Alexander von Ungern-Sternberg

Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien


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ich und bleibe stehen – was geschieht? – plötzlich zuckt es im Antlitz des liegenden Frauenzimmers, ihre Brust hebt sich, die Arme fahren auf und sie stößt einen Schrei aus, Alles stürzt hin – Bestürzung, Furcht, Besorgnis in allen Blicken! – man fragt leise, was ihr fehle, da ruft die Gnädige mit recht clairvoyanter Grobheit: ›Fort! Hinaus! – Es ist ein Ungeweihter ins Zimmer getreten, dessen Seele befleckt und sinnlich ist, treibt den unreinen Geist hinaus oder ich sterbe!‹ – Verdammte Affäre! Alles sieht mich drohend an, und ich stehe da, wie ein gescholtener Schulbube. ›Nun, was warten Sie noch – fort, entfernen Sie sich!‹ – rief jetzt der Allergnädigste, und eine alte Dame gab mir den Arm, um mich hinauszuführen. Hinter mir sah ich zwei Kammerjungfern mit Rauchfässern ins Heiligtum stürzen, und meine alte Führerin, nachdem sie mich in den Vorsaal gebracht, ließ mich dastehen und verlor sich in die blauen Wolken des Räucherpulvers hinein. O du alter Kirchenstuhl, zürnte ich ihr nach, wandle nur immerhin in deine Konferenz zurück, mich soll keine Herrlichkeit mehr hineinlocken und wäre es selbst eine Pastete von lauter Pfauenzungen! Seht doch – ich, ein unreiner Geist! – ich möchte doch sehen, wie viel reiner Serenissimus, unser Durchlauchtigster ist, oder Massiello und tausend andre, die seit Adams Fall noch nicht wieder aufgestanden sind. Aber ich weiß schon, einmal habe ich leise, leise von Fräulein Magdalenens ein klein wenig zu bedeutender Nase gesprochen, flugs wurde ihr mein unreines Wesen in seiner ganzen Abscheulichkeit klar.« Eduard mußte lächeln bei diesem tragischen Bericht, obgleich seine ganze Seele voll war von jenen Ereignissen, die er eben vernommen; er hätte gerne noch diesen Abend den Fürsten gesehen. Als beide auf die Straße kamen, tritt ihnen ein fürstlicher Läufer nach, und als er Eduarden erkennt, bringt er diesem die Einladung, sich sogleich ins Schloß zu verfügen. Was konnte Erwünschteres kommen; schleunig flog er nach Hause, wechselte seinen Anzug, und stieg, die breite Marmortreppe zu den Gemächern des Fürsten hinauf. Auf dem Portale sah ihm die wohlbekannte Statue der badenden Venus entgegen: »Also Du stehst noch hier, griechisches Göttermädchen,« rief er leise bei sich, »hat man dir nicht den Abschied gegeben, und weißt du nichts von dem, was drinnen geschieht?« – Er schritt leise über den Vorsaal und öffnete eine der hohen Türen, sie ging geräuschlos auf, und die Teppiche, auf welche sein Fuß trat, ließen seine Gegenwart von den im Gemache befindlichen Personen durchaus nicht bemerken. Eine hohe Frauengestalt, die Eduard sogleich für die Fürstin erkannte, stand, den Rücken gegen ihn gekehrt, im Gespräche mit dem alten Gotthold vor einem Bilde. »Nein, nein,« rief die Prinzessin fast heftig, »ich begreife Sie durchaus nicht! Anfangs bei unserer Bekanntschaft schien es mir, als wenn Sie meine Ansicht teilten, und für die wahre Erkenntnis kein Übel für so gefährlich hielten, als jene dumpfe blinde Frömmelei, die ich wahrhaft abgöttisch nennen möchte, weil sie den Menschen verführt, statt der klaren vernünftigen Idee vom göttlichen Wesen das trübe Abbild seines eigenen verfinsterten, durch Irrtum und Sinnlichkeit besteckten Innern zu halten. Wir sehen, in welche tiefe Verirrungen die Gemeine versank nach dem Tode des Grafen, wie sie, die die reine Lehre Luthers noch geistiger und lebendiger auszubilden gedachte, dem niedrigsten Geiste der Erde anheimfiel! und nun höre ich mit Schreck, Sie reden und streiten in denselben Grundsätzen, die ich bis zum Tode verabscheuen werde.« – »Nicht also, Gnädigste,« rief der Maler, »Sie sind zu hart; wenn Sie mich zu den Frömmlern und Pietisten oder zu den Anhängern jener, mir ehrenwerten Sekte rechnen, so sind Sie im Irrtum; daß ich aber zu der absoluten Verstandeskälte, in der Sie atmen, Gnädigste, nicht hinaufreichen kann und will, das gestehe ich gerne. Lieber will ich verführt werden durch ein Übermaß von Liebe, als durch gänzlichen Mangel derselben von jeder Möglichkeit des Falls geschützt dastehen.« »Mann!« rief die Fürstin mit einer unendlich weichen Stimme, »wer sagt Ihnen, daß ich nicht liebe; aber er, den ich liebe, ist ja die ewige Reinheit und Klarheit selbst, meine Liebe ist das schwache, aber unermüdliche Ringen, klar, hell und rein zu sein nach seinem Bilde; aber wohl mag sie kalt erscheinen, diese Liebe, weil keine Erdenliebe sich zu ihr gesellt, denn was ich irdisch und sinnlich geliebt habe, hat sich mir als unwürdig ausgewiesen.« Sie schwieg und schien eine Rührung zu verbergen, dann fuhr sie fort, indem sie den Arm des Malers mit Heftigkeit faßte: »Stehen Sie mir bei, verlassen Sie mich nicht, teurer Mann! retten wir den unglücklichen Prinzen, noch ist's möglich – bald könnte es zu spät sein.« Der Greis sah der hohen Frau ernst ins Antlitz: »Sie täuschen sich, Gnädigste! – Das Fräulein – die Baronesse –« »Nichts von ihnen,« rief die Fürstin heftiger. Eduard glaubte bei längerem Verweilen bemerkt zu werden und zog sich, nachdenkend über das Vernommene, leise zurück. Die Klingel des Herzogs rief ihn den Korridor entlang, und als er sich dem Gemach näherte, trat ihm der Prinz schon entgegen.

