Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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ich ihn ganz und gar nicht ver­stand, es schi­en mir viel­mehr, als ob er sich ge­ra­de­zu wi­der­spre­che.

      Der Stoff, den der Dich­ter zu kne­ten be­kom­men hat, sag­te er mit Nach­druck, mehr und mehr in Feu­er ge­ra­tend, ist im­mer nur er selbst. Wohl fin­det er auch in sei­ner Um­welt die le­ben­di­gen An­sät­ze zu sei­nen Cha­rak­ter­ge­bil­den, und wo ihm ein sol­cher be­geg­net, da schie­ßen ihm gleich die ver­wand­ten Züge von al­len Sei­ten zu. Aber den zeu­gen­den Ur­stoff, in dem sie sich zur un­lös­li­chen, na­tur­ge­woll­ten Ein­heit zu­sam­men­fin­den, den Le­bens­fun­ken, der sie erst ste­hen und ge­hen macht, holt er aus dem ei­ge­nen In­nern. Denn in sich hat er das Zeug zu al­len Cha­rak­teren und Lei­den­schaf­ten, er um­spannt mit sei­ner Na­tur die gan­ze Stu­fen­lei­ter der Mensch­heit und reicht von der einen Sei­te bis an den Hei­li­gen, mit der an­dern an den Ver­bre­cher. Die­se Fä­hig­kei­ten aber, die ihm nicht des Han­delns we­gen ge­ge­ben sind, ru­hen zu­nächst un­be­wusst und un­tä­tig in ihm; sie wol­len erst auf­ge­regt und be­fruch­tet sein. Da­für ist nun das Le­ben da. Es be­rührt ihn mit ir­gend­ei­ner Er­fah­rung, ei­nem in­ne­ren Er­leb­nis, das viel­leicht für einen an­de­ren gar kei­nes wäre, denn was ein rech­ter Poet ist, der er­leb­t fort und fort, von au­ßen und von in­nen. Solch ein Er­leb­nis, sei es ein Vor­gang oder viel­leicht nur ein Wort, eine er­hasch­te Ge­bär­de, ir­gend­ein Laut aus den Tie­fen der Men­schen­brust, ein Blick, der stär­ker ge­trof­fen hat, springt wie ein Keim in sei­ne See­le. Da bleibt er un­be­wusst lie­gen, aber er ruht nicht, er ver­wan­delt sich ganz lei­se und un­be­merkt, er ist in Bäl­de nicht mehr, was er ur­sprüng­lich ge­we­sen. Er wächst im­mer wei­ter, in­dem er ver­wand­te Stof­fe des In­nern an sich zieht. Von die­sen form­lo­sen, aber in­ner­lich be­fruch­te­ten Zel­len­ge­bil­den ist des Dich­ters See­le ganz voll, sie tau­chen be­stän­dig in ihm auf und nie­der, er greift hin­ein, wenn er ih­rer be­darf. Sie sind gleich­sam der Ur­ne­bel, aus dem er sei­ne Ge­stal­ten formt. So mein­te ich das. Habe ich mich jetzt ver­ständ­lich ge­macht?

      Ich nick­te, um ihm nur nicht ganz als Bö­otier zu er­schei­nen. Aber tat­säch­lich schwank­te mir das Hirn. Ich raff­te alle mei­ne Geis­tes­kräf­te zu­sam­men, um zu der na­he­lie­gen­den Fra­ge zu kom­men: Wo­her wis­sen Sie denn, wie dem Dich­ter zu­mu­te ist?

      Weil ich auch ei­ner bin.

      Ich sah ihn mit scheu­em Stau­nen von der Sei­te an. Alle Ar­ten von Men­schen hat­te ich schon ge­se­hen, Kauf­leu­te und Sol­da­ten, Rich­ter, Geist­li­che und Zei­tungs­schrei­ber, einen Dich­ter nie­mals. Aber au­gen­blick­lich stand es in mir fest: Ja, er ist ei­ner, so muss ein Dich­ter aus­se­hen.

      Gu­stav aber lach­te plötz­lich laut und bit­ter auf und schlug sich mit der Faust auf den Mund.

      Ich ein Dich­ter? – Ein Bru­der Lang­ohr bin ich, der sei­nen Sack zur Müh­le trägt wie die an­de­ren auch. Ver­ges­sen Sie, was ich Ih­nen da vor­ge­schwatzt habe. Wer darf über­haupt von sol­chen höchs­ten Din­gen re­den? Es geht al­les irre, ist al­les nur Ge­stam­mel und Wi­der­spruch.

      Wenn ich mei­nem neu­en Freund auch nicht im­mer auf sei­nen Denk­we­gen fol­gen konn­te, so dan­ke ich es doch ihm, dass ich nicht wie tau­send an­de­re mit ei­nem Ran­zen voll fer­ti­ger Be­grif­fe, wor­an sich her­nach nichts mehr än­dern lässt, von der Hoch­schu­le ge­kom­men bin. Denn nie ließ er mich un­ge­stört die be­que­me Stra­ße ein­schla­gen, auf der die Mehr­zahl der stu­die­ren­den Ju­gend hin­ter den Wor­ten des Meis­ters her­wan­del­te, im­mer wies er auf ir­gend­ei­nen ab­sei­ti­gen Fuß­pfad, der nach ei­nem ein­sa­men Aus­sichts­punkt führ­te.

