schied sie von dem Tommaso Salvinis. Zwar hatte sie in ihren größten Augenblicken wie dieser noch den Urlaut und den jähen Ansprung der Leidenschaft, aber im übrigen spielte sie Nerven; der große Stil war durch den Zeitgeschmack zerfasert, aus ihren Rollen hatte sie ihn nicht lernen können. Was sie darstellen musste, war fin de siècle, Problematik, bürgerliche Dekadenz. Aber sie leerte ihre öden Rollen aus von dem Kitsch und tat Menschentum hinein, ihr ganzes gequältes Frauentum. Man muss sie gesehen haben, wie sie als Marguerite Gautier von ihrem Liebesnest Abschied nimmt, jeden Gegenstand, woran ein Glückserinnern hängt, noch streichelnd, hastig, fahrig wie ein hinausgejagtes Kind. Es konnte nichts Herzzerreißenderes geben. Dass sie sich spät noch an die Kleopatra wagte, kann nur ein Fehlgriff gewesen sein, und es ist mir lieb, sie nicht in dieser Rolle gesehen zu haben, wie sehr auch ihre Bewunderer sie priesen; für Shakespeare reichten ihre Maße nicht aus. Gewiss verfügte sie über alle Verführung und alle Gefährlichkeit der königlichen Kurtisane, aber Kleopatra war mehr als das, sie war auch eine Königin und eine politische Frau. Woher den großen weltgeschichtlichen Atem nehmen? Und wer besaß ihn unter den Zeitgenossen? Dagegen sah ich sie spät einmal in ihrem höchsten Glanze – in Goldonis »Locandiera«. Sie war zwar alles eher als das jugendlich mutwillige Geschöpf des Dichters, sondern ganz und gar ihre eigene Schöpfung: die reife, schon leise vom Altern gestreifte, aber desto berückendere, mit allen Wassern getaufte Frau, das Urbild italienischer Grazie und malizia. Man hätte müssen für das grüne Bürschlein bangen, das diese entzückende Schlange sich zum Gatten erkürt, wenn man überhaupt eine andere Gestalt auf der Bühne neben ihr gesehen hätte.
Ich hatte nur einmal die Freude, einige Worte mit Eleonora Duse zu wechseln, und zwar in Florenz bei einer Begegnung auf der Straße, wo meine Fili uns rasch bekannt machte. Sie klagte über den Ungeist ihrer Italiener, der aber der Ungeist der Zeit war. Ich antwortete zum Trost, jeder habe es mit seinen Landsleuten. O ich hab es schrecklich mit den meinigen, war die Antwort; sie fühlte sich trotz ihres Weltruhms um das Beste ihres Könnens verkürzt. Man musste sie sogleich lieben; es war um ihre wundervolle Persönlichkeit gar keine Theaterluft, nur die Ausströmung einer edlen, innerlich echten Frauennatur. Den Besuch, den sie uns, das heißt meiner kranken Mutter, die mit mir zusammenlebte, zugedacht hatte, aber ihrer Nerven wegen nicht ausführte, habe ich ihr viele Jahre später in Asolo zurückgegeben, als ich auf dem hochgelegenen Friedhof an der schrecklich lastenden Grabplatte stand, die keine Inschrift außer dem großen Namen trägt. Die Arme, als wäre ihr die Erde nicht schwer genug gewesen! An einem Haus in Asolo ist eine Gedenktafel zu lesen, die die große Künstlerin als drittgeborene Tochter von San Marco feiert, ein Gedanke, den die hochragende Burg der Caterina Cornaro, oberhalb der Häuserzeile, eingegeben haben mag. Der Stil verrät den Verfasser: es war das Letzte, was er der einstigen Freundin tat, ihr den klingenden Titel für ihren Einzug in die Unsterblichkeit finden.
