Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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Schwä­che an dem seen­haf­ten An­blick nicht sät­ti­gen. Zu­letzt ging die Be­leuch­tung in ein tie­fes Vio­lett von un­sag­ba­rer Er­ha­ben­heit über, als stie­ge ein stum­mes Re­quiem aus dem Was­ser auf. Et lux aer­ter­na lu­ce­at eis, sang es aus der schwärz­li­chen Tie­fe. Aber die schei­den­de See­le ge­hör­te noch der Erde an. Denn jetzt kam durch die Flut, die ei­ner dunklen ge­die­ge­nen Me­tall­plat­te glich, das Dampf­schiff mit sei­nen ro­ten, wei­ßen und grü­nen Lich­tern wie ein schwim­men­des Zau­ber­schloss her­an, vom Was­ser zu­rück­ge­spie­gelt, und die Kran­ke fuhr in ih­ren Pols­tern em­por.

      Das Glücks­schiff! rief sie. End­lich kommt es! End­lich bringt es Ihn!

      Gleich dar­auf ging die Klin­gel, Ruh­land er­schi­en, und als er sich nie­der­beug­te, um ihre Hand zu küs­sen, warf sie mit ei­ner Plötz­lich­keit, die an ihre größ­ten Au­gen­bli­cke auf der Büh­ne er­in­ner­te, bei­de Arme um sei­nen Hals und ju­bel­te mit flie­gen­dem Atem: Gul­bert! Gul­bert!

      Der An­kömm­ling woll­te sich mit ei­nem be­stürz­ten Blick auf Gu­stav der Um­klam­me­rung ent­zie­hen, aber die­ser wink­te ihm, der Kran­ken zu will­fah­ren, und ent­glitt lei­se in die Däm­me­rung. Wer kann er­mes­sen, was es den stol­zen Mann kos­te­te, die See­le zu se­hen, die de­mü­tig nur für ihn ge­lebt hat­te und die sich jetzt im Ster­ben sei­ner reui­gen Lie­be ent­zog! Der Freund ih­rer Traum­wahl knie­te ne­ben dem Ru­he­bett mit ih­ren Ar­men um sei­nen Na­cken und ih­rem Mund auf dem sei­ni­gen, bis ein ge­walt­sa­mer Hus­ten­an­fall dem quä­len­den Auf­tritt ein Ende mach­te.

      In die­ser Nacht ent­schlum­mer­te Sel­ma un­ter der Wir­kung des Schlaf­trunks, um nicht mehr zu er­wa­chen. Aber sie at­me­te noch wei­ter bis zum Abend und lä­chel­te im­mer­zu wie im Bann des schöns­ten Traums. Ei­ner ih­rer letz­ten Wün­sche war ge­we­sen, an »Gul­berts« Arm im Wald spa­zie­ren­zu­ge­hen. Da hat­te An­ge­la ihr fri­sches Moos un­ter die Füße ge­scho­ben und ein Fläsch­chen mit Tan­nen­na­del­duft über ihr Kis­sen aus­ge­gos­sen. Daraus moch­ten ihr be­glücken­de Bil­der ei­ner se­li­gen Wan­de­rung zu zwei­en durch die Lan­de der Ju­gend auf­ge­stie­gen sein.

      Ihr Be­gräb­nis ent­hüll­te erst ganz, in wie wei­ten Krei­sen die Tote ge­liebt und ge­fei­ert war. Alle Büh­nen, wo man sie in Ga­strol­len ge­kannt hat­te, sand­ten Blu­men und Krän­ze mit prunk­vol­len Schlei­fen und Ruh­mes­wor­ten. Lan­ge Zei­tungs­spal­ten rühm­ten die un­ver­gleich­li­che Sel­ma Ha­nusch. Von der letz­ten Stät­te ih­rer Wirk­sam­keit war ein ei­ge­ner Ver­tre­ter er­schie­nen und fei­er­te die hin­rei­ßen­de Künst­le­rin, die edle, im­mer wohl­wol­len­de und hilfs­be­rei­te Kunst­ge­nos­sin über ih­rem mit Lor­beer zu­ge­schüt­te­ten Sarg. Da­ne­ben stand der große, der schöp­fe­ri­sche Künst­ler, den nicht ein Blätt­chen Lor­beer hat­te krö­nen wol­len; denn für einen sol­chen hielt und hal­te ich ihn noch, wenn auch Schick­sal und ei­ge­ne Füh­rung ihn den Weg zur Vollen­dung nicht fin­den lie­ßen. Unaus­sprech­li­ches moch­te bei der Fei­er in ihm vor­ge­hen. Er re­de­te kein Wort, und die Trau­er­gäs­te ver­ab­schie­de­ten sich von ihm mit kur­z­em, stum­mem Hän­de­druck.

      Wir gin­gen alle drei früh zur Ruhe. An­ge­la war er­schöpft von der lan­gen Pfle­ge und den Er­re­gun­gen, ich hat­te alle Gän­ge und Be­sor­gun­gen, die mit ei­nem sol­chen Er­eig­nis und gar auf frem­dem Bo­den, zu­sam­men­hän­gen, über­nom­men und war gleich­falls tod­mü­de. Gu­stav sah wie zer­schla­gen aus und sag­te, er wol­le lan­ge und fest schla­fen. So trenn­ten wir uns.

