Am meisten fürcht' ich, daß, wenn der Prozeß gut abläuft, er auch einen Theil der Erbschaft prätendiren wird.
FLIEGE. Er wäre nicht der erste Prätendent, den man mit seinen Prätensionen hätte laufen lassen. Wir brauchen ihn, als unsern Soldaten, unsre Sache auszufechten; sobald Friede ist, wird er abgedankt.
RABE. Was will er auch machen?
FLIEGE. Man muß ihm nur jetzt noch nichts von diesen Gedanken merken lassen; sonst könnte er uns einen Streich spielen.
RABE. Freilich.
FLIEGE, indem er zu GEYER geht. Steht der alte Krähfeld nicht völlig da, wie ein armer Sünder? – Nehmen Sie sich beim Gericht nur in Acht, daß Sie nicht über ihn lachen.
GEYER. Hat nichts zu sagen; an so etwas ist unser eins gewöhnt.
FLIEGE. Ich muß nur wieder ein paar Worte mit ihm sprechen; sonst glaubt er am Ende, wir alle sind nur hier, ihn zu hintergehn; wie es denn auch im Grunde –
GEYER. Sprich mit ihm.
FLIEGE, zu v. Krähfeld. Stehn Sie doch nicht so in Gedanken; noch heut muß sich alles zu Ihrem Vortheil entscheiden.
V. KRÄHFELD. Da hast Du Recht.
FLIEGE. Ich sehe schon in Herrn Geyers Gesicht die Wetterwolken, die bald über unsre Feinde losbrechen werden. – Leiser zu GEYER. Im Grunde nur Ihre Feinde.
Zweiter Auftritt
VORIGE. VIER RICHTER. KARL V. KRÄHFELD. LOUISE. Ein NOTAR. GERICHTSDIENER.
FLIEGE, GEYER, und RABE sprechen abwechselnd mit einander; – die RICHTER gehn auf der andern Seite des Theaters sprechend auf und ab.
1. RICHTER. Ein solcher Vorfall ist mir in meiner Praxis noch nicht vorgekommen.
2. RICHTER. Er ist einzig in seiner Art.
4. RICHTER. Das Mädchen hat bis jetzt immer einen unbescholtnen Ruf gehabt.
3. RICHTER. Eben so auch der junge Mann.
4. RICHTER. Desto unbegreiflicher ist der Vater.
2. RICHTER. Der Vormund noch mehr.
1. RICHTER. Beide sind in dieser Begebenheit merkwürdig.
4. RICHTER. Die Schändlichkeit des alten Betrügers geht über alle Vorstellung.
1. RICHTER. Er ist ein wahrer Phönix.
2. RICHTER. Und dabei ein so schändlicher Wollüstling.
Die RICHTER nehmen jetzt ihre Sitze ein; KARL VON KRÄHFELD und LOUISE stellen sich an die rechte Seite des Gericht; die Angeklagten auf die linke. Nach und nach versammeln sich mehrere ZUSCHAUER zu beiden Seiten des Theaters, aber in einiger Entfernung von den Hauptpersonen. Unter diese treten, fast gegen das Ende der Scene, MURNER und BIRNAM ein.
3. RICHTER. Sind alle Leute erschienen, die man citirt hat?
NOTAR. Alle, außer der Herr von Fuchs.
1. RICHTER. Warum ist er nicht gekommen?
FLIEGE. Mit Ihrer Erlaubniß, ehrwürdige Väter, hier ist sein Advokat; – er selbst ist so schwach, so entkräftet –
4. RICHTER. Wer seid Ihr?
KARL. Sein Schurke. Ich bin die Richter, daß man seinen Herrn zu erscheinen zwinge, damit Sie sich selbst von seiner Verstellung überzeugen können.
GEYER. Auf meine Ehre, er kann die Luft nicht vertragen.
2. RICHTER. Man führe ihn demohnerachtet her.
3. RICHTERr. Wir wollen ihn sehn.
4. RICHTER. Man hole ihn!
GERICHTSDIENER ab.
GEYER. Ihr Wille, ehrwürdige Väter, wird in Erfüllung gehn; der Anblick aber wird Ihr Mitleid, und nicht Ihren Unwillen erregen. Wenn es dem Gericht gefällig wäre, so wollte ich zu gleicher Zeit bitten, mich anzuhören. Vorurtheil, weiß ich, muß an diesem Platz nicht herrschen; und deshalb bitt' ich um die Erlaubniß, sprechen zu dürfen, da Wahrheit unsrer gerechten Sache nicht schaden wird.
