hätten jetzt die Liebenden von ihren beiderseitigen Standorten unbeobachtet mittelst Pfeilschüssen und Steinwürfen Briefe tauschen und ohne fremde Hilfe eine Zusammenkunft verabreden können. Aber leider waren sie auch für diese gefährliche Vermittlung auf den Botengänger angewiesen und gaben sich damit ganz in seine Hände. Der Platzhauptmann verwahrte die Schlüssel der Stadt und pflegte sie des Nachts unter sein Kopfkissen zu legen. Aus dem schweren Schlüsselbund löste Orsola einen kleinen, stark verrosteten ab und ersetzte ihn durch einen anderen von ähnlichem Aussehen. Mit dem entwendeten Schlüssel huschte sie in tiefer Dunkelheit, als schon das ganze Haus mit Ausnahme einer einverstandenen Dienerin schlief, durch die menschenleeren Wege zu einem kleinen Pförtchen, das in Friedenszeiten unbewacht blieb, und öffnete es mit dem sorglich geölten Schlüssel. Draußen wartete schon der Zanobi, der den Wassergraben durchschwommen und seine auf dem Kopf herübergebrachten Kleider schnell wieder angelegt hatte, um in die Arme seiner Geliebten zu eilen. Diese führte ihn zuerst auf einen nahegelegenen kleinen Platz, wo eine uralte mächtige Ulme stand. Sie sagte: Weil wir durch das strenge Kriegsgesetz gezwungen sind, uns in Finsternis und Einsamkeit ohne priesterlichen und elterlichen Segen zu vermählen, so bitte ich Euch, mein geliebter Freund, mit mir vor diesen heiligen Baum zu treten und ihn zum Zeugen und Bürgen zu nehmen, dass ich keine schlechte Dirne bin und Ihr kein ruchloser Verführer, sondern dass wir hier in seiner Gegenwart eine rechtmäßige und gottgefällige Ehe miteinander schließen.
Es herrschte nämlich damals in südlichen Gauen noch der schöne, aus fernem Heidentum stammende Brauch, dass ein Paar, dem der herkömmliche Weg zur Trauung verschlossen war, einen Baum als stellvertretenden Zeugen und Beschützer erwählte und sich ihm durch eine altehrwürdige Formel übergab. Diese Ulme mit ihrem majestätischen Wuchs und ihrem hohen Alter genoss im weiten Umkreis eine ganz besondere Verehrung und hatte schon manchem geheimen Bunde gerauscht. Für den Jüngling lautete die Formel:
Ragende Ulme, dem Himmel vertraut,
Ich bin der Bräutigam, du bist die Braut.
Und für das Mädchen:
Ragender Ulmbaum, dem Himmel vertraut,
Du bist der Bräutigam, ich bin die Braut.
Dreimal umschritten der Zanobi und die Orsola den Baum unter feierlichem Anruf, und dreimal ging ein Wehen durch die Ulme, als ob sie erwidernd bekräftige. Damit waren sie beide dem zweigeschlechtigen Geiste des Baumes vermählt, der seine Rechte nun kreuzweise an Jüngling und Mädchen übertrug und die Heiligkeit und Unverletzlichkeit ihrer Ehe gewährleistete. So fest war der Glaube an die Rechtmäßigkeit der Baumehe, dass von einem Ungetreuen gefabelt wurde, der es gewagt habe, nach Abschluss einer zweiten Heirat unter dem verratenen Baume vorbeizugehen und der dafür von einem stürzenden Ast der Ulme erschlagen worden sei. Als die Zeremonie vollzogen war, betrachteten sich die beiden als rechtsgültig vermählt, und die Orsola führte ihren Zanobi auf Katzenwegen in das heimliche Brautgemach. Durch mehrere Monde dauerte ihr glücklicher Verkehr. Sie verabredeten eine Zeichensprache zwischen Stadtmauer und Lager, in der sie die geeignetsten Stunden ihrer Zusammenkünfte festsetzten. So konnten sie des lästigen Mitwissers entraten, den seine geleisteten Dienste frech gemacht hatten und der dem Jüngling immer neuen Schweigelohn auszupressen suchte. Auch des gefährlichen Schleichgangs durch das Pförtchen und die Straßen bedurfte es nicht mehr. Der Liebende lehrte die Geliebte um eine der Zinnen ein langes Seil befestigen, das er sich unten um den Leib wand und mit dem er unter ihrer und der Magd Beihilfe als geschickter Kletterer an Händen und Füßen die Mauer erklomm. Die beiden gedachten ihre Verbindung solange geheim zu halten, bis nach dem Heimzug der Pisaner das florentinische Schutzheer sich aufgelöst hätte und der Zanobi die Folgen seiner Unbotmäßigkeit nicht mehr zu fürchten brauchte. Dann wollte er nach Pisa zurückeilen, um den geschlossenen Bund zu offenbaren und die Vermählung unter dem Segen der beiderseitigen Angehörigen öffentlich zum zweiten Mal zu feiern.
