Alexander von Ungern-Sternberg

Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien


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nicht als Beruf gegeben worden sein, es gibt im Felde der Ideen noch zahllose rühmliche Kämpfe zu bestehen. Hier, wie in jeder kräftigen Weltsache, gehen der falschen Apostel in Menge herum, und es fehlt am Judas nicht, der die Freiheit um dreißig Silberlinge verleugnet. Zahllose Meinungen schweifen in der Irre umher und bekämpfen im Irrtum und in der Finsternis sich selber, der Taumel wächst hier zum frechen Übermut, indes der Eifer für die gute Sache dort im trägen Indifferentismus unterzusinken droht, dort ist also Zaum, hier sind Sporen nötig, und so gibt's für einen Kopf, dem Ernst und Klarheit geworden, genug zu tun, Einheit und Richtung in die wogende, drängende Masse zu bringen. Gab es einmal eine Zeit, wo es lieblich, erlaubt und schön war, den Geist in eine poetische Ferne zu tauchen, am verklärten Schmerz und Entzücken sich zu berauschen, im Reiche der Phantasie zu leben, so muß das jetzige Geschlecht diesen Genuß aufgeben und dafür die Ehre haben, Taten auszustreuen, die den kommenden Geschlechtern Stoff zu Liedern und Hymnen geben. Es genügt nicht, in Ruhe die kunstreichen Gebilde auf dem Schilde der Minerva zu betrachten, sondern es gilt, ihn zu führen im Streite.«

      Der Baron erhob sich und auch die Andern brachen auf, man trennte sich, um zu Bette zu gehen. Ottfried kam auf unsern Freund zu, und indem er ihm die Hand drückte, bat er ihn, sich in das Profil zu stellen. Eduard tat es, und der freundliche Mann sagte nach einer Pause, während deren er ihn aufmerksam beobachtet hatte: »Nicht wahr, Sie sind ein Dichter? gestehen Sie es nur, ich trüge mich nicht.« Eduard gestand, daß er Verse niedergeschrieben. »Ja, ja,« rief Ottfried, »o mein Freund, ich habe Ihnen viel zu vertrauen, doch das zur gelegenern Stunde.«

      Als Eduard sein Zimmer erreicht hatte, löschte er schnell die Kerzen aus, und ließ den vollen silbernen Strom des Mondlichts über den Schreibtisch und Armstuhl auf den Boden fallen, er trat ans Fenster und es öffnend, blickte er auf das gegen die finstere Wolkenwand weißlich hervortretende Schloßgemäuer. Die Fenster schillerten im Mondglanz und es sah aus, als gäbe es drinnen ein prächtiges Fest. Alles umher war Ruhe und Stille; noch eben hatten leidenschaftliche Worte einer Menschenrede an sein Ohr getönt, sie waren verhallt, und durch das Schweigen des Grabes tönte das leise Geflüster der Blätter der unter seinem Fenster aufstrebenden Baumgipfel. Jetzt strich ein Luftzug durchs Gemach, und die Papiere auf dem Tische flogen auf, er sah im Schlosse ein einsam wandelndes Licht die lange Fensterreihe durchstreifen, und die Uhr im nahen Dorfe schlug die zwölfte Stunde. Er suchte das Bett und sank bald in einen tiefen Schlaf.

