Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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ein­führ­te, bil­de­ten lan­ge Zeit eine be­staun­te oder be­lä­chel­te Neu­heit. Für ihn be­stand der Be­ruf des Arz­tes we­ni­ger im Hei­len als im Ver­hü­ten von Krank­hei­ten, und lie­ber als Leis­tun­gen am Kran­ken­bett moch­te er sich von den Kli­en­ten die Zeit ver­gü­ten las­sen, wo er sie ge­sund er­hielt. So leg­te er auch den größ­ten Wert dar­auf, über­all, wo er ge­ru­fen wur­de, sel­ber in strah­len­der Ver­fas­sung zu er­schei­nen, weil es ihm fest­stand, dass der Arzt dem Pa­ti­en­ten mit dem Bei­spiel der Ge­sund­heit vor­an­ge­hen müs­se. Er sag­te von sich, dass er nicht mit dem Kopf den­ke, son­dern mit den Po­ren der Haut, und in der Tat be­saß er in sei­nen aufs äu­ßers­te ver­fei­ner­ten Sin­nen Wahr­neh­mungs­or­ga­ne, die ihm Er­kennt­nis­se aus der Na­tur zu­tru­gen, ohne dass er sich mit ih­rer geis­ti­gen Ver­ar­bei­tung quäl­te, weil sie kaum über die Sphä­re des Kör­per­li­chen hin­aus­dran­gen. Die Na­tur hat­te die­sen Men­schen wie kaum einen an­de­ren zum Glück­lich­sein aus­ge­stat­tet. Wenn er früh­mor­gens über die Fel­der ging, so schlürf­te er Won­nen ein; alle blü­hen­den Bü­sche, die harz­duf­ten­den Bäu­me, die aro­ma­ti­schen Kräu­ter tru­gen ihm ihre Wohl­ge­rü­che zu und er schwelg­te noch im Be­schrei­ben. In dem Strei­chen der Mor­gen­luft über sei­nen nack­ten brau­nen Ober­kör­per woll­te er schmei­cheln­de Nym­phen­fin­ger er­ken­nen; so war ihm in der Tat jede Pore sei­ner Haut eine Tür, um das Glück ein­zu­las­sen. Eben­so glück­lich wa­ren sei­ne Au­gen, die jede Schön­heit der Land­schaft bis her­ab zu der feins­ten Schat­tie­rung des Grüns der Fel­der wahr­nah­men. Gute Mu­sik, gleich­viel ob erns­ten oder hei­te­ren Cha­rak­ters, ver­setz­te ihn in einen Glück­stau­mel, ohne sein Ge­müt zu er­schüt­tern; wid­ri­ge Geräusche da­ge­gen, wie sie den fein­ner­vi­gen Ed­gar zur Verzweif­lung brach­ten, er­reich­ten ihn gar nicht. Der gan­ze Mensch war die not­wen­di­ge Ska­la von Kom­pli­men­tär­far­ben zu der Far­bens­ka­la sei­nes schwie­ri­gen Freun­des.

      Wie er mir die Ab­le­ger sei­nes Gar­tens brach­te, dass sie in mei­nem Gar­ten lus­tig wei­ter­trie­ben, so trug er mir auch aus sei­nen per­sön­li­chen Er­fah­run­gen zu, was mir für mei­ne künst­le­ri­schen Zwe­cke die­nen konn­te, mit der Er­laub­nis, dar­aus zu ma­chen was ich woll­te. Man­cher be­son­de­re Zug, den ich in der Dich­tung ver­wen­den konn­te, war eine schnell ge­pflück­te Ran­ke aus dem Le­bens­gar­ten des er­leb­nis­fro­hen Freun­des. In mei­nen Auf­zeich­nun­gen fin­de ich ein paar Stro­phen, die von die­sem hei­te­ren Ver­kehr zeu­gen:

       Von dei­nem Gar­ten

       in mei­nen Gar­ten

       tru­gest du man­che

       Sträu­cher und Bäu­me,

       hast mir viel Blu­men

       am son­ni­gen Orte

       nicht eine ver­dorr­te –

       wei­hend ge­pflanzt.

       In mei­nem Gar­ten

       wach­sen viel Bäu­me,

       blü­hen viel Blu­men

       aus dei­nem Gar­ten,

       die ich ge­zo­gen,

       die mein ge­wor­den,

       die mir mit Früch­ten,

       die mir mit luf­ti­gen, duf­ti­gen Ran­ken

       die Pfle­ge dan­ken.

       So auch ent­schwirr­ten

       aus dei­nem Bu­sen

       in mei­nen Bu­sen

       viel schnel­le Ge­dan­ken

       und Bil­der des Le­bens.

       Sie wur­den mein ei­gen,

       sie trie­ben Kei­me,

       sie kehr­ten wie­der

       in Maß und Rei­me

       als neue Lie­der.

       Sie­he, sie ha­ben ein andres Ge­sicht,

       wenn du sie siehst, du er­kennst sie nicht.

