Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien
Prinzessin an, einige Worte stammelnd, welche nur zu deutlich seine innere Bewegung verrieten, in dem Moment öffnete sich eine Tür und Fräulein Magdalena trat herein. Ein ausgewählter Morgenanzug schloß sich ihrem schönen Wuchse an, in ihrem Gesichte lag eine ungewöhnliche Blässe, mit der das volle rötlich braune Haar kontrastierte. »Werden Sie mir vergeben,« nahm die Fürstin zu Eduard gewendet das Wort, »wenn ich die Veranlassung bin, daß Sie aus dem Kreise ihrer Freunde, aus den bunten Zirkeln der Residenz sich haben losreißen müssen, um meinem Wunsche zu genügen, das Bild meiner lieben Freundin,« sie zeigte auf das Fräulein, »zu malen; sie will uns verlassen, meine zärtlichsten Wünsche haben nichts über ihren unbeugsamen Willen vermocht, als nur die eine Vergünstigung, ihr Bild mir ausbitten zu dürfen.« Das Fräulein neigte sich bei diesen Worten mit einem Kusse auf die Hand der Fürstin nieder. Diese Handlung gab Eduarden plötzlich seine ganze Fassung wieder, er glaubte die Heuchlerin zu entdecken, der kein Mittel zu gering war, sich in die Gunst der durch sie beleidigten Fürstin wieder einzudrängen, ja er meinte, das Feuer dieser großen blauen Augen, die eine Zeitlang auf ihm geruht hatten, zu verstehen, das Rätsel jener geheimnisvollen Worte löste sich – sie, sie, rief er bei sich, sie hat dich hergerufen – ihr entschlüpften jene Drohungen und Winke. Eine Kälte erfüllte seinen Busen, das Gespräch, die Umgebung, die Wände des Gemachs, ja das ganze finstere Schloß drängte jetzt beängstigend auf ihn ein. Der Widerwille, der Haß gegen das Fräulein stieg so hoch, daß er jeden Augenblick fürchten mußte, daß sein offener Charakter an ihm zum Verräter werden möchte; nur der Anblick der Fürstin, die ihn immer von Neuem an seine Mutter erinnerte, war im Stande, ihm den Gedanken an einen längern Aufenthalt in dieser Umgebung nicht zur Marter zu machen.
Als unser Freund später zur Abendtafel erschien, trat mit ihm ein ältlicher Mann mit ehrwürdigen Zügen, den die Fürstin als Freiherrn von Werner, den Intendanten des Schlosses, vorstellte, wo Eduard seinen Wohnort aufschlagen sollte, ein. Das Fräulein sprach wenig, ein grüner Schirm bedeckte ihre Augen vor dem Glanze der Kerzen, und da sie den Kopf gesenkt hielt, gewahrte der Blick nur die zarte Rundung und Weiße des Kinnes, so wie ein schön gebildetes blaßrotes Lippenpaar. Öfters reichte ihr die Fürstin die Hand über den Tisch und sagte: »Nun Liebe? – so traurig!« Eduard höhnte im Innern die welke Zartheit und spröde Resignation; alles an diesem Wesen erschien ihm falsch, er sehnte sich nach der heißen, offenen Sinnlichkeit Eras. Mit Entzücken vernahm er den Abschiedsgruß der Damen, Ketten sanken von seiner Brust, und er eilte mit dem Baron über die vielen Brücken und Stiegen dem neuen lichten Gebäude zu, in dem er die erste Nacht nun zubringen sollte. Hier hatten alle Gegenstände ein durchaus verschiedenes Äußere; im Wohnzimmer, in welches der Freiherr ihn führte, war die Familie versammelt und begrüßte den Ankömmling offen und freundlich. Der Baron war Wittwer, seine Gemahlin hatte ihm eine Tochter und einen Sohn geschenkt. Die erste war ein kleines lebendiges Wesen mit hellbraunen, unsteten Augen; sie besorgte die Wirtschaft, es zeigte sich jedoch bald, daß sie bei diesem Geschäft mit der größten Eilfertigkeit und Zerstreutheit zu Werke ging, und hundert Dinge vergaß oder falsch ausrichtete; man sah ihr den Wunsch an, immer wieder so schnell als möglich ihren Platz einzunehmen bei einem Manne in den mittleren Jahren, der sich unserem Freunde als einen Journalisten aus der Residenz ankündigte. Den Bruder Sophiens, ein junger Mensch von blühendem Aussehen, bezeichnete seine Kleidung als einen Forstzögling aus einem nahen Waldstädtchen. Bei seiner kräftigen Jugend und männlichem Geschäfte trat eine große Weichheit seltsam kontrastierend bei seinem Benehmen, so wie bei der Gesichtsbildung, deutlich hervor. Er stand lange, während ein munteres Gespräch in der Stube durcheinanderkreuzte, stillschweigend ans Fenster gelehnt und blickte hinaus auf das einsam erleuchtete Zimmer im Schlosse, welches in die Nacht herab glänzte; sein Vater trat endlich zu ihm, und indem er etwas unsanft in die blonden Haare des Träumers fuhr, faßte er ihn um den Leib und zog ihn in die Stube hinein. »Mein Sohn August,« rief er Eduarden zu, den Jüngling vorstellend – »Forstkadet in R –.« Man setzte sich zum Nachtische, den Sophie besorgt hatte, und in dem Moment trat ein ältlicher Mann ein, den der Hausherr Ottfried nannte und als seinen jüngsten Bruder bezeichnete. »Ich bin mit meiner Familie,« fuhr der Baron fort, »in eine sonderbare Verwirrung geraten; ein Teil, zu dem mein Bruder auch gehört, ist offenbar zu alt, der andere – dort meine lieben Kinder, möchten fast ein wenig zu jung sein, es fehlt an einem gewissen Mittelstand.