Alexander von Ungern-Sternberg

Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien


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weitumfassenden Verbindung politische Reformen zur Absicht habe. Es hatte sich ein Kreis von Mißvergnügten um ihn gebildet, und die Gestalt der Dinge war durch die mannigfaltigsten Umstände schon wesentlich verändert worden. In diesen Tagen erhielt unser Eduard ein Schreiben von der Oberhofmeisterin, in dem sie ihn aufforderte, das Bild des Fräuleins Magdalena, welches er einmal dem Fürsten versprochen hatte, zu malen. Als er eben diese Zeilen las, traten der Abt und Massiello herein. Sie freuten sich, ihren Freund so gesund zu sehen, und es wurde von nichts als von Reiseplänen gesprochen. Eduard konnte sein Mißbehagen nur schlecht verbergen; er hatte sich vorgenommen, den Fürsten, das Fräulein, den ganzen Hof nicht wieder zu sehen und nun wurde er durch jenen Brief wieder in den verhaßten Kreis hineingezogen. »Auch wir reisen,« rief Massiello in einer exaltierten Laune; »ich will doch wirklich sehen, ob alles so gut und trefflich ist, wie Gott seine Schöpfung rühmt im ersten Buch Mose; heutzutage muß man durchaus keiner gegebenen Versicherung glauben beimessen; übrigens will ich diesen jungen Menschen – er zeigte auf den Abt – in die Welt einführen.« Der Abt lächelte und sagte: »Wir entfliehen eigentlich nur dieser Stillen-Freitag-Stimmung, welche sich hier Platz gemacht hat. Man redet und ißt seit langer Zeit nichts Gutes mehr.« »Vielleicht,« rief Massiello, »treffen wir Dich, Du Süßer, in irgend einer kapitalen Stadt, wo Du mit deinem Prinzip der reinen Bestialität herumwandelst, indessen wir als ein paar essende und singende Menschen hinein und wieder durchschwärmen. Es ist in diesen Tagen mir auch ein ganz neuer Stoff zu Oper und Ballet gekommen, und zwar aus einer erz-frommen Zeit, wo jeder auftretende Vater gleich von vorn herein ein Erz-Vater ist, nämlich aus Abrahams Zeit, durch welches Stück ich mir dereinst einen sehr warmen, bequemen Platz im Schoße dieses Mannes im Himmel zu bereiten gedenke. Die Oper führt den Titel: ›Die Bitte um Fruchtbarkeit.‹ Zuerst erscheint Abraham und tanzt ein etwas frivoles Solo, im Hintergrunde sekundiert ihn Sara mit einigen Hirtinnen des Tals Mamre, dann tritt eine Hirtin vor, und gesteht unter Begleitung von Janitscharenmusik, vermischt mit Trompeten und Pauken, in zarter Verschämtheit, daß sie sich Mutter fühle, wobei sie einige dezente Sprünge macht und sich entfernt. Abraham hat sie verstanden und wütet, indem er sein Loos beklagt; es folgt ein Pas de deux mit Sara, das in leidenschaftlichen kurzen Sätzen von der Musik begleitet wird. Der Erzvater läßt sich offenbar zu zürnender Ungerechtigkeit verleiten, Sara spielt im gekränkten Selbstgefühl das leidende Weib, und bleibt zuletzt, mit dem rechten Fuß radschlagend und es wagerecht stolz gegen Abraham hinschleudernd, auf dem linken drei Minuten lang stehen, mit dem vollen glänzenden Lächeln gekränkter Unschuld. Ungeheures Applaudissement; der Vorhang fällt. Den zweiten Akt eröffnet ein Engel, mir der Arie ›di tanti palpiti‹ – er zieht sich in ein Gebüsch zurück; Sara erscheint, indem sie ihre Bitten vorträgt; man bemerkt im Hintergrunde einige moralisch verdorbene Hirten, welche sich moquieren. Die Musik ist bei dieser Stelle durchaus unfruchtbar und deshalb aus einigen beliebten neuen Komponisten entlehnt. Jetzt tritt der Engel hervor, und Sara tanzt mit ihm, doch merkt man schon, daß es ihr schwer wird. Abraham hat sich indes bei den Hirten erkundigt, wer der junge Mann sei, und da er nichts hat erfahren können, stürzt er eifersüchtig in den Vorgrund. Sara lächelte still, und spielt in einer artigen naiven Arie auf ihr fast hundertjähriges Alter an; der Engel erklärt sich und seine Sendung, Abraham jauchzt auf, Hirten und Hirtinnen füllen die Bühne, und die Szene schließt mit der Menuet aus dem Don Juan. Im dritten und letzten Akt erscheint Isaak; er macht eine anständige Verbeugung gegen das Publikum, und gesteht, daß er es selbst nicht geglaubt habe, daß er noch erscheinen werde. Er nimmt darauf Unterricht im Tanz und leistet etwas Unglaubliches, die gerührten Eltern und das ganze Tal Mamre klatscht Beifall. Die moralisch verdorbenen Hirten sind zu ihren Verwandten in die Städte Sodom und Gomorrha gegangen, und man sieht diese beiden verdammten Residenzen im Hintergrunde aufbrennen. In der Schlußszene erscheint Adam als Harlekin, Eva als Kolombine, der böse Geist als Dottore, die Gegend verwandelt sich in das Paradies; ein Orang-Utan tanzt mit einer jungen Äffin ein komisches Pas de deux, Löwen und Kamele gehen über das Theater, ihnen folgt der Hund des Aubri und der Kater Murr; alles treibt sich bunt durcheinander, ein militärisches Manöver und der Marseiller Marsch beschließen das Ganze. Nicht wahr, Freunde, eine großartige Komposition?« –

