Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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Be­vor der Som­mer ins Land kam, hat­te er sich ohne ir­gend­wel­chen Vor­schub noch Gön­ner­schaft in Flo­renz eine ärzt­li­che Stel­lung ge­grün­det, und es war be­reits be­schlos­se­ne Sa­che, dass ihm Mama mit Bal­de, dem man durch ein süd­li­ches Kli­ma das Le­ben zu fris­ten hoff­te, dort­hin nach­fol­gen soll­te. Die Sor­ge für den Kran­ken hat­te schon be­stim­mend auf die Wahl des Auf­ent­halts ein­ge­wirkt. Jetzt ver­band er sich mit der Mut­ter, um auch mich zum An­schluss zu be­we­gen. Die­ser Vor­schlag war wie ein Blitz, der in eine plötz­lich er­hell­te wun­der­sa­me Ge­gend bli­cken lässt, und nahm mir fast den Atem. Es ging ja ge­gen alle bür­ger­li­che Ver­nunft, das wert­vol­le kaum Er­run­ge­ne schon nach drei Vier­tel­jah­ren um et­was völ­lig Un­be­kann­tes zu ver­tau­schen. Al­lein die großen Ent­schei­dun­gen des Le­bens wer­den nicht durch die Ver­nunft ge­trof­fen, son­dern durch das Dä­mo­ni­sche in uns, das un­se­re Be­dürf­nis­se bes­ser kennt als wir sel­ber. Ich habe sein Wal­ten nie­mals be­reut. Es ent­zog mich der da­ma­li­gen deut­schen Kul­tur­pha­se, die kei­ne schö­ne war, und ließ mich mein Welt­bild un­ge­trübt aus dem ei­ge­nen In­nern ge­stal­ten. Frei­lich for­der­te es einen ho­hen Preis da­für, in­dem es mich all der un­be­re­chen­ba­ren Vor­tei­le be­raub­te, die der Zu­sam­menschluss mit an­de­ren ge­währt. Ich hat­te mei­nen künst­le­ri­schen Weg nun ganz al­lein, ohne Vor­schub noch An­leh­nung ir­gend­wel­cher Art, zu ma­chen. Mei­ne neu­en Freun­de schüt­tel­ten na­tür­lich die Köp­fe und hiel­ten mir alle Be­den­ken vor, die mir schon sel­ber auf­ge­stie­gen wa­ren. Aber Ed­gar schrieb von den al­ten Pa­läs­ten am Arno, von der Etrus­ker­stadt Fie­so­le und von Som­mern an dem na­hen Mee­re. Das war es, was am stärks­ten zog; nicht die Kunst Ita­li­ens, von der ich noch we­nig wuss­te, nicht die herr­li­chen Städ­te­bil­der, die man ja nicht wie heu­te schon aus un­ge­zähl­ten Ab­bil­dun­gen kann­te, auch nicht im dun­keln Laub die Gol­doran­gen be­herrsch­ten so mei­ne Träu­me wie das blaue, un­end­li­che Meer. Ich mein­te, erst am Mee­re kön­ne mein in­ne­rer Mensch sich vollen­den. Der Wunsch, wie­der mit den Mei­ni­gen ver­eint zu sein, und li­te­ra­ri­sche Auf­trä­ge, die mich hof­fen lie­ßen, auch dort mei­ne Selbst­stän­dig­keit be­grün­den zu kön­nen, zo­gen die Wage vollends nach die­ser Sei­te her­un­ter. Als ich der hof­fen­den und war­ten­den Mut­ter mein Ja ge­schrie­ben hat­te und den Brief in einen Brief­kas­ten der Bri­en­ner­stra­ße wer­fen woll­te, zuck­te mei­ne Hand noch ein­mal zu­rück. Ein plötz­li­cher Zwei­fel hat­te mich be­fal­len, und ich be­schloss, die Fra­ge noch ein­mal in die Hand des Schick­sals zu­rück­zu­le­gen. Ich zähl­te die Fens­ter des Hau­ses auf Ja und Nein. Der Spruch hieß Ja, der Brief fiel in den Kas­ten, und ein großer Ju­bel er­füll­te mei­ne gan­ze See­le.

      Be­vor ich schied, er­war­te­ten mich noch vier­zehn köst­li­che Som­mer­ta­ge, die ich bei Horn­steins in Am­bach am Starn­ber­ger See ver­brin­gen durf­te. Des Mor­gens auf Feld und Wie­sen ent­stan­den klei­ne Lie­der, die der Haus­herr als­bald in Mu­sik setz­te und die des Abends schon von der gleich­falls als Gast an­we­sen­den ge­fei­er­ten Sän­ge­rin Agla­ja Or­ge­niy am Kla­vier ge­sun­gen wur­den. Die gan­ze üb­ri­ge Zeit lag ich im See und ge­noss vor­aus die Won­ne, dass ich künf­tig im Mee­re schwim­men wür­de! Ich er­in­ne­re mich, wie ein­mal Lud­wig II. in sei­ner glän­zen­den Ka­ros­se schnell wie ein Traum­ge­dan­ke an un­se­rem Ba­de­strand vor­über­roll­te und wie die jun­gen Mäd­chen gleich Was­ser­vö­gel­chen in die Höhe fuh­ren, um ihm aus den Flu­ten ih­ren Knicks zu ma­chen. Eine se­li­ge Los­ge­bun­den­heit und über­schweng­li­che Er­war­tung ver­zau­ber­te mir die gan­ze Welt, und das neue Glück, dem ich ent­ge­gen­ging, ver­schön­te das ge­gen­wär­ti­ge, das ich ver­las­sen soll­te.

