Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien
Fensterchen die Gräfin Eva mit Jokonden. Über die beiden Mädchen sah Massiellos lächelndes Antlitz hervor. »O, ein guter Freund!« riefen jetzt die drei Stimmen, und Eduard mußte sich selbst fragen, wie er denn an das einsame Fischerhäuschen gekommen sei. Träumerisch, wie er den ganzen Weg gemacht, kehrte er auch jetzt ein, und wurde von den Dreien mit herzlichem Jubel empfangen. Jokonde war schöner wie jemals, das Gefühl ihrer verlassenen Lage warf über ihre kindische Heiterkeit einen leichten Schleier von Melancholie, der die Seele ersetzte, und sie unendlich liebenswürdig kleidete. Beide Freundinnen hatten auf Anstiften Evas sich streng bereitete Fastenspeisen zurichten lassen; für die Ungläubigen oder Schwergläubigen stand ein zweites Tischchen bereit mit leckern Speisen von allerlei Art, und Massiello hatte schon Platz daran genommen und bereits einige Flaschen entsiegelt. Wegen Eduard entstand der Streit, zu welchem Tisch er gehöre. Die Mädchen wollten ihn durchaus auf ihrer Seite und auf Seite der Religion haben, Massiello zeigte dagegen nur auf die Flaschen und öffnete mit kluger Weltlockung die Schüssel mit einer dampfenden Pastete. Jokonde stand auf, und präsentierte in unendlich anmutiger Haltung als Herodias den Kopf ihres ungewöhnlich großen Fastenhechts, Gräfin Eva versicherte aber vollen Ernstes, daß hier durchaus nicht zu spaßen sei, und sie wolle Eduarden nimmermehr freundlich ansehen, wenn er zu der Pastete überliefe. Dieses entschied und der Jüngling wurde von den mutwilligen Mädchen im Triumph zu der Fischtafel gebracht. In dem Augenblicke ging die Türe leise auf und ein volles rotes Gesicht ward hineingesteckt. »Aha, ha! ha! schrieen alle, Signore Abbato, carissimo padre – bona seria, bona seria!« – Der Abt war jetzt mit einer geschwinden Bewegung im Gemach, und seine Lippen ruhten zu gleicher Zeit auf beiden zarten Händchen der Mädchen. Drei schimmernde Astrallampen wurden hereingebracht, und die kleine Gesellschaft trieb sich in glänzender Helle unter Küssen und Lachen bunt durcheinander. Den Abt gaben beide Mädchen sogleich für die Sache der Religion verloren, er erhielt einen Stuhl neben Massiello, und Eva versicherte ihm, daß er zu ihrem Vereine eben so wenig gehöre, wie ein gebratener Kapaunflügel in ein Bouquet weißer Rosen. – Massiello hatte den Kapaunflügel gefaßt und ihn drohend erhoben, ein Teil des Tischtuches floß über seine Gestalt wie ein Mantel nieder, indem er den Stuhl bestiegen hatte und mit donnernder Stimme seine Fastenpredigt anhub: »O ihr Gottlosen, ist's nicht genug, daß eure Passionszeit dauert, so lange ihr jung und hübsch seid, wollt ihr nicht zuweilen im Alter noch Passionen haben, die Niemand erwidern kann? Wohl nehmt ihr euer Kreuz auf euch und schleppt es, aber nur, wenn es modern gefaßt ist, à quatre couleurs, und wenn es schwer von Gold ist. O Himmel – noch heutzutage laßt ihr euch steinigen, aber nur mit ächten, nicht mit böhmischen Steinen. Vigilien und Nachtwachen zu halten, ist euch was Leichtes, nämlich wenn die Gesellschaft gut, der Tanz lebhaft, das Soupé auserlesen, und der Punsch nur einigermaßen erträglich ist. Noch heute kleidet ihr die Nackenden, nämlich wenn diese schön gewachsen sind, und wer anklopfet, dem taut ihr auf, wenn es nur nicht der Ehemann ist!«
Der Abt lachte laut und schallend, Jokonde aber ergriff die Rose, die dem gekochten Hechtkopf im Munde steckte und warf sie über beide Tische herüber in Massiellos blitzende Augen, indes Eva ihr Haupt andächtig über die gefalteten Hände hinabneigte, und unter den überstürzenden schwarzen Locken hervorseufzte: »Pax nobiscum Domine.« Der Abt trug eine ganze Schüssel von Zuckerwerk zum Pianoforte, um unter dem Spielen zu naschen und unter dem Naschen zu spielen, indem er behauptete, die kränkliche Süßigkeit der Töne könne nur durch die gesunde der Kuchen aufgehoben werden. Eduards Seele trieb und blühte in einem fieberischen Ungestüm, er glaubte die Schätze der Jugend und Lust nicht teuer genug von der gegenwärtigen Minute kaufen zu müssen; die beiden Mädchen nahmen ihn in ihrer Mitte auf, und um ihn, über ihn schlangen sich die Blumenketten ihrer Scherze und Küsse, flogen die glänzenden Feuerbälle des Muthwillens, stöberten die kalten, spitzen Flocken der Neckerei, und auf seinen offenen Busen fielen und brannten die langen glühenden Balsamtropfen der Sehnsucht. Er fühlte sich durch und durch krank, doch wie ein fallendes Herbstblatt, nur um desto glänzender gefärbt. Jokonde sagte ihm tausend hübsche Dinge über seine Augen, und er ihr seltsam verworrene Ansichten über Weiber und Leben, die sie belachte, weil sie sie nicht verstand. Der Abt spielte die Ouvertüre aus dem Don Juan, zwischendurch tönten die Klagen Elvirens, die Drohungen