Артур Шницлер

Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler


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war noch kein Monat seit Katharinens Tod vergangen, als Doktor Emil Gräsler auf der Insel Lanzarote mit Frau Sommer, die übrigens seit dem Tag ihrer Abreise Frau Gräsler hieß, und der kleinen Fanny ans Land stieg. Der Direktor stand an der Landungsbrücke, barhaupt wie gewöhnlich, und sein glattgestrichenes braunes Haar bewegte sich trotz des Küstenwindes 221 kaum. »Willkommen, lieber Doktor,« begrüßte er den Ankommenden, mit dem amerikanischen Akzent, der auf Gräsler schon im vorigen Jahre unangenehm gewirkt hatte. »Willkommen! Sie haben wohl ein wenig auf sich warten lassen, aber wir freuen uns um so mehr, Sie wieder hier zu haben. Die Villa ist natürlich instand gesetzt, und ich hoffe, daß sich auch die gnädige Frau bei uns wohlfühlen wird.« Er küßte ihr die Hand und tätschelte die Wange der Kleinen.

      Die Luft war wundersam durchsonnt, wie an einem Sommertag, und sie gingen alle dem Hotel zu, das ihnen blendend weiß entgegen glänzte; voran der Direktor und die junge Frau im lebhaften Gespräch, hinter ihnen Doktor Gräsler und die kleine Fanny in einem etwas zerdrückten weißen Leinenkleid und mit einem weißen Seidenbändchen in den schwarzen Locken. Gräsler hielt ihre weiche Kinderhand in der seinen und sagte: »Siehst du dort das kleine weiße Haus, wo alle Fenster offen stehen? Da wirst du wohnen, und gleich dahinter, das kannst du jetzt natürlich nicht sehen, ist ein Garten mit 222 merkwürdigen Bäumen, wie du sie noch nie gesehen hast … und unter denen wirst du spielen; und wenn es anderswo schneien wird und die Leute frieren, da wird hier die Sonne scheinen geradeso wie heute.« So redete er weiter, immer die weiche Kinderhand in der seinen, deren Druck ihn beglückte, wie nie eine andere Berührung ihn beglückt hatte. Die Kleine, neugierig zu ihm aufblickend, horchte ihm zu.

      Indes führte auch der Herr Direktor seine Unterhaltung mit der jungen Frau weiter. »Die Saison läßt sich nicht übel an,« bemerkte er. »Der Herr Gemahl wird stark beschäftigt sein. Für den Vierten nächsten Monats erwarten wir Seine Hoheit den Herzog von Sigmaringen mit Gemahlin, Kinder und Suite … Wir haben hier einen gesegneten Fleck Erde. Ein kleines Paradies. Und wie der Schriftsteller Rüdenau-Hansen sagt, ein regelmäßiger Besucher unserer Insel seit zwölf Jahren …«

      Der Wind, der hier an der Küste auch an den ruhigsten Tagen zu gehen pflegt, blies die nächsten Worte davon und noch viele andere.

       Inhaltsverzeichnis

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       2

       3

       4

       5

       6

       7

       Inhaltsverzeichnis

      »Vierundzwanzig braune Sklaven ruderten die prächtige Galeere, die den Prinzen Amgiad zu dem Palast des Kalifen bringen sollte. Der Prinz aber, in seinen Purpurmantel gehüllt, lag allein auf dem Verdeck unter dem dunkelblauen, sternbesäten Nachthimmel, und sein Blick –«

      Bis hierher hatte die Kleine laut gelesen; jetzt, beinahe plötzlich, fielen ihr die Augen zu. Die Eltern sahen einander lächelnd an, Fridolin beugte sich zu ihr nieder, küßte sie auf das blonde Haar und klappte das Buch zu, das auf dem noch nicht abgeräumten Tische lag. Das Kind sah auf wie ertappt.

      »Neun Uhr«, sagte der Vater, »es ist Zeit schlafen zu gehen.« Und da sich nun auch Albertine zu dem Kind herabgebeugt hatte, trafen sich die Hände der Eltern auf der geliebten Stirn, und mit zärtlichem Lächeln, das nun nicht mehr dem Kinde allein galt, begegneten sich ihre Blicke. Das Fräulein trat ein, mahnte die Kleine, den Eltern gute Nacht zu sagen; gehorsam erhob sie sich, reichte Vater und Mutter die Lippen zum Kuß und ließ sich von dem Fräulein ruhig aus dem Zimmer führen. Fridolin und Albertine aber, nun allein geblieben unter dem rötlichen Schein der Hängelampe, hatten es mit einemmal eilig, ihre vor dem Abendessen begonnene Unterhaltung über die Erlebnisse auf der gestrigen Redoute wieder aufzunehmen.

