Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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und habe ihm einen Gruß her­ab­ge­winkt.

      Ich füg­te der fer­ti­gen Bal­la­de noch eine Stro­phe hin­zu, die ich ihm schick­te:

       In der Christ­nacht hört er’s noch ein­mal ziehn

       Durch die Lüf­te mit brau­sen­den Hu­fen:

       Die Ka­val­ka­de der Che­ru­bim,

       Draus hat ihm Te­cla ge­ru­fen.

      Die ster­ben­den Frau­en wa­ren über­haupt ein Son­der­fach, das die­ser wun­der­li­che Künstl­er­geist un­ter den Ärz­ten mit Vor­lie­be pfleg­te, denn er lieb­te die Frau­en, nicht nur die jun­gen und schö­nen, son­dern das gan­ze Ge­schlecht an sich. Ir­gend­ei­ner ar­men glück­lo­sen See­le die letz­te Stun­de zur schöns­ten ih­res Le­bens zu ma­chen, ihr den Über­gang durch die Fan­ta­sie zu ver­klä­ren, da­für er­fand er im­mer neue zärt­li­che For­men: die eine führ­te er im be­wim­pel­ten Boot hin­weg, die an­de­re ließ er in ei­nem glück­se­li­gen Wald­spa­zier­gang zu zwei­en, wo­für er ihr eine dich­te Moos­la­ge un­ter die Füße und Wald­kräu­ter un­ter das Kopf­kis­sen schob, die See­le ver­hau­chen. Sol­che Kräu­ter, in Wald und Wie­sen ge­pflückt, trug er im­mer frisch in der Ta­sche und er­quick­te da­mit den Schlaf sei­ner Fie­ber­kran­ken, dass sie das Bett ver­ga­ßen und sich in das Grün der Wäl­der und Fel­der hin­austräum­ten. – Mei­ne Bal­la­de »Pe­re­gri­nas Schlaf­lied«, zu­erst un­ter dem Ti­tel »Eutha­na­sia« in der »Ju­gend« ge­druckt, geht gleich­falls auf den Ein­fluss der von dem ärzt­li­chen Freun­de ge­üb­ten Eutha­na­sie zu­rück; sie ist dich­te­risch voll­kom­me­ner ge­ra­ten als die »Ka­val­ka­de«, weil sie kei­ne Züge der Wirk­lich­keit, die im an­de­ren Fal­le be­stim­mend wa­ren, mit­zu­füh­ren brauch­te.

      Es ver­steht sich, dass ein sol­cher Frau­en­lob nicht nur mit den ster­ben­den Frau­en sich ab­gab. Ihm ge­fie­len alle. Es gab für ihn ei­gent­lich kei­ne häss­li­che Frau. An je­der Vor­über­ge­hen­den ent­deck­te er eine Schön­heit, und wenn sie gar nichts für sich hat­te als einen an­mu­ti­gen Gang, so ent­zück­te ihn die­ser. Und es ver­steht sich eben­falls, dass ihm sei­ne Ge­füh­le noch feu­ri­ger zu­rück­ge­ge­ben wur­den, wor­aus sich die vie­len klei­nen Dra­men ent­wi­ckel­ten, aus de­nen er sich eben­so leicht wie­der her­aus­wi­ckel­te, denn in der Nähe sol­cher Na­tu­ren gibt es kei­ne Tra­gik. Man kön­ne die Frau­en nur ein Stück weit tra­gen, mein­te er, dann mach­ten sie sich al­le­mal schwer und man müs­se sie wie­der ab­set­zen. Wenn die also Ab­ge­setz­ten ihre Kla­gen er­ho­ben, so trös­te­te er sein Ge­wis­sen da­mit, dass sich doch eine jede frü­her oder spä­ter wie alle ihre Vor­gän­ge­rin­nen, wenn sie in ir­gend­ei­ne ernst­li­che Not ge­riet und ei­nes Hel­fers be­durf­te, wie­der an ihn wen­den wür­de, und nie ver­ge­bens. Man konn­te ihn dem Gös­ta Ber­ling ver­glei­chen, der an je­dem Fin­ger ein Frau­en­we­sen hän­gen hat und doch im­mer al­lein bleibt. – Ein­mal hat­te er sich auf Müt­ter­leins Zu­re­den zu ei­ner rei­chen Wit­we ent­schlos­sen. Al­lein er war so zer­streut, dass er die Ver­lo­bung ver­gaß und ohne es böse zu mei­nen der Braut kei­ne Zei­le mehr schrieb, bis sie die Ge­duld ver­lor und ihm sei­nen Ring zu­rück­schick­te, wor­über er sich freu­te wie über ein großes Ge­schenk. Den von ihr emp­fan­ge­nen, den er nicht ge­tra­gen hat­te, be­trach­te­te er bei die­ser Ge­le­gen­heit zum ers­ten Male ge­nau und fand, dass wer einen so prot­zi­gen Dia­man­ten schen­ke, ge­wiss kein gu­ter Mensch sei.

      *

      An ei­nem der glück­li­chen Som­mer von For­te – oder wa­ren es zwei? – er­schi­en auch D’An­nun­zio un­ter den Ba­de­gäs­ten. Er wohn­te auf ei­ner äl­te­ren land­ein­wärts ge­le­ge­nen Vil­la – mit der Duse, so hieß es, die aber nie zum Vor­schein kam –, und mit Pfer­den von edels­ter Zucht, so­wie eben­sol­chen Hun­den, ei­ner gan­zen Meu­te, die zu­wei­len mit ih­rem Ge­to­be den Über­gang über den Fi­u­met­to wehr­ten.