Jedoch der neidische Dämon, der immer und überall dem Glück der Liebenden Fallen stellt, lauerte in der Gestalt des habgierigen Bauern und trieb ihn an, den Zanobi so lange mit erpresserischen Drohungen zu verfolgen, bis dieser ihm nichts mehr geben konnte oder wollte und ihn im Zorn einen Gauner nannte. Dabei kam es zu Tätlichkeiten, die in eine Schlägerei zwischen Bauern und Soldaten ausartete und woraus der tückische Silvestro arg zerkratzt und zerschunden hervorging. Er hielt zunächst mit seiner Rachgier zurück, denn er konnte es nicht wagen, den Zanobi wegen Bruchs der Mannszucht anzuklagen, weil er keine Beweise in Händen hatte und eine schwere Strafe auf verleumderischen Anzeigen stand. Aber er spähte alle seine Bewegungen aus und hinterbrachte dann dem Platzhauptmann von Pisa, dass die Ehre seines Hauses durch einen vom Bewachungsheer geschändet sei, wobei er ihm auch angab, wann und wie er sich des Übeltäters bemächtigen könne.
Der Kommandant hatte wieder einmal stark gezecht und befand sich in dem Zustand, worin ihm die Überlegung unterzugehen pflegte. Statt zuerst seine Tochter zu vernehmen, schloss der alte Polterer sie zusamt der mitschuldigen Magd ganz fest in ihrem Zimmer ein und begab sich, sobald die mondlose Nacht heraufdunkelte, mit einem Knecht auf die Mauer. Dieser musste, nachdem das Signal gewechselt war, den ahnungslosen Liebhaber am Seil heraufziehen, ohne dass Orsola imstande war, ihn zu warnen. Blind vor Zorn und Wein hörte der Alte keine Erklärungen noch Beteuerungen an, sondern ließ den Unglücksmann ohne weiteres in Eisen legen. So sandte er ihn am frühen Morgen, da der Zorn noch in ihm fortdauerte, dem florentinischen Befehlshaber zu als einen, der auf der Stadtmauer abgefangen worden sei, im Begriff einen Hauseinbruch zu verüben, und der die ganze Strenge des Kriegsrechts verdiene.
Der Feldhauptmann ließ zurückvermelden, es sei heute der Tag des Täufers, den Florenz als Schutzpatron verehre; an diesem Tag, der auch im Lager festlich begangen werde, könne kein Todesurteil vollstreckt werden. Wenn sich aber der Herr Kommandant am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang auf die Mauer bemühen wolle, so werde er den Frevler, obwohl er guter Leute Kind und sonst ein wackerer Soldat sei, dem man kaum so niedrige Absichten habe zutrauen können, am Galgen baumeln sehen. Inzwischen war der Rausch des Platzhauptmanns samt den bösen Nachwirkungen verflogen, er hörte von der Tochter, die sich zu seinen Füßen warf, die Wahrheit an, dass der Zanobi nicht als Ehrenräuber in ihr Gemach gestiegen sei, sondern nach feierlichem Eheschluss im Angesichte des Ulmbaumes,