nicht gegen Gott
Der Philosoph J. L. Mackie argumentiert in seinem Buch Das Wunder des Theismus47 folgendermaßen: Wenn es einen Gott gäbe, der gut und allmächtig ist, würde er sinnloses Böses nicht zulassen, aber da es nun einmal viel sinnloses, nicht zu rechtfertigendes Böses in der Welt gibt, kann es den traditionellen Gott, der gut und allmächtig ist, nicht geben. Es mag vielleicht einen anderen Gott geben oder gar keinen, aber nicht den traditionellen Gott.48 Viele Fachkollegen von Mackie haben einen gravierenden Denkfehler in dieser These entdeckt. In ihr steckt nämlich unausgesprochen eine ganz bestimmte Prämisse: dass etwas Böses, das mir sinnlos vorkommt, auch tatsächlich sinnlos ist.
Damit aber steht das ganze Argument auf wackligen Füßen, denn die Tatsache, dass ich keinen guten Grund dafür sehen (oder mir vorstellen) kann, warum Gott etwas zulässt, bedeutet natürlich noch lange nicht, dass es einen solchen Grund nicht gibt. Einmal mehr sehen wir, wie in dem scheinbar so rein intellektuellen Skeptizismus ein tiefer Glaube steckt – hier der Glaube an unser eigenes Erkenntnisvermögen: Wenn wir keine zufriedenstellenden Antworten auf das Problem des Leidens finden können, dann kann es keine geben. Dies ist blinder Glaube der Sonderklasse.
Alvin Plantinga hat den Trugschluss, der in dem Argument mit der Sinnlosigkeit des Leidens steckt, mit einem sehr schönen Bild illustriert: Wenn Sie in Ihr Campingzelt hineinschauen, um zu sehen, ob sich darin vielleicht ein Bernhardiner befindet, Sie aber keinen sehen, ist sehr wahrscheinlich auch keiner drin. Aber wenn Sie das Zelt nach einer Gnitze durchsuchen (einer extrem kleinen und extrem bissigen Insektenart) und keine sehen, heißt das noch lange nicht, dass keine im Zelt ist. Viele Menschen scheinen davon auszugehen, dass, wenn es gute Gründe für die Existenz des Bösen gibt, diese auch unserem Verstand zugänglich sein müssten – also eher wie ein Bernhardiner, und nicht wie eine Gnitze –, aber muss das wirklich so sein?49
Die Existenz des Bösen als Argument gegen Gott scheitert nicht nur an der Logik, sondern auch an der Erfahrung. Als Pastor habe ich schon oft über die Josefsgeschichte (1. Mose 37-50) gepredigt. Josef war ein arroganter junger Mann, den seine Brüder hassten. In ihrer Wut warfen sie ihn schließlich in eine Grube und verkauften ihn in die Sklaverei. Bestimmt hat Josef Gott angefleht, ihm zu helfen, seinen Brüdern zu entkommen, aber keine Hilfe kam, und Josef wurde als Sklave nach Ägypten verschleppt, wo in harten Prüfungen sein Charakter geläutert und stark wurde. Er wurde schließlich Premierminister von Ägypten, der Tausende Menschen, einschließlich seiner eigenen Verwandten, vor dem Hungertod rettete. Hätte Gott nicht die Leidensjahre in Josefs Leben zugelassen, Josef wäre niemals in diesem Maße ein Anwalt der sozialen Gerechtigkeit und der Versöhnung geworden.
Wenn ich über diese Geschichte predige, melden sich anschließend immer etliche Menschen, die sich in ihr wiederfinden. Viele geben zu, dass vieles, was sie in ihrem Leben wirklich weitergebracht hat, ihnen gerade durch schwierige und schmerzliche Erfahrungen zuteil geworden ist. Manche erkennen zum Beispiel im Rückblick, dass ihre Krankheit eine unersetzliche Zeit des inneren Wachstums und der persönlichen Reife war. Ich selber habe eine Krebserkrankung hinter mir und meine Frau leidet seit Jahren an Morbus Crohn, und wir beide können diese Wahrheit nur bestätigen.
In meiner ersten Gemeinde war ein Mann, der einen Großteil seines Augenlichtes verloren hatte, als er bei einem Drogendeal eine Kugel ins Gesicht bekam. Er erzählte mir, dass er früher ein brutaler Egoist gewesen war, der seine Probleme mit anderen Menschen und mit der Polizei immer den anderen in die Schuhe schob. Der Verlust des Augenlichts war ein schwerer Schlag für ihn – und ein Augenöffner. „Als meine physischen Augen sich schlossen, öffneten meine inneren sich, und ich sah endlich, wie ich die Menschen behandelt hatte. Ich fing an, mich zu ändern, und heute habe ich zum ersten Mal im Leben Freunde – echte Freunde. Ich habe einen hohen Preis gezahlt, aber er war es wert. Jetzt hat mein Leben endlich einen Sinn.“
Warum sollte es nicht möglich sein, dass es aus der unendlich höheren Perspektive Gottes für alles Böse gute Gründe geben könnte?
