gefunden hatte, hatte sie auch den Sessel ihres Vaters hinüberbringen lassen. Den Sessel, in dem ihr Vater sehr viel Zeit verbracht hatte, und auf den sie zu ihm geklettert war, um ihre Freude oder ihre Kümmernisse loszuwerden. Aber auch nach dem Tod ihres Vaters war es für Bettina ein Zufluchtsort gewesen, und sie hatte lange überlegt, ob sie ihn hergeben sollte. Doch dann hatte sie ihrem Herzen einen Stoß gegeben.
Dr. Christina von Orthen war die große Liebe ihres Vaters gewesen, und er hätte sie auch geheiratet, wäre er nicht vorher gestorben.
Für Christina hatte der Sessel noch einen ganz anderen Erinnerungswert, und sie selbst, sie musste sich doch jetzt nicht mehr in den Sessel flüchten, wenn sie Probleme hatte oder ganz besonders glücklich war. Dafür war Thomas jetzt zuständig, und seine Arme waren ein besserer Zufluchtsort als alle Sessel dieser Welt.
Bettina hatte auch das Sofa und die Sessel aus dem Bootshaus hinaufbringen lassen, das waren auch Möbel, an denen Christina ganz besonderen Spaß hatte.
Das ganze Haus war ein Traum, es war halt so typisch Fahrenbach, und obwohl ihr Vater in dieser Konstellation niemals in dem Häuschen gewesen war, hatte man das Gefühl, er wohne mittendrin.
Christina würde das auch so empfinden, davon war Bettina felsenfest überzeugt. Und sie konnte es kaum erwarten, sie abzuholen in ihr neues Zuhause auf dem Fahrenbach-Hof.
Noch eine Woche musste sie ihre Reha durchziehen, dann würden Thomas und sie Christina abholen.
Was war schon eine Woche …
Bettina holte ihr Handy aus der Tasche und rief Christina spontan an. Hoffentlich war sie auf ihrem Zimmer und nicht bei einer Anwendung.
Sie hatte Glück!
»Hallo, Christina«, begrüßte sie die Frau, die sie wirklich von ganzem Herzen gern hatte, »ich hoffe, ich störe dich nicht?«
»Nein, Bettina, überhaupt nicht. Ich freue mich über deinen Anruf. Wie geht es dir?«
»Ganz hervorragend, doch um dir das zu sagen rufe ich doch nicht an. Rate mal, wo ich mich gerade befinde.«
»Keine Ahnung, du wirst es mir sagen.« Christinas Stimme klang klar und längst nicht mehr so leise wie sonst. Die Reha schien ihr zu bekommen.
»Ich bin in deinem Haus und sitze in Papas Sessel«, sagte Bettina.
»Hermanns Sessel?« Christinas Stimme war auf einmal ganz aufgeregt.
»Den aus dem Arbeitszimmer? Oder den aus dem Bootshaus?«, wollte sie wissen.
»Es sind beide hier in deinem Häuschen. Aber ich sitze im Augenblick in dem aus dem Arbeitszimmer, das ist doch dein Lieblingssessel, oder?«
»Ja, aber Bettina, das kannst du doch nicht machen«, sagte sie.
»Und ob ich das kann, ich weiß, dass Papa es auch so gewollt hätte, und deswegen sind all seine Möbel und Bilder hier und noch einiges mehr. Und Christina, das Badezimmer ist ein Traum, es wird dir hundertprozentig gefallen.«
Christina antwortete nicht sofort.
»Christina …, bist du noch da?«, erkundigte Bettina sich.
»Ja …, ich bin … noch da«, kam es nach einer Weile ein wenig stammelnd.
»Christina, was ist los? Du weinst doch nicht etwa?«
Wieder dauerte es eine Weile, ehe sie antwortete, doch diesmal wartete Bettina ab.
»Ich …, ich kann nicht anders … Ich bin so gerührt …, so glücklich Bettina …, warum tust du das für mich?«
Da musste Bettina nicht lange überlegen.
»Ich tue es, weil ich dich wirklich von Herzen gern habe und ich tue es für dich und … Papa. Er hätte es so gewollt.«
»Ach, Hermann«, seufzte Christina, »ich muss so oft an ihn denken, und in letzter Zeit habe ich auch einige Male von ihm geträumt. Er fehlt mir noch immer, und ich werde wohl nie darüber hinwegkommen, dass er so früh gegangen ist. Wir hatten doch noch so viele Pläne.«
Bettina konnte sie so gut verstehen, ihr fehlte ihr Vater auch so sehr.
