Alexander von Ungern-Sternberg

Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien


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wie der Süden Europas, samt dem Orient, sein Vaterland?« – »Ich fasse Ihre Ansicht,« rief Ottfried, »Sie zielen auf die große Objektivität unsres Poeten, und ist es nicht diese gerade, mit deren Hülfe es ihm gelang, so mächtig zu wirken, wie er gewirkt hat, indem er, mit einem Bilde zu reden, die Perlen aus dem Meere, das bunte Geflügel der Luft, die schimmernden Erze der Tiefe, die Gewächse fremder Zonen alle zusammen vereinigt hat, um sie aus seinem goldenen Füllhorn dem mit ihm lebenden Geschlechte vorzuschütten. Alles Schöne und Treffliche einer Zeit, ja diese Zeit selbst kommt nur durch den Mund der Dichter auf die Nachwelt; sie sind das Organ, und die mannigfaltigsten Richtungen des Geistes vereinigen sich hier, um in einem tönenden Prophetenspruche offenbart zu werden. In dieser Beziehung schreiben Dichter die Geschichte, und in diesem Sinn wird für das entfesselte Verständnis die Geschichte zum Gedicht.« – »Ich trete vollkommen Ihrer Ansicht bei,« rief der Journalist, »doch um den Poeten mit einer solchen weltgeschichtlichen Würde zu bekleiden, muß er einen festen Standpunkt haben, von welchem aus es ihm möglich wird, seine Bestimmung nach allen Seiten hin zu erfüllen; er muß sich als Glied einer Kette fühlen, aus der er nicht herausstrebt, sondern die er nur fester verbinden hilft; mit einem Wort, der Poet muß ein Vaterland haben. Geziemt es dem Denker, frei von umschränkenden Verhältnissen der Gegenwart, dem Ziele, das er sich über alle Zeit hinaus gesteckt hat, auf dem Wege einsam grübelnder Betrachtung nachzugehen; so sitzt der Dichter, ein Genosse seiner Zeit, auf dem bunten Markte des Lebens da; er leidet, kämpft und siegt mit den Leidenden, er jubelt mit den Jubelnden, und beständig wandelt der bewegte Zug vor seinem Auge vorüber; Wolken, Sonne, die ganze vaterländische Natur sieht man als Hintergrund zu seinen Gemälden; er ist eben so wenig von dem Lande, wo er geboren, zu trennen, als Duft und Farbe von der Rose zu scheiden ist, denn die Liebe, die Achtung seiner Mitbürger ist die Nahrung, mit der die Wurzel seines Daseins sich sättigt, der feste Grund der allgemeinen Wohlfahrt ist der sichere Boden, auf dem er fußt. Nähme man dem Poeten sein Vaterland, so nähme man seiner Harfe den Klang. Erscheinen nicht die großen Epiker und Dramatiker der Griechen, von diesem Standpunkt aus gesehen, so großartig? Stehen nicht Ariost, Dante, der Dichter der Nibelungen, der große Britte und endlich unser deutscher Sänger des Messias hierin als Muster da? – Der letztere ist der Dichter der Nation, bei ihm findet man deutsches Wort, deutschen Glauben, deutsche Vaterlandsliebe und Innigkeit.« – »Sie mögen Recht haben,« nahm Ottfried das Wort, »die Poesie wie alle andern freien Künste sagten sich in unserer Zeit von dem nächsten Bedürfnis der gegenwärtigen Zeit los, sie will keinem vorgeschriebenen Zwecke dienen, und verlangt, selbstständig dazustehen, und diese Selbstständigkeit hat sie erlangt, seitdem sie aus dem Stande unbewußter Kraft herausgetreten, und an der Hand der Kritik sich auf ihren jetzigen Standpunkt geschwungen hat. Heutzutage muß nun natürlich die Stellung eines großen Dichters eine andere sein; er findet bei seinem Erscheinen eine völlig eingerichtete Welt, die seiner nicht bedarf, er muß also, um auf seine Weise wirksam einzutreten, sich der Laune Einzelner anschließen, abgesehen davon, ob diese Einzelnen sich in seinem Geburtslande oder am entfernten Pol befinden; um seine innere Unabhängigkeit zu behaupten, muß er in eine äußere Abhängigkeit sich fügen, und statt des kleinen Bodens, den er früher in Liebe und Treue mit seinen Mitbrüdern teilte, öffnet sich jetzt ihm die ganze Welt. Der sinnliche, mit Gesang begabte Naturmensch, der früher den Dichter machte, vereint sich heutzutage mit dem forschenden Denker, und diese Beiden, im Bunde mit der Kritik, bringen jene große Weltanschauung hervor, die wir beim Genius unseres großen Dichters bewundern, und durch die er auch bei allen kommenden Jahrhunderten leben wird, indes der Poet, der die vorüberrauschenden Interessen der Zeit nur auffaßt, längst vergessen ist. Und am Ende, was bleibt dem Dichter, wenn es ihm nicht erlaubt wird, über den kleinen Streit die niedrigen Armseligkeiten, mit denen der Bürger der Staatsgesellschaft sich abquälen muß, hinweg zu fliegen und hinauf zu streben?« – »Wem alle diese Dinge nur Erbärmlichkeiten scheinen,« rief der Doktor heftig, »wem der Glaube seiner Väter, der Herd seiner Ahnen, die Liebe seiner Zeitgenossen nur Gegenstände der Reflexion, nicht des Herzens sind, freilich, der hat Recht, sich von Allem loszusagen, und von der kalten Höhe des Berges herab zu erklären, daß er die Dinge zu seinen Füßen nur höchst klein und unbedeutend finde.« – Der Pastor nahm das Wort und sagte: »Ich habe, so sehr ich auch den Sänger des Messias verehre, doch nie rechtes Gefallen an seinen spröden, kalten Vaterlandsliedern finden können, ja sogar, Gott verzeih mir die Sünde, der gute Herrmann und seine Cherusker sind mir ordentlich etwas abgeschmackt erschienen, und Gleim hat für mich weit mehr Wärme und Begeisterung.« – »Ich sehe,« rief der Journalist, »für die Poesie nur Ein Heil, nämlich sie muß sich entschließen, den eingebildeten hohen Standpunkt, die kalte Höhe, auf der sie sich doch nicht wird erhalten können, zu verlassen, um sich wieder an die einfachen Bedürfnisse der Menschen anzuschließen, sonst geschieht, was durchaus nicht ausbleiben kann: daß sie entweder auf dem Wege der Reflexion sich selber zerstört, oder dem kalten Indifferentismus anheimfällt, der sie schonungslos zernichtet. Sehen wir sie nicht in den Versen unserer neuesten Dichter diesem drohenden Verderben schon ganz nahe? – Wir, wir eilen, ihr wieder Haus und Vaterland zu geben, der hülfelos herumirrenden bieten wir die sichere Stätte, das schützende Obdach.«

