Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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Will die Fahrt sich er­zwin­gen.

       Hei­ßer Atem wie Dampf

       Sengt die schwei­gen­den Fel­der,

       Bang in den Rie­sen­kampf

       Bli­cken die Wäl­der.

       Raum! Gib Raum! Und ins Wut­ge­stöhn

       Schmet­tern die Siegs­fan­fa­ren.

       Hoch in Wip­fel und Wal­des­höh’n

       Kommt der West­wind ge­fah­ren.

       Dem Mee­re brüllt er: Steh auf!

       Schnell ge­horcht es dem Ru­fer,

       Gan­ze Ge­schwa­der zu­hauf

       Wirft es ans Ufer.

       Weh, was klir­ren die Schei­ben so wild?

       Bal­ken und Zie­gel schmet­tern.

       Al­les ruft er, was Men­schen­ge­bild,

       Auf zum Tanz mit den Wet­tern.

       Hoch aus ge­bors­te­nem Sch­lund

       Fah­ren feu­ri­ge Dra­chen,

       Tief ent­blö­ßen den Grund

       Gäh­nen­de Ra­chen.

       Wil­de Ge­sich­ter aus Schaum und Flut

       Tau­chen em­por und grin­sen,

       Lau­ter for­dert des Mee­res Wut

       Sei­ne ver­lor­nen Pro­vin­zen:

       Al­ter, sei stark, sei stark!

       Was das Land dir ge­stoh­len,

       Samt dem mensch­li­chen Quark

       Wol­len wir’s ho­len!

       Tief im Lan­de der Schwall und Schaum

       Stür­zen­der Was­ser­ko­los­se,

       Sprin­gend wei­den am Wie­sensaum

       Nep­tuns weiß­mäh­ni­ge Ros­se.

       Wind und Wel­len­tri­umph!

       Mor­gen wol­len wir se­hen.

       Erde die spielt den Trumpf:

       Schwei­gen und ste­hen.

      In sol­chen Stun­den hat­te ich große Not mit mei­nem Müt­ter­lein. Nichts auf der Welt fürch­te­te sie so wie die Ge­wit­ter, und zwar den Don­ner: die Blit­ze be­ängs­te­ten sie we­ni­ger, weil sie schon da wa­ren, ehe man sie kom­men sah. Es blieb bei star­ken Ent­la­dun­gen nichts üb­rig, als sich mit ihr auf die Trep­pe zu set­zen, an die Stel­le, wo­hin bei tiefer Be­wöl­kung kei­ne Hel­lig­keit fiel, und wäh­rend ich sie im Arme hielt, mit lau­ter Stim­me zu zwei­en ein krie­ge­ri­sches Lied zu sin­gen. Wenn das Ge­wit­ter sich hin­zog, war es auch un­ge­mein wirk­sam, sel­ban­der Schil­lers »Sie­ges­fest« auf­zu­sa­gen; schon das Aus­spre­chen der großen he­ro­i­schen Na­men war ne­ben dem Schwung des Rhyth­mus auf ma­gi­sche Wei­se stär­kend, furcht­ver­trei­bend, und der je­der lan­gen Stro­phe wie mit ei­nem Häk­chen an­ge­häng­te kur­ze Ab­ge­sang setz­te durch die Schwie­rig­keit, ihn zu be­hal­ten, die Denk­kraft zwangs­wei­se in Tä­tig­keit und zog von dem Him­mels­vor­gang ab. Meist war bei dem Zei­len­paar:

       Mor­gen kön­nen wir’s nicht mehr,

       Da­rum lasst uns heu­te le­ben –

      der Him­mel wie­der hell und der müt­ter­li­che Puls in Ruhe. Das Schöns­te war je­des Mal nach aus­ge­tob­tem Sturm die ers­te Mor­gen­frü­he, wenn der tol­le Kra­ken sich wie­der in sein Bet­te zu­rück­ge­zo­gen hat­te und nur noch in nach­ko­chen­dem Groll mit dem Schwanz die Küs­ten­bö­schung schlug, wäh­rend der wie­der­be­ru­hig­te See­wind die ge­ball­ten Schaum­flo­cken wie lau­ter klei­ne wei­ße Mäu­se am Ufer hu­schen ließ. An den feuch­ten Abla­ge­run­gen konn­te man se­hen, wie weit das Meer bei Nacht her­aus­ge­tre­ten war. Jede an­ge­rausch­te große Woge hin­ter­ließ einen fei­nen brau­nen Tang­strei­fen, einen hin­ter dem an­de­ren, oft mit zier­vol­len, dem reichs­ten Spit­zen­werk glei­chen­den Zeich­nun­gen ge­säumt. Denn die Na­tur mag nicht ger­ne et­was un­ge­schmückt las­sen, auch nicht die Aus­brü­che ih­rer Wut, und oft­mals habe ich mir einen Zeich­ner zur Stel­le ge­wünscht, der die Ge­duld hät­te, alle die­se köst­li­chen Mus­ter für Sti­cke­rei­en und an­de­re kunst­ge­werb­li­che Ar­bei­ten fest­zu­hal­ten. Zu­wei­len auch war der feuch­te­re Sand am Was­ser hin mit ei­nem ge­flamm­ten oder ge­wäs­ser­ten Mus­ter in groß­ar­ti­gen Li­ni­en wie ein moi­rier­ter Sei­den­stoff ge­zeich­net, ein Be­weis, dass der mensch­li­che Geist auch nicht das kleins­te Ne­ben­ding er­fin­den kann, wozu die Vor­la­ge nicht in der Na­tur vor­han­den wäre.