      All­mäh­lich fand sich ein klei­ner Kreis von jun­gen Leu­ten zu­sam­men, die alle in der glei­chen Ge­dan­ken­welt leb­ten. Wir tra­fen uns des Abends in dem be­lieb­ten Stu­den­ten­kaf­fee­haus Mol­fetta. Ein klei­nes Sei­ten­ge­lass, nicht grö­ßer als ein Al­ko­ven, hart ne­ben der An­rich­te, wo die Schwes­ter des Wirts, eine schö­ne blas­se Süd­ti­ro­le­rin, den Kaf­fee brau­te, das köst­lich duf­ten­de Ge­tränk von Mok­ka, Por­to­ri­ko und ge­brann­tem Zu­cker, für das sie eben so be­rühmt war wie für ihre dunklen, schwer­mü­ti­gen Au­gen, war der Schau­platz un­se­rer Zu­sam­men­künf­te. Die­ser be­schei­de­ne Raum hör­te da­mals man­chen an­re­gen­den Ge­dan­ken, man­ches un­ge­wöhn­li­che Wort, das man gern in sein spä­te­res Le­ben hin­über­ge­nom­men hät­te, zum Ge­nuss des Au­gen­blicks ver­rau­schen. Denn dort sa­ßen wir die hal­be Nacht hin­durch, fünf, sechs jun­ge Ge­sel­len mit Gu­stav Borck als un­se­rem Kö­nig.

      Wenn ich an die Ta­fel­run­de bei Mol­fetta zu­rück­den­ke, so drän­gen sich vor al­lem drei blon­de, echt ger­ma­ni­sche Häup­ter in mei­ne Erin­ne­rung. Da war ein großer, ha­ge­rer Rhein­län­der mit blei­chem Ge­sicht und star­ken Ba­cken­kno­chen, der einen ver­kürz­ten Arm hat­te, Kuno Schüt­te, der nach­ma­li­ge be­kann­te Theo­soph. Er war schon da­mals ein Son­der­ling, der es lieb­te, nie ge­nau wis­sen zu las­sen, was er tat, und sich einen An­schein von All­ge­gen­wart zu ge­ben, in­dem er im­mer auf­tauch­te, wo man ihn nicht er­war­te­te. Er hat­te den­sel­ben un­wi­der­steh­li­chen Zug zu Gu­stavs We­sen wie ich, leg­te ihn aber auf sei­ne ei­ge­ne mys­ti­sche Wei­se aus, in­dem er sich ein­bil­de­te, ihm ir­gend­wann in ab­ge­leb­ten Zei­ten na­he­ge­stan­den zu ha­ben. Da war der stäm­mi­ge, blat­ter­nar­bi­ge Hein­rich Som­mer, Preu­ße von Ge­burt und ehe­ma­li­ger Theo­lo­ge, der sich lan­ge mit re­li­gi­ösen Zwei­feln ge­quält hat­te und noch in ho­hen Se­mes­tern zur Me­di­zin über­ge­gan­gen war, um spä­ter ein nam­haf­ter Chir­urg zu wer­den. Da war end­lich un­ser Ben­ja­min, der rüh­rend ju­gend­li­che und schö­ne Olaf Han­sen, ein Lan­des­kind, aber von schwe­di­schen Ur­el­tern stam­mend. Die üb­ri­gen wa­ren mehr oder we­ni­ger Stroh­män­ner, stum­me Per­so­nen, und ge­hör­ten nicht zum fes­ten Be­stand un­se­res Krei­ses. Wir Fün­fe aber hin­gen fest zu­sam­men, durch Gu­stavs Über­le­gen­heit wie mit ei­nem ge­mein­sa­men Stem­pel ge­prägt. Nach Stu­den­ten­brauch stan­den wir alle bald auf Du; nur Gu­stav Borck blieb au­ßer der Ver­trau­lich­keit und im­mer von ei­nem letz­ten Rät­sel wie von ei­ner ge­heim­nis­vol­len Wol­ke um­ge­ben. Er be­herrsch­te das Ge­spräch, auch wenn er schwieg, was oft hal­be Aben­de lang der Fall war; er wirk­te dann durch sei­ne blo­ße Ge­gen­wart geis­tig ein. Kam es zu Re­de­kämp­fen, so gab sein Wort den Aus­schlag, und da­bei fiel mir auf, dass er sel­ten et­was ganz Au­ßer­or­dent­li­ches, son­dern meist nur das schein­bar Na­he­lie­gen­de sag­te, das wir an­de­ren über­se­hen hat­ten. War es aus­ge­spro­chen, so ver­stand es sich von selbst. Ein­zig Olaf Han­sen traf zu­wei­len den Na­gel noch bes­ser auf den Kopf, aber bei ihm klang es, wie wenn ein Kind et­was Tief­sin­ni­ges sagt, des­sen Trag­wei­te ihm sel­ber ver­bor­gen ist.

      Am glück­lichs­ten war ich, wenn Borck ein Buch aus der Ta­sche zog und aus Sha­ke­s­pea­re oder Kleist vor­las. Er be­saß zwar nicht die Gabe, von ei­ner Rol­le in die an­de­re zu schlüp­fen und dem Dich­ter­wort mit der Stim­me Kör­per und Far­be zu ge­ben, da­für war sein nor­di­sches We­sen zu sprö­de, aber er leb­te dann so ganz in der Dich­tung, dass kei­ne Schön­heit un­ge­fühlt vor­über­ging, und der Raum füll­te sich mit über­mensch­li­chen Ge­stal­ten. Mit­un­ter las er auch Ge­dich­te vor, in der­sel­ben gleich­mä­ßig ge­ho­be­nen Ton­art, und ver­lang­te un­ser Ur­teil zu hö­ren. Wir ahn­ten, dass es die sei­ni­gen wa­ren, und da wir alle un­ter sei­nem Ban­ne stan­den, so fan­den wir die Ge­dich­te wun­der­voll und lob­ten