Nein, diese Menschen sind nicht dankbar dafür, dass sie ihre Freiheit, Gesundheit oder was auch immer verloren haben, aber sie würden die innere Reife, Kraft und Charakterstärke, die sie dadurch gewonnen haben, gegen nichts in der Welt tauschen. Wohl die meisten von uns können aus dem Rückblick zumindest für einen Teil der Tragödien und Leiden, die ihnen im Leben widerfahren sind, gute Gründe erkennen. Warum sollte es nicht möglich sein, dass es aus der unendlich höheren Perspektive Gottes für alles Böse gute Gründe geben könnte?
Wenn Sie einen Gott haben, der so groß ist, dass Sie auf ihn böse sein können, weil er nichts gegen all das Schreckliche im Leben unternimmt, dann haben Sie auch einen Gott, der so groß ist, dass er gute Gründe haben kann, warum er das Böse zulässt – Gründe, die Sie nicht kennen.
Die Existenz von Bösem und Leiden
spricht vielleicht sogar gerade für Gott
Furchtbares, unerklärliches Leiden mag kein Beweis gegen Gott sein, aber es ist sogar für den, der an die Bibel glaubt, sehr wohl ein Problem. Doch es ist ein vielleicht noch größeres Problem für den Nichtgläubigen. C. S. Lewis schildert, wie er sich als junger Mann von Gott verabschiedete, weil das Leben so grausam war. Doch dann erkannte er, dass das Böse für seinen neuen Atheismus ja ein noch größeres Problem war. Er kam schließlich zu dem Schluss, dass das Leiden eher für als gegen die Existenz Gottes spricht:
Mein Argument gegen die Existenz Gottes lautete, die Welt sei grausam und ungerecht. Woher aber hatte ich meine Vorstellung von gerecht und ungerecht? … Womit verglich ich diese Welt, wenn ich sie ungerecht nannte? … Natürlich hätte ich sagen können, meine Vorstellung von Gerechtigkeit sei lediglich meine eigene, private Idee, aber damit hätte ich sie praktisch aufgegeben. Dann wäre auch mein Argument gegen Gott in sich zusammengefallen, denn es beruhte ja darauf, dass die Welt tatsächlich ungerecht ist, und nicht nur darauf, dass sie nicht meinen Vorstellungen entspricht. … Damit aber erweist sich der Atheismus als zu einfach. 50
Lewis erkannte, dass die modernen Einwände gegen Gott mit unserem Gerechtigkeitsempfinden zu tun haben. Wir finden es nicht richtig und gewissermaßen unfair, dass Menschen leiden müssen, ausgeschlossen oder unterdrückt werden oder verhungern. Aber der ganze Prozess der natürlichen Auslese und Evolution basiert auf Tod, Zerstörung, Fressen-und-gefressen-Werden – all diese Dinge sind völlig natürlich. Mit welchem Recht nennt der Atheist dann die Welt ungerecht und grausam? Der nicht an Gott glaubende Mensch hat einfach keine vernünftige Basis, von der aus er sich über die Ungerechtigkeit in der Welt (die, wie Lewis hervorhebt, ja sein Motiv für seine Ablehnung Gottes war) aufregen könnte. Wenn Sie wirklich ganz sicher sind, dass diese Welt ungerecht und böse ist, gehen Sie davon aus, dass es irgendeinen außerhalb oder über der Natur liegenden Maßstab gibt, auf dem Ihr Urteil beruht. Alvin Plantinga drückt dies so aus:
Könnte es Böses und Gemeines überhaupt geben [wenn es keinen Gott gäbe und wir nur das Produkt der Evolution wären]? Ich sehe nicht, wie das möglich sein soll. Böses kann es nur geben, wenn wir irgendwie wissen, wie rationale Wesen leben sollten, leben müssen … Eine [säkulare] Weltsicht hat keinen Raum für echte moralische Pflichten welcher Art auch immer … u nd damit keine Möglichkeit, zu sagen, dass es so etwas wie das wirkliche, entsetzliche Böse gibt. Wenn man also überzeugt ist, dass das f ürchterlich Böse eine Realität (… und nicht nur ein Hirngespinst) is t, hat man damit ein starkes … ... Argument [für die Realität Gottes]. 51
Kurz: Schicksalsschläge, Leiden und Ungerechtigkeit sind ein Problem für alle Menschen. Für die, die nicht an Gott glauben, mindestens so sehr wie für die Gläubigen. Es ist daher ein (wenn auch verständlicher) Fehler, zu meinen, dass es das Problem des Bösen leichter macht, wenn man den Glauben an Gott über Bord wirft.
Eine Frau in meiner Gemeinde beschwerte sich einmal darüber, dass ich in meinen Predigten Beispiele dafür brachte, wie aus Bösem Gutes kam. Ihr Mann war bei einem Raubüberfall ums Leben gekommen, und sie hatte mehrere Kinder mit schweren psychischen Problemen. Sie fand, dass es für jedes Beispiel, wie aus Bösem Gutes