      In der Nacht im Halb­schlaf hör­te ich ein­mal die Ve­ran­da­tür, die in mein Zim­mer führ­te, knar­ren, und es schi­en mir im mat­ten Ster­nen­schein, als beug­te sich Gu­stavs Ge­sicht über mein La­ger, aber ich war nicht im­stan­de den Schlaf ab­zu­schüt­teln und glaub­te im Er­wa­chen mich ge­täuscht zu ha­ben. Da je­der der bei­den Woh­nungs­flü­gel sei­nen ei­ge­nen Aus­gang be­saß und das Mäd­chen aus Scheu vor der Nähe des Ster­be­zim­mers jetzt auf un­se­rer Sei­te schlief, hat­te nie­mand be­merkt, dass Gu­stav bei Ta­ge­s­an­bruch lei­se weg­ge­gan­gen war.

      In sei­nem Zim­mer stand das La­ger un­be­rührt und die Lam­pe nie­der­ge­brannt: ein ge­schlos­se­ner Brief ohne Auf­schrift, der an nie­mand als an mich ge­rich­tet sein konn­te, lag auf dem Schreib­tisch. Ich las:

      Har­ry, du schläfst, nach all den Mü­hen, die du noch für mich hat­test. Mor­gen früh, wenn du er­wachst, ist dein Freund hin­weg­ge­gan­gen.

      Dein Schwei­gen hat mir den Stab ge­bro­chen, lie­ber Har­ry, aber quä­le dich um des­sent­wil­len nicht. Du konn­test kei­ne from­me Lüge sa­gen, es wäre dei­ner und mei­ner un­wür­dig ge­we­sen, und eben dar­um habe ich dich zum Rich­ter ge­wählt. Mein In­ners­tes hat­te sel­ber schon das Ur­teil ge­spro­chen, und nur wie auf ein Wun­der hoff­te ich noch, ich Tor, auf das Wort des Heils: Du hast ge­siegt. – Nein, ich habe nicht ge­siegt, und das Feu­er hat schon vor Ta­gen die Miss­ge­burt ver­zehrt. Sel­ma hat­te mir’s of­fen ge­sagt, dass das Ge­dicht in sei­ner frü­he­ren Fas­sung bes­ser war. Ich groll­te ihr darob, un­ter­schätz­te ihre Ur­teils­kraft und fühl­te doch, dass sie recht hat­te. Aber noch woll­te ich mich nicht er­ge­ben, ich woll­te wei­ter­rin­gen nach neu­en Zie­len, da streck­te der Gott mir sei­nen Speer ent­ge­gen.

      Vi­el­leicht ist Frau­en­lie­be das Schöns­te auf der Erde. Aber sie müss­te der Preis des Sie­gers sein. Was nützt die Kro­ne dem, der sie sich sel­ber ab­spre­chen muss? Wenn doch die Frau­en das ver­ste­hen woll­ten: dem, der Gro­ßes will und es nicht er­rei­chen kann, ist die Lie­be nichts nüt­ze. Sie wird ihm nur zur Qual und er rächt sich da­für. Die in­ne­ren Hem­mun­gen, wor­an er krankt, ma­chen einen bö­sen Geist aus ihm. Dann kom­men die Frau­en und wol­len mit Bal­sam hei­len, was nur das Ei­sen heilt.

      Der star­re alte Mann in sei­nem Sol­da­ten­grab ist Sie­ger ge­blie­ben. Ich bin der Über­wun­de­ne und wer­de das stum­me Wort nicht bre­chen, das ich ihm im Jah­re Sieb­zig gab. Dann wer­den mir wohl auch mei­ne ehe­ma­li­gen Ka­me­ra­den glau­ben, dass es da­mals nicht das Stück­chen Blei war, was ich fürch­te­te.

      Der Mor­gen bricht an und im Ka­min kräu­selt sich und ver­glimmt das letz­te be­schrie­be­ne Blatt. Das Häuf­chen Ruß, was du dort fin­dest, war der Alex­an­der. Der Brah­ma­ne mit sei­ner Hand­voll Asche ist auch bei mir ge­we­sen und hat mich letz­te Weis­heit ge­lehrt.

      Legt mich nicht zu Sel­ma, ich könn­te sie im Grab noch drücken. Ihr ist woh­ler ohne mich. Nicht weit von ihr ist noch ein Platz frei, wo ich bei der Fei­er stand. Dort lasst mich al­lein sein, wie ich es im Le­ben war, aber in ih­rer Nähe. Das schma­le Plätz­chen hat Raum, um al­les Wol­len und Stre­ben des Erd­balls dar­in un­ter­zu­brin­gen. Dass die Welt mich ver­ges­se, ist das ein­zi­ge, was ich von ihr er­hof­fe. Aber in dir und noch ei­nem wer­de ich ein Weil­chen wei­ter­le­ben, bis auch eure Stun­de schlägt. Lebe wohl! Lebt wohl!

      Als ich aus dem Hau­se stürz­te, um den Ver­schwun­de­nen zu su­chen, prall­te ich ge­gen einen Mann im Über­rock mit um­ge­häng­ter Rei­se­ta­sche, der eben has­tig die Klin­gel zog – Kuno!

      Sei­ne ers­ten Wor­te wa­ren: Wo ist Gu­stav?

      Zu spät! Ich wuss­te es, ich kom­me zu spät, stieß er her­vor, als er mehr aus mei­nen Ge­bär­den als aus mei­nen Wor­ten ver­stand, was vor­ging. Er warf sei­ne Rei­se­ta­sche in den Flur und folg­te mir in Eile nach. Selt­sa­mer­wei­se kam er nicht we­gen Sel­mas Tod, von dem er noch