Don Antonios, – die ganze antike Schmerzensfülle der Anna, über alle herüber warf ein jäh auffahrender Glanz seine Strahlenkronen, Don Juan tändelte, Leporello machte seine Possen; dann drohten einzelne Laute und zuckten wie mattlaufende Blitze am Horizont nieder, der Donner rollte ihnen nach und es erklang die Stimme des ersten Mahners aus der Tiefe; wilde gellend atheistische Töne flatterten ihm entgegen und fielen zerquetscht an der marmornen Brust nieder, ein roter breiter Glanz schloß Himmel und Hölle plötzlich. Eduard und Jokonde verständigten sich über die Göttlichkeit des Gedichts durch einen Kuß. Massiello war beschäftigt, einem jungen Mädchen, das erschienen war und sich stumm in eine Ecke drückte, einige Rede abzugewinnen. Die Gräfin Eva sprang auf und rief: »Ah, da ist meine Aimée; hier, meine Herrn, stelle ich Ihnen meine Nichte vor, nicht wahr, ein nicht ganz übles Geschöpf?« Sie fuhr dem Mädchen, das immer stärker errötete, unters Kinn und hob den Lockenkopf; der Abt und Eduard sagten einige Artigkeiten, Massiello rang nach einem Kuß hinter dem Rücken der Gräfin, und versicherte, die vollen weichen Lippen, die frischen Zähne seien unendlich reizend, vor allen aber dieser wilde finstere Unwillen, der aus den Augen spräche, der rote Zorn, der die gewölbte Wange färbe. Man entschloß sich, eine vollständige Musik aufzuführen, die Gräfin ließ; sich ihre Harfe geben, Massiello stimmte, Notenblätter wurden hin- und hergeschleppt, der Abt zankte und die Dienerinnen hatten vollauf zu tun, die Reste der Mahlzeit hinwegzuschaffen, und statt deren Blumen und Früchte auf die Tische zu setzen. Unser Freund zog Jokonden sanft bittend nach sich, und die Gefällige entschloß sich, ihm zu einem Bildchen zu sitzen, das er schon lange angefangen, und das das reizende Mädchen als Cleopatra darstellte, mit der Schlange an der Brust. Die Idee war vom Herzog ausgegangen, doch hatte dieser sich weiter nicht um die Ausführung bekümmert, und jetzt wäre ihm der ganze Gedanke wahrscheinlich verwerflich vorgekommen. Ein Kabinett wurde ausgewählt, die Lampe zurechtgeschoben, Jokonde hatte mit Hülfe von ein paar Tüchern eine graziöse Draperie hervorgebracht, welche sie mit ihrer gewöhnlichen Anmut und Geschicklichkeit ordnete. Jetzt war sie fertig und warf sich in die Ecke des Sofas. Als Eduard darauf drang, einen Teil des schönen Busens frei zu sehen, gab sie nach, verhüllte sich aber augenblicklich wieder, als Jemand ins Zimmer trat; Eduard sah sich um und entdeckte das junge Mädchen, das schüchtern eingetreten war, und glühende Blicke auf Jokonden richtete. Sie verschwand wieder und die Liebenden blieben allein. Die rauschenden Ströme der Musik ergossen sich indes im Vorgemach, doch bald trat Stille ein; der Abt behauptete, Massiello mit Eva begingen Fehler auf Fehler, die Gräfin lachte, der Musiker gab nichts zu; von Worten ging es auf Töne über, jeder Teil griff zu seinem Instrument und führte den Streit fort. Ein wildbrausender Sturm erscholl, zwischendurch gellte ein helles Harfencapriccio, dann lachten alle zu gleicher Zeit auf, und der Abt warf die Noten zusammen. »Es geht heute nicht,« rief Massiello, »die Noten behaupten ihre Sinn, wie alle Leute von Kopf.« Man wollte sich trennen, als ein fürchterlicher Schrei aus dem Nebenzimmer hervorbrach; alle fuhren entsetzt zusammen, zu gleicher Zeit ward die Türe aufgerissen und Aimée sprang heraus. Sie hatte ein Messer in der Hand, ihre Augen funkelten und an dem weißen Gewande brannten Blutspuren. »Alle Götter!« schrie der Abt, »was gibt's da!« – Man stürzte ins Zimmer – der Tisch mit dem Zeichengerät lag umgeworfen mitten im Gemach – Jokonde ruhte auf dem Sofa, Hals, Arme und Kleid in Blut getaucht. Eva war auf den Teppich hingesunken und rang die Hände; in dem Moment trat Eduard hinein, und zerrte das seltsame entsprungene Mädchen am Arme nach sich. Als er den Schreck der Freunde sah, rief er: »Nur keine Besorgnis, Ihr Lieben, der Vorfall ist höchst unbedeutend, was Ihr dort seht, ist nicht Blut, sondern bloß roter Wein, mir aber hat der bösartige Knabe eine leichte Verwundung am Arme beigebracht.« – »Knabe?!« rief Massiello, und aller Blicke richteten sich auf den Gefangenen, der sich jetzt von Eduards Arm losmachte, in die Ecke eilte, den dort stehenden Degen ergriff, und, mit der andern Hand in Geschwindigkeit den Frauenrock abstreifend, nun in seinen Pagenbeinkleidern dastand. Mit einem vor Zorn leichenblassen Gesicht und zitternden Lippen stammelte er, indem er sich trotzig in die Mitte des Gemachs hinstellte: »Nun ja, was seht Ihr mich an? – ich gehöre nicht zum lumpigen Weibsgesindel! ich bin ein Mann und Kavalier, wie der da, und habe meinen Degen, wie jeder ehrliche Junge, dem man zu nahe tritt.« Halbentkleidet, wie er da stand, den vollen Lockenkopf schüttelnd,