      Vor al­len an­dern Dich­tern je­ner Tage war er der wah­re Ex­po­nent und zu­gleich der groß­ar­tigs­te Aus­wuchs des Zeit­geis­tes. Sein bac­chan­ti­scher Ruf: Gioire! Gioire! (ge­nie­ßen!) schlug in der Ju­gend al­ler Völ­ker ein, die Maß­lo­sig­keit sei­ner Ge­nuss­sucht wirk­te wie eine Seu­che. Ich hör­te von Fäl­len, wo wie in Goe­thes »Ver­göt­ter­tem Wald­teu­fel«, hin­ter dem sich ja auch ein Gro­ßer aus dem Rei­che des Geis­tes barg, jun­ge Töch­ter von ih­ren Müt­tern dem neu­en Na­tur­gott vor­ge­stellt wur­den, da­mit sie an­be­te­ten und sei­nen Se­gen emp­fin­gen. Ich wünsch­te die­sem Man­ne nie­mals zu be­geg­nen. Man brauch­te mir gar nichts von sei­nem un­rit­ter­li­chen Ver­hal­ten ge­gen edle Frau­en zu er­zäh­len, ein ein­zi­ges Wort von ihm in sei­nen Ro­ma­nen ge­nüg­te, um sei­ne schnö­de Über­heb­lich­keit der Frau ge­gen­über zu kenn­zeich­nen. In der ita­lie­ni­schen Spra­che heißt der männ­li­che Part­ner in der Lie­be l’a­man­te – der Lie­ben­de – eben­so wie der weib­li­che. Bei D’An­nun­zio aber hieß der Lieb­ha­ber, un­ter dem er sich sel­ber ver­stand, denn er konn­te ja von nichts an­de­rem re­den, be­ton­ter­wei­se nur l’a­ma­to, also der­je­ni­ge, der ge­liebt wird, der Ge­gen­stand der Lie­be! – Ein­mal sah ich ihn doch vor­über­ga­lop­pie­ren; er hat­te dem ed­len Tie­re, das er ritt, in der glü­hen­den Hit­ze den Schweif ab­neh­men las­sen und schwang das flat­tern­de Pracht­stück wie eine Tro­phäe vor sich her. Die Pein des Pfer­des, das sich der um­schwir­ren­den Stech­mücken und Brem­sen nicht mehr er­weh­ren konn­te, klag­te die Fühl­lo­sig­keit des Be­sit­zers an. Da­mals kann­te ich frei­lich sei­ne Lau­di nicht, die um jene Zeit ent­stan­den sein mö­gen und die mir nach­mals eine an­de­re Mei­nung, nicht von dem Men­schen, aber von dem Dich­ter D’An­nun­zio ga­ben. Ein sol­ches Sin­gen, Quel­len, Spru­deln, Schil­lern, Schäu­men, Sich­kräu­seln und Wir­beln der Spra­che, in die alle Zau­ber des Mee­res und der Wäl­der ge­bannt sind, gab es in der ita­lie­ni­schen Dich­tung nie zu­vor; er hat sie aus der star­ren Sta­tik er­löst, in die Car­duc­cis Mo­nu­men­tal­stil sie ge­bannt hielt, und wenn al­les an­de­re an die­sem Man­ne kal­ter Glanz war, so doch ei­nes nicht: sei­ne tie­fe An­dacht zur Spra­che, der er mit der In­brunst ei­nes Ver­lieb­ten nach­ging, wo er sie aus dem Mun­de al­ter tos­ka­ni­scher Bäu­er­lein als an ih­rem Ur­sprung auf­fan­gen konn­te. Nach den Lau­di konn­te man ihm viel ver­zei­hen, nur nicht die ver­ra­te­ne bloß­ge­stell­te Duse.

      An je­nem Som­mer be­geg­ne­te Freund Fa­so­la vor dem Dorf ei­nem Bäu­er­lein, das mit ei­nem ver­deck­ten Korb aus der Berg­ge­gend her­un­ter­kam und sich bei ihm nach dem Wohn­sitz der Si­gno­ra Nun­zia er­kun­dig­te. Fa­so­la, der von die­ser Dame nichts ge­hört hat­te, frag­te sei­ner­seits nach dem Zweck der Fra­ge, da deck­te der Land­mann eine Bir­ne von un­ge­heu­rem Um­fang auf und sag­te, die­se Rie­sen­frucht sei in sei­nem Baum­gut ge­wach­sen, aber da oben kön­ne sie nie­mand be­zah­len, des­halb habe man ihm ge­ra­ten, sie der Si­gno­ra Nun­zia un­ten am Stran­de zu brin­gen, das sei eine sehr groß­spu­ri­ge und auf al­les Au­ßer­or­dent­li­che er­pich­te Dame, die sie ihm ge­wiss ab­neh­men wer­de. Nun wuss­te der Fra­ger Be­scheid, riet je­doch dem Bäu­er­lein, sich das Su­chen nach be­sag­ter Dame zu spa­ren und lie­ber ihm die Bir­ne zu ver­kau­fen, da auch er ein Lieb­ha­ber von großen Din­gen sei. So kam die Lu­xus­ta­fel des Dich­ters an je­nem Tage um eine Merk­wür­dig­keit. Ich er­zäh­le den Spaß nicht des Spa­ßes hal­ber, son­dern als War­nung für die Ruhm­gie­ri­gen: un­ten am Strand der Dich­ter Ita­li­ens, der »Poe­ta« – d. h. der