      Da fand man auch ne­ben den wüs­ten, an weiß­um­wall­te Grei­sen­köp­fe er­in­nern­den Qual­len, die das Meer nach sei­nen nächt­li­chen Be­su­chen in Men­gen aus­speit, noch reich­li­cher als jetzt die man­nig­fach ge­form­ten und ge­färb­ten Mu­scheln, ge­wun­de­ne, ge­rief­te, glat­te, dar­un­ter die ganz dün­nen, zart­wan­di­gen, ro­sa­ro­ten, die sich in Blu­men­scha­len zu Ro­set­ten ord­nen lie­ßen, und das al­ler­lie­bens­wür­digs­te Ge­bil­de, die wei­ßen glöck­chen­ar­ti­gen, die sich mas­sen­haft an Holz­stück­chen an­sam­meln, wo sie große Sträu­ße bil­den, und die bei dem Strand­volk den poe­ti­schen Na­men mughet­ti del mare (Maiglöck­chen des Mee­res) die­ser täu­schen­den Ähn­lich­keit we­gen füh­ren. Ne­ben den Sees­ter­nen, die bei je­der Sturm­flut in Men­gen aus­ge­wor­fen wer­den, fand man auch ge­le­gent­lich noch die jetzt ganz ver­schwun­de­nen ent­zücken­den See­pferd­chen, die die Vor­stel­lung er­reg­ten, als müss­ten sich drun­ten in den blau­en Tie­fen kris­tal­le­ne Kin­der­gär­ten be­fin­den, wo die Klei­nen der Meer­menschen sich mit so köst­li­chem Spiel­zeug ver­gnüg­ten. Die aus­ge­wor­fe­ne Schul­pe der Se­pia gab mü­ßi­gen Künst­ler­hän­den An­lass, leich­te Zeich­nun­gen in ihr ge­brech­li­ches Ge­wän­de zu rit­zen, ein Spiel, worin sich be­son­ders Hil­de­brand, der nie­mals gänz­lich fei­ern konn­te, un­er­müd­lich ge­fiel.

      *

      Mehr als die plötz­lich her­ein­bre­chen­den Tra­gö­di­en des Mee­res, auf die man je­den Som­mer ge­fasst sein muss­te, er­schüt­ter­te mich je­des Mal in der Fe­ri­en­zeit ein Elends­zug, der sich ein­mal im Tage den Strand ent­lang be­weg­te und mich an je­nen Zug der Wai­sen­kin­der er­in­ner­te, an dem mein Kind­heits­glück zer­brach. Die Un­glück­li­chen, die da hilflo­sen Schrit­tes ein­an­der hal­tend auf dem un­glei­chen Sand­bo­den hin­stol­per­ten, wa­ren noch är­me­re Wai­sen­kin­der, sie wa­ren die Wai­sen des Son­nen­lichts. Es war mir im­mer, als müss­te ich je­den ein­zel­nen die­ser Beraub­ten um Ver­zei­hung bit­ten, dass ich im Über­schwang be­saß, wo­von ih­nen nur der Atem der Fer­ne die al­ler­schwächs­te, sehn­süch­tigs­te Ah­nung ver­mit­teln konn­te. Und doch ver­moch­te ich nicht ein­mal ih­ren An­blick aus der Nähe zu er­tra­gen. Ich wuss­te mich nicht an­ders ge­gen die Er­sti­ckung zu weh­ren, als in­dem ich sie durch Wort und Reim zu ban­nen such­te; frei­lich eine Er­lö­sung, die nur mir, nicht ih­nen zu­gu­te kam. Un­ter al­ten Pa­pie­ren fin­de ich ein Zeug­nis die­ses Ein­druckes auf­be­wahrt.

       Am Mit­tags­meer bei der Süd­son­ne Glast

       Was wan­delt ein Zug bei den Hän­den ge­fasst?

       Män­ner und Frau­en mit schwan­ken­dem Schritt,

       Voran zwei Non­nen im grau­en