Ju­das? frag­te sie.

      Um Ver­zei­hung bit­ten, wenn Ver­zei­hung mög­lich ist. Nicht für mich, ich weiß, da gibt es kei­ne. Aber für einen an­dern, – ich kom­me im Auf­trag.

      Für an­de­re wer­ben, das ist, wie es scheint, dein Ge­wer­be, sag­te sie bit­ter.

      Du wirst mich nie tiefer ver­ach­ten kön­nen, als ich mich selbst ver­ach­te, ant­wor­te­te Pao­lo.

      Wenn du ein Ge­fühl für Ehre hast, wie konn­test du ein sol­ches Bu­ben­stück durch­füh­ren?

      Ich war ein ge­dan­ken­lo­ser und leicht­fer­ti­ger Kna­be bis – zu je­nem Tag. Ich wuss­te nicht, was ich tat. Sie sag­ten mir, es sei ein gu­tes und gott­ge­fäl­li­ges Werk, den Frie­den zwi­schen un­se­ren Häu­sern zu­stan­de zu brin­gen.

      Um den Preis ei­nes Ver­bre­chens – das glaub­test du!

      Sie sag­ten mir, ein Lie­bes­ver­bre­chen sei, wenn be­gan­gen, auch schon ver­zie­hen, denn dann kom­me die Lie­be und ma­che al­les gut.

      Die Lie­be!! Zu ei­ner Miss­ge­burt!

      Sie sag­ten, die Frau­en lieb­ten im­mer den, der ihre ers­ten Lieb­ko­sun­gen emp­fan­gen habe. Wenn du nur erst Gian­ciot­to als Gat­ten um­armt hät­test, dann wür­dest du sei­nen Tu­gen­den Ge­rech­tig­keit wi­der­fah­ren las­sen und ge­gen sei­ne Män­gel nach­sich­tig sein.

      Und das glaub­test du?

      Ich glaub­te es, denn ich wuss­te nichts von Frau­en. Sie er­schie­nen mir wie die schö­nen Sing­vö­gel, die im Bau­er hüp­fen und sin­gen zur Freu­de des Be­sit­zers und aus sei­ner Hand den Lecker­bis­sen neh­men. Mich freu­te nur Jagd und rit­ter­li­ches Spiel und die Lie­der der Dich­ter. Ich hat­te noch kei­ne Frau ge­liebt – bis da­hin.

      Bis da­hin? sag­te sie. Und jetzt?

      Er sank vor ih­ren Au­gen noch tiefer in sich zu­sam­men und ant­wor­te­te nicht.

      Sie wie­der­hol­te die Fra­ge.

      Er­bar­men! Zwin­ge mich nicht aus­zu­spre­chen, was schon zu den­ken ein Fre­vel ist.

      Pao­lo! rief sie. Er rich­te­te das Haupt auf.

      Gibt es noch einen Fre­vel nach dem, der hier ver­übt wur­de?

      Er er­hob sich und trat nä­her. Je­des sog das Bild des an­dern in sich, wie der Ver­durs­ten­de den La­be­trank. Wie eine selt­sa­me un­be­greif­li­che Hoff­nung war es einen Au­gen­blick um ihn her. Aber die Zag­haf­tig­keit be­fiel ihn wie­der mit dem Ge­fühl sei­nes Un­werts. Ja, sie durf­te das Haupt so frei er­he­ben, aber er?

      Ich weiß nicht, wie ich dich ver­ste­hen soll, stam­mel­te er hilf­los.

      Eine Flam­me schoss aus ih­rem Auge.

      Geh nur, geh. Du bist ein Feig­ling. Und in Ra­ven­na er­schienst du mir wie ein Held. Al­les an dir trügt, auch dei­ne Ge­stalt.

      Du hast recht. Ich has­se sie sel­ber, weil sie dich be­tro­gen hat, rief er ver­zwei­felt. Ich will sie au­s­til­gen aus dem Son­nen­licht, denn ich bin nicht wert zu le­ben.

      Sinn­los woll­te er weg­stür­zen, da schrie sie auf: Pao­lo!

      Er blieb ste­hen: Was rufst du mich?

      Dass du le­ben sollst und gut­ma­chen, was du ge­fre­velt hast.

      Was kann ein Ver­wor­fe­ner wie ich für dich tun?

      Mit­ten in ih­rem Jam­mer er­barm­te sie der sei­ni­ge. Da stand er in sei­ner Schön­heit, die sie be­tört hat­te, wie ein Che­rub an­zu­se­hen, und war doch nichts als ein ar­mer, miss­lei­te­ter und ge­schol­te­ner Kna­be. Ein an­de­res, müt­ter­li­che­res Ge­fühl wall­te in ihr auf, dass sie be­sänf­tig­ter ant­wor­te­te:

      Du hast mich aus mei­nem El­tern­hau­se weg­ge­lockt, hast mich der Verzweif­lung preis­ge­ge­ben und nun lässt du mich un­ter den frem­den Men­schen, die ich nicht lie­ben kann, al­lein in die­sem düs­te­ren trost­lo­sen Ri­mi­ni.

      Darf ich dir denn Ge­sell­schaft leis­ten, der ich dich so ge­kränkt habe, dass du mir nie ver­zei­hen kannst?

      Sie schwieg. Dann sag­te sie: Woll­test du nicht eine Ant­wort von mir? Komm und hole sie dir mor­gen.

      Am an­dern Tag schi­en sie die ver­spro­che­ne Ant­wort ver­ges­sen zu