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Jede Menschenseele scheint für eine bestimmte Jahreszeit vorzugsweise geschaffen, wo sie sich in den atmosphärischen Bedingungen am wohlsten fühlt. Die meinige war an den Sommer gebunden, an seine höchsten mittäglichen Gluten. Da kamen sie zu mir, meine Mittagsgespenster, um die Stunde, wo drinnen im Lande der Große Pan auf den glühenden Feldern schläft und alles Unsichtbare mächtiger wird. Der Strand, der unsere Häuser trug, war Schwemmland und hatte noch keine Geschichte wie die Städte und Städtchen und Burgen im Hinterland, die von historischen Erinnerungen strotzten. Hier konnten sich Böcklins Tritonen und handfeste Meerweiber in den Sturzwellen überpurzeln (was ich ihnen in den griechischen Gewässern, die einer erlauchteren Fabelwelt gehören, verargen würde); andere Elementarwesen hockten flötend im Röhricht der Pineta. In jener stillsten der Stunden, die wie die Mitternacht der Geisterwelt gehört, besaß ich die Unendlichkeit des Strandes, von dem alles Geräusch der Lebenden wich, für mich allein, freilich nie ohne einen Schauer vor der Nähe des Unbegreiflichen. Wie die Wolkenbildungen über den Alpen, kaum geformt schon zerrinnen und sich neu gebären, so kamen und gingen die inneren Gebilde unfruchtbar wie Wolken und Welle, aber wunderbar anregend. Lange freilich hielt ich die gesteigerte Stille nicht aus, die Nähe des Erdgeists erträgt das sterbliche Gemüt nicht auf die Dauer; aus der weißen Leere griff es wie mit Armen nach mir –sei’s, dass eine rätselhafte Fußspur im Sand mich jäh verwirrte, sei’s, dass ein aus weiter Ferne heransegelndes Piratenschiff Sklaverei und Untergang drohte, immer musste ich mich aus der Verzauberung bald wieder in den Schutz des Hauses flüchten. – Erhöhteste und zugleich unwirklichste, ichloseste Form des Daseins, letzte Entrückung aus der Uhrenwelt, kaum in Worte der Dichtung zu fassen:
Zur Zeit, wenn lautlos selbst die Welle ruht
Und nichts lebendig ist als Licht und Glut,
Am blauen Meergestade tief allein
Im Mittagsweben ist mein wahres Sein.
Kein Lufthauch. Die Libelle schläft im Schilf.
Auf loser Ranke träumt der müde Sylph,
Nur der Zikade endlos schriller Klang
Durchtönt die Weite wie mit Geistersang.
Da webt der Mittag zaubrisches Gesicht,
Die Dinge stehen körperlos im Licht.
Ich selbst, ein Schemen, luftig, weiß und stumm,
Mit andern Mittagsgeistern geh ich um.
Die trunkene Seele kennt sich selbst nicht mehr.
Das Ich versank und was ist jetzt noch schwer?
Ich bin ein Rauch, der sich vom Boden hebt,
Ein Sonnenfalter, der ins Blau verschwebt.
Es fällt die Schranke, die vom All mich trennt,
Was mein gewesen, strömt ins Element,
Und leicht wie Wölkchen an der Alpen Saum
Lös’ ich mich auf, ein kurzer Mittagstraum.
Wenn ich jetzt gleichsam mit halbgeschlossenen Augen über die frühen Jahre in Forte hinblinzle – es waren ja bloß die langen Sommer, aber sie warfen ihren Glanz über das ganze Jahr –, so sehe ich sie nur als einen einzigen Strom von Licht: was von Erdenweh auch da hineingeschlungen war, ist weggespült. Fasse ich aber die Einzelheiten ins Auge, so finde ich freilich wieder die alte Not. Lächerlich zu sagen: auch in dem selbstgebauten Haus wie einst in dem gekauften war für alles andere eher gesorgt als für meine Arbeitsruhe und mein Behagen. Der Bruder hatte für mich das Haus klein gewollt,