Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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      Die Moadl war schon bei dem plötz­li­chen Er­schei­nen des frem­den Herrn ängst­lich und miss­trau­isch ge­wor­den, und als sie jetzt ver­nahm, dass sie nach sei­nem Wunsch ihr Kind Na­po­li­na nen­nen sol­le, be­kam sie es mit ei­ner aber­gläu­bi­schen Furcht, denn der ge­heim­nis­vol­le Jä­ger – der im Lauf der Über­lie­fe­rung schwar­zes Haar, schwar­zen Bart und schwar­ze glü­hen­de Au­gen be­kam – er­schi­en ih­rer Ban­gig­keit wie der, den man nicht ger­ne nennt. Sie be­riet sich auf ›ro­ma­nes‹ (zi­geu­ne­risch) mit ih­rem Mann, der ihr die Tor­heit aus­re­de­te. Da­nach gab sie not­ge­drun­gen ihre Ein­wil­li­gung und be­dang sich nur aus, dass die Lär­li Pa­tin sein müs­se und das Kind noch de­ren Na­men Ro­si­na dazu be­kom­me. Es ging nun ins Dorf, zum Pfar­rer, in die Kir­che, und das Kind wur­de auf die bei­den Na­men ge­tauft. Da­nach aber ging es hoch her.

      »Nach der Tau­fe muss­ten gleich ei­ni­ge von un­se­ren Frau­en und Mäd­chen mit dem Herrn zu al­len Bä­ckern ge­hen, die im Dor­fe wa­ren, und da kauf­te der Herr al­les Weiß­brot und Ku­chen zu­sam­men. Kaum aus dem Bäcker­haus her­aus, ging der Herr schon wie­der in den Kauf­la­den hin­ein, wo er Kaf­fee und Zu­cker, Ta­bak und Zi­gar­ren ein­kauf­te. Gro­ßer Gott, was mach­ten da die Weibs­leu­te für Au­gen! Alle die­se Sa­chen tru­gen sie in ih­ren Schür­zen oder auf den Ar­men, wie es ging. Jetzt ka­men sie zu­rück ins Wirts­haus, wo wir Män­ner so lang ha­ben war­ten müs­sen und, lie­be Freun­de, den Lärm und Ju­bel der Frau­en könnt ihr euch vor­stel­len.

      Die Freu­de war, wie wir se­hen, groß, aber als die Leu­te dem Herrn dan­ken woll­ten, der große Gott möge es ihm wie­der ein­brin­gen, wur­de er zor­nig und sag­te: Ich will nichts von Dank hö­ren, macht Euch einen schö­nen Tag. Da sag­ten sie nichts mehr, um ihn nicht auf­zu­brin­gen aus Furcht, er las­se am Ende die gu­ten Sa­chen wie­der fort­neh­men. Die­se wur­den nun hin­aus auf den La­ger­platz bei den Wa­gen ge­bracht, wo ge­sun­gen, ge­tanzt und mu­si­ziert wer­den soll­te. Doch zu­vor muss­ten ei­ni­ge von den Bur­schen noch­mals zu­rück mit Ei­mern, die der Herr mit Wein fül­len ließ.

      »Dann, lie­be Freun­de«, fährt der Be­richt­er­stat­ter fort, »ging es los an ein Ko­chen, Bra­ten und Es­sen. Das Bes­te kam zu­erst: Brannt­wein und He­rin­ge. Die Kin­der be­ka­men Ku­chen und Kaf­fee. Die In­stru­men­te wur­den aus den Wa­gen ge­holt, ge­stimmt und Mu­sik ge­macht, ge­sun­gen und ge­tanzt. Über­all und mit­ten drin war der Herr. Schon von wei­tem sah man ihn un­ter al­len, mit sei­nem schö­nen grü­nen An­zug, dem grü­nen Hut und der großen Fe­der dar­auf. Er lach­te im­mer und sag­te bloß: Esst, trinkt, singt und tanzt, spielt und seid lus­tig! Mit den Hän­den schlug er den Takt zum Tanz. Sei­ne Au­gen schos­sen Blit­ze. Die Freu­de und das Ver­gnü­gen war über­all groß.«

      Un­ter der aus­ge­las­se­nen Fröh­lich­keit kam die Mit­ter­nacht her­an. Mond und Ster­ne blink­ten durch die war­me hei­te­re Nacht. Ein Teil der Män­ner lag be­zecht am Bo­den, die an­de­ren sa­ßen um das La­ger­feu­er, als man plötz­lich ent­deck­te, dass der Herr nicht mehr da war. Nur die Moadl hat­te ihn noch einen Au­gen­blick ge­se­hen, als er ihr für den Täuf­ling ein paar Gold­stücke gab, die sie noch in der Hand hielt. Gleich dar­auf war er spur­los ver­schwun­den, ge­heim­nis­voll wie er ge­kom­men war. Man rief und such­te nach ihm ver­ge­bens, und auch am an­dern Mor­gen war im Dor­fe kei­ne Spur mehr von ihm zu er­fra­gen. Um zwölf Uhr war er er­schie­nen, um zwölf Uhr war er ge­gan­gen: ge­nau von Mit­tag bis Mit­ter­nacht hat­te die Herr­lich­keit ge­dau­ert. Jetzt ka­men alle zur Be­sin­nung. Die Moadl, die al­lein an der all­ge­mei­nen Lust kei­nen Teil ge­nom­men und auch von den Lecker­bis­sen nichts be­rührt, son­dern nur im­mer angst­voll das Kind fest­ge­hal­ten hat­te, da­mit kei­ne böse Macht es ihr ent­wen­de, die kam jetzt mit ih­rem Vor­ge­fühl zu Ehren. Die Moadl war ja als Wahr­sa­ge­rin weit be­kannt, die Moadl hat­te gleich das Rech­te ge­wusst. Die Stim­mung schlug völ­lig ins Ge­gen­teil um. Und als jetzt mit ei­nem Male ein Flug Ra­ben häss­lich kräch­zend über das La­ger strich, da zwei­fel­te nie­mand mehr an den Wor­ten der Moadl, die ein Un­glück weis­sag­te. Der Frem­de, den sie eben noch be­geis­tert ge­prie­sen hat­ten – wie gut für ihn, dass er sich aufs spur­lo­se Ver­schwin­den ver­stand! –, der hat­te sie alle ver­hext, denn er war kein an­de­rer als der Böse in Per­son.