      Eduard und der Abt hatten gelacht, doch der letzte lenkte schnell ab und sprach vom Grafen. »Haben Sie bemerkt, Theurer, daß dieser Mann sich nichts Geringeres vorgesetzt hat, als der Zeit eine Richtung zu geben. Wenn ich nur dergleichen nicht fände; was soll das, wozu führt das? Da sitzt eine halbe Million Menschen auf dem Erdboden verteilt, und horcht und lauscht an den Boden gedrückt, ob sie nicht den Schritt der Zeit vernehmen. Mit lauter Entwürfen, die Zeit einzurichten und zu gestalten, geht sie ihnen selbst ganz ungenützt dahin; sie gleichen einem Kinde, das so viele weitläufige Anstalten zu einem Spiele trifft, daß darüber die Spielstunde zu Ende läuft. Doch an dieser Krankheit liegt jetzt die ganze Welt nieder. Wir ahnen Großes und Entsetzliches, und stemmen Hände und Leiber vor, als wollte eine Wand einstürzen, und nachher, wenn nichts stürzt, so stehen die tausend gehobenen Arme und gebückten Leiber äußerst possierlich da. Ein kluger Mann muß, wie in einem übelgebauten Wagen, so auch in einer schlimmen Zeit, immer noch ein Plätzchen auffinden können, wo es sich leidlich bequem sitzen und träumen läßt.« – Massiello hatte sich auf einen Lehnsessel geworfen und indem er beide Hände vors Gesicht schlug, stieß er einen tiefen und durchdringenden Seufzer aus. »O, ich bin müde zu leben,« rief er; »ich finde keine Worte, für den Ekel, der mich ergreift! Alle Erscheinungen haben sich schon bis zum Überdruß in mir wiederholt, und ich bin jeder Erbärmlichkeit vertraut geworden. Es ist alles nichts, alles fad, alles tot, staubig, verkohlt – erbärmlich!« –

      Eine lange Pause entstand, dann gingen die Freunde still auseinander, keiner vom Wesen des andern erbaut und erkräftigt.

      Eine Frist, die unser Freund vom Arzte sich hatte vorschreiben lassen, war verlaufen und es fand sich keine Entschuldigung mehr, die den längern Aufschub des Besuches im Schlosse hätte möglich machen können; so trat er denn eines Abends zu Pferde, von einem Diener begleitet, die Reise an. Der Frühling war in seinem vollen Glanze erwacht, die letzten rauhen Atemzüge des Winters verhauchten in dampfende Nebel, der die tiefsten Täler noch einhüllte, goldne Strahlen entzündeten die Welt, und leichte süße Gesänge wiegten sich auf den sprossenden Zweigen. Gegen die Nacht kam ein Gewitter herauf und ein warmer qualmender Brodem stieg mit einem betäubenden Geruch aus dem Boden des Waldes, einige dumpfe Schläge ertönten, dann herrschte tiefe Stille und während der matte Glanz der Blitze um die Blüten herumfuhr, tropfte ein warmer Regen nieder. Eduard hatte sich mit seinem Diener unter einem Baume niedergelassen und den Rock aufgeknüpft; zum erstenmal wieder schmerzte ihn seine Wunde empfindlich, und er mußte gebückt sitzen, die Hand auf dem entblößten Busen. Das geheimnisvolle Blatt kam ihm wieder in die Hände, er heftete in der Dunkelheit sein Auge drauf, und es war ihm, als sähe er wieder jene blendend weiße Hand über seine Schulter reichen, um ihm das Papier zu entreißen, heftiger schloß er es an sich und blickte um. Tiefe Finsternis hüllte jetzt den Wald, heftig rauschte der Regen und leuchtende Blitze schossen nieder. Eine Unruhe, die er sich nicht erklären konnte, trieb ihn an, das Pferd zu besteigen und in die Nacht hinein sein Ziel zu verfolgen. Das Wetter ließ bald nach, und als unser Reiter bei den ersten frischen Morgenstrahlen aus dem Walde herausritt, zeigte sich ihm das Schloß und seine Umgebungen. Es lag in romantischer Wildheit am Abhang eines Berges und ein Teil desselben lehnte sich in starren Umrissen an eine schroff emporsteigende Felswand. Brücken, hier und da noch mit dem altertümlichen Schmuck früher Jahrhunderte versehen, liefen über Abgründe und verbanden die schweren Massen mit einander, sicher und zierlich aufsteigende Türme und Türmchen umstellten den Bau wie schützend nach allen Weltgegenden hin und auf den spitzigen Dächern blitzten im Abendlicht die blanken Knöpfchen. Weiter unten, halb im Tal, erhob sich ein modernes Gebäude, zierlich ausgestattet, vom hellen Grün schön geordneter Baumgruppen umschlossen. Eduard stieg hier vom Pferde und auf seine Frage nach dem Schlossintendanten wies man ihn hinauf in die fürstlichen Zimmer. Alsobald machte er sich auch auf den Weg. Oben auf der altertümlichen Stiege kam ihm ein Diener der Oberhofmeisterin entgegen, ihm den Eingang in den Saal öffnend. Bei seinem Eintritt erblickt er ein Frauenzimmer, welches am letzten Fenster mit dem Rücken gegen ihn saß und sein Erscheinen nicht zu bemerken schien. Bestürzt blieb er stehen und strich sich über die Stirne – es war nur zu deutlich, die Gestalt aus seinem Traume saß vor ihm. Der voraneilende Diener meldete ihn, in dem Augenblick erhob sich die Dame und Eduard erkannte