« – »Den bildet doch wohl unser Freund dort,« sagte Ottfried, indem er auf den Journalisten zeigte. – »Gott behüte,« rief dieser, »ich gehöre unbedingt der neuen und neuesten Zeit an, es gibt kein Bündnis mit alten Irrtümern; Krieg, offener Krieg und keine Vermittelung ist mein Wahlspruch.« Er sprach diese Worte wie im Scherze leicht hin, dennoch war es nicht zu verkennen, daß seine wahre Ansicht sich nur dürftig maskierte, um in Gegenwart eines Fremden, dessen Gesinnungen ihm noch ein Geheimnis waren, nicht zu entscheidend aufzutreten. Sophie ließ sich angelegen sein, ihrem Freund allerlei Leckerbissen zuzuwenden, und dieser zog endlich zum Dank für diese zarte Aufmerksamkeit die neuesten politischen Blätter hervor, indem er sich anschickte, Einiges daraus vorzulesen. »Halt, halt, Teuerster,« rief der Baron, »lassen wir unsern jungen Freund nicht gleich zum Willkommen die alten kreischenden Trompeterstückchen hören, die jetzt alle Ohren gellen machen – nachher, nachher findet sich wohl ein Stündchen; besser wird es sein, etwas über unsere Bekannten in der Residenz zu vernehmen.« Der Doktor schlug seine Blätter mit merklichem Unwillen zusammen, und Eduard ward aufgefordert, zu erzählen. Das Gespräch kam auf die Poesie und die neuesten Erscheinungen in diesem Fach. »Wenn wir davon reden sollen,« nahm der Journalist wieder das Wort, »so ist die erste und wichtigste Frage, was suchen wir heutzutage in der Poesie?« – »Zerstreuung, Erheiterung, Erhebung aus der verwirrten dumpfen Zeit,« rief der Baron mit Nachdruck. – »Freilich wohl,« nahm der Erstere wieder das Wort, »Erhebung – das soll sie uns geben und das wird sie. Gottlob, die Zeit ist vorüber, wo diese edle Kunst, wie alle übrigen, nur dem Kitzel der Höfe diente, und ein paar tausend Menschen mit ihr wie mit der Puppe spielten. Drum nichts von Zerstreuung, Erheiterung – wir sollen nicht zerstreut, erheitert werden; eine finstere, tatendrängende Zeit fordert Arbeit, Mühe, schnelle begeisterte Wirksamkeit. Der Brand umgestürzter Reiche, der alten Gerüste und Satzungen hat, so wie das Blut untergegangener Generationen, den Boden gedüngt, und die hellstrahlende Sonne echter Aufklärung zeitigt jetzt in jäher Schnelle die aufkeimende Saat; alles ist Regung und Bewegung; der scharfe tragische Dolch der Muse, mit dem die Hand früher gespielt, jetzt gilt es, in einer Männerfaust seine Schärfe, seine hartgeschliffene Spitze zu erproben. Hinweg mit der markausspülenden Weichlichkeit jener Poeten, deren Faunsgesichter, von Perückenlocken umschattet, mit lüsterner Gier in den Falten des alten Paradebetts lauschen, wo die alte buhlerische Kokette der Despotie sich ziert und winkt. Die morschen Pendülen mit den Porzellanmöpschen und Schäferinnen haben ihre letzte Stunde gewispert; ein wunderbarer Sturm rauscht hinter jenen Tapeten und rüttelt an den versteckten Türen, durch welche Wollust und Verrat einschlichen. Ein flammenschöner, in jungfräulicher Herbigkeit felsenharter Joseph reißt sich die junge Freiheit aus den verfolgenden Armen der alten Kokette, welche in welker Ohnmacht zurückbleibt; gerne opfert er den Mantel, alles irdische Gut, wenn er nur das himmlische seines Busens rettet.«
Ein Schweigen trat ein nach diesen lebendigen Worten, Sophie schmiegte sich an den Sprecher und sah ihm in die funkelnden Augen. Der Baron nahm das Wort und sagte: »Ihr habt vollkommen recht, Doktor, unter den grauen mittelalterlichen Schutt von zerbröckelten Kirchtürmen, den altmodischen Porzellanmöpschen und Perücken gehören auch jene albernen gotischen Irrtümer von Andacht, Liebe, Begeisterung, und Ihr tut wohl daran, wenn Ihr drauf besteht, daß alles miteinander ausgekehrt werde, damit aus der alten wunderlichen Kinderstube des Menschengeschlechts, voll summender Mährchen und Kindergebete, ein feiner offener Salon werde, wo politische Zeitschriften gelesen werden können, und man über den neuesten Wechselkurs verständige Betrachtungen austauschen kann.« – »Wir werden uns nimmermehr verstehen,« fuhr der Journalist auf, »und es wäre besser, es käme nie zu einem so unfruchtbaren Austausch; desto besser hat mich hier meine junge Freundin verstanden, nicht wahr?« – Sophie errötete und neigte ihr Antlitz tief herab, dann hob sie es langsam, und ein Blick auf den Vater zeigte, daß ihre Zunge es nicht wagen dürfe, offen den Beifall zu äußern, den sie im Geheimen den Worten des Redners gab. – »Ich erlebe es noch,« fuhr der Baron fort, »Sie, Herr Doktor, im offenen Kampf mit Fürst und Thron zu sehen; vielleicht treffen wir uns noch in einem engen Gewahrsam wieder, wo wir beide Zeit genug behalten,