      Als er am Morgen sich zum Frühstücke einfand, saß Sophie allein da, und beschäftigte sich mit den Tassen. Sie stand sogleich auf, und nach einigen gleichgültigen Reden sagte sie: »Die Augenblicke sind selten, wo es einem gestattet wird, Blicke in das Innere eines Menschen zu tun. Sie, mein Herr, haben zufällig gestern den wunden Fleck offen gesehen, der, nach Innen zehrend, das Unglück unserer sonst so zufriedenen Gesellschaft macht. Ich kann es nicht leugnen, ich hege den tiefsten Haß gegen die alten Formen und den Dünkel einer Kaste, die dem Übermut und der Tyrannei keine Grenzen zu setzen weiß; offen bekenne ich, daß mir die höhere philosophische Entwickelung der Ideen, um die es sich handelt, gänzlich fremd ist, und daß zur Bildung meiner Ansichten gekränkte Eitelkeit einen großen, wenn auch nicht den größten Teil beiträgt. Ist es Ihnen recht, so benutze ich das halbe Stündchen, wo mein guter Vater noch zu erscheinen zögert, um Ihnen eine Begebenheit zu erzählen, die die plötzliche Änderung meiner Ideen bewirkt hat, und an die ich nie ohne Bewegung zurückdenken kann.« Eduard setzte sich zu ihr, und sie fuhr fort: »Meine gute Mutter war nicht von adeliger Abkunft, sie hatte durch Tugenden, die eines leeren Schimmers nicht bedürfen, das Herz meines Vaters an sich zu fesseln verstanden; ihr früher Tod ließ ihn ihren Werth auf das schmerzhafteste empfinden. Man veranstaltete ein ehrenvolles Leichenbegängnis; und die gewöhnlichen Festlichkeiten gingen vor sich, die, noch ein Erbteil einer steifen, törichten Zeit, eben so drückend als belästigend für die armen Hinterbliebenen sind. Meine Mutter besaß ein kleines Ordenskreuz, welches sie von einer teuren Freundin, die Stiftsdame gewesen, als ein Andenken erhalten hatte, und welches immer auf ihrer Brust zu ruhen pflegte; auch jetzt befand es sich dort, obgleich das Herz, welches in diesem Busen schlug, schon erkaltet war. Wer hätte es wagen können, dieses Zeichen einer zärtlichen Erinnerung zu entreißen? Und dennoch geschah es. Eine Dame von Adel, die sich mit unter den Trauergästen befand und noch zu jenem Fräuleinstift gehörte, bemerkte nicht sobald das Kreuz, als sie an den Sarg trat, um es abzulösen. Fast mit kindischer Hast sprang ich hinzu, umklammerte ihren Arm, indem ich sie bat und beschwor, von diesem Vorhaben nachzulassen, ja, ich besinne mich, daß ich in ohnmächtiger Wut nahe daran war, ihr in den Arm zu beißen, allein sie drängte mich von sich, indem sie leise und mit schneidender Kälte sagte: ›Mademoiselle, soll ich Ihre Bonne rufen, um Sie zu züchtigen?‹ Dann wandte sie sich zu einer nebenstehenden Dame und sagte spottend: ›Das ist nun eine Erziehung, wie sie eine Bürgerliche geben kann.‹ Mein ganzes Wesen war Erbitterung, ich verstand jene Worte sehr wohl, und ein grelles Licht drang in mein Inneres. O Himmel, ich glaubte die arme Mutter jetzt jedes Schmuckes beraubt zu sehen, mein einziges Verlangen war, mich nur gleich zu ihr ins kalte einsame Grab zu legen. In der Folge gab es Kränkungen der Art eine Menge. So besinne ich mich, daß ich die schmerzlichsten Tränen vergoß an einem Abende, wo alle meine Gespielinnen tanzten und jubelten; man hatte meine vertrauteste Freundin, ein Mädchen von bürgerlicher Abkunft, auf das Empfindlichste gekränkt, und da ich mich lebhaft ihrer annahm, mußte auch ich erfahren, daß man mir den Stand meiner Mutter vorwarf. Dies empörte mich, es kam aufs Äußerste, und als mir, die Gescholtene zu rechtfertigen, im Eifer der Rede die hellen Tränen über die Wangen liefen, mußte ich ein schadenfrohes tückisches Lachen hören, welches mir das Herz vollends zerschnitt. Mein guter Vater verließ mit mir den Saal, und als ich zu Hause anlangte, mußte der Arzt an meinem Bette erscheinen, denn die Symptome eines bösartigen Fiebers zeigten sich, welches mich auch später drei volle Monate am Krankenlager fesselte. Als ich genas, blieb ein Stachel in meiner Brust zurück, und zum ersten Male empfand ich eine Art von Genugtuung, als es in meine Hand gegeben ward, einem jungen Mann von adeliger Geburt, der um meinen Besitz sich bewarb, eine abschlägige Antwort mit aller Bitterkeit meines gekränkten Herzens zu erteilen. Bald suchten nun Spötter auszubreiten, meine liberalen Ideen brächten den Thron in Gefahr und was des Geschwätzes mehr war; indes fühlte ich nur zu deutlich, daß mein Geist zur Selbstständigkeit gereift war, meine natürliche Offenheit trat zurück, und während des Kampfes in mir beobachtete ich die strengste Kälte nach außen. In jener Zeit ward der Doktor, den Sie gestern kennen gelernt, in unserm Hause bekannt, und ich kann wohl sagen, daß er mich über mich selbst völlig ins Klare setzte. Ich gelangte immer weiter, bis zuletzt die Nähe eines so hohen und schönen Wesens, deren Erscheinung der Doktor wie eine göttliche Sendung betrachtet, mir eine Festigkeit, ja einen Trotz verliehen hat, mit dem ich gegen eine ganze Welt mit den Waffen meiner Überzeugung anzukämpfen im Stande sein könnte. Dies, mein Herr, sind in der Kürze die Beweggründe meiner veränderten Sinnesart, welche ich Ihnen gestern, glaube ich, nicht undeutlich an den Tag gelegt habe.«

      Eduard hatte dem geläufigen Fluß der Rede, so wie den sonderbaren Erfahrungen des kleinen Wesens ruhig zugehört, und dabei seine Morgentasse geleert. Auf der einen Seite konnte er ihr seine Achtung nicht versagen, auf der andern mußte er herzlich bedauern, daß seine offenherzige Vertraute nur zu gewiß den Schranken entrückt sei, für die sie bestimmt war. Er erkundigte sich nach jener wundervollen Erscheinung, deren sie am Schlusse ihrer Worte erwähnt hatte. »Ich darf Ihnen den Namen nicht nennen,« entgegnete Sophie, »es ist ihr Wille, im Verborgenen zu wirken, gleich einer Priesterin im Allerheiligsten, wie mein Doktor sich ausdrückt.« – »Doch nicht Fräulein Magdalena,« sagte Eduard halb gedankenlos vor sich hin, und wunderte sich nicht wenig, als hohe Röte die Wangen seiner kleinen Freundin übergoß. – »Sie ist's,« rief sie mit leiser Stimme, »ich kann nun einmal kein Geheimnis auf meiner Zunge bewahren, ja, Sie haben's erraten, Fräulein Magdalena ist's; nur bitte ich – Verschwiegenheit, teurer Mann, Sie könnten mich sonst beim Doktor auf ewig in Mißkredit stürzen.« – »Dacht' ich's doch,« rief Eduard bei sich, »Priesterin, Sonnambüle, Jakobinerin, Buhlerin, Alles in Allem!« Sophie wollte in ihren Erörterungen und Geständnissen von neuem beginnen, als die Türe sich öffnete und der Baron eintrat. Er grüßte und nahm Platz, indem er seine Tochter aufmerksam von der Seite ins Auge faßte; sie tat unbefangen und fing sogar an, ein Liedchen zu singen, das durch seine falschen Töne Eduards Ohr nicht wenig beleidigte. »Ich wette,« sagte der Alte zu ihr,