      »Willkommen, Freund,« rief der Gnädige freundlich – »mir ist's lieb, daß Sie auf dem lande gewesen, und so die Quellen der Einfachheit und Natur gesucht, vielleicht folge ich bald Ihrem Beispiel, – der Frühling naht mit großen Schritten.« Eduard bemerkte in des Fürsten Äußerem eine Veränderung, die ihm auffiel, das Haar war schlichter gekämmt, die Kleidung einfacher, und an den Wänden des Gemachs fehlten einige Gemälde von Rubens und Jordone, statt dessen hing ein kleines Bildchen da, von dem man nicht sagen konnte, was es darstellte. Der Fürst bemerkte den fragenden Blick des Jünglings und sagte flüchtig: »Die Gemälde habe ich fortgeschickt, weil jetzt häufig Damen meine Zimmer besuchen, und man dem schwachen, noch nicht genug künstlerisch gebildeten Geschlechte kein Ärgernis geben soll; – doch junger Mann,« fuhr er fort, »was hab ich hören müssen, Sie haben eine Braut und vernachlässigen das Mädchen – Sie sollen sogar, was ich nicht glauben will, der Gräfin Eva den Hof machen; teurer Freund – wenn das wahr wäre! und Sie könnten auf diesem Wege uns verloren gehen, ich selbst würde mir die bittersten Vorwürfe machen, Sie nicht väterlich gewarnt und zum Heile zurückgewiesen zu haben.« Eduard errötete vor Unwillen und Beschämung. »Sollte Robert vielleicht Eure Durchlaucht« – »Reden Sie mir nicht von diesem Unwürdigen,« rief der Fürst und sein Auge blitzte zürnend; »sein Name, wie sein Fuß kommt nie wieder über diese Schwelle, er ist ein verlorener Mensch, hüten Sie sich vor seinem Umgange. Nicht allein, daß er auf das Gewissenloseste eine Menge armer betrogener Mädchen seinem Rausche geopfert, die Unglücklichen in zeitliches und ewiges Verderben gestürzt hat, er mordete auch rücksichtslos die Ehre von Männern, die die Welt achtet und die meine Liebe besessen haben. Er ist so tief gesunken, daß ich ihn einer öffentlichen Beschimpfung, der er nur zu nahe war, mit Mühe entrissen habe, und Undank ist stets mein Lohn gewesen. So gefährlich, mein Freund, sind die glänzenden Eigenschaften, die unser Auge bestechen und das Herz zugleich einer schmerzlichen Enttäuschung entgegen führen. Hier lesen Sie einen Zettel, in dem er beiläufig auch sein Urteil über Sie ausgesprochen hat.«

      Eduard empfing das Papier und steckte es zerstreut zu sich; er war durch all das Gehörte und Gesehene so befangen gemacht, daß ihm kaum Achtsamkeit genug übrig blieb, um die Baronesse und das Fräulein, die eben eintraten, zu begrüßen. Der Fürst ging auf die Eintretenden zu und beugte sich über Magdalenens Hand, diese lispelte aber: »Keinen Kuß, Prinz, Sie wissen, daß ich solches nicht liebe, ein Händedruck genügt mir, wovon Sie schon heute in –« »Sie schauen in meine Seele, wunderbares Mädchen,« sagte der Fürst leise, »brauche ich noch zu antworten?« – Das Fräulein schüttelte wie zürnend das Haupt, dann weilten aber ihre großen blauen Augen fragend auf dem Jüngling, der, immer noch heftige Röte im Gesicht, stumm vor sich hinsah. Der Fürst faßte ihn an der Hand und stellte ihn nochmals den beiden Damen vor; es wurden einige gleichgültige Worte gewechselt, und Eduard fühlte sich wieder leicht, als er, die Treppe herabsteigend, die Gasse betrat. Sein Busen war zu voll, er mußte die Einsamkeit suchen, um mit der Welt zu grollen. Vor allen war ihm der Fürst ordentlich recht verhaßt. Kann man, rief er bei sich, wohl den Glauben und die Erkenntnis wie eine Schlafmütze über die Ohren ziehen, wenn einem der durch Jugendsünden nackt gewordene Scheitel zu frieren anfängt? Fratze über Fratze! Und was soll der Vorwurf rücksichtlich Emiliens – hat sie über mich geklagt oder hat es der Vater getan? Wie schwächlich und elend, wie kleinbürgerlich und alttugendhaft; will man mich durch Ruthen an die Schulbank zurückzwängen? Freiheit und Selbstständigkeit sind die atemholenden Lungen des geistigen Lebens, soll ich mit Schwindsüchtigen umgehen, um selbst schwindsüchtig zu werden?

      Aus diesen Gedanken schreckte ihn plötzlich ein Gelächter, das neben ihm erscholl; er hörte, daß über seinen Regenschirm gespottet wurde, und eine Stimme rief: »Geben Sie Acht, wenn diese tropfende Glockenhaube