      Und nun kam ein trau­ri­ges Nach­spiel: das Kind der Moadl schrie nach sei­nem Weg­gang un­auf­hör­lich, es nahm kei­ne Nah­rung mehr, wur­de krank und starb. Der lei­den­schaft­li­che Jam­mer der Mut­ter und ihr Selbst­vor­wurf präg­ten es al­len tief in die See­le, dass sie sich je­nes Ta­ges mit Teu­fels­gold er­lus­tigt hat­ten. Und von da ab mie­den die Zi­geu­ner jene be­vor­zug­te Wald­stel­le, die so schön zum La­ger­platz ge­eig­net ge­we­sen. – So­weit der Be­richt.

      Nach­dem ich zu Ende ge­le­sen, leg­te ich das Blatt kopf­schüt­telnd bei­sei­te und ver­wies die Mut­ma­ßung des Über­set­zers, dass es sich um mei­nen Va­ter auf sei­ner Stu­di­en­rei­se zu den Zi­geu­nern ge­han­delt habe, zu an­de­ren über­küh­nen li­te­ra­ri­schen Hy­po­the­sen. Aber als ich mir dann mit ge­schlos­se­nen Au­gen die Ge­stalt des Frem­den in­mit­ten der Zi­geu­ner­schar vor­zu­stel­len such­te, mein­te ich plötz­lich eine Ge­bär­de zu er­ken­nen, die mir ver­traut war. Nicht durch den Au­gen­schein, denn ich habe mei­nen Va­ter nur in der Zeit ge­kannt, wo er still und in sich ver­schlos­sen un­ter den Men­schen ging, son­dern aus der Schil­de­rung des »Wald­fe­ger­leins«, für de­ren Le­ben er den einen, großen und dau­ern­den In­halt ge­bil­det hat. So hoch­ge­mut und mit so schen­ken­der Ge­bär­de ging er durch alle Erin­ne­run­gen des Kin­des, wo­bei das Kind sich eben­so wie das Na­tur­volk, wenn auch nicht in so un­ge­heu­er­li­chem Maß­stab, die Grö­ße der Ga­ben über­trieb. Ge­wiss ist, dass mein Va­ter als jun­ger al­lein­ste­hen­der Mann, wenn er ein­mal vor­über­ge­hend sich bei Kas­se be­fand, ein Nim­mer­satt im Schen­ken war. Bei ei­nem Be­such un­ter den Zi­geu­nern war das auch ge­ra­de­zu ge­bo­ten, denn wenn er sie, um ein Zi­geu­ner­fest schil­dern zu kön­nen, im Fest­tau­mel se­hen woll­te, so muss­te er sie selbst dar­ein ver­set­zen. Grü­nes Jä­ger­ha­bit und Fe­der­hut sind ihm na­tür­lich nach­träg­lich zu­ge­wach­sen. Auch wa­ren Haa­re und Bart nicht schwarz, son­dern bräun­lich, und sei­ne Au­gen wa­ren blau. Aber der macht­vol­le Blick war ih­nen ei­gen, und ih­ren Glanz hat Mö­ri­ke be­sun­gen. Dass auch der Ti­tel­held sei­nes »Lisar­do«, dem der Ver­fas­ser viel vom ei­ge­nen We­sen mit­ge­ge­ben hat, bei sei­nem ers­ten Auf­tre­ten mit ei­nem Über­mut, der an Pose grenzt, die Gold­stücke um sich streut, sei hier gleich­falls er­wähnt. So in er­höh­ten Au­gen­bli­cken sich an dem Erz­feind Mam­mon, der ihn sein Le­ben lang grau­sam ver­kürz­te, rä­chen, ihm, wenn er ein­mal vor­über­ge­hend sei­ner hab­haft war, sei­ne gan­ze Ver­ach­tung ins Ge­sicht schleu­dern zu kön­nen, war dem Dich­ter in sei­nen Jung­ge­sel­len­ta­gen Be­dürf­nis und Hoch­ge­nuss. Wie herz­er­leich­ternd erst, wenn es ein­mal aus den un­er­schöpf­li­chen Ta­schen ei­nes bes­ser­ge­stell­ten poe­ti­schen Dop­pel­gän­gers ge­sche­hen