3. RICHTER. Sprechen Sie. –
GEYER, im oratorischen Pathos. Ich bin also nun wirklich gezwungen, einen Betrug aufzudecken, der in dieser Stadt vielleicht unerhört ist. – Hier steht ein Mädchen, ehrwürdige Väter, die, ohnerachtet ihrer künstlichen Bescheidenheit, Trotz ihrer erzwungenen Thränen, schon lange mit diesem jungen Manne einen verdächtigen Umgang gehabt hat. – Doch, was sag' ich, verdächtig? – Ausgemacht schändlich! – Der nachsichtsvolle Vormund hat ihr dies Vergehn verziehn; doch, niedrigdenkende Seelen haben kein Gefühl für Dankbarkeit, denn seine Güte ward so weit gemißbraucht, daß er sich nun selbst als Angeklagter vor Gericht zu erscheinen genöthigt sieht. – Hemmen Sie Ihr Erstaunen, ehrwürdige Väter, und sparen Sie es für eine noch größere Ausartung der Menschheit. – Hier sehn Sie einen alten Edelmann aus einem der besten Geschlechter vor sich; das Alter hat ihn gebeugt und zu Boden gedrückt; aber, mehr als die Jahre, der unaufhörliche Gram um jenen entarteten Sohn, der ihm jenes Mädchens wegen, und noch auf tausend andre Arten, täglich neuen Kummer machte, so sehr, daß er endlich mit bangem Herzen und mit weinendem Auge, da er keine Möglichkeit der Besserung sahe, den Entschluß faßte, diesen unnatürlichen Sohn zu enterben.
1. RICHTER. Die Sache will eine andre Wendung nehmen.
2. RICHTER. Der junge Mann stand doch aber immer in einem so guten Rufe.
GEYER. Hat dem Laster wohl je eine Schminke gefehlt? – der alte Vater bestimmte also den heutigen Tag zur Ausführung seines Entschlusses, als dieser Vatermörder seinen Vorsatz, ich weiß nicht, auf welche Art, erfuhr.– Vatermörder nenn' ich ihn, ehrwürdige Väter; denn in der unmenschlichsten Wuth bricht er in das Haus des Herrn von Fuchs, (so heißt der Mann, gestrenge Herren, der statt seiner zum Erben eingesetzt werden sollte,) – er bricht in das Haus, – o soll ich mich nicht scheuen, die Ursach dieses Einbruchs auszusprechen? – denn, mit einem Wort, er dringt hinein, um den Vater auf irgend eine Weise aus der Welt zu schaffen. – Nach einem abgeredeten Plane aber muß sich schon vor ihm dieses Mädchen in das Haus begeben. – Er findet glücklicherweise den Vater nicht. – Wird er denn nun wenigstens nicht in sich gehn, und umkehren, und sich bessern? – Weit gefehlt, ehrwürdige Väter! – Er reißt den alten Herrn von Fuchs von seinem Lager, das ihn schon seit drei Jahren eine Krankheit zu hüten zwingt, schleppt ihn im Zimmer herum, und läßt ihn ohne Hülfe liegen; seinen Diener, der auf das Geschrei herbeieilt, verwundet er am Kopf; aber noch nicht genug, der arme, alte, kranke Herr von Fuchs wird von ihm, und von diesem Mädchen, der schändlichsten Gewaltthätigkeit angeklagt. So wollen sie die rechtmäßige Enterbung des Vaters hintertreiben, das Vermögen dem Herrn von Fuchs entreißen, und sich verschaffen, und dem großmüthigen, gütigen Herrn Rabe, dem nachsichtsvollen Vormund des Mädchens, eine Niederträchtigkeit aufbürden. – Dies war's, was ich Ihnen zu sagen hatte; jetzt urtheilen Sie.
1. RICHTER. Was sind für Beweise?
KARL. Ich bitte demüthigst, hochgeehrte Väter, diesem besoldeten Manne nicht zu glauben.
2. RICHTER. Still!
KARL. Der kein Gewissen hat.
3. RICHTER. Ruhig.
KARL. Wenn man ihm zwei Thaler mehr bietet, so führt er den Prozeß gegen seinen eignen Vater.
1. RICHTER. Sie vergessen sich.
GEYER. Lassen Sie ihn nur schimpfen, ehrwürdige Väter; soll man erwarten, daß – der Mann seinen Ankläger verschone, der nicht einmal seines Vaters schonen wollte? –
BIRNAM tritt mit MURNER herein. Sehn Sie! – Ist das nicht mein Mädchen?