Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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Ge­schlech­tern je­weils auf ei­ner hö­he­ren Er­kennt­nis­stu­fe neu er­stie­gen wer­den.

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      Das Le­ben die­ses selt­sa­men Kin­des und jun­gen Mäd­chens kann nicht ver­stan­den wer­den, wenn man es nicht auf der Grund­la­ge des ver­ei­nig­ten Grie­chen- und Ger­ma­nen­tums liest, des­sen Dop­pel­my­thos als dau­ern­des Wun­der­zei­chen an mei­nem Ju­gend­him­mel stand. Aus den Schick­sa­len mei­ner schö­nen, frühster­ben­den Lieb­lings­hel­den, Achill und Sieg­fried, be­son­ders des ers­te­ren, des Halb­got­tes, der mit sei­nem un­ver­gleich­lich hö­he­ren Le­ben den Sieg der ge­rin­ge­ren Waf­fen­ge­fähr­ten er­kauft, wuss­te ich schon als Kind, dass das Le­ben an sich tra­gisch ist, dass das Schö­ne kein Recht auf Dau­er hat und das Gro­ße dem Ge­mei­nen (das Wort im Sin­ne un­se­rer Klas­si­ker ge­nom­men) den Platz räu­men muss. Aber ich wuss­te auch oder fühl­te es, dass es eben der Sieg des Hö­he­ren ist, was durch sei­nen Un­ter­gang er­kauft wird. Die Küs­te von Tro­ja kann­te ich, be­vor ich noch eine gan­ze Stra­ßen­län­ge über un­se­ren Obst­gar­ten in Obe­reß­lin­gen hin­aus­ge­kom­men war, und im Heran­wach­sen lern­te ich bald auch die Trüm­mer­hau­fen der Ed­da­lie­der ken­nen. Mei­ne tiefs­te und dau­ernds­te Lie­be aber blieb für im­mer dem Soh­ne der The­tis, der dem Wäl­sun­gen­spross in eben dem über­le­gen ist, was wir ge­neigt sind, als un­ser be­son­de­res Erb­teil in An­spruch zu neh­men: der Treue und Wahr­heit. Denn Sieg­fried, der in trun­ke­ner Ju­gend­kraft nur sich sel­ber sieht und kennt, ver­rät nicht nur die eben­bür­ti­ge Braut aus Göt­ter­stamm, er zwingt sie auch durch Be­trug und Ge­walt in die Arme des ih­rer un­wür­di­gen Man­nes, um durch ihr Elend sein arm­se­li­ges Stück­chen Glück zu er­kau­fen. So ist sein Ende durch Sip­pen­ver­rat wohl der Un­ter­gang hel­di­scher Herr­lich­keit, er ist zu­gleich aber ge­rech­te Süh­ne ei­nes Fre­vels, wie er ruch­lo­ser nicht vom Mann am Wei­be be­gan­gen wor­den ist. Wenn Heb­bel fin­det, dass durch die­se Meu­chel­tat »der alte Kampf ums Vor­recht (der Ge­schlech­ter) aus­ge­kämpft« sei, so blei­be ihm die­se Ge­nug­tu­ung über­las­sen. »Vor­recht«, ein ar­mes Wort an­ge­wandt auf die tra­gi­sche Ver­wick­lung zwei­er Mäch­te, die nur in gleich­schwe­ben­der Waa­ge ihr hö­he­res Sein er­fül­len kön­nen. Es ist eine un­aus­ge­spro­che­ne, viel­leicht noch nir­gends be­ach­te­te Fein­heit in der Sieg­fried­my­the, dass der Held aus der Ehe mit Gun­thers Schwes­ter nicht den Hel­den­sohn ge­winnt, den er aus Göt­ter­stamm hät­te zeu­gen müs­sen, und ihm nur eine Toch­ter hin­ter­bleibt, die, gleich­falls durch Sip­pen­ver­rat, zu schau­ri­gem Ende be­stimmt ist. Aus dem my­thi­schen Stamm des Achill da­ge­gen er­wuchs durch die zeu­gen­de Kraft des Ideals der his­to­ri­sche Alex­an­der.

