Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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ein Damm zwi­schen sie ge­scho­ben war, an dem die Ge­gen­sät­ze sich ver­lau­fen konn­ten. Ich war frei­lich zu jung und his­to­risch zu un­vor­be­rei­tet, um die un­ge­heu­re Be­deu­tung der Bis­marck­schen Schöp­fung klar zu be­grei­fen, und mein Va­ter ent­hielt sich je­der Be­ein­flus­sung, selbst durch ein ge­schicht­lich be­leh­ren­des Wort. Aber an­der­seits war ich von Na­tur voll­kom­men un­zu­gäng­lich für Par­tei­schlag­wör­ter. »Na­ti­on« er­schi­en mir auch ge­fühls­mä­ßig nicht als Ve­r­in­se­lung, son­dern als wür­di­ge Brücke zu ei­ner grö­ße­ren Ge­mein­sam­keit, wo­durch die el­ter­li­chen Stand­punk­te ge­wis­ser­ma­ßen in mir ver­söhnt wa­ren. Das Fa­mi­li­en­le­ben wur­de nicht ge­stört, die Un­stim­mig­kei­ten mit Dul­dung zu­ge­deckt.

       Nah ist

       Und schwer zu fas­sen der Gott,

       Wo aber Ge­fahr ist, wächst

       Das Ret­ten­de auch.

       Höl­der­lin

      Ich weiß nicht, ob mein Va­ter mit der Art, wie sei­ne Gat­tin kraft ih­rer Zu­rück­erobe­rung je­nes vor­zeit­li­chen Mut­ter­rechts die re­li­gi­öse Fra­ge für sei­ne Kin­der lös­te, in­dem sie sie kur­zer­hand ab­schnitt, in­ner­lich durch­weg ein­ver­stan­den war. Da ich nie ein Wort dar­über von ihm hör­te, neh­me ich an, er habe auch auf die­sem Punk­te wie auf al­len an­de­ren maß­vol­ler, we­ni­ger um­stür­zend ge­dacht, aber doch im gan­zen grund­sätz­lich ihre Hal­tung nicht miss­bil­ligt. Mei­ne Mut­ter aber, die im Grun­de eine tie­fre­li­gi­öse Na­tur war, ver­warf lan­ge vor Nietz­sche, dem Pas­to­ren­sohn, mit dem glei­chen Nach­druck wie er das Chris­ten­tum, und aus der glei­chen Ur­sa­che: we­gen der Ver­ge­wal­ti­gung des Ge­wis­sens. Ich habe in mei­nem »Ju­gend­land« er­zählt, wie sie aus An­lass der ers­ten Kom­mu­ni­on ta­ge­lang ver­zwei­felt um­her­irr­te in Ge­wis­sens­angst, ob sie nicht etwa den hei­li­gen Leib un­wür­dig ge­nos­sen habe, und wie sie, um die glei­che Qual ih­ren Kin­dern zu er­spa­ren, die­se so­lan­ge wie mög­lich von der Be­kannt­schaft mit den Mys­te­ri­en des Chris­ten­tums ent­fernt hielt, was bei der Toch­ter, die kei­ne Schu­le be­such­te und au­ßer dem Haus gar kei­nen Um­gang hat­te, leicht durch­zu­füh­ren war.

      Das Bei­spiel mei­ner Mut­ter ist mir ein Be­weis, dass ganz un­duld­sa­mer Glau­be und eben­sol­cher Un­glau­be nur eine win­zi­ge Span­ne von­ein­an­der woh­nen kön­nen: es fragt sich bloß, wo­hin der Wind die Flam­me we­hen wird. Die­sel­be Frau, die ein ge­lehr­ter Freund die sanc­ta athea nann­te, hät­te in sich auch das Zeug zu ei­ner Fa­na­ti­ke­rin des Glau­bens, ja zu ei­ner christ­li­chen Mär­ty­re­rin ge­habt. Aber der geis­ti­ge Wind weh­te nach der an­de­ren Sei­te. Als die da­ma­li­ge Kon­fir­man­din ih­rem um vie­les jün­ge­ren Schwes­ter­chen Ot­ti­lie ihre Zwei­fels­qua­len an­ver­trau­te, zeig­te sich’s, dass das Kind schon durch die glei­chen Nöte ge­gan­gen und zu dem­sel­ben Nein ge­kom­men war. Es soll dies nach Jo­se­phi­nens Schil­de­rung ein stil­les, sanf­tes, tief­grün­di­ges Kind ge­we­sen sein und von der Na­tur zu sol­cher Fröm­mig­keit an­ge­legt, dass ihre rüh­ren­de Er­schei­nung mir als das Ur­bild des from­men Esther­chens in »Va­na­dis« vor­schweb­te. Sie wur­zel­te im Über­sinn­li­chen und soll auch in ih­ren letz­ten Fie­ber­träu­men die Stun­de ih­res To­des vor­aus­ge­nannt ha­ben. Gleich­wohl hat­te die Stil­le, Zar­te trotz ih­res kind­li­chen Al­ters, eben­so wie ihre stür­mi­sche äl­te­re Schwes­ter und un­be­ein­flusst von die­ser, das über­kom­me­ne Dog­ma ab­ge­lehnt. Und was ist denn, um ein äu­ßers­tes Bei­spiel zu nen­nen, die Gott­lo­sen­be­we­gung in Russ­land an­de­res als die Um­keh­rung des re­li­gi­ösen Or­gi­as­mus, der die­sem Vol­ke ei­gen war und der in Ras­pu­tin zu­letzt noch sei­nen stärks­ten Aus­druck ge­fun­den hat?

