Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien
es bleibe beim Alten, und es herrsche der, vor dem alle Kreatur fleucht und dessen Fußschemel die Erde ist. – Als ich noch studierte, und die erste Kunde von den fürchterlichen, ewig denkwürdigen Revolutionstagen aus Frankreich an unser Ohr scholl, da war keine Seele, die sich nicht empört auflehnte gegen die frechen Satzungen, mit denen der bandenlose Übermut gegen die bestehenden Formen ankämpfte. Der Deutsche war in Liebe und Einigkeit mit seinem Lande verwachsen, in Verehrung für sein Fürstenhaus; die grenzenlose Albernheit und die frivolen Formen, die aus jenem Lande der Unnatur und des Leichtsinns kamen, hatten nur eine höchst geringe Anzahl Bekenner für sich, und unter diesen traten nur solche als Sprecher auf, die entweder den deutschen Charakter nie begriffen hatten, oder die Ehrgeiz und Leidenschaft zu Verrätern stempelten; wir Übrigen ließen es geduldig geschehen, daß man unsere Köpfe puderte und frisierte, unsere Röcke nach französischen Mustern verschnitt, doch Herz und Hirn blieben unverrückt und unverfälscht dem Lande, das wir liebten und das unsere Liebe verdiente, getreu. Es mochte wohl schwerlich damals in allen deutschen Gauen ein Deutscher gefunden werden, der an einem so anti-deutschen Charakter, wie der jenes großen Mannes war, Gefallen gefunden, geschweige denn, zu dieser perfiden Abgötterei sich herabgelassen hatte, in der jetzt ein sich selbst und alles Wahre und Edle verkennender Hause wahrhaft wütet. Schlimm, sehr schlimm steht es, wenn ein Mann der Held einer Nation werden kann, dessen Charakter eine kalte, folgerechte Verknüpfung von Lüge und Selbstsucht war, und dieser Mißgriff konnte von einem Volke getan werden, welches zu Grundzügen seines Wesens Treue, Anhänglichkeit, Wahrheit und Liebe hat. Zwar der Götze ist gestürzt, doch es fehlt nicht an neuen Ausgeburten eines kranken Geistes, die auf den Altar gehoben werden, um die verführte und verblendete Menge in immer regem Taumel zu erhalten.‹« Der Journalist hatte sich erhoben, und drohte mit der Rolle Zeitungsblätter, wie entrüstet, dem Sprecher, der ruhig in seiner Rede fortfuhr: »Es tut wahrlich Not, daß wir den Himmel bitten, daß er uns demütige, damit die Welt wieder glauben lerne; denn wo keine Andacht, keine Verehrung mehr herrscht, wo dreiste Klügelei jede Autorität wegspottete, darf, kann man wohl da etwas anders erwarten, als Elend, Verderben, tiefe Erniedrigung? In meiner Jugendzeit vereinigte sich Schule und Erziehung, jene Einheit zu befestigen, in der das Leben seinen Stützpunkt findet; es wurde vor allen Dingen ein guter ökonomischer Haushalt mit dem Leben gelehrt, daß man nicht zu frühe mit der Lebenslust fertig werden möchte; auf der hohen Schule zeigte man dem Jünglinge die Wissenschaft und Kunst in ihrer spröden jungfräulichen Herbigkeit, und ließ erst nach und nach ihre Süße ahnen; Strenge und Arbeit waren Gesetz – die großen Poeten und Philosophen thronten, gleich Königen, unzugänglich für den großen Haufen, im Heiligtum ihrer Studierstube, und dort reichten sie dem demütig nach Belehrung dürstenden Schüler kostbare goldene Äpfel in silbernen Schalen dar.«
»Ach ja – freilich wohl!« nahm der Baron das Wort mit gerührter Freudigkeit – »damals – damals hatten wir ja unsern großen einzigen Dichter noch – er war der Mann unsrer Liebe und Verehrung. Damals ging am Hofe der Fürsten ein feines Gespräch um. Ich weiß es ja noch, und wenn ich daran denke, muß ich noch lächeln – damals, als der Treffliche seinen Faust geschrieben hatte, der alle deutschen Gauen in Flammen setzte, schrieb ich ihm im Namen von fünfzig engverbrüderten Jünglingen, er möchte doch den Mephistopheles die tolle Wette nicht gewinnen lassen; demütig baten wir darum, denn es sei zu herrlich anzuschauen, wie der himmlischteuflische Kampf vom genialen Meister siegend zum Lichte hinaufgeführt werde. Was erfolgte? – nach einigen Wochen lief ein eigenhändiges Schreiben vom Dichter ein, worin er uns scherzhaft versicherte, daß er uns zu Liebe in einer so bösen Sache nichts entscheiden könne, und daß er es fürs Geratenste halte, wenn ein jeder Leser nach seiner Eigentümlichkeit sich das Ende selbst hinzu dächte. Und so ist es auch geblieben – der Herrliche hat sein Schauspiel nicht beendet.«
»Kann es wohl etwas Trostloseres geben, als den Werther?« rief der Journalist heftig; »ist es wohl möglich, die Verirrung so weit zu treiben, den Leuten glauben machen zu wollen, solch ein Charakter sei edel, stark, wahr? Ich finde nur Einen Gesichtspunkt, in welchem betrachtet dieses Produkt Leben und Wahrheit einigermaßen erhält, nämlich der Leser muß annehmen, der junge Mann töte sich nicht aus Liebes-Verzweiflung, diese hat meinetwegen auch einen großen Teil an seinem Tode, sondern der eigentliche Grund desselben sei die bewußt gewordene Ohnmacht, das uns allen vor Augen stehende ewige Rätsel unseres Daseins zu lösen. Aus innerem Zwiespalt und Lebensüberdruß flüchtet er ins Nichts. So nur kann ich Seelengröße und Selbstmord vereinigt denken, und von dieser Seite angesehen, gewinnt die Fabel Bedeutung, indem durch sie jene Stürme angedeutet worden sind, die bald darauf durch alle Länder dahinbrausen sollten, und die zu beschwören die heutige Welt berufen scheint. Das gewöhnlich angenommene Motiv des Werther'schen Mordes ist aber so siegwartisch schwindsüchtig-weichlich, daß sich im Ernst kein poetisch kräftiges Gemüt darein verlieben kann.« Ottfried war hinzugetreten und rief: »Wenn Sie doch, Teuerster, nicht von Poesie reden wollten, deren Wesen und Gehalt Sie nun einmal durchaus nicht begriffen haben! Wie ein schöner Park nicht dazu dienen kann, eine Stadt zu befestigen und Türme und Mauern entbehrlich zu machen, eben so wenig sollte ein Politiker von Poesie reden; genug, daß man ihm zugibt, daß seine Kanonen, Mörser, Säbelklingen und Deputierten-Kammern, samt allem kriegerischen Löschpapier notwendige Übel sind, da sollte man sich doch zufrieden geben, und uns unsern Teil lassen.« – »Schon wieder ein großer Irrtum,« rief der Zurechtgewiesene; »nur die höchste Einseitigkeit kann das Leben und seine Erscheinungen in starre Klassen teilen wollen. Dieses ist die Quelle so vielen Streits und Elends unsrer Tage, daß nämlich ein Teil der Menge sich ausschließt und behauptet, die Sache gehe ihn nichts an. Jeder und alle müssen vereint wirken, wenn die Aufgabe genügend gelöst werden soll.« – »Thun Sie, was Sie wollen,« sagte Ottfried empfindlich; »nur kann ich es nicht leiden, daß unser großer Dichter getadelt wird, und von Leuten, die nicht wert sind, ihm die Schuhriemen aufzulösen.« – »Mit einer einseitigen Bewunderung,« nahm der Journalist das Wort, »kommen wir heutzutage nicht weit. Das Repräsentieren einzelner Geister hat aufgehört, und an die Stelle ist die begeisterte Wirksamkeit Aller getreten; die Gesamtheit hat Stimme erhalten, und in dieser findet die Poesie, wenn sie sich aussprechen will, ihr würdiges Organ. Fragen wir doch, was denn jener große Geist, dem es vergönnt war, in so mancherlei Beziehungen aufs Ganze zu wirken, was er denn Treffliches geleistet? Wo sind die löblichen Einrichtungen, die der Staat ihm, seinem ersten Staatsmanne, verdankt, was hat eine Generation, die bittend zu ihm hinaufsah, von ihm zur Förderung und Feststellung der edelsten und schönsten Menschenrechte gewonnen? Auf welche Weise wucherte er mit dem Schatze, der in erläuterter Wissenschaft und Kunst ihm anvertraut worden? Die Antwort ist: um sein eigenes Selbst zu verherrlichen, um seinem Haupte die Krone aufzusetzen, tat er Alles, was er tat. Selber der Fürst seines Fürsten, übte er die heilloseste Geistesdespotie über seine ganze Zeit aus, die zu schwach und verweichlicht war, um dieses Joch zu fühlen und abzuschütteln.« Eine Pause entstand, während welcher Ottfried sich, im höchsten Grade verstimmt, abgewendet hatte; endlich sagte er: »Es hört ja aller Streit sogleich auf, wenn man die Poesie als eine milchende Kuh betrachtet, und dafür sieht unsere Zeit freilich alles Edle und Große an.«
Zum Glück trat jetzt der junge August herein; er kam aus der Residenz und brachte Nachrichten und politische Blätter mit. Der Journalist eilte auf ihn zu; der Geistliche wollte den Zeitpunkt benutzen, und mit seiner kleinen Braut einige herzliche Worte wechseln, doch sie fand Gelegenheit, ihm zu entschlüpfen und der Gruppe zuzufliegen, die sich um ihren Bruder bildete. Der Pastor nahm mit einer Miene der Resignation eine Priese und tat einen mächtigen Zug aus der Kaffeetasse.
Den nächsten Tag hatte Eduard dazu bestimmt, an dem Bilde fortzuarbeiten; er nahm es hervor und erschrak davor, wie vor einer Erscheinung. Aus bleichen schroffen Zügen sahen ihn in einem kranken Antlitz zwei erloschene Augen mit dem höchsten Ausdruck des Schmerzes an. War das das schöne achtzehnjährige Mädchen, waren das die Formen, denen er Anmut und edle Größe nicht absprechen konnte. Sorgsam verdeckte er das Bild und ließ er sich nachtragen aufs Schloß. Er wurde ins bestimmte Gemach geführt, es war leer; nach ein paar Sekunden erschien eine Kammerfrau und führte ihn zur Fürstin hinüber, diese empfing ihn freundlich und bedauerte, daß eine kleine Unpäßlichkeit das Fräulein verhindere, zu erscheinen. Unschlüssig, was er tun solle, ging unser Freund in den Saal zurück. Er setzte sich ans Bild, um daran zu ändern, doch je mehr er versuchte und übermalte, desto lebhafter fühlte er, wie er vom Urbilde