      Mit Trug und Hin­ter­list hat der Sohn der Meer­göt­tin und En­kel des Zeus nichts zu schaf­fen: ver­hasst ist ihm »wie die Pfor­te des Aïs, wer ein an­de­res spricht und ein andres im Bu­sen be­we­get«. Der Un­be­sieg­ba­re, der mit sei­ner Per­son al­lein das gan­ze Heer der Grie­chen auf­wiegt, kämpft auch nicht für sich, ihn treibt we­der Ge­winn­sucht noch Ruhm­gier, nur das Ge­fühl der Ehre. Er hat sich der Sa­che der Grie­chen ver­schwo­ren, die ihn im Grun­de nichts an­geht, weil er ja gar nicht un­ter den Frei­ern der He­le­na war, und er kämpft für sie, ob­gleich er weiß, dass ihr Sieg nur durch sei­nen frü­hen Tod er­kauft wer­den kann. Sein Le­ben und Ster­ben sind eine Dar­brin­gung: mit die­ser Auss­trah­lung des Gött­li­chen tritt uns der tod­ge­weih­te Halb­gott schon bei sei­nem ers­ten Er­schei­nen ent­ge­gen. Und ob er im Zelt die He­rol­de emp­fängt, die kom­men ihm die Brysëis weg­zu­füh­ren – wer könn­te sie ihm ent­rei­ßen, hät­te er nicht ge­lobt sich sel­ber zu be­zäh­men! –, oder ob er wei­nend am Ge­sta­de sitzt, die gött­li­che Mut­ter an­ru­fend in sei­nem Leid –, im­mer ist es um ihn wie eine lei­se schmel­zen­de Mu­sik, die alle sei­ne Be­we­gun­gen be­glei­tet. Wo­ge­gen um sei­nen ger­ma­ni­schen Zwil­lings­bru­der nur im­mer wie­der die Jagd­f­an­fa­ren der un­ge­bän­dig­ten Ju­gend­lust er­tö­nen. Aber end­lich, wenn das Maß voll ist, der ge­lieb­tes­te Mensch er­schla­gen liegt und Verzweif­lung den Hel­den auf­rei­ßt, dann ist er nicht mehr Mensch, dann ist er Na­tur­ge­walt, ist ufer­los, ist das Ra­sen sei­nes müt­ter­li­chen Ele­men­tes selbst, das die Ebe­ne von Tro­ja mit Lei­chen über­schwemmt, dann ver­folgt er sei­ne Fein­de noch in das Bet­te des auf­brau­sen­den Strom­got­tes wie das Meer, wenn es sei­ne Flut strom­auf­wärts jagt.

      Den gan­zen ho­me­ri­schen My­thos um­wogt das Meer als sei­ne na­tür­li­che Beglei­tung; es singt ver­nehm­lich mit sei­nem An­rau­schen und Zu­rück­wo­gen im Rhyth­mus des Hexa­me­ters, der auch sei­ne tiefs­te Be­deu­tung ver­liert, wenn er auf bin­nen­län­di­sche Ge­gen­stän­de an­ge­wen­det wird. Für das ho­me­ri­sche Epos eine an­de­re Form zu su­chen, ist dar­um ein un­be­greif­lich falsches Be­gin­nen, seit der Hexa­me­ter durch das Rin­gen un­se­rer größ­ten Dich­ter der deut­schen Spra­che ge­won­nen ist, die da­durch al­lein vor al­len an­de­ren den Schlüs­sel zu dem he­ro­i­schen Stil der Al­ten emp­fing. Wir sol­len uns dar­um des phi­lo­lo­gi­schen Be­den­kens ganz ent­schla­gen, dass wir nicht wis­sen, wie der grie­chi­sche Hexa­me­ter dem Ohr der Grie­chen ge­klun­gen hat: si­cher ist, dass er für sie wie für uns den Rhyth­mus des Mee­res in sich trug. – Die na­tur­ge­ge­be­ne Form der Ed­da­lie­der da­ge­gen ist der Stab­reim, den ich auch schon als Kind lieb­te und mich so ger­ne von ihm auf sei­ne kurz­sto­ßen­den Flü­gel neh­men ließ, wenn das Fal­ken­hemd der Fre­ya schwirr­te, die Dra­chen­schif­fe der Nord­lands­re­cken auf­ein­an­der­prall­ten oder die Schild­jung­frau ih­ren Er­we­cker, der sie spä­ter so schmäh­lich be­trog, Heil­se­gen und Siegs­ru­nen lehr­te.

      Das trau­rig schö­ne Wis­sen um die hö­he­ren Lose, das mit dem Kin­de ging und es in­ner­lich noch ein­sa­mer mach­te, als es durch Ge­burts­stun­de und Er­zie­hung war, hat­te in die­sen Ein­drücken sei­nen Aus­gangs­punkt. Aber es be­drück­te sie nicht. Sie trug die Über­zeu­gung in sich, dass es so sein muss­te und dass es so schön war. Es zog mich, so frü­he den Tod als et­was schmerz­lich Herr­li­ches an­zu­bli­cken, und viel­leicht war es mein vie­les Den­ken an ihn, was ihn sel­ber an­zog, mir spä­ter­hin so oft in den Weg zu tre­ten. In dem Ge­dicht »Aus der Kind­heit«, in dem ich mir zu­erst Re­chen­schaft ab­leg­te, sind die­se frü­hen Ein­drücke in die Form ge­ron­nen:

       O da er­kannt’ ich jene Mäch­te,

       Vor de­nen Göt­ter hilf­los stehn,

       Wenn sie für ihre al­ten Rech­te

       Das wil­de Op­fer­fest be­gehn.

       Nicht blin­de Wahl trifft eins von al­len,

       Das Haupt nur das am hells­ten strahlt,

       Das höchs­te muss, das schöns­te fal­len,

       Dann hat es für den Schwarm ge­zahlt.

       Dann winkt der Sieg – – –

      Und dann die Apo­theo­se:

       Nun aber tre­ten sie her­an,

       Die seit­wärts kum­mer­voll ge­stan­den,

       Als sie den Lieb­ling fal­len sahn,

       Und in am­bro­si­schen Ge­wan­den

       Soll ihn von Göt­ter­hand die Glut emp­fah’n.

       Dort bei den Schif­fen, sieb­zehn Nächt’ und Tage,

       Be­vor die Flam­me sein Ge­bein ge­bleicht,

       Schafft