      Ich war ein viel zu für­wit­zi­ges Kind, als dass ich nicht ge­sucht hät­te, dem was mir vor­ent­hal­ten wur­de, auf an­de­rem Wege nach­zu­ge­hen. Neun- oder zehn­jäh­rig hol­te ich mir aus Va­ters Bü­cher­schrank heim­lich die Luth­er­bi­bel und ver­barg sie in mei­nem Bett, um dar­in zu le­sen, so oft ich mich un­be­ob­ach­tet sah. Im Al­ten Te­sta­ment hielt ich mich nicht auf, sei­ne har­ten und oft recht an­fecht­ba­ren Ge­stal­ten fan­den ne­ben der leuch­ten­den grie­chi­schen My­the kei­nen Platz; es war wohl der Schutz­geist des un­be­wach­ten Kin­des, der es so schnell an all den Be­denk­lich­kei­ten vor­über­führ­te. Auf der Früh­lings­wie­se des Neu­en er­ging ich mich lie­ber und war­te­te, ob der himm­li­sche Gärt­ner nicht auch zu mir kom­me. Aber ich hät­te wie Se­me­le ge­wollt, dass der Gott sich mir in sei­ner Gött­lich­keit ent­hül­le, dass er strah­lend ein­her­tre­te und wie ein Bru­der bei mei­nen an­de­ren ge­lieb­ten Göt­ter­ge­stal­ten ste­he; und das ge­sch­ah nicht. Mein Kin­der­herz war wohl wil­lig, sei­ne Leh­re auch so auf­zu­neh­men, al­lein es wuss­te nicht wo­hin da­mit. Das ste­te Re­den in Gleich­nis­sen be­frem­de­te mich und ließ mei­ne Hän­de leer. Gleich­wohl fuhr ich fort, mich als eine an­ge­hen­de Gläu­bi­ge zu be­trach­ten und nahm mir vor, auf die­sem Wege zu be­har­ren. Dass ich es so ganz ver­stoh­len trieb wie eine heim­li­che Sün­de, be­klemm­te mich zwar ei­ni­ger­ma­ßen, bis ich auf die Mah­nung stieß, der From­me sol­le sei­ne Fröm­mig­keit nicht zur Schau tra­gen, son­dern nur un­ge­se­hen in sei­nem Käm­mer­lein be­ten. Ob­gleich dies auf mei­nen Fall nicht pas­sen konn­te, was mir auch lei­se be­wusst war, be­schloss ich doch den Wort­laut für gut zu neh­men und mich da­bei zu be­ru­hi­gen. Da be­fand ich mich ei­nes Ta­ges in ei­nem Kreis von frei­re­li­gi­ös er­zo­ge­nen Kin­dern, die Ge­hör­tes miss­ver­ste­hend sich über den Aber­glau­ben der christ­li­chen Leh­re lus­tig mach­ten. Gleich fass­te mich ein klei­nes Rauscht­eu­fel­chen, dass ich ein­stimm­te und über­mü­tig mit den Wöl­fen heu­len muss­te. Als ich mich wie­der be­sann, er­kann­te ich mich mit Schre­cken als eine Ver­wor­fe­ne, mein Wer­ben um den Gott­men­schen fort­an zweck­los und mein Heil für im­mer ver­wirkt. Nun wag­te ich den Rück­weg in die Ge­fil­de des Glau­bens, die ich mir selbst ver­schlos­sen hat­te, gar nicht mehr zu su­chen, und nahm mir nur vor, künf­tig ohne das al­les in Tun und Re­den ein bes­se­rer Mensch zu wer­den. Vi­el­leicht gab es noch an­de­re Wege, wor­auf einen das Gött­li­che fin­den konn­te. Hät­te ich in der Pas­si­ons­ge­schich­te da­mals wei­ter­ge­le­sen und wäre bis zu Pe­trus und dem Hah­nen­kraht ge­kom­men, so wür­de ich wahr­schein­lich aus dem bö­sen Bei­spiel des Apos­tel­fürs­ten mil­dern­de Um­stän­de für mich sel­ber ab­ge­lei­tet ha­ben. So aber blieb mir ein bit­ter­bö­ser, mich tief be­schä­men­der Ein­druck haf­ten wie im­mer, wenn ich mich auf ir­gend­ei­nem Punkt nicht in Ein­klang mit mir sel­ber fühl­te, und ich nahm jah­re­lang das Buch der Bü­cher nicht mehr in die Hand, als ob ich es zum Schau­platz ei­nes Ver­bre­chens ge­macht hät­te. Aber war es wirk­lich nur Man­gel an Be­ken­ner­mut? muss ich mich nach­träg­lich fra­gen. War es nicht auch zum gu­ten Teil jene Scham des Her­zens, die mich so oft ab­hielt, all­zu wer­te Na­men aus­zu­spre­chen und mich lie­ber an­de­re, un­wich­ti­ge­re vor­schie­ben ließ, nur um nichts mir Hei­li­ges zu ent­wei­hen? – Der Kna­be Dan­te, der um die Neu­gier von sei­nem Ge­fühl für Bea­tri­ce ab­zu­len­ken, ei­ner An­de­ren, Gleich­gül­ti­gen hul­dig­te, fand bei mir ein of­fe­nes Ver­ständ­nis.

      Wenn ich es mei­ner Mut­ter zu­wei­len im stil­len ver­argt habe, dass sie auf die­sem Punkt wie auf man­chem an­de­ren im