Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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ver­schlos­sen und dem weib­li­chen Ge­schlecht zur Ver­fü­gung ge­stellt wer­de. Der städ­ti­sche Schwimm- und Turn­leh­rer und eine lie­bens­wür­di­ge jun­ge Pro­fes­sors­gat­tin von aus­wärts wa­ren mei­ne Mit­schul­di­gen. Den bei­den scha­de­te es in der öf­fent­li­chen Mei­nung wei­ter nichts, die gan­ze Ent­rüs­tung wand­te sich ge­gen mich als die An­stif­te­rin des un­sitt­li­chen Vor­schlags. Wie, man woll­te die Fan­ta­sie der männ­li­chen Ju­gend beim Ba­den durch die Vor­stel­lung ver­gif­ten, dass in die­sem sel­ben Was­ser­be­cken sich kurz zu­vor jun­ge Mäd­chen­lei­ber ge­tum­melt hat­ten? Und wenn gar ei­ner oder der an­de­re sich im Ge­büsch ver­ste­cken wür­de, um heim­lich dem Schwim­mun­ter­richt der Da­men zu­zu­se­hen? Der Un­ter­gang al­ler gu­ten Sit­ten stand vor der Tür, wenn mir ge­stat­tet wur­de, dem Un­we­sen des Rei­tens, dem man nicht hat­te steu­ern kön­nen, das noch är­ge­re des Schwim­mens hin­zu­zu­fü­gen. Eine wür­di­ge Ma­tro­ne über­nahm es, mir im Na­men sämt­li­cher Müt­ter und sämt­li­cher Töch­ter ihr Quous­que tan­dem, Ca­ti­li­na! – zu deutsch: Wo hin­aus mit dir, du Schäd­ling am Ge­mein­we­sen? – zu­zu­ru­fen. Es war ei­ner der schick­sals­vol­len Au­gen­bli­cke, wo ein klei­ner An­stoß eine lan­ge ver­zö­ger­te Ab­sicht zum Durch­bruch bringt. Sie hat­te noch nicht aus­ge­spro­chen, so stand in mir der Ent­schluss fest, nun­mehr Tü­bin­gen auf ganz zu ver­las­sen.

      Es war hohe und höchs­te Zeit, dass ein­mal ein ent­schei­den­der Le­bens­schritt ge­sch­ah, von dem bis­her nur die Wär­me des müt­ter­li­chen Nes­tes den flüg­ge ge­wor­de­nen Vo­gel zu­rück­ge­hal­ten hat­te. Ein Puff war dazu nö­tig, und ich dan­ke es der wa­cke­ren Klein­städ­te­rin von Her­zen, dass sie ihn mir gab. Ich hat­te ja doch al­ler­lei ge­lernt, Spra­chen und an­de­res, wo­mit ich aus­wärts eben­so gut und bes­ser vor­wärts kom­men konn­te als da­heim. Wo­hin ich woll­te, wuss­te ich gleich­falls, denn ich hat­te schon bei wie­der­hol­ten Be­su­chen in Mün­chen den Bo­den ab­ge­tas­tet und die Hoff­nung ge­schöpft, dort Fuß fas­sen zu kön­nen. Dass Er­win mir dort­hin vor­an­ge­gan­gen war als Zög­ling der Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te, er­leich­ter­te mei­ner Mut­ter die Tren­nung, denn sie konn­te die Ge­schwis­ter eins in des an­de­ren Ob­hut emp­feh­len. Auch ich riss mich ge­tros­ten Mu­tes los, weil sie mich als Stüt­ze in häus­li­chen Stür­men nicht mehr brauch­te. Es gab de­ren kei­ne mehr. Ed­gar und Al­fred, die ehe­mals feind­li­chen Brü­der, be­gan­nen jetzt in ihre le­bens­lan­ge Freund­schaft hin­ein­zu­wach­sen. Und an un­se­res Bal­de Kran­ken­bett wa­ren die bei­den Me­di­zi­ner nütz­li­cher als ich.

      Der arme, so lie­bens­wür­dig an­ge­leg­te Jun­ge, der in der Pau­se zwi­schen den Krank­heits­stür­men ängst­lich ge­schont und ge­hü­tet wer­den muss­te, hat­te rein gar nichts von sei­nem jun­gen Le­ben als die auf­op­fern­de Lie­be sei­ner Mut­ter. Die­se nahm er mit der Nai­vi­tät des Kran­ken ganz für sich in Be­schlag. Wenn er nicht sel­ber le­sen konn­te, worin er un­er­müd­lich war, so muss­te sie ihm Tage und hal­be Näch­te lang vor­le­sen oder Ge­schich­ten er­zäh­len. Zu­wei­len durf­te ich sie ab­lö­sen. Ich ver­ein­fach­te dann das Ver­fah­ren, in­dem ich das Buch, das er zu ken­nen ver­lang­te, rasch durch­flog und ihm den In­halt er­zähl­te. Ei­nes Ta­ges wünsch­te er, dass ich ihm Bret Har­tes Gol­de­ne Träu­me, eine im »No­vel­len­schatz des Aus­lands« er­schie­ne­ne Gold­grä­ber­ge­schich­te, vor­le­se. Da mir die Zeit dazu ge­brach, gab ich vor, das Buch schon zu ken­nen, und er­zähl­te ihm schlank­weg ein Mär­chen von gol­de­nen Träu­men, das ich aus dem Steg­reif er­fand. Die­ses Mär­chen mach­te ihm so viel Ver­gnü­gen, dass ich es im­mer aufs neue er­zäh­len und schließ­lich mit den­sel­ben Wor­ten für ihn nie­der­schrei­ben muss­te. Es war das ers­te­mal, dass ich in Pro­sa schrieb; ich hat­te bis­her ge­glaubt, mich nur me­trisch aus­drücken zu kön­nen. Ohne des kran­ken Bru­ders in­ni­ge Freu­de an den Gol­de­nen Träu­men, die den An­fang mei­nes spä­te­ren Mär­chen­buchs bil­de­ten, wäre ich viel­leicht nie auf die­sen Weg ge­kom­men.

