schön, dich als Freundin zu haben. Und, Bettina, mach dir meinetwegen keine unnötigen Sorgen. Das wird schon wieder. Wie würde unsere Leni jetzt sagen? Unkraut vergeht nicht … Ich habe schon ganz anderes überstanden und es überlebt. Das mit Christian werde ich auch verwinden, es ist halt nur so schwer, Träume sterben zu sehen.«
Die beiden Freundinnen umarmten sich, Linde eilte auf den Busunternehmer zu.
»Hallo, Herr Geisendorf, wie schön, dass Sie sich persönlich herbemühen«, flötete sie.
Während Bettina ihre Apfelschorle austrank dachte sie, dass an Linde eine Staatsschauspielerin verloren gegangen sei. Es war unglaublich, wie rasch sie den Schalter von Traurigkeit, Verletztheit auf coole, strahlende Geschäftsfrau umgelegt hatte.
Bettina wusste, dass man im Geschäftsleben manchmal eine Maske aufsetzen musste, aber sie war sich nicht sicher, ob sie es in einem solchen Fall auch so mit Bravour gemeistert hätte wie Linde.
Sie trank ihre Schorle aus, dann ging sie. Sie hatte die Tür noch nicht einmal erreicht, als sie Lindes helles Lachen hörte. Der Busunternehmer musste ihr wohl was Nettes gesagt haben.
Wenn Linde sich nicht melden würde, würde sie auf jeden Fall noch mal versuchen sie zu erreichen. Und falls notwendig, würde sie auch noch mal zu ihr fahren, und wenn es mitten in der Nacht war.
Linde war ihre beste Freundin, und trotz ihrer manchmal nach außen hin getragenen harten Schale besaß sie einen weichen Kern. Bettina wusste, dass sie unglaublich litt, aber welche Frau tat das nicht in einer solchen Situation.
*
Thomas war noch nicht daheim, aber sie wusste ja, wo sie ihn finden würde. Also ging auch sie zu den Dunkels.
Leni saß in ihrer Küche, blätterte in einer Illustrierten, »Fachzeitschrift«, wie sie ihre bunten Blättchen immer nannte.
Aus dem Wohnzimmer hörte man den Fernseher und die Stimmen von Arno und Thomas, die offensichtlich ganz schön erregt waren.
Als Leni Bettinas fragenden Blick sah, sagte sie: »Die gucken sich einen Boxkampf an. Thomas wollte eigentlich nicht, doch mein Arno hat ihn überredet, und jetzt scheint er Spaß daran gefunden zu haben, denn er ist erregter als mein Arno … Pah, Männer.«
»Das kannst du wohl sagen«, entgegnete Bettina und setzte sich. »Christian und Linde haben sich getrennt.«
Leni klappte ihre Zeitschrift zu, schob sie beiseite.
»Was sagst du da?«
»Ja, du hast schon richtig gehört, es ist aus zwischen den beiden«, und dann erzählte sie Leni, was passiert war.
»Es war dumm von Christian«, bemerkte Leni, nachdem Bettina ihren Bericht beendet hatte, »aber deswegen macht man doch nicht sofort Schluss. Eine Beziehung muss etwas aushalten, auch einen Seitensprung, wenn sie sonst stimmt. Das bedeutet nicht, dass ich so was gutheiße. Linde und Christian waren ein schönes Paar, sie haben gut zusammengepasst, und er ist das Beste, was ihr nach Martins Tod passieren konnte … Und nur, weil er ein einziges Mal mit einer anderen Frau geschlafen hat, lässt sie ihn fallen?«
»Also, Leni, die Frau, die man liebt zu betrügen, ist doch kein Kavaliersdelikt.«
»Sag ich auch nicht, aber ihr jungen Leute rennt immer sofort auseinander. Wenn man mit jemandem sein Leben verbringen will, dann muss man mit ihm durch Höhen und Tiefen gehen. Mit Arno ist es auch nicht immer einfach, er hat einen gehörigen Dickschädel und geht mir manchmal auf den Senkel. Aber die guten Eigenschaften bei ihm überwiegen, und je älter wir werden, umso mehr wachsen wir zusammen. Ich würde ihn für nichts auf der Welt aufgeben, weil ich weiß, was ich an ihm habe. Aber so weit kommt ihr nicht, ihr trennt euch bei dem ersten Schatten, der auf euer Glück fällt. Ein Zusammenleben ist nicht immer eitel Sonnenschein.«
»Ja, ja, das ist schon richtig …«
»Christian liebt Linde, er war immer für sie da, sogar als sie ihre Zwillinge bekommen hat, war er an ihrer Seite. Er wollte sich hier als Arzt niederlassen, ich könnte fortfahren und nur Positives aufzählen. Der einzige Makel ist dieser Fehltritt. Mich wundert’s, wie sie überhaupt dahintergekommen ist.«
»Sie sagt, sie habe es an seiner Stimme gemerkt, wie er den Namen Genevieve ausgesprochen habe.«
Leni lachte.
»Klar, voller Schuldgefühle. Wenn sie ihn dadurch ertappt hat, daran kannst du erkennen, dass er in solchen Dingen unerfahren ist. Einem notorischen Fremdgänger würdest du es auch noch nach Affären mit zehn Frauen nicht anmerken.«
»Leni, wir müssen uns jetzt nicht mehr darüber ereifern. Das Kind ist in den Brunnen gefallen, Linde wird ihre Meinung nicht ändern. Das ist sicher …, und, wer weiß, vielleicht sollte es mit ihnen ja wirklich nicht sein … Vielleicht wäre der hochqualifizierte Christian als einfacher Landarzt permanent unterfordert gewesen, darüber habe ich auf der Heimfahrt auch schon nachgedacht.«
»Komm, lass uns ein Gläschen Wein trinken. Jetzt, da wir wissen, dass dein Bruder Jörg das Chateau behalten wird, ist für Nachschub ja gesorgt. Und dann lass uns das Thema wechseln. Ich muss dir nämlich unbedingt erzählen, was unser kleines Bettinchen gemacht hat.«
»Leni, es ist gruselig, nenn die Kleine nicht Bettinchen.«
»Aber warum denn nicht, das ist doch niedlich«, wandte Leni ein.
»Ja, jetzt ist es noch niedlich, aber sie bleibt nicht so klein, doch ein Name bleibt haften. Ich bin heilfroh, dass meine Eltern mich immer nur Bettina genannt haben.«
»Thomas nennt dich Tini.«
»Ja, gut. Aber außer ihm tut das niemand. Ich kann mich an eine frühere Schulfreundin erinnern. Die wurde Sabinchen genannt.«
»Und, was ist dagegen einzuwenden?«
»Sabinchen wog mit achtzehn schon mehr als hundert Kilo, sie hatte irgendeine Drüsenkrankheit. Manche Leute haben sich schlapp gelacht, wenn sie sahen, dass Sabinchen nicht das vermutete grazile Wesen, sondern ein ganz schöner Brocken war. Sie hat sehr darunter gelitten, aber dieses Sabinchen ist sie nicht mehr losgeworden.«
»Na ja, irgendwo hast du schon recht, aber ich glaube, wenn sich ein Name verniedlichen lässt, dann tut man es automatisch. Aus den Namen deiner Geschwister kann man nicht viel machen … Frieder, Grit, Jörg.«
»Und bei mir haben sie darauf geachtet, dass es bei Bettina und sonst nichts bleibt. Yvonne hat auch Glück … Wie hätte man den Namen denn verniedlichen sollen? Vonny? Das würde niemand tun.«
»Also gut, ich lass das mit dem Bettinchen«, versprach Leni, »du hast mich überzeugt. Aber jetzt lass dir endlich erzählen, was sie alles kann.«
Leni begann ohne Punkt und Komma aufzuzählen, was die kleine Bettina alles konnte, was für Bettina ganz normale Dinge waren, die ein Kind in diesem Alter auf die Reihe bringen sollte. Aber so, wie sich das anhörte, war die Kleine das reinste Wunderkind.
»Und, wie findest du das?«, schloss Leni, fast ein wenig atemlos, ihren Bericht.
»Großartig«, sagte Bettina ganz ernsthaft, warum sollte sie Lenis Illusionen zerstören, »ganz beachtlich.«
»Aber Yvonne und Markus kümmern sich ja auch andauernd um die Kleine.«
Klar, dachte Bettina, sie waren so großartig, dass es ihnen gelungen war in dieser kurzen Zeit, in der sie die Kleine bei sich hatten, ein Wunderkind aus ihr gemacht zu haben. Wenn es so weiterging, würde die kleine Bettina nicht als erstes das Wort Mama oder Papa sagen, sondern gleich komplizierte Algebraaufgaben lösen. Aber immerhin war es besser so als andersherum.
»Sie sind glücklich mit der Kleinen, nicht wahr?«, fragte Bettina.
»Glücklich«, rief Leni, »das, was sie empfinden ist nicht zu beschreiben. Yvonne ist richtig aufgeblüht, ich danke dem lieben Gott jeden Tag dafür, dass er ihnen die Kleine auf den Weg geschickt hat …, und, Bettina, es ist gut, dass es so gekommen ist.«
Leni