      Eine sol­che Ran­ke von fast or­chi­de­en­haf­ter Selt­sam­keit über­brach­te er mir ein­mal ei­nes spä­ten Abends in Flo­renz, als ich schon mei­ne schö­ne Woh­nung an der Via de’ Bar­di in­ne­hat­te. Er ging in der Nacht­luft spät noch den Lun­gar­no ent­lang, um sich die Stirn von ei­ner fie­bern­den Er­re­gung zu küh­len. Da sah er das Licht mei­ner Lam­pe im Fluss ge­spie­gelt und klin­gel­te an, ob ich ihn noch emp­fan­gen kön­ne. Ich sah gleich, dass er et­was Au­ßer­or­dent­li­ches er­lebt hat­te, das er sich von der See­le re­den muss­te. Er kam vom Ster­be­bet­te der Te­cla Van­da, ei­nes wun­der­schö­nen jun­gen Mäd­chens, der Toch­ter ar­mer Leu­te, die er durch Mon­de an der Tu­ber­ku­lo­se hin­sie­chen sah, ohne ihr an­ders hel­fen zu kön­nen als durch die from­me Täu­schung, dass sie in Bäl­de ganz ge­sund sein wer­de, wor­auf sie mit ei­ner an Ab­göt­te­rei gren­zen­den Gläu­big­keit ver­trau­te. Als ihre Stun­de kam, hat­te er die plötz­li­che Ein­ge­bung, das arme Kind noch einen nie­ge­ahn­ten Glücks­rausch er­le­ben zu las­sen. Er gab ihr Cham­pa­gner, den sie noch nie ver­kos­tet hat­te, mit Mor­phi­um ver­setzt zu trin­ken und er­klär­te ihr das ein­tre­ten­de Ohrenklin­gen als eine herr­li­che, auf sie war­ten­de Fest­mu­sik. Un­ter sei­ner Sug­ge­s­ti­ons­kraft sah sie al­les, was er sie se­hen las­sen woll­te: sich selbst in wei­ße schlep­pen­de Sei­de ge­klei­det, mit Blu­men im Haar, an sei­nem Arm den Fest­saal be­tre­tend, wo Her­ren und Da­men sie an ge­schmück­ter Ta­fel be­grüß­ten. Auf ihre ängst­li­che Fra­ge, wie sie in die vor­neh­me Ge­sell­schaft kom­me, be­ru­hig­te er sie, dass ihre ei­ge­ne vor­neh­me Ab­kunft ent­deckt sei und ihr Va­ter nicht län­ger der arme Fuhr­mann, der er bis­her ge­we­sen, son­dern ein rei­cher Ma­jo­rats­herr, der jetzt sei­ne Be­sit­zun­gen zu­rück­er­hal­ten habe. Alle die­se ed­len Da­men und Her­ren sei­en nur zu ih­rem Empfang er­schie­nen. Er sel­ber, ihr Rit­ter, brach­te den ers­ten Trink­spruch auf Te­cla Van­da als Kö­ni­gin des Fes­tes aus und nö­tig­te ihr noch mehr von dem ver­wir­ren­den Ge­trän­ke auf, wäh­rend die Gäs­te sie mit er­ho­be­nen Glä­sern um­dräng­ten. Dem ar­men Kind schwank­ten die Sin­ne in ei­ner Ek­sta­se von Lie­be, Stolz und Se­lig­keit. Auch das plötz­li­che Schar­ren und Schnau­ben des Klep­pers im Stall, der nebst dem Fuhr­manns­kar­ren der ein­zi­ge Be­sitz des Hau­ses war, durf­te den se­li­gen Zau­ber nicht bre­chen: zwei Ros­se edels­ter Zucht, von ei­nem Pa­gen ge­hal­ten, stan­den im Hof und war­te­ten auf die schö­ne Rei­te­rin. Er hob sie aufs Pferd, be­stieg das an­de­re und führ­te sie in brau­sen­dem Ritt, der zu­letzt durch die Lüf­te ging, aus dem Fest­ju­bel, aus der Stadt und aus dem Le­ben hin­aus. Die Ein­bil­dungs­kraft und Dar­stel­lungs­ga­be die­ses Man­nes wa­ren so au­ßer­or­dent­lich, dass auch die An­ge­hö­ri­gen und eben­so er sel­ber von dem glei­chen Rausch er­fasst wur­den wie die arme Te­cla. Alle horch­ten sie atem­los auf den ver­hal­len­den Huf­schlag der Pfer­de und sa­hen die Rei­te­rin in den Lüf­ten ent­schwin­den. Noch im­mer wäh­rend er mir den Vor­gang mit man­cher­lei aus dem Zu­sam­men­spie­len von Traum und Wirk­lich­keit ent­sprun­ge­nen Ein­zel­hei­ten er­zähl­te, stand er völ­lig un­ter dem Ban­ne des Er­leb­ten und fand nicht Wor­te ge­nug, die ihn sel­ber über­ra­schen­de Wir­kung des plötz­li­chen Ein­bruchs der Fan­ta­sie in ein ganz un­be­bau­tes, bis­her nur von All­tag­s­ein­drücken er­füll­tes See­len­le­ben zu schil­dern. Ich sag­te, er habe eine Dich­tung ge­lebt, um die ihn ein Dich­ter be­nei­den kön­ne; ich wol­le