      Auf dem Fried­hof war un­ter­des­sen das Denk­mal nach mei­nen Wün­schen auf­ge­rich­tet wor­den: in­mit­ten ei­ner schö­nen Tan­nen­grup­pe stand auf ho­hem So­ckel die trau­ern­de Muse, die mit ih­rem Lor­beer so viel Un­ver­stan­den­sein zu ver­gü­ten such­te. Auf der Vor­der­sei­te des So­ckels blieb zu­nächst noch ein Raum frei, den Er­win spä­ter, als er Bild­hau­er ge­wor­den war, mit ei­nem Re­lief­bild­nis un­se­res Va­ters in Ter­ra­kot­ta aus­füll­te. Das Denk­mal hat­te zu­samt den Ne­ben­aus­ga­ben die tau­send Gul­den mei­nes ers­ten großen Ho­no­rars ver­schlun­gen, und ich ging mit lee­ren Hän­den, aber mit der un­ver­wüst­li­chen Zu­ver­sicht der Ju­gend in mein neu­es Le­ben hin­ein.

      Ei­ner der letz­ten Aben­de in Tü­bin­gen bleibt mir un­ver­ge­ss­lich. Eine Freun­din von aus­wärts, die ihr Herz an Ed­gar ver­lo­ren hat­te und, vor ei­ner ent­sa­gungs­vol­len Ver­lo­bung ste­hend, ihn noch ein­mal se­hen woll­te, war mit da­bei. Wir gin­gen zu drei­en im Wal­de von Be­ben­hau­sen spa­zie­ren. Von der Stim­mung der bei­den, die sich un­ter Scherz­wor­ten Tie­fe­res sag­ten, wor­auf ich nicht son­der­lich ach­te­te, ging eine selt­sa­me Ver­zau­be­rung aus. Mich brach­ten sie durch Vor­spie­ge­lung von ei­nem un­sag­bar ge­heim­nis­vol­len Et­was, das un­ter die­sen Bäu­men war­te, da­hin, dass ich mit of­fe­nen Au­gen träum­te und mich im­mer tiefer in den Wald ver­schlep­pen ließ. Auf ei­ner mon­dum­flos­se­nen Lich­tung soll­te mein Lieb­lings­roß gra­sen, es wür­de sich, wenn ich käme, nei­gen, um mich auf­stei­gen zu las­sen und mich ins Reich der Wun­der zu tra­gen. Eine Stim­mung wob durch die Blät­ter wie auf Böck­lins Schwei­gen im Wal­de. Rufe ihn, sag­ten sie. Ab­del Ke­rim! Ab­del Ke­rim! rief ich und eil­te mit aus­ge­streck­ten Ar­men vor­wärts. Die bei­den lach­ten hin­ter mir her wie toll, ich glau­be, sie küss­ten sich hin­ter mei­nem Rücken, die Schel­me.

      Es wa­ren freund­li­che Ster­ne, die das jun­ge Mäd­chen nach Mün­chen führ­ten. Ich fand von vorn­her­ein herz­li­chen An­schluss an zwei Fa­mi­li­en, die mich zu­vor schon als Gast be­her­bergt hat­ten, die des be­rühm­ten Rechts­leh­rers v. Brinz, ei­nes köst­lich fri­schen, tat­fro­hen Ös­ter­rei­chers, und sei­ner see­len­vol­len Gat­tin, die uns von Tü­bin­gen her na­he­stan­den, so­wie an das Lud­wig Ba­reiß­sche Haus, je­nes Ur­bild alt­schwä­bi­scher Gast­lich­keit, das um jene Zeit un­sern al­ten Freund Lud­wig Pfau als Dau­er­gast be­her­berg­te. Die­ser er­wies mir nun den Lie­bes­dienst, mich in die Münch­ner Schrift­stel­ler- und Künst­ler­krei­se ein­zu­füh­ren, vor al­lem in das Haus des Kom­po­nis­ten Ro­bert v. Horn­stein, des­sen ent­zücken­de Frau mich als­bald un­ter ihre Fit­ti­che nahm. Baro­nin Horn­stein war eine feen­haf­te Per­sön­lich­keit, in der sich Schön­heit, An­mut, See­len­gü­te, Mut­ter­witz mit dem leicht­be­weg­li­chen rhei­ni­schen Na­tu­rell zu ei­ner un­ver­gleich­li­chen Mi­schung ver­ei­nig­ten. Wer die­se Frau ge­se­hen hat­te, der konn­te des­sel­ben Ta­ges nicht mehr trau­rig sein; sie hielt im­mer­dar ein un­sicht­ba­res Füll­horn in der Hand, aus dem der Se­gen auf al­les, was ihr na­he­trat, ström­te. Sie kam gleich, zu se­hen, wie ich un­ter­ge­bracht sei, und da ihr mein Ofen kein Zu­trau­en ein­flö­ßte, schick­te sie mir einen aus ih­rem ei­ge­nen Haus­halt. Zu­nei­gung ist eine Sa­che, die sich auf ma­gne­ti­schem Wege mit­teilt, sie füllt die Luft und braucht nicht aus­ge­spro­chen zu wer­den. So ging es mir mit Char­lot­te v. Horn­stein.