      Es war in diesem Jahr ihr erstes Ballfest gewesen, an dem sie gerade noch vor Karnevalschluß teilzunehmen sich entschlossen hatten. Was Fridolin betraf, so war er gleich beim Eintritt in den Saal wie ein mit Ungeduld erwarteter Freund von zwei roten Dominos begrüßt worden, über deren Person er sich nicht klar zu werden vermochte, obzwar sie über allerlei Geschichten aus seiner Studenten-und Spitalzeit auffallend genauen Bescheid wußten. Aus der Loge, in die sie ihn mit verheißungsvoller Freundlichkeit geladen, hatten sie sich mit dem Versprechen entfernt, sehr bald, und zwar unmaskiert, zurückzukommen, waren aber so lange fortgeblieben, daß er, ungeduldig geworden, vorzog, sich ins Parterre zu begeben, wo er den beiden fragwürdigen Erscheinungen wieder zu begegnen hoffte. So angestrengt er auch umherspähte, nirgends vermochte er sie zu erblicken; statt ihrer aber hing sich unversehens ein anderes weibliches Wesen in seinen Arm: seine Gattin, die sich eben jäh einem Unbekannten entzogen, dessen melancholisch-blasiertes Wesen und fremdländischer, anscheinend polnischer Akzent sie anfangs bestrickt, der sie aber plötzlich durch ein unerwartet hingeworfenes, häßlich-freches Wort verletzt, ja erschreckt hatte. Und so saßen Mann und Frau, im Grunde froh, einem enttäuschend banalen Maskenspiel entronnen zu sein, bald wie zwei Liebende, unter andern verliebten Paaren, im Büfettraum bei Austern und Champagner, plauderten sich vergnügt, als hätten sie eben erst Bekanntschaft miteinander geschlossen, in eine Komödie der Galanterie, des Widerstandes, der Verführung und des Gewährens hinein; und nach einer raschen Wagenfahrt durch die weiße Winternacht sanken sie einander daheim zu einem schon lange Zeit nicht mehr so heiß erlebten Liebesglück in die Arme. Ein grauer Morgen weckte sie allzubald. Den Gatten forderte sein Beruf schon in früher Stunde an die Betten seiner Kranken; Hausfrau und Mutterpflichten ließen Albertine kaum länger ruhen. So waren die Stunden nüchtern und vorbestimmt in Alltagspflicht und Arbeit hingegangen, die vergangene Nacht, Anfang wie Ende, war verblaßt; und jetzt erst, da beider Tagewerk vollendet, das Kind schlafen gegangen und von nirgendher eine Störung zu gewärtigen war, stiegen die Schattengestalten von der Redoute, der melancholische Unbekannte und die roten Dominos, wieder zur Wirklichkeit empor; und jene unbeträchtlichen Erlebnisse waren mit einemmal vom trügerischen Scheine versäumter Möglichkeiten zauberhaft und schmerzlich umflossen. Harmlose und doch lauernde Fragen, verschmitzte, doppeldeutige Antworten wechselten hin und her; keinem von beiden entging, daß der andere es an der letzten Aufrichtigkeit fehlen ließ, und so fühlten sich beide zu gelinder Rache aufgelegt. Sie übertrieben das Maß der Anziehung, das von ihren unbekannten Redoutenpartnern auf sie ausgestrahlt hätte, spotteten der eifersüchtigen Regungen, die der andere merken ließ, und leugneten ihre eigenen weg. Doch aus dem leichten Geplauder über die nichtigen Abenteuer der verflossenen Nacht gerieten sie in ein ernsteres Gespräch über jene verborgenen, kaum geahnten Wünsche, die auch in die klarste und reinste Seele trübe und gefährliche Wirbel zu reißen vermögen, und sie redeten von den geheimen Bezirken, nach denen sie kaum Sehnsucht verspürten und wohin der unfaßbare Wind des Schicksals sie doch einmal, und wär’s auch nur im Traum, verschlagen könnte. Denn so völlig sie einander in Gefühl und Sinnen angehörten, sie wußten, daß gestern nicht zum erstenmal ein Hauch von Abenteuer, Freiheit und Gefahr sie angerührt; bang, selbstquälerisch, in unlauterer Neugier versuchten sie eines aus dem andern Geständnisse hervorzulocken und, ängstlich näher zusammenrückend, forschte jedes in sich nach irgendeiner Tatsache, so gleichgültig, nach einem Erlebnis, so nichtig es sein mochte, das für das Unsagbare als Ausdruck gelten und dessen aufrichtige Beichte sie vielleicht von einer Spannung und einem Mißtrauen