      Sophie unterbrach den Diskurs, indem sie ihren Bräutigam zu einem Spaziergange aufforderte, Ottfried gesellte sich mit dem Pastor zum Baron, und Eduard eilte, von der vertrauten Zofe gerufen, hinauf in Magdalenens Zimmer, wo die Geliebte ihn bereits einige Zeit erwartet hatte. Sie kam ihm mit einem bezaubernden Lächeln entgegen, in ihrer Hand schwebte ein Papier, welches sie auf einen der Tische niederlegte und den Jüngling zu sich aufs Sofa zog. »Schelten Sie nicht, teurer Eduard,« lispelte sie, »wenn ich jetzt eile, meine schwärmenden Träume in Wirklichkeit zu verwandeln; die Zeit ist reif für unsere Pläne, es könnte leicht ein günstiger Augenblick versäumt werden; entschließen Sie sich, mein Freund, dieses Papier hier dem General Erlfeld, der sich jetzt gerade in der Residenz befindet, zu überbringen; erforschen Sie dessen Inhalt nicht, ersparen Sie mir ein Erröten, wenn Sie erführen, wie kindisch besorgt um Ihr Wohl die zaghafte Seele Ihrer Magdalena ist. Versprechen Sie mir, die Bogen nicht zu entfalten, bei unsrer Liebe, bei diesem Kruzifix versprechen Sie mir das.« – »Magdalena,« erwiderte Eduard, »Sie wissen ja, daß Ihr Wunsch ein Befehl ist, wozu also noch ein Gelöbnis, ich reise, und wann darf ich wiederkommen?« Das Fräulein sank mit einem Kuß an die Wange des Jünglings, sie schien ganz Zärtlichkeit und Rührung, und eine Pause verging, ehe sie sich fassen konnte. »Wir müssen uns trennen, auf wenige Tage, Freund meiner Seele!« hauchte sie in schmachtenden Tönen, »das erste Wort, welches Sie mit meinem Verwandten, dem General Erlfeld, sprechen werden, wird Sie überzeugen, daß ich ein paar schmerzliche Tage ihre Gegenwart entbehren muß, doch verspreche ich Ihnen, Sie hier zu erwarten.« Eduard erfaßte ihre Hand, und seine in weiche Stimmung sich ergießende Seele gab ihm die süßesten, schmeichelndsten Worte des Danks und der Zärtlichkeit ein; Magdalena erwiderte seine Liebkosungen, doch war in ihrem Wesen heute mehr, wie jemals, die Befangenheit zu spüren, die störend auf den Geliebten zurückwirkte; er blickte manchmal wie fragend ins große blaue Auge, wie zu einem rätselhaften Stern hinauf. Als die Abschiedstunde schlug, zog er, von wunderlichen Träumen getrieben, die zarte schöne Gestalt mit sich ans offene Fenster, vor dem die ganze Landschaft sich im Mondenglanz verklärend ausbreitete. »Mädchen meiner Liebe,« rief er mit Ernst und doch mit schmerzlichem Lächeln, »wisse, daß, wenn Du mich täuschtest, mein Leben ein verlorenes wäre; nur einmal vermag es der Mensch, mit voller, jugendlicher Kraft und Zuversicht den Glauben zu erfassen, irrt ihn da ein Trugbild, so sinkt er auf ewig in Ohnmacht dahin!« – »Eduard!« rief Magdalena, und sah den Jüngling mit befremdetem, fast zürnendem Blicke an; »es ist nichts,« rief dieser, und warf sich, wie in Reue vergehend, an ihre Brust, dann stürzte er fort.

      Beim Herausgehen traf er in den unrechten Korridor, als er ihn hinabeilte, sah er bei ungewissem Lichte eine Gestalt ihm entgegen kommen, er hielt Stand und ließ sie an sich heran, denn er meinte, es sei Ottfried; doch als die wandelnde Figur gerade den Streifen des Mondlichts durchschnitt, sah er eine fremde seltsame Kleidung, die keinem Bewohner der heutigen Welt anzugehören schien. Eduard kannte keine Furcht; er trat beherzt näher, da glitt die Gestalt rasch an der Mauer hin, und dem Bestürzten war es, als blickten aus der Mantelumhüllung die Züge des Herzogs ihn an. Als er sich von seinem Befremden ermannte, war der nächtliche Wandler schon in der Tiefe des Ganges verschwunden.

      Von den Furien eines fürchterlichen Argwohns