      Wäh­rend mei­ner letz­ten Münch­ner Wo­chen rüs­te­te sich Tü­bin­gen zur Vier­hun­dert­jahr­fei­er der Grün­dung sei­ner Uni­ver­si­tät durch den Her­zog Eber­hard von Würt­tem­berg, und die aka­de­mi­sche Bür­ger­schaft plan­te einen großen his­to­ri­schen Fest­zug, bei dem von vorn­her­ein auf mei­ne Teil­nah­me ge­rech­net war. Auf dem prunk­volls­ten der Wa­gen, der den Stif­ter der Uni­ver­si­tät samt sei­nen Rä­ten trug, soll­te ganz vorn die Muse als Len­ke­rin des Ge­span­nes ste­hen, und die­ser Teil des Fest­plans, der bei den stei­len, holp­ri­gen Gas­sen Tü­bin­gens zu an­de­ren Eig­nun­gen auch sport­li­che Si­cher­heit er­for­der­te, war in der Tat ohne mei­ne Mit­wir­kung nicht aus­zu­füh­ren. Mei­ne Mut­ter über­mit­tel­te mir brief­lich die Bit­te der Pro­fes­so­ren- und Stu­den­ten­schaft, dass ich zu der Fei­er nach Tü­bin­gen kom­me und die Rol­le der Muse über­neh­me. Ich ver­spür­te zu­erst we­nig Nei­gung dazu, denn ich be­trach­te­te mei­nen Ab­gang aus Tü­bin­gen in­fol­ge der miss­lun­ge­nen Wer­be­ar­beit für das Da­menschwim­men doch als eine Art Scher­ben­ge­richt, und es wur­de mir ei­ni­ger­ma­ßen co­rio­la­nisch zu­mu­te, dass mich nun die Va­ter­stadt in der Not durch mei­ne Vo­lum­nia zu­rück­rief. Der plötz­li­che Ent­schluss, mit nach Ita­li­en zu über­sie­deln, mach­te je­doch mei­ne vor­he­ri­ge Rück­kehr nach Hau­se not­wen­dig. Und kaum war ich in Tü­bin­gen, so er­schi­en im Auf­trag des Aus­schus­ses Pro­fes­sor Leib­niz, der aka­de­mi­sche Zei­chen­leh­rer, der, wie ich glau­be, die künst­le­ri­schen Ent­wür­fe für den Fest­zug ge­macht hat­te, und stell­te mir vor, dass ich doch nicht die Un­schul­di­gen mit den Schul­di­gen be­stra­fen und um we­ni­ger Übel­ge­sinn­ter wil­len den schöns­ten Teil des Fest­zu­ges zu­nich­te ma­chen dür­fe, bis ich mich um­stim­men ließ und Ja sag­te. Die Ge­wan­dung lie­fer­te das Stutt­gar­ter Hof­thea­ter, das auch an dem großen Tage eine Gar­de­ro­bie­re her­über­schick­te, um mich an­zu­klei­den. Ihre Auf­fas­sung von ei­nem grie­chi­schen Ge­wand war al­ler­dings von der mei­ni­gen so ver­schie­den, dass mir die wei­ße Tu­ni­ka noch am Lei­be völ­lig auf­ge­trennt und um­ge­hef­tet wer­den muss­te. Der brei­te Mes­sing­gür­tel mit den künst­li­chen Edel­stei­nen hat­te zu mei­nem blei­chen Schre­cken eine lan­ge Sch­neb­be! Da blieb nichts üb­rig, als ihn um­zu­keh­ren und die Sch­neb­be nach oben zu rich­ten, was, wenn auch nicht ei­ner an­ti­ken, doch al­len­falls ei­ner Re­naissance­mu­se ähn­lich sah. Das ge­sch­ah un­ter dem Wi­der­spruch der Gar­de­ro­bie­re, die ver­si­cher­te, alle Iphi­ge­ni­en trü­gen einen Sch­neb­ben­leib. Ein lan­ger blau­er Pe­p­los, der an den Schul­tern be­fes­tigt wur­de, ver­deck­te, was noch stil­wid­rig war, und die Haa­re schmück­te ein Kranz von Lor­beer. So an­ge­tan, er­stieg die Muse ih­ren Vor­der­platz auf dem hoch­ge­türm­ten Wa­gen und er­griff die Ro­sen­zü­gel. Vier ge­wal­ti­ge Grau­schim­mel, von Pa­gen ge­führt, zo­gen das schwe­re Fuhr­werk. Auf dem Hoch­sitz hin­ter mir thron­te der Fürst mit sei­nem Ge­fol­ge, eine ju­gend­li­che Schüler­grup­pe kau­er­te zu mei­nen Fü­ßen. Die Muse war die ein­zi­ge, die völ­lig frei stand, und es be­durf­te in der Tat al­ler Auf­merk­sam­keit, in der hüg­li­gen Stadt das Gleich­ge­wicht zu be­wah­ren, be­son­ders als es die da­mals noch jäh ab­fal­len­de Neckar­stra­ße hin­un­ter­ging. So kam es, dass ich am Ende von dem be­rühm­ten Fest­zug, an dem mir eine Haup­trol­le zu­ge­fal­len war, nichts ge­se­hen hat­te als die Rücken mei­ner Ap­fel­schim­mel und die her­zog­li­chen He­rol­de und Ban­ner­trä­ger, die vor mei­nem Wa­gen rit­ten. Den Rest des Zu­ges mit der Grup­pe der drei Flüs­se Tü­bin­gens und mit all den ge­schicht­li­chen Per­sön­lich­kei­ten, den Ge­lehr­ten, Schü­lern, Rit­tern, Pa­gen, Mön­chen, Land­leu­ten, Flö­ßern und