»Ich habe es auch noch immer nicht verwunden, Christina«, sagte sie, »und das Leben geht weiter. Papa hätte bestimmt nicht gewollt, dass wir so sehr um ihn trauern.«
»Ach, der Hermann, der war doch viel zu gut für diese Welt, ich habe noch niemals einen Menschen wie ihn kennengelernt, der sich so sehr für andere Leute einsetzt. Ein Vermögen hat er für seine Stiftung hergegeben, ohne viel Aufhebens davon zu machen. Andere gehen in die Öffentlichkeit, lassen sich deswegen feiern, Hermann hat es immer im Stillen gemacht. Aber du bist ja auch so, du bist wie dein Vater. Nicht, dass du so aussiehst wie er, nein, du hast auch seine Großzügigkeit geerbt, sein großes Herz … Bettina, dein Vater wäre so stolz auf dich … Und was du jetzt für mich tust …, ich kann es noch immer nicht fassen, aber ich nehme dein Angebot wirklich von Herzen gern an. Wo kann ich meinem Hermann näher sein als auf dem Fahrenbach-Hof?«
»Wir alle freuen uns auf dich, Christina, das musst du glauben. Schade, dass du weder ein Handy hast noch einen Computer, ich hätte dir sonst Fotos, die ich gemacht habe, rübergeschickt, aber so musst du halt zwei Tage warten. Sie kommen mit der Post, dann kannst du dich auch schon mal freuen … Ach, Christina, ich habe mir ein wunderschönes Brautkleid gekauft, das habe ich für dich auch fotografiert. Es ist schön, dass du schon auf dem Hof sein wirst, wenn ich heirate. Ich möchte dich auf jeden Fall dabei haben, und zum Glück geht mein Wunsch in Erfüllung.«
»Ich freue mich auch auf die Hochzeit«, antwortete Christina. »Du wirst bestimmt eine wunderschöne Braut.«
Sie wechselten noch ein paar allgemeine Sätze miteinander. Christina erzählte von ihrer Behandlung. Doch als Bettina merkte, dass das Telefonat für Christina zu anstrengend wurde, beendete sie es. Es war ja auch alles gesagt, sie verabschiedeten sich voneinander mit dem Versprechen, am nächsten Tag wieder miteinander zu telefonieren.
Nachdenklich legte Bettina ihr Telefon weg.
Es freute sie, dass sie Christina glücklich machen konnte, und sie würde wirklich alles tun für die letzte, große Liebe ihres Vaters. Leni und sie hatten sich schon abgesprochen, Christina wieder aufzupäppeln, und ein Übriges würde die ganze Atmosphäre auf dem Hof tun.
Hier konnte Christina ihrer großen Liebe nahe sein, und in seinen Möbeln ganz besonders.
Sie musste noch daran denken, ein Foto ihres Vaters für Christina aufzustellen oder vielleicht sogar zwei, dann hatte sie ihn auch auf dem Foto bei sich, den Platz in ihrem Herzen hatte er ohnehin. Von dort würde ihn niemand mehr verdrängen, niemals …
*
Als Bettina aus der Destille kam, traf sie auf dem Hof mit Yvonne zusammen, die mit der kleinen Bettina zu Leni wollte.
Die beiden Frauen begrüßten sich, Bettina beugte sich zum Buggy hinunter, um der Kleinen über das Gesichtchen zu streichen, die sofort zu lachen begann. Was war das bloß für ein freundliches Kind.
Die kleine Bettina war allerliebst gekleidet. Yvonne hatte ihr ein Kleidchen angezogen in einem hellen Rosa, das über und über mit kleinen, ebenfalls rosa Blümchen bestickt war.
Bettina konnte sich an das Kleid erinnern, sie hatte es in dem sündhaft teuren Kinderladen in Bad Helmbach gesehen, hätte aber das Geld, das verlangt wurde, niemals dafür ausgegeben. Yvonne hatte es offensichtlich getan. Aber die würde schon auch noch zur Besinnung kommen.
»Bist du sauer auf mich, Bettina?«, erkundigte Yvonne sich verlegen. Also plagte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht mit zum Brautkleidkauf gekommen war.
»Nein, Yvonne, sauer bin ich nicht, aber ganz schön enttäuscht. Als du dein Brautkleid gekauft hast, war ich sofort zur Stelle und auch sonst, wenn du mich gebraucht hast. Für mich hattest du keine Zeit … Deine Mutter Leni würde jetzt sagen, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg …, und das finde ich auch. Du hättest die Kleine mitnehmen