Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien
eimerweise den Wein in sich aufnimmt! Was diese Deutschen trinken können! Meine Großmutter«, setzte einer hinzu, »hat mir ein naturgeschichtliches Beispiel erzählt von einem Deutschen der nach Paris kam, sechs Witwen und fünf Jungfrauen mitbrachte und im Zeitraume von einem Jahr sich Vater sah bei sämtlichen Weibern und dabei zwölf Weinschenkenhalter ruiniert hatte, deren Vorräte er durch die Gurgel jagte, ohne ihnen auch nur einen Sou zu bezahlen. Meine Großmutter pflegte hinzuzusetzen, daß dies ein Mann gewesen sei mit einem roten Barte, von starken Knochen und nicht besonders fett.«
»Merkwürdig!« riefen die Zuhörer.
»Aber nun, Bacchus! Willst du wohl uns zu Willen sein! Setze einen Preis auf dich! Mach geschwind!« –
Der Wirt der Herberge zu den drei brennenden Herzen trat jetzt in den Kreis und sagte: »Ich biete ihm zwölf Goldstücke jährlich, wenn er bei mir bleiben und den Schenken hinter meinem Ladentische machen will. Dabei soll er für den Sonntag und den Feiertag ein neues Wams haben und sechs Wochen im Jahr Urlaub zu einer Wanderschaft.«
»Das läßt sich hören, Meister Jacques Bertholet!« rief der Blondkopf. »Wenn ich wüßte, daß Ihr es ehrlich meint –«
»Geh doch – du willst doch nicht den Musen untreu werden, Bacchus?« rief Paraclet unwillig. »Schäme dich, Jünger der Wissenschaft!«
»Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll,« entgegnete der Gescholtene kleinlaut. »Ich habe heute meine letzten Bücher verkauft!« –
»Es geht auch ohne Bücher! Sieh, wir alle haben keine mehr.«
Während der junge Mann noch unschlüssig dastand, drängte sich eine an diesem Orte ungewöhnliche Gestalt in den Kreis. Es war der finstere, große, in einen bis auf die Fersen herabhängenden schwarzen Mantel gehüllte Fremde, der nun plötzlich mitten unter den Jünglingen stand und seine dunkel rollenden Augen im Kreise herumgehen ließ.
»Ein guter Christ bietet nicht mehr für eine so leichte, lose Ware!« sagte der Schenkwirt, indem er sich wieder hinter seinen Tisch zurückzog.
»So mag der Teufel mich teurer bezahlen!« schrie der junge Deutsche, wieder in seine frühere Lustigkeit übergehend. »Für hundert Goldstücke soll mich der Fürst der Nacht haben. Dies schwör' ich beim Namen meines Vaters.«
»Hier ist das Gold!« rief der Fremde, »und – du bist mein!«
Ein allgemeiner Aufschrei des Erstaunens wurde hörbar. Man schloß den Kreis dichter, aller Augen leuchteten. Die Szene war so neu wie überraschend. Der Teufel kam, um sich angesichts einer lustigen, sorglosen Menge auf die unverschämteste Weise seine Beute zu holen. Einige umschlossen mit nervigen Armen den Jüngling und zogen ihn mit sich fort aus dem Kreise heraus, andere hoben ihre Fäuste drohend gegen den Unbekannten auf, dem sie zuriefen, daß er sich sogleich entfernen solle.
»Das ist der reiche, fremde Ritter, der den Erker in dem Hause drüben innehat,« murmelte der Wirt, der sich unter die jungen Raufbolde mischte, um Frieden zu stiften, denn der Ruf der Scharwache ließ sich bereits zum dritten Male dicht an den geschlossenen Läden hören. Die Glocke vom Turm der Augustiner verkündete Mitternacht.
Bacchus riß sich von den Armen seiner Genossen los, es fiel ihm ein, daß er die Stunde der Zusammenkunft mit der Dame versäume. Als er auf dem Vorplatz des Hauses sich befand, erfaßte ihn dort der kräftige Arm des Fremden und zog ihn mit sich fort in die Nacht hinaus.
10.
Die Reise
Es gelang dem behenden und geschmeidigen Körper des Jünglings, sich von dem Arm seines Begleiters freizumachen, und er begann pfeilschnell seinen Lauf durch die dunkeln, einsamen Straßen der Stadt. Er durchflog mehrere kleine, enge Gäßchen und gelangte, immer in der Absicht, seinen Verfolger zu täuschen, auf einem Umwege zu dem Orte seiner Bestimmung. Hier fand er die wartende Zofe, und diese führte ihn zu der Portechaise ihrer Herrin.
In einem Gemache, das mit Pracht ausgestattet war und zu dem ein geheimer Eingang führte, empfing den Jüngling eine Dame, die durch eine Halbmaske sich unkenntlich gemacht hatte und die bei dem Eintritt des Gastes ihre Dienerin entfernte. Der Morgen blickte schon durch das verhüllte Fenster, als er sich von dem üppigen Lager erhob und sich zum Abschied rüstete, ohne daß eine zweite Zusammenkunft verabredet wurde. Die Dame tat geheimnisvoll, sie sprach von Verfolgungen, denen sie ausgesetzt sei und die sie zur Vorsicht zwängen. Sie zog einen kostbaren Ring vom Finger und bat, diesen zum Andenken zu behalten.
Auf der Straße angelangt, wollte der junge Abenteurer den erworbenen Ring zu den hundert Goldstücken legen, um diesen Reichtum, zu dem er so plötzlich und unerwartet gelangt war, zu einem Freunde in der Nachbarschaft zu tragen, bei dem der Schatz sicher aufbewahrt lag, als er mit Schrecken bemerkte, daß das Gold aus seiner Tasche verschwunden war. Nirgend anderswo als in dem Hause, das er eben verlassen, konnte der Raub vollführt worden sein. Er erkannte, in was für Hände er geraten war, und stürmte eilig zurück. Erst nach langem, heftigem Andringen wurde ihm geöffnet, doch nicht von der Zofe, sondern von einem riesigen, handfesten Knechte, der sich ihm trotzig in den Weg stellte und, kaum in Kenntnis gesetzt von seinem Begehren, mit den Fäusten auf den Unbewehrten eindrang, ihn niederwarf und unter Flüchen so arg mißhandelte, daß der Arme halbtot auf dem Pflaster liegenblieb. Zugleich erscholl aus dem geöffneten Fenster oben ein Spottgelächter.
Ein Vorübergehender nahm sich des Unglücklichen an. In diesem Helfer erkannte der Jüngling den schwarzen Unbekannten aus der Schenke, dessen erkauftes Eigentum er war. In diesem Augenblick erschien ihm der Fremde jedoch nicht so schreckeneinflößend wie wenige Stunden vorher. Machte es nun das Licht des Morgens, das die Gestalt in vorteilhafte Erscheinung brachte, oder waren es die peinigenden Gefühle der äußersten Hilflosigkeit, die jeden Beistand, er mochte geleistet werden von wem er wollte, als willkommen erscheinen ließen; unser Straßenheld nahm willig den Arm des Mannes an und ließ sich von ihm geduldig in dessen Wohnung führen. Hier legte er sich auf ein Ruhebett nieder, seiner Kleider wurde er entledigt und um die wunden Stellen ein Verband gelegt. Die Sonne schien bereits hell durch die bunten Fenster des hohen, mit Büchern und Instrumenten gefüllten Gemachs, als er aus einem erquickenden Schlummer erwachte.
Sein Beschützer saß neben seinem Lager.
Von dessen Äußern war jede Spur der nächtlichen Schrecken verschwunden; es war von der Teufelsmaske nur der finsterblickende, hohläugige und fast bis auf die Knochen ausgedörrte Mann übriggeblieben. Auch zeigte seine Kleidung ein einförmiges Schwarz; ein schwarzes Wams, schwarze enge Beinkleider, ein schwarzes Mäntelchen und eine schwarze Kappe auf dem Kopfe. Die langen, magern Finger schüttelten eben den Inhalt einer kleinen Phiole aus, in der eine dunkelrote Flüssigkeit schwebte, von der er wenige Tropfen in einen Becher, der zur Hälfte mit Wein gefüllt war, fallen ließ. Phiole und Becher wurden einstweilen auf ein Tischchen, dicht an dem Ruhebette, hingestellt. Die lange, dürre Hand näherte sich jetzt dem Arm des Jünglings, streifte das Gewand vollends zurück und tastete nach dem Pulse, dann legte sich der Kopf an die Brust und das kalte, pergamentartige Ohr ruhte an dem vollen, weißen Hügel der Jünglingsbrust, um auf die Schläge des Herzens zu lauschen. Als diese Forschungen beendet waren, ging die große, starr aufgerichtete Gestalt gemessenen Schrittes ein paar Minuten lang im Gemache auf und ab. Dabei klangen und wisperten verschiedene Uhren und künstliche, mechanische Werke seltsam durcheinander, und von Zeit zu Zeit ertönte ein dumpfer Schall, als fiele ein schwerer Körper von der Decke zum Boden nieder.
Der Genesende gab auf alle diese Dinge acht; sie erschienen ihm seltsam, aber sie flößten ihm keine Furcht ein. Er war bekannt mit den Erscheinungen und Apparaten der Wissenschaft und sagte sich leicht, daß jener Mann, dem es gefallen hatte, gestern in der Schenke die abenteuerlichste und wunderlichste Rolle zu spielen, nichts Höheres und nichts Geringeres sei als einer jener Schüler des Aeskulap, von denen das damalige Paris angefüllt war und die, um sich mehr Kunden und Anhänger ihrer Kunst zu verschaffen, für gut fanden, die Probleme der Wissenschaft, die sie oft glücklich genug lösten,