Alexander von Ungern-Sternberg

Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien


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den verhüllenden Schleier zu dringen. Eduard war natürlich einer der Ersten gewesen, der an der Seite seiner angebeteten Magdalena nach der Lösung des Rätsels geforscht, doch die Geliebte selbst zeigte ein durch diese trüben Vorfälle so verwundetes Gemüt, sie war augenscheinlich so heftig erschüttert und bewegt, bat ihren Freund so zärtlich, ihrem Busen nicht ein Geheimnis entwinden zu wollen, an dessen Bewahrung sie so schwer trage, daß dieser nicht weiter in sie drang, sondern sich begnügte, mit ihr zusammen das Schicksal anzuklagen, das sie einer teilnehmenden edlen Freundin beraubte, in dem Moment, wo beide sich entschlossen hatten, aus dem Bunde ihrer Herzen kein Geheimnis mehr zu machen. Es war festgesetzt worden, daß die Oberhofmeisterin und zwei junge Damen die Prinzessin begleiteten, Magdalena jedoch sollte in Gesellschaft ihrer Tante noch einige Tage zurückbleiben.

      Die endlich erfolgende Abreise war ein allgemeines Trauerfest; obgleich die Anstalten so getroffen worden, daß man in der Stille den Palast verlassen konnte, so hatte sich trotz dessen eine große Menge Landvolks eingefunden, welches mit Gewalt darauf bestand, des Anblicks der hohen Frau teilhaftig zu werden. Einige Männer vom Amt aus dem nächsten Städtchen, die ehrwürdigsten Greise des Dorfes umstanden den Reisewagen, den Schloßhof; und als nach Verlauf einer Stunde die Prinzessin erschien, begrüßte sie allgemeiner froher Zuruf; man ging so weit, sie daran verhindern zu wollen, den Wagen zu besteigen; Greise, Männer, Kinder und Frauen drängten sich um die hohe Gestalt, ihr Gewand zu küssen und sie mit den rührendsten Bitten zu beschwören, das Schloß nicht zu verlassen, denn es hätte sich das Gerücht verbreitet, sie wolle auf immer scheiden. Die Fürstin zeigte sich innig bewegt bei den Beweisen so herzlicher Anhänglichkeit, sie ließ Geschenke austeilen, nahm auf das Huldvollste Abschied, und konnte nur so zu ihrem Zwecke gelangen, indem sie laut erklärte, daß sie bald wieder zu kommen hoffe. Der alte Freiherr stand mit entblößtem Haupte zur Seite des Wagens, und sie hineinhebend, benutzte er die Gelegenheit, die ihm gereichte Hand mit dankbaren Küssen zu bedecken. Ottfried, Sophie und der Journalist erhielten ebenfalls freundliche Zeichen der Huld und Gnade; August hatte es sich nicht nehmen lassen, in seiner glänzenden Forstuniform auf einem schönen Rosse die edle Fürstin bis aus dem Dorf hinaus zu begleiten, und so ging endlich der Zug der Wägen, von einem Schwarm der Landbewohner gefolgt, durch das Dorf der nahen Grenze zu. Eduard, dem die Abreisende sich besonders freundlich bezeigt, empfand es schmerzlich, daß seine geliebte Magdalena sich im Augenblick der Trennung nicht blicken ließ; der Schmerz, die Unruhe dieser Tage hatte sie jedoch so angegriffen, daß sie das Zimmer nicht verlassen zu dürfen behauptete. Der Baron, Ottfried, Sophie und der Journalist gingen in tiefster Niedergeschlagenheit ihrer Wohnung wieder zu, die ihnen jetzt so verwaiset und verödet vorkam. – »Muß denn jede schöne Hoffnung auf Glück und Frieden heutzutage zu Grunde gehen!« rief der alte Freiherr, indem er sich eine Träne aus dem Auge drückte; »ich glaubte nun in meiner Einfalt, im Dienste dieser über Alles teuren und verehrten Frau meine Tage zu beschließen, und nun wird sie uns so plötzlich und auf eine so dunkle, seltsame Weise geraubt. Wer bürgt uns dafür, daß sie wiederkommt; sie selbst schien daran nicht zu glauben, als ihr Mund mit schmerzlichem Lächeln es uns versicherte. Ach, wer zählt die Leiden, die sie in ihrem Leben schon erfahren, und die sie mit vieler Fassung, mit so edler Geduld trägt; ich habe das Recht, über sie ein Wort zu sprechen, denn mir war es vergönnt, schon an ihrer Wiege zu stehen, der Zeuge ihrer aufkeimenden Tugenden zu sein; freilich, die Gabe irdischer Schönheit war ihr nicht gegeben, auch nicht jener gefällige Glanz, der den Sinnen schmeichelt, aber die himmlischen Schätze der Demut und Liebe lagen wie reines Gold in ihrer Brust.« – »Zum Glück,« rief der Journalist, »bleibt uns das Edelfräulein, die wohl würdig ist, ihre Stelle zu vertreten!« – »Auch sie dauert nicht lange bei uns aus,« seufzte der Baron, »auch sie geht!« Ottfried schwieg, er wollte seine Ansicht über des Fräuleins Charakter nicht laut werden lassen, obgleich ihr Nichterscheinen beim Abschied ihm ein Beweis mehr schien, daß diese Abreise und die Trennung des schon angeknüpften Bundes ihr Werk war. »Wer weiß es uns zu sagen,« nahm der Journalist wieder das Wort, »wen diese Mauern jetzt wieder in ihrer Mitte empfangen werden? Beim Alten bleibt es nun einmal gewiß nicht, möchte nur das Neuere auch das Bessere sein; wir gehen einer ungewissen Zeit entgegen.«

      Eduards einsame Stunden füllten jetzt die reizendsten Pläne, die entzückendsten Aussichten; er dachte daran, wie er sein Leben gestalten wolle, um es würdig zu führen an der Seite seiner Magdalena. An Emilien, an Gotthold waren Briefe geschrieben worden, die das schon längst als aufgelöst betrachtete. Verhältnis vollends zernichteten. Er war willens, in Civil- oder Militärdienste zu treten, je nachdem die Lage der Dinge ihn überzeugt haben würde, an welchem Platze er schicklicher die Ideen, die ihn jetzt beseelten, in Wirksamkeit übertragen könnte. Magdalena sah mit gerührter Teilnahme den Eifer, den der Geliebte zeigte, ihren Anforderungen Genüge zu leisten, doch zeigte sich stets in den Stunden, die Eduard seine glücklichsten nannte, eine seltsame Befangenheit bei ihr. Der Jüngling glaubte das Beben dieser schönen Seele zu erraten, wenn er bedachte, daß sie seinetwillen einen verhüllenden Schleier dulde, dessen die Tadellose stets in ihrem Leben für ihre reinen Handlungen nie bedurft hatte.

      In diese Träume versenkt, störte ihn eines Abends der junge Forstkadett, der in sein Zimmer stürzte: »Eine Neuigkeit!« rief er, »eine saubre Neuigkeit – es spukt oben im Schlosse! ja, ja, Sie können es nur glauben, Eduard, es spukt, und schon heißt es allgemein, daß des Gespenstes wegen die Fürstin so schleunig fortgegangen sei.« Der muntre Jüngling ließ sich jetzt in einen umständlichen Bericht ein, dessen Schluß war, daß er den Geist in Gestalt eines, in ein graues Wams gekleideten Mannes selbst erschaut, als er in der Dämmerung heute den Schloßverwalter, der in den obern Gemächern zu schaffen gehabt, aufgesucht. »Er wandelte an mir dicht vorbei,« erzählte der Geisterseher, »ohne daß ich das leiseste Geräusch eines Trittes wahrnehmen konnte, und verschwand im Korridor, der zu den Gemächern des Fräuleins und ihrer Tante führt. Schon vor einigen Tagen habe ich von den Schloßknechten dergleichen erzählen gehört, doch lachte ich darüber; heute aber, versichere ich Sie, wandelte mich ordentlich ein kleines Grausen an, ich gestehe es zu meiner Schande, denn wenn wir es untersuchen, so wette ich, daß sich der Spuk in eine bloße und vielleicht recht läppische Täuschung auflöst.« Eduard mußte ihm versprechen, eines Abends in seiner Gesellschaft dem seltsamen Wandler aufzulauern und ihn zur Rede zu stellen.

      Als beide Jünglinge hinuntergingen, kam ihnen Sophie mit einem besonders heitern Gesichte entgegen. »Sie haben, mein Freund,« sagte sie zu Eduard, »die Epoche meiner Trauer, meiner kleinen Verirrungen mit erlebt, es ist billig, daß Ihnen der freudige Schluß des Romans nicht verborgen bleibe: ich heirate, heirate den Doktor, der gute Alte hat eben seine Zustimmung gegeben; wir bleiben fürs Erste hier wohnend, doch unter der Bedingung, daß nicht von Politik die Rede sei.« Eduard ergriff Sophiens Hand und drückte sie herzlich, indem er seinen Glückwunsch aussprach. »Sie sind sehr teilnehmend und gütig,« fuhr die Braut fort, »ich nehme Ihren Glückwunsch geradezu als eine Prophezeiung an, denn welchem Mißgeschick sollte ich jetzt wohl noch entgegengehen? Der Geliebte, dem ich angehöre, zählt sich zu der Klasse von Menschen, bei denen heutzutage offenbar die richtige entscheidende Ansicht zu treffen ist, und so bin ich ruhig; meine Stellung im Leben und gegen die Gesellschaft ist gesichert und festgestellt, meine Achtung für mich selbst ist durchaus begründet, denn ich hätte es mir nie vergeben können, wenn ich anders gehandelt hätte.« – »Und was wird aus dem Pastor?« fragte Eduard. »Es ist ein trefflicher Mann,« erwiderte Sophie, »dem ich mich herzlich verpflichtet fühle; treu jenen alten biedern Gesinnungen seiner Tage hat er auch jetzt, da er deutlich wahrnahm, daß es meinem Glücke gelte, nicht einen Moment gezögert, mit seinen Ansprüchen zurückzutreten, und denen meines Bräutigams noch das Wort zu reden; er selbst wird unsere Trauung verrichten, die in diesen Tagen vor sich gehen soll.« Kaum hatte Sophie diese Worte geendet, als Ottfried, der Journalist und der Prediger im heftigen Zank hervortraten. Der Journalist hatte wiederum Angriffe auf Ottfrieds gefeierten Dichter gemacht, und durch diese den Poeten und den Pastor in Zorn gesetzt. – »Was wollen Sie mit Ihrem ächtdeutschen Charakter?« schrie Ottfried, »was soll ich unter dem vagen Begriff von Deutschheit, Deutschtum verstehen? Ist unser großer Dichter kein Deutscher? Kein vaterländischer?« – »Nein,« entgegnete der Journalist ruhig, »denn er hat kein Vaterland!« – »Eine neue, seltsame Behauptung!« rief der Pastor kopfschüttelnd. – »Und nennen Sie es mir,« setzte der Doktor eben so ruhig hinzu, »wie heißt es